Die Debatte um muslimische Organisationen in Deutschland steckt nach mehr als zwanzig Jahren intensiver öffentlicher Diskussionen in einer Sackgasse. Eigentlich sind es mehrere Sackgassen, die von diversen Missverständnissen begleitet werden und sie variieren je nach Perspektive des Betrachters oder Kommentators der institutionellen muslimischen Verhältnisse.
Die muslimischen Verbände selbst nehmen die öffentliche Debatte als eine von Grund auf unehrliche und unfaire Anprangerung ihrer Existenz und ihres Glaubens wahr. Sie sind davon überzeugt, es mit einer nicht nur skeptischen, sondern dem Islam und damit allen Muslimen gegenüber grundsätzlich ablehnend bis feindlich eingestellten gesellschaftlichen Mehrheit zu tun zu haben. Dabei nehmen sie diese Atmosphäre der Ablehnung und Anfeindung nicht als Reaktion oder Antwort auf ihr eigenes öffentliches Verhalten wahr. Sie begegnen in ihrer Wahrnehmung einer Öffentlichkeit, auf die sie glauben, keine Wirkung zu haben.
Verbandliche Selbstbetrachtung
Hier offenbart sich eine der grundsätzlichen Widersprüche der Verbandsmentalität: Man reklamiert für sich eine umfassende islamische Kompetenz und Organisationsdichte, die allein schon rein quantitativ zur fast schon exklusiven Repräsentation berechtigt und sich im Vergleich zu allen anderen muslimischen Akteuren in einem so großen Gefälle befindet, dass es nicht nur vertretbar ist, sondern geradezu zwingende Folge sein muss, dass Gesellschaft und Politik bitteschön nur die großen muslimischen Verbände als relevante Ansprechpartner betrachten sollen.
Jede staatliche Kooperation oder auch nur Gesprächsführung mit anderen, außerverbandlichen muslimischen Akteuren wird als Ausdruck eben jener grundsätzlich feindseligen Einstellung registriert. Es gilt den Verbänden als Affront und absichtlicher Ausdruck der Nichtachtung, wenn staatliche Stellen sich mit anderen Muslimen unterhalten oder deren öffentliche Positionen als diskussionswürdig erachten. Umso vehementer wollen die großen muslimischen Verbände jeden Kontakt, jede auch nur geringste Geste der inhaltlichen Auseinandersetzung mit diesen – aus der Sicht der Verbände – „Kleinstvereinen“ und „Einzelpersonen“ für sich ausschließen. Mit einem Spiegelbild der vermeintlich selbst erlebten Nichtachtung distanzieren sie sich von muslimischen Akteuren, die die verbandlichen Positionen nicht uneingeschränkt unterstützen oder gar kritisieren. Für die muslimischen Verbände sind diese Akteure allein deshalb schon nicht satisfaktionsfähig, weil ihnen jede interne Wirksamkeit oder eine eigene authentische muslimische Motivation abgesprochen werden. Für die Verbände sind diese Akteure lediglich eine zusätzliche Manifestation der staatlichen und gesellschaftlichen Strategie der Schmähung und der Respektlosigkeit – sie sind Instrumente fremder Mächte.
Statt also die harte innermuslimische Kritik anzunehmen, sich mit ihr und ihren Urhebern auseinanderzusetzen und im kontroversen Austausch von den Inhalten der Kritik zu profitieren, ziehen sie es vor, die Kritiker der Verbände als Gegner und Feinde und damit als Verräter am Islam und an den Belangen der Muslime zu markieren. Damit entfällt jede Notwendigkeit der inhaltlichen Auseinandersetzung, der Selbstbefragung oder öffentlichen Stellungnahme zu kritischen Themen.
Die muslimischen Verbände wanken so schon seit Jahren zwischen dem Selbstbild der allein legitimen muslimischen Interessenvertretung und der empfundenen Ohnmacht, gesellschaftliche Entwicklungen nicht mal ansatzweise beeinflussen zu können, hin und her. Sie sind diejenigen, die allein können und dürfen sollen – und gleichzeitig diejenigen, die man vermeintlich nicht lässt. Dass dieser Widerspruch selbstverschuldet ist und durch die aktuellen ideologischen Agenden der großen muslimischen Verbände befeuert wird, nehmen sie nicht wahr. Dazu mehr im Verlauf dieser Analyse.
Die gesellschaftliche und politische Betrachtung der muslimischen Verbände von außen hat sich wiederum in zwei unterschiedliche Richtungen verrannt: eine dämonisierende und eine beschönigende.
