Sechshundertsiebenundsiebzig

Vor kurzem ist in diesem Blog ein Novum bekannt gemacht worden. Es entwickelt sich so etwas wie der zaghafte Versuch, eine öffentliche innermuslimische Diskussion zu führen. Wie wichtig aber auch neu ein solcher öffentlicher Meinungsaustausch ist und von welchen Randerscheinungen er begleitet wird, wurde an dieser Stelle bereits näher beleuchtet. Inhaltlich geht es dabei um die Projekte der Extremismusprävention, deren Wahrnehmung, Wirkung und Einordnung. Murat Gümüş hat den ersten Aufschlag gemacht, auf diesem Blog ist erwidert worden. Elif Kandemir hat zunächst in türkischer Sprache, nun dankenswerter Weise auch auf Deutsch repliziert. Die Diskussion kann anhand der verlinkten Fundstellen nachvollzogen werden. Mit der folgenden Duplik soll nun im Sinne Kandemirs das „Kernproblem“ genauer beschrieben werden:

 

Zunächst eine augenzwinkernde Vorbemerkung: Dass die Position des Autors dieses Blogs durch Kandemir in die Nähe muslimischer Karnevalisten gerückt wird, deren inhaltliche Beiträge selten über die Qualität holpriger Büttenreden hinausgehen, ist fast schon ein rotverdächtiges Foulspiel. Da in diesem Blog zuweilen auch mal eine scharfe Klinge geführt wird, sei dies ausnahmsweise als unglückliche Grenzüberschreitung vergeben.

Die Reformreform – oder warum sich die muslimischen Reformer reformieren müssen

Der Begriff der Reform oder historisch noch spezifischer der Reformation prägt seit geraumer Zeit die Islam-Debatten in Deutschland. Einen Höhepunkt dieser Entwicklung markieren die aktuellen Berichterstattungen zur weiteren staatlichen Förderung der universitären islamischen Theologie. Darin finden sich vielfach entlarvende Formulierungen über die universitäre Lehre als vermeintliche „Reformtheologie“. Diese Signale werden im akademischen Feld und in der skurrilen Szene der „Islamexperten“ sehr wohl verstanden und dort auch mehr oder weniger feingeistig in die Tat umgesetzt.

 

So scheint mittlerweile jede akademische Beschäftigung mit dem Islam nur dann gerechtfertigt zu sein und kann sie sich der weiteren finanziellen und politischen Förderung nur dann gewiss sein, wenn sie sich den Lack der Reformtheologie überpinselt.

Ebenso wissen die „Islamexperten“ ihre Auftragsbücher gefüllt und das nächste Honorar überwiesen, je deftiger sie die vermeintliche Reformbedürftigkeit des Islam propagieren.

 

Dabei ist die thematische Seichtigkeit der öffentlichen Debatte einer Gesellschaft, die sich als aufgeklärt begreift, derart unwürdig und die Substanz der Reformproklamationen unhinterfragt derart flüchtig, dass man sich fragt, wann die Unwürdigkeit dieser Debattenkultur und die groteske Widersprüchlichkeit ihres Anspruchs, Verinnerlichung einer vermeintlichen Leitkultur zu sein, denn endlich erkannt werden.

Der muslimische Mann in der Schmollecke

Vor knapp 3 Monaten ist dieser Blog an den Start gegangen. Texte zur grundsätzlichen Standortbestimmung mit Blick auf die muslimische Selbstorganisation und zum innermuslimischen Umgang mit Kritik und öffentlichen Debatten bildeten den allgemeineren Einstieg und führten zu konkreteren Texten über das Phänomen der „Islamkritik“, das Profil der „Islamexperten“, die Silvesterereignisse in Köln, die Verfassungswidrigkeit Grüner Positionen zur Religionspolitik und bayerischer Modellversuche zum Religionsunterricht.

 

Dabei muss man rückblickend feststellen, dass die ersten allgemeineren Ausführungen zur diskursiven Befindlichkeit muslimischer Verbandsvertreter auf fast schon hellseherische Fähigkeiten beruhten. Die weitverbreitete Unfähigkeit, öffentliche Sachdiskussionen zu führen, auf inhaltliche Kritik zu erwidern und eine Meinungsverschiedenheit auch auszuhalten, kennzeichnet in weiten Teilen die Hypersensibilität muslimischer Vertreter. Bemerkenswert ist, dass gerade diejenigen Vertreter, die in der Vergangenheit am lautesten innermuslimische Mängel beklagt haben, heute am empfindlichsten reagieren, wenn selbst in der denkbar sachlichsten Form inhaltliche Gegenpositionen formuliert werden.

Mia san verfassungswidrig!

