Das neue Jahr 2022 beginnt für Muslime in Deutschland mit der Nachricht der Schändung muslimischer Gräber auf dem Friedhof in Iserlohn. Rechtlich betrachtet handelt es sich bei solchen Taten um Sachbeschädigung und Störung der Totenruhe. Gesellschaftlich betrachtet handelt es sich…
Anwerbenachkommen
Vor 60 Jahren schlossen Deutschland und die Türkei das Anwerbeabkommen, mit der die sogenannte türkische Gastarbeitermigration begann. Bis 1973 kamen türkische Frauen und Männer nach Deutschland, um hier zu arbeiten und Geld zu verdienen. In der Zeit danach erhöhte sich ihre Zahl noch durch die Familienzusammenführung. Ich gehöre zu der Generation ihrer direkten Nachkommen. Mein Vater kam 1969 nach Lübeck, um in der metallverarbeitenden Industrie sein Geld zu verdienen. Meine Mutter folgte ihm nach ihrer Hochzeit 1970.
Ich beobachte die Feierlichkeiten zum Anlass dieses 60-jährigen Jahrestages mit gemischten Gefühlen. Ich kann der Feierstimmung nichts abgewinnen. Vornehmlich, weil ich sie als unvollständig wahrnehme. Eine neutralere Beschreibung fällt mir im Augenblick nicht ein. Eine schärfere, kritische Bewertung will ich nicht vornehmen, weil ich sehe, wie vielen meiner Generation etwas an diesen Feierlichkeiten liegt.
Praktische Ignoranz
Im Rahmen eines auf zwei Jahre befristeten Modellprojektes soll es bald in allen Moscheen in Köln auf Antrag die Möglichkeit zum Gebetsruf geben. Nur zur Mittagszeit zwischen 12 und 15 Uhr. Nur für maximal 5 Minuten. Und nur in einer Lautstärke, die außerhalb des Moscheegrundstücks auf die Nachbarschaft nicht als unzumutbare Lärmbelästigung wirkt. Im Hinblick auf die tatsächliche Lautstärke des Gebetsrufes kommt es also auf den jeweiligen Einzelfall an. Soweit die bisher bekannten Voraussetzungen.
TOM’s Beerdigung
Es ist der 3. Oktober. Der Tag der Deutschen Einheit. Der Koordinationsrat der Muslime (KRM), ein Zusammenschluss mehrerer muslimischer Dachverbände, feiert am diesjährigen 3. Oktober zum 25. Mal den „Tag der offenen Moschee“ (TOM). Dieses Jubiläum fällt gleichzeitig mit der Erinnerung an 60 Jahre deutsch-türkisches Anwerbeankommen zusammen. Zwei Gründe zu feiern. Könnte man meinen. Ich war seit etwa vier Jahren nicht mehr in der Zentralmoschee des Ditib Bundesverbandes in Köln, wo heute kurz vor 11 Uhr die große „Auftaktveranstaltung“ des 25. TOM begann. Ich überwinde mich für dieses wichtige Datum, für dieses Jubiläum, um nicht aus der Ferne zu urteilen, sondern einen unmittelbaren eigenen Eindruck zu gewinnen.
Fragen an deutsche Religionsgemeinschaften
Die Machtübernahme der Taliban in Afghanistan hat eine Dynamik in die innermuslimische Debatte hier in Deutschland gebracht, die ich bei den ersten Bildern aus Kabul so nicht vorhergesehen habe. Der entsetzte Blick auf Afghanistan schweifte dann immer mehr und irritiert…
Brüder im Glauben
In einem aktuellen Freitagswort (www.freitagsworte.de) habe ich versucht zu analysieren, warum die muslimischen Verbände in Deutschland weitestgehend zu den Entwicklungen in Afghanistan schweigen. Dabei habe ich darauf hingewiesen, dass die schnelle und vehemente Distanzierung – zum Beispiel bei extremistischen Anschlägen durch Muslime – im Falle der Machtübernahme der Taliban in Kabul unterblieben ist.
Meine Erklärung dieses Schweigens thematisiert die ideelle Nähe insbesondere der türkeistämmigen Verbände zu den theologischen Überzeugungen der Taliban. Dieser Hinweis ist in ersten Reaktionen junger Muslime energisch zurückgewiesen worden. Lassen wir die üblichen persönlichen Entgleisungen mir gegenüber unbeachtet, ist der sachliche Kern dieses Abwehrreflexes kaum nachzuvollziehen.