Der ambivalente Blick von außen
Die muslimischen Verbände – allen voran DITIB und IGMG – gelten in Teilen der Öffentlichkeit als von Natur aus gefährlich und böse. Sie werden als Ausdruck der als negativ wahrgenommenen Natur des Islam betrachtet. Jede schlechte Meinung über den Islam wird als unveränderbare, schicksalhafte Verkörperung seiner vermeintlichen Eigenschaften und Merkmale auf die Verbände projiziert. Den Verbänden gilt es zu misstrauen und sie können nur schlecht sein, weil all dies eben der Islam selbst ist.
Diese kategorische und absolute Ablehnung der muslimischen Verbände verhindert jede Möglichkeit einer Veränderung. Sie wird von den Verbänden als Beweis ihrer Einschätzung, die gesamte Gesellschaft sei kategorisch muslimfeindlich eigestellt, herangezogen und ausgenutzt. Die Verbände verstehen sich angesichts dieser Tendenzen als Chronisten der Muslimfeindlichkeit. Sie registrieren und dokumentieren aufwendig jede noch so kleine antimuslimische Tat. Allerdings nicht etwa, um daraus Strategien der Antidiskriminierungsarbeit abzuleiten oder gar den betroffenen Moscheegemeinden vor Ort Hilfe und Unterstützung zu bieten. Ihnen genügt das „Mitzählen“ antimuslimischer Taten. Entsprechend der rein quantitativen Substanz ihres religiösen Vertretungsanspruchs verstehen sie ihre Rolle in der Konfrontation mit Muslimfeindlichkeit als die des passiven Buchhalters – eine eigene Handlungsmacht im Hinblick auf die inhaltliche Bekämpfung muslimfeindlicher Ideologien, können sie nicht erkennen.
Die aus der Ablehnung gegenüber dem Islam resultierende Fundamentalkritik gegen die Verbände ist in ihren antimuslimischen Grundzügen so plump wie wenig hilfreich. Denn sie ermöglicht es den Verbänden, die Flucht in die Opferrolle anzutreten, obwohl es treffende und gute Gründe für eine intensive Verbandskritik gibt. Solange die Verbände aber nur mit einer antiislamischen Schmähung konfrontiert werden, statt mit den tatsächlichen innerverbandlichen Missständen, werden ihre Funktionäre es sich in ihrer passiven Grundhaltung weiter gemütlich einrichten und es vermeiden, in die öffentliche Debatte um die strukturellen und politischen Verhältnisse der jeweiligen Bundesverbände einzutreten. Denn das Verwalten des Status quo gilt ihnen als höchste Verpflichtung – und ist gleichzeitig die einzige Art der Verbandsarbeit, die sie kennen und bewältigen können.
Die unbegründete Zuversicht
Die beschönigende Sackgasse in der Betrachtung der muslimischen Verbände wiederum ist gekennzeichnet von der Hoffnung auf strukturelle und inhaltliche Veränderungen durch einen Generationswechsel in den Führungsetagen der Verbände. Hier konzentriert sich der öffentliche Blick insbesondere auf zwei Verbände, die DITIB und die IGMG. Beide sollen hier im Hinblick auf ihre tatsächliche Veränderungsmöglichkeit genauer beleuchtet werden.
Der DITIB wurde in einer kürzlich veröffentlichten Jugendstudie eine aktive Jugendarbeit mit herausfordernden Veränderungserwartungen der jungen Verbandsmitglieder attestiert. Insbesondere die Politik scheint hier gewillt zu sein, in diesen Bewegungen der Jugendarbeit das Potenzial für emanzipatorische Entwicklungen bis hin zu zukünftigen strukturellen Umbrüchen zu erkennen.
Wie falsch diese Betrachtung ist, wird in einer anderen, historischen Bewertung des DITIB Verbandes deutlich. Vielfach heißt es, jahrelang habe die DITIB gute Arbeit geleistet und wie sie organisiert ist und nach welchen Vorgaben sie intern handelt, sei solange kein Problem gewesen, solange sie nicht gegen grundlegende Interessen der deutschen Politik und Gesellschaft agierte. Erst in den letzten Jahren habe die DITIB sich verändert und sei in eine stärkere Abhängigkeit zur türkischen Regierungspolitik geraten. Mit diesem Wandel in der politischen Ausrichtung und der zunehmenden Bereitschaft, nach Vorgaben aus Ankara zu arbeiten, habe sie sich als Gesprächs- und Kooperationspartner disqualifiziert.
