Monthly archives of “Februar 2016

Eine Abrechnung

Im öffentlichen Diskurs über den Islam gehört es seit jeher zum schlechten guten Ton, sich nicht mit differenzierten Betrachtungen aufzuhalten. In weiten Teilen des öffentlichen und gerade auch medialen Resonanzraums gibt es nicht einmal mehr ansatzweise so etwas wie den Versuch einer Diskussion unter Berücksichtigung verschiedener Perspektiven. Was jahrelang als „Islamkritik“ praktiziert wurde, driftet nun immer mehr in die Kategorie der Abrechnung.

 

Der Anspruch nach einer tieferen Erkenntnis über den Betrachtungsgegenstand oder der Wunsch nach möglichst ausgiebiger Beleuchtung tunlichst aller Facetten einer Fragestellung spielt praktisch keine Rolle mehr. Wobei durchaus fraglich ist, ob es im Hinblick auf den Islam jemals einen solchen Anspruch in der öffentlichen Debatte gab.

 

Fest steht jedenfalls, dass die meisten Akteure in der Debatte über den Islam zu dem Schluss gekommen sein müssen, man habe genug gemessen und gewogen. Jetzt kommt der Befund. Das Verdikt. Die Abrechnung. Der islamkritische Judgement Day. Wobei wir „islamkritisch“ mittlerweile mit „verbandskritisch“ ersetzen müssen.

Sechshundertsiebenundsiebzig

Vor kurzem ist in diesem Blog ein Novum bekannt gemacht worden. Es entwickelt sich so etwas wie der zaghafte Versuch, eine öffentliche innermuslimische Diskussion zu führen. Wie wichtig aber auch neu ein solcher öffentlicher Meinungsaustausch ist und von welchen Randerscheinungen er begleitet wird, wurde an dieser Stelle bereits näher beleuchtet. Inhaltlich geht es dabei um die Projekte der Extremismusprävention, deren Wahrnehmung, Wirkung und Einordnung. Murat Gümüş hat den ersten Aufschlag gemacht, auf diesem Blog ist erwidert worden. Elif Kandemir hat zunächst in türkischer Sprache, nun dankenswerter Weise auch auf Deutsch repliziert. Die Diskussion kann anhand der verlinkten Fundstellen nachvollzogen werden. Mit der folgenden Duplik soll nun im Sinne Kandemirs das „Kernproblem“ genauer beschrieben werden:

 

Zunächst eine augenzwinkernde Vorbemerkung: Dass die Position des Autors dieses Blogs durch Kandemir in die Nähe muslimischer Karnevalisten gerückt wird, deren inhaltliche Beiträge selten über die Qualität holpriger Büttenreden hinausgehen, ist fast schon ein rotverdächtiges Foulspiel. Da in diesem Blog zuweilen auch mal eine scharfe Klinge geführt wird, sei dies ausnahmsweise als unglückliche Grenzüberschreitung vergeben.

Die Reformreform – oder warum sich die muslimischen Reformer reformieren müssen

Der Begriff der Reform oder historisch noch spezifischer der Reformation prägt seit geraumer Zeit die Islam-Debatten in Deutschland. Einen Höhepunkt dieser Entwicklung markieren die aktuellen Berichterstattungen zur weiteren staatlichen Förderung der universitären islamischen Theologie. Darin finden sich vielfach entlarvende Formulierungen über die universitäre Lehre als vermeintliche „Reformtheologie“. Diese Signale werden im akademischen Feld und in der skurrilen Szene der „Islamexperten“ sehr wohl verstanden und dort auch mehr oder weniger feingeistig in die Tat umgesetzt.

 

So scheint mittlerweile jede akademische Beschäftigung mit dem Islam nur dann gerechtfertigt zu sein und kann sie sich der weiteren finanziellen und politischen Förderung nur dann gewiss sein, wenn sie sich den Lack der Reformtheologie überpinselt.