Jungen Muslimen scheint die Vorstellung, sie würden im Grunde den gleichen Glaubensüberzeugungen folgen wie die Taliban, offenbar unerträglich. Das ist im Grunde auch gut so. Allerdings deutet diese Abwehrhaltung eher auf eine ästhetische Dissonanz hin – man will nicht so menschenverachtend, so skrupellos und unkultiviert erscheinen wie die Taliban. Denn inhaltlich lässt sich diese Zurückweisung nicht begründen.
„Wo der Weg zur Gewalt beginnt“ – Persönliches zum 14.09.2021
Der 14.09.2021 wird ein besonderer Tag für mich werden. Sollte unser Schöpfer es in seinem Ratschluss für segensreich erachten, dass ich diesen Tag bei bester Gesundheit erlebe, werde ich ein sehr glücklicher Mensch sein. Es wird ein Tag sein, an dem ich für mich sehr wichtige Gedanken mit der Öffentlichkeit teile. Das tue ich ohnehin seit einigen Jahren auf dieser Blogseite.
Am 14.09.2021 werden meine Gedanken aber erstmals nicht auf diesem Blog veröffentlicht, sondern in Gestalt eines Buches mit dem Titel:
„Wo der Weg zur Gewalt beginnt – Muslimische Vorstellungen von Überlegenheit, ihre Wirkung auf Extremismus und Terror und was wir dagegen tun können“
https://www.m-vg.de/riva/shop/article/21456-wo-der-weg-zur-gewalt-beginnt/
Der Hass wird nicht verschwinden
Ich hatte nach dem letzten Text zum Thema Antisemitismus unter Muslimen in Deutschland und seinen Bezügen zum Nahostkonflikt eigentlich nicht vor, erneut dazu etwas zu verfassen.
Allerdings sind die Ereignisse vom Wochenende, die Demonstrationen des Hasses gegen Juden in Deutschland, von so einer „Qualität“, dass ich mich in der Pflicht sehe, den Blick auf unsere gesellschaftliche Situation noch genauer zu fokussieren. Ich formuliere das Vorangegangene ausdrücklich so: Demonstrationen des Hasses gegen Juden in Deutschland. So sah es aus. So hörte sich das an. Und ganz gewiss muss sich das für Jüd:innen auch genau so angefühlt haben.
Nakba – Die große Katastrophe
Ein Kommentar zum Nahostkonflikt aus muslimischer Perspektive ist immer schwierig. Sagt oder schreibt man etwas, droht der Vorwurf, man habe diesen oder jenen Aspekt des Konflikts, diesen oder jenen historischen Kontext außer Acht gelassen, nicht angemessen berücksichtigt, ja vielleicht sogar wissentlich unterschlagen. Eine solche Unvollständigkeit reicht bereits aus, um von den Betroffenen einer der beiden Seiten des Konflikts als Apologet der jeweils anderen Seite verurteilt zu werden. Also flüchten sich viele Stimmen in eine möglichst unparteilich erscheinende Stille oder in Aufrufe zur Deeskalation, in eine möglichst unverbindliche Abwägung des Verhaltens „beider Seiten“.
Neutralität mit und ohne Kopftuch
Der Bundesrat hat einer Gesetzesvorlage zugestimmt, die im April vom Bundestag verabschiedet wurde und mit der das Erscheinungsbild von Beamt:innen bundeseinheitlich geregelt werden soll.
In der muslimischen Landschaft ist von einem Kopftuchverbotsgesetz die Rede. Formulierungen wie Diskriminierung, Stigmatisierung, „so fängt es an“, Kopftuchverbot durch die Hintertür etc. dominieren die wütende muslimische Auseinandersetzung mit dem Sachverhalt. Dieser Reflex des ständig verfolgten, benachteiligten Opfers tut unseren gesellschaftspolitischen Debatten nicht gut und leistet keinen sinnvollen oder auch nur ansatzweise Erfolg versprechenden Beitrag zu einer professionellen Artikulation muslimischer Belange im öffentlichen Raum. Dieser Ton und Inhalt verfestigen Fronten und vertiefen Gräben innerhalb einer Gesellschaft, in welcher es gilt, Vorstellungen von „Wir“ und „Ihr“ zu überwinden, anstatt sie zu zementieren.