Eine solche Bewertung übersieht indes, dass es bei der DITIB nie einen Wandel, eine Veränderung der inneren Ausrichtung gab. Vielmehr steht die DITIB für ein Kontinuum, für eine Beständigkeit der politischen Prägung, die früher bereitwillig hingenommen wurde, heute aber zutreffend als Problem wahrgenommen wird.
Die Kontinuität der DITIB
Die DITIB wurde nicht als Religionsgemeinschaft gegründet. Sie wurde als Identitätsbewahrungsverein gegründet. Unter dem Eindruck der iranischen Revolution 1979 sah die damalige Militärregierung der Türkei (ab 1980) den ideologischen Feind der Türkischen Republik entsprechend der eigenen Rolle im Westbündnis in der Gestalt des Kommunismus und des politischen Islamismus. Sie hatte Angst, dass die zahlreichen türkischen Bürger in Deutschland vom rechten republikanischen Pfad der türkischen Regierung abkommen und auf religiöse oder ideologische Irrwege geraten könnten. In der Türkei verbotene Gruppierungen konnten sich in Deutschland entfalten und ihren inhaltlichen Einfluss auf die türkischen Glaubens- und Landesgenossen ausweiten. Die türkische Regierung wollte es unbedingt vermeiden, diese große türkische Bevölkerungsgruppe in Deutschland völlig ohne ideologische Führung den extremen Randgruppen zu überlassen. Was die damalige Türkei am wenigsten brauchte, waren Gastarbeiter, die religiös oder ideologisch radikalisiert in die Türkei zurückkehrten.
Hinzu kam, dass die Vorläuferorganisationen der heutigen IGMG in den 70er-Jahren in Deutschland ihre islamistische Ideologie in immer weiter organisierten Strukturen pflegen und weitergeben konnte. Unter diesen Eindrücken und Rahmenbedingungen wurde die DITIB 1984 in Köln gegründet. Von Anfang an war das Ziel des Verbandes, das nationale Selbstverständnis der „Gastarbeiter“ als Türken, und damit die türkische Sprache und die Praxis des staatlich gelenkten sunnitischem Islam innerhalb der damaligen „Gastarbeiterpopulation“ zu erhalten und an die Nachfolgegeneration weiterzugeben.
Die DITIB wurde nicht als Institution der Religionspflege und -vermittlung gegründet. Das unausgesprochene und in der Satzung nicht wiedergegebene eigentliche Ziel des Verbandes ist seit seiner Gründung die Bewahrung einer ausschließlich türkischen Identität, die sich als von fremden Einflüssen nicht kontaminierte eindeutige Identität versteht. In den 1980er Jahren hat sich niemand an diesem Selbstverständnis und an diesem Aufgabenspektrum gestört: Beide Staaten, Deutschland und die Türkei, gingen übereinstimmend davon aus, dass die türkischen „Gastarbeiter“ in die Türkei zurückkehren werden. Die Aufgabe der DITIB bestand darin, diese Rückkehr so störungsfrei wie möglich vorzubereiten. Die Religionsvermittlung diente diesem Zweck als Mittel. Insbesondere bestand seit der Gründung der DITIB das Selbstverständnis, dass die Religionsvermittlung dem Erhalt der nationalen Identität und damit gleichzeitig der Staatstreue der türkischen Bürger dient. Religion galt als ideologische Immunisierung gegen kommunistische Einflüsse und im Diyanet-Verständnis des Islam war die Religion stets dem Staat als eigentlicher Bezugspunkt für Gemeinschaft untergeordnet.
Diese Grundbedingung der Existenz der DITIB hat sich über die Jahre nicht verändert. Sie hat sich unter der AKP-Regierung sogar verschärft, was in den politischen Slogans, die die Beschwörung von kollektiver Einheit, die eingebettet und bezogen ist auf den türkischen Staat, deutlich wird: Tek millet, tek bayrak, tek vatan, tek devlet. Ein Volk, eine Fahne, eine Nation, ein Staat. Die eine Religion, über die die Diyanet und damit die Ditib bestimmt, wird unausgesprochen mitgedacht.