Ebenso wissen die „Islamexperten“ ihre Auftragsbücher gefüllt und das nächste Honorar überwiesen, je deftiger sie die vermeintliche Reformbedürftigkeit des Islam propagieren.

 

Dabei ist die thematische Seichtigkeit der öffentlichen Debatte einer Gesellschaft, die sich als aufgeklärt begreift, derart unwürdig und die Substanz der Reformproklamationen unhinterfragt derart flüchtig, dass man sich fragt, wann die Unwürdigkeit dieser Debattenkultur und die groteske Widersprüchlichkeit ihres Anspruchs, Verinnerlichung einer vermeintlichen Leitkultur zu sein, denn endlich erkannt werden.

Der muslimische Mann in der Schmollecke

Vor knapp 3 Monaten ist dieser Blog an den Start gegangen. Texte zur grundsätzlichen Standortbestimmung mit Blick auf die muslimische Selbstorganisation und zum innermuslimischen Umgang mit Kritik und öffentlichen Debatten bildeten den allgemeineren Einstieg und führten zu konkreteren Texten über das Phänomen der „Islamkritik“, das Profil der „Islamexperten“, die Silvesterereignisse in Köln, die Verfassungswidrigkeit Grüner Positionen zur Religionspolitik und bayerischer Modellversuche zum Religionsunterricht.

 

Dabei muss man rückblickend feststellen, dass die ersten allgemeineren Ausführungen zur diskursiven Befindlichkeit muslimischer Verbandsvertreter auf fast schon hellseherische Fähigkeiten beruhten. Die weitverbreitete Unfähigkeit, öffentliche Sachdiskussionen zu führen, auf inhaltliche Kritik zu erwidern und eine Meinungsverschiedenheit auch auszuhalten, kennzeichnet in weiten Teilen die Hypersensibilität muslimischer Vertreter. Bemerkenswert ist, dass gerade diejenigen Vertreter, die in der Vergangenheit am lautesten innermuslimische Mängel beklagt haben, heute am empfindlichsten reagieren, wenn selbst in der denkbar sachlichsten Form inhaltliche Gegenpositionen formuliert werden.

Mia san verfassungswidrig!

Der Freistaat Bayern praktiziert seit 2003/2004 einen Modellversuch „Islamischer Unterricht“. Er ist von Beginn an den muslimischen Bürgerinnen und Bürgern in Bayern als Äquivalent zum katholischen und evangelischen Religionsunterricht vorgestellt und beworben worden. Entsprechend gutgläubig haben ihn muslimische Eltern von Beginn an unterstützt und ihre Kinder zum Islamischen Unterricht (IU) als vermeintlichen Religionsunterricht angemeldet.

 

Je deutlicher die rechtliche und inhaltliche Mangelhaftigkeit dieses Modellversuchs wurde, desto intensiver haben sich die islamischen Religionsgemeinschaften in Bayern, allen voran die DITIB Landesverbände Nordbayern und Südbayern, um eine Überführung dieses problematischen Konzepts in einen verfassungsmäßigen Religionsunterricht auf der Grundlage unseres Grundgesetzes bemüht.

 

Seit zwei Jahren bleibt ein Antrag der DITIB Landesverbände auf einen verfassungskonformen Religionsunterricht durch das zuständige Fachministerium unbearbeitet. Gleichzeitig treten die Janusköpfigkeit und die verfassungsrechtliche Untauglichkeit des IU immer deutlicher hervor.

 

Durch Politik und Verwaltung wird diese Entwicklung mit einer Haltung begleitet, die man nur noch als offene Geringschätzung der islamischen Religionsgemeinschaften verstehen kann. Der Begriff „Freistaat“ wird offensichtlich als Synonym für verfassungsrechtliche Willkür verstanden. „Mia san mia“ scheint zum Credo und im rechtlichen wie protokollarischen Umgang einzig bestimmendes Element geworden zu sein.