Vor diesem Hintergrund war die DITIB völlig überfordert, als der deutsche Staat mit der Deutschen Islamkonferenz verzweifelt versuchte, die Verbände von den Vorzügen und Gestaltungsmöglichkeiten des Religionsverfassungsrechts zu überzeugen. Was eine Religionsgemeinschaft im Sinne des Grundgesetzes ist, wusste zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich niemand in den Führungsgremien der Verbände. Bis heute haben diese Führungsebenen nicht wirklich verstanden, was eine Religionsgemeinschaft ausmacht und was sie von einer politischen Interessenvertretung unterscheidet. Und vor allem können sie sich nicht vorstellen, was die Aufgabe der Verbände sein soll, wenn sie sich tatsächlich als Religionsgemeinschaften verstünden.
Faktische und rechtliche Inszenierung
Aufgrund dieser Grundbedingungen sind jegliche Entwicklungen, die von dieser unveränderten zentralen Aufgabenstellung abweichen oder sich in Richtung Religionsgemeinschaft bewegen, auf Basisbeteiligung, mitgliedschaftliche Willensbildung und strukturelle Eigenständigkeit setzen, in Wirklichkeit systemfremde Einflüsse und Impulse, die es unbedingt zu unterbinden gilt. Derzeit sind Landesverbände, Jugendarbeit und selbst Mitgliederversammlungen des Bundesverbandes lediglich Simulationen dessen, was in der gesellschaftlichen Debatte erwünscht und vereinsrechtlich notwendig ist. Die DITIB inszeniert sich als Verband, als Zusammenschluss von Vereinen, als Organisation mit demokratischer Willensbildung und Gremienwahl. Solange diese Inszenierung inhaltlich nicht von der historischen und heute fortgesetzten Aufgabe der nationalen Identitätswahrung abweicht oder diese behindert, wird sie unter großem Ressourcenaufwand aufrechterhalten. Sobald aber selbst in den filigransten Verbandsbeziehungen Bestrebungen registriert werden, die der eigentlichen Aufgabenstellung widersprechen, sie erschweren oder ihre Voraussetzungen erodieren, wird mit aller Macht der Diyanet-Bürokratie und ohne Rücksicht auf ethische oder rechtliche Grenzen durchgegriffen.
Im Ergebnis ist die DITIB damit keine Religionsgemeinschaft und häufig nicht mal ein religiöser Verein, sondern bereitwillige Auslandsfiliale nicht nur der Diyanet, sondern je nach Bedarf auch des türkischen Außenministeriums oder gar anderer türkisch-behördlicher Interessen.
Eine Zusammenarbeit „mit DITIB“ erscheint angesichts dieser Realität lediglich auf Gemeindeebene möglich. Je nach Zusammensetzung des örtlichen Moscheevorstandes kann es sich um eine Gemeinde handeln, die ausschließlich als religiöse Gruppe am öffentlichen Leben der Stadtgesellschaft teilhaben will und diese nach Möglichkeit auch mitgestalten sollte. Genaustens zu prüfen bleibt stets die Frage, ob sich in den personellen Strukturen des jeweiligen Gemeindevorstandes der Wille zur religionsgemeinschaftlichen Selbstbestimmung manifestiert oder aber die Unterordnung in die nationalistische Aufgabenstellung des Bundesverbandes dominiert. Je nachdem wie die Antwort auf diese Frage ausfällt, sollte es Phasen der Zusammenarbeit oder der diplomatischen Distanz geben.
Die Kontinuität der IGMG
Grundsätzlich gilt diese Analyse auch für die IGMG-Strukturen. Mit der Übernahme der Regierungsmacht in der Türkei durch die AKP und damit der zunehmenden politischen Instrumentalisierung des Islam haben sich die IGMG-Strukturen in Deutschland weithin „diyanetisiert“. Was historisch als politische Auslandsmobilisierung und -finanzierung der Milli-Görüş-Ideologie des Necmettin Erbakan und damit als Opposition zur türkischen Regierung kemalistisch-militärischer Prägung begann, hat sich in dieser spezifischen Bedeutung als politisches Lager überholt. Die Opposition ist unter Preisgabe demokratischer und rechtsstaatlicher Grundsätze zur absoluten Regierungsmacht aufgestiegen. Damit hat sich der Sinn und Zweck der IGMG eigentlich erfüllt und die Organisation mit dieser Zielerreichung ihre Daseinsberechtigung verloren. Von Anfang an hatten die IGMG und ihre Vorläuferorganisationen zwei Aufgaben: Verbreitung der Milli Görüş-Ideologie und Akquise von Finanzmitteln für diese. Damit hatte sie stets eine Doppelnatur als Propagandaorganisation und Geschäftsbetrieb.
Wie der DITIB im Hinblick auf nationalistische Konservierung dienten auch der IGMG die Moscheen nicht als eigentlicher Sinn und Zweck ihres Daseins, sondern als Anlaufstelle zur politischen Indoktrination und als der äußeren Erscheinung nach „brüderliche“ Gemeinschaft, in welcher die Spendenbereitschaft stärker – nämlich für einen vermeintlich höheren spirituellen Zweck – angerufen werden konnte. Während der skandalösen Machenschaften des „grünen Anlagemarktes“, bei denen eine Vielzahl muslimischer Anleger mit der Aussicht auf erhebliche „Gewinnbeteiligungen“ ähnlich einem Schneeballsystem gelockt und um Ersparnisse in mehrfacher Millionenhöhe betrogen wurden, spielten nicht rein zufällig Moscheegemeinden und darunter auch jene der IGMG eine bedeutende Rolle als Ort der Präsentation und Bewerbung vermeintlich islamkonformer Anlagemöglichkeiten.
In diesem Sinne hat sich auch die IGMG nicht wirklich gewandelt oder inhaltlich verändert. Sie hat die eine Hälfte ihrer Doppelnatur als Geschäftsbetrieb fortgesetzt und muss nach dem Tod Erbakans die erzielten Einnahmen wahrscheinlich nicht wie früher teilweise in die Türkei transferieren. Ob es sie noch gibt und wie hoch sie ist, diese historisch als „Lizenzgebühr“ für die Milli Görüş-Ideologie bezeichneten Geldtransfers, darüber kann verlässlich nur der IGMG-Vorstand Auskunft geben. Während des Strafverfahrens 2017 gegen ehemalige IGMG-Funktionäre vor dem OLG Köln waren u.a. auch solche Geldtransfers jedenfalls noch Gegenstand des Verfahrens.
Neben ihrem Geschäftsbetrieb hat die IGMG auch ihre ideologische Funktion aufrechterhalten. Sie hat die historisch nach außen gerichtete politische Aktivität nunmehr nach innen gerichtet. Wie in der Vergangenheit sind auch heute die Aufrechterhaltung von Moscheegemeinden nicht primär einer religionsgemeinschaftlichen Aufgabenstellung geschuldet, sondern der Vergemeinschaftung des Zielpublikums, nämlich einer jungen, muslimischen, männlichen Basis, der nicht nur der Islam, sondern die Milli Görüş-Ideologie gepredigt wird. Damit gerät die IGMG natürlich in Erklärungsnot, warum sie sich öffentlich als Religionsgemeinschaft verstanden wissen will, sich intern aber der Pflege und Tradierung einer islamistischen, chauvinistischen, antisemitischen, antidemokratischen Ideologie verschrieben hat.
Nach außen trauen sich von Zeit zu Zeit einzelne Funktionäre mit öffentlichen Statements, wonach man sich von der Erbakan Ideologie abgewandt habe. Solche Auftritte werden indes im österreichischen Ausland in Veranstaltungsräumen internationaler Hotelketten für ein geladenes, eher nicht muslimisches Publikum inszeniert. In einer Moscheegemeinde in Deutschland würde sich kein IGMG-Funktionär mit einer solchen Distanzierung von Erbakan vor ein IGMG-Publikum stellen. Denn im Verständnis der Basis ist IGMG Erbakan und Erbakan ist die IGMG.
Vergiftete Jugend
Wer Zweifel an dieser Analyse hat, möge sich in den öffentlich zugänglichen Social Media-Seiten der IGMG Jugendorganisationen umschauen. Was dort nahezu mit einheitlichem Duktus, vergleichbaren Stilmitteln und sehr ähnlichen inhaltlichen Aussagen zu Tage tritt, ist die Hooliganisierung einer muslimischen Jugend. Fast ausschließlich junge Männer gefallen sich dort fahnenschwenkend und bengalische Feuer entzündend in einer latent gewaltgeneigten Inszenierung. Sie rezitieren Erbakan-Verherrlichung, Gedichte antisemitischer, antidemokratischer Autoren, sie skizzieren ein ins Groteske übersteigerte Männlichkeitsbild, das jede Abweichung von der eigenen beschworenen Kampfbereitschaft mit misogynen und homophoben Ausfällen als „Verweiblichung“ verachtet.
Es ist naheliegend, dass die IGMG Führung solchen Exzessen nicht nur nicht widerspricht, sondern dass diese Inhalte vielmehr Manifestationen der von der Verbandsführung vorgegebenen ideologischen „Jugendarbeit“ sind. Denn warum soll man heutzutage überhaupt noch IGMG-Mitglied sein – wenn man nicht als Personal des Bundesverbandes an dem Geschäftsbetrieb partizipiert? Die in die Türkei hin ausgerichtete politische Arbeit hat sich seit etwa 20 Jahren erledigt. Mit der nationalistisch-chauvinistischen Agenda wird man die DITIB-Konkurrenz nicht rechts überholen können – dort hat diese Aufgabe ja wie oben dargestellt eine viel ältere Tradition. Zurück bleibt inhaltlich und ideologisch nur die Wiederbelebung des Personenkultes um Necmettin Erbakan und die „Pflege“ seiner Ideologie als geistiges Fundament der IGMG. Genau das wird aktuell praktiziert und das Erbakan Gedankengut wird mit allen seinen frauenverachtenden, judenhassenden, demokratieverachtenden, gewaltverherrlichenden Komponenten in die IGMG-Jugend gepumpt.
Das ZMD-Problem
Wer an dieser Stelle entgegenhalten möchte, es handele sich nur um die zwei großen türkischen Moscheeverbände und mit dem ZMD stünde ja ein multinationales Verbandsmodell als gutes Beispiel muslimischer Vertretung zur Verfügung – der kennt die tatsächlichen Verhältnisse nicht. Der ZMD bezeichnet sich gerne als Dachverband der Dachverbände – und will als solcher unbedingt als Religionsgemeinschaft im Sinne des Grundgesetzes behandelt werden. Was der ZMD nicht so laut sagt, ist die Tatsache, dass der ZMD-Dachverband in Wirklichkeit wohl keinerlei verbindliche Weisungsmacht im Hinblick auf religiöse Inhalte und in Richtung seiner Mitgliedsorganisationen entfalten kann. Will der ZMD den Anspruch aufrechterhalten, Religionsgemeinschaft zu sein, muss er Moscheegemeinden aufweisen, in denen Menschen ihr eigenes ZMD-Verständnis des Islam praktizieren. Das Mitglied, das die meisten Moscheegemeinden als ZMD-Mitglieder vermittelt, ist die ATIB. Eine Organisation, deren Ursprünge ins türkische rechtsextreme politische Lager zurückverfolgt werden können. Der ZMD verwies bislang darauf, dass die ATIB gutachterlich prüfen lassen will, dass sie nicht rechtsextrem sei. Bedauerlicherweise hat sich bislang kein Gutachter finden lassen, der der ATIB dies attestieren will. Der ZMD will währenddessen unverändert der öffentlich agilste und sichtbarste Vertreter muslimischer Interessen sein – und erkennt nicht, dass es immer mehr MuslimInnen nicht hinnehmen wollen, dass er nicht nur Umgang mit Rechtsextremen pflegt, sondern sich von ihnen auch noch verbandlich legitimieren lässt.
Ich schreibe all das nicht aus Lust an der Kritik. Mir gefällt es nicht, dass ich all das über muslimische Organisationen schreiben muss, die mittlerweile der dritten oder vierten Generation von Muslimen eine öffentliche Stimme verleihen wollen.
Die Verbände mutieren aber immer mehr zu reinen Moscheeverwaltungsorganisationen, zu Facility Management Firmen mit eingerahmten Koranversen an der Bürowand. Sie hängen historischen Aufgaben und Selbstdefinitionen nach, ohne zu erkennen, dass die Gegenwart ihnen neue, andere Herausforderungen stellt. Wenn sie Religionsgemeinschaften für MuslimInnen in Deutschland sein wollen, müssen sie sich von rechtsextremen Mitgliedern trennen. Sie müssen die Ideologie anachronistischer, verblendeter Politiker über Bord werfen. Sie müssen sich von der Kontrolle und Fernlenkung aus der Türkei lösen. Wenn sie das nicht können, sind sie keine eigenständigen Religionsgemeinschaften. Dann dürfen sie sich aber nicht beschweren, wenn sie nicht zum Ansprechpartner für die Belange der MuslimInnen in Deutschland taugen. Ihre gesamtgesellschaftliche Relevanz beschränkt sich momentan immer mehr auf das Verteilen von Rosen (IGMG) und das Feiern von Tulpen-Festivals (DITIB). Vielen Dank für die Blumen – aber wir MuslimInnen in Deutschland brauchen von Organisationen, die Religionsgemeinschaften sein wollen, schon etwas mehr.