Der Freistaat Bayern praktiziert seit 2003/2004 einen Modellversuch „Islamischer Unterricht“. Er ist von Beginn an den muslimischen Bürgerinnen und Bürgern in Bayern als Äquivalent zum katholischen und evangelischen Religionsunterricht vorgestellt und beworben worden. Entsprechend gutgläubig haben ihn muslimische Eltern von Beginn an unterstützt und ihre Kinder zum Islamischen Unterricht (IU) als vermeintlichen Religionsunterricht angemeldet.

 

Je deutlicher die rechtliche und inhaltliche Mangelhaftigkeit dieses Modellversuchs wurde, desto intensiver haben sich die islamischen Religionsgemeinschaften in Bayern, allen voran die DITIB Landesverbände Nordbayern und Südbayern, um eine Überführung dieses problematischen Konzepts in einen verfassungsmäßigen Religionsunterricht auf der Grundlage unseres Grundgesetzes bemüht.

 

Seit zwei Jahren bleibt ein Antrag der DITIB Landesverbände auf einen verfassungskonformen Religionsunterricht durch das zuständige Fachministerium unbearbeitet. Gleichzeitig treten die Janusköpfigkeit und die verfassungsrechtliche Untauglichkeit des IU immer deutlicher hervor.

 

Durch Politik und Verwaltung wird diese Entwicklung mit einer Haltung begleitet, die man nur noch als offene Geringschätzung der islamischen Religionsgemeinschaften verstehen kann. Der Begriff „Freistaat“ wird offensichtlich als Synonym für verfassungsrechtliche Willkür verstanden. „Mia san mia“ scheint zum Credo und im rechtlichen wie protokollarischen Umgang einzig bestimmendes Element geworden zu sein.

Klare Verhältnisse

Angesichts der aktuellen – teils sehr kontroversen – Diskussionen um islamische Religionsgemeinschaften und ihre zukünftige Entwicklung, soll durch diesen ausführlicheren Beitrag, orientiert an konkreten Fragestellungen, der Versuch einer Einordnung und Bewertung wichtiger Aspekte der geführten Debatten unternommen werden. Es geht dabei weniger um Begriffsdefinitionen oder juristische Wissensvermittlung, sondern um eine inhaltliche Bewertung aktueller Diskussionsschwerpunkte. In zwei Abschnitten soll das Verhältnis des Staates zu Religionsgemeinschaften und das Verhältnis der Religionsgemeinschaften untereinander, durch jeweilige Teilfragen konkretisiert, erörtert werden.

Wehret den Anfängern!

Am 22.01.2016 veröffentlichte Online Redakteurin Charlotte Zink einen Artikel auf www.focus.de. Er trägt den Titel: „ „Etwa jede zweite Moschee ist anti-westlich“: Experte erklärt Macht der Imame“.

Dieser Focus-Beitrag ist auf vielen Ebenen exemplarisch. Er markiert gleichzeitig den aktuellen Tiefpunkt der Inflation des Begriffs „Experte“ und den Auftakt zu einer infamen neuen Hetzkampagne gegen muslimische Geistliche. Mit stilistischen und sprachlichen Mitteln öffnet sich hier das Tor zu neuen Abgründen der Stigmatisierung und der antimuslimischen, rassistischen Ausgrenzung nicht mehr nur der Muslime als diffuses Kollektiv, sondern konkret ihrer Moscheegemeinden und ihrer Imame.

Cuius regio, eius religio? – Vom Grünen Rückfall ins 17. Jahrhundert

Kürzlich wurde in diesem Blog die religionspolitische Entgleisung der Grünen Parteiführung kommentiert. Dabei ist offengelegt worden, dass die vermeintlich verfassungsrechtlich besorgten Aussagen von Özdemir und Beck in deutlichem Widerspruch zu ihren tatsächlich verfassungswidrigen Inhalten stehen.

Die Substanz der Grünen Positionen verflüchtigt sich ins Homöopathische, weil die Kritik an den etablierten muslimischen Religionsgemeinschaften unbegründet bleibt. Die Äußerungen Özdemirs und Becks bleiben Postulate, populistische Bedeutungs- und Befundbehauptungen. Sie entbehren jeglicher Plausibilität, schlüssiger Begründung oder verfassungsrechtlicher Herleitung. Sie verlassen sich darauf, dass die juristisch ungeschulten Adressaten sich die gespielte Empörung über die vermeintlich anmaßenden muslimischen Verbände zu eigen machen und ihre Diffamierung als religionsverfassungsrechtliche Simulanten nicht als das entlarven, was sie in Wirklichkeit ist – nämlich der Aufruf zum Verfassungsbruch.

Gebt die Grünen frei!

Der Deutschlandfunk berichtet am 18.01.2016, die Grünen beabsichtigten, voraussichtlich Anfang Februar ein neues religionspolitisches Konzept vorzulegen. Darin soll es um eine Neuausrichtung gegenüber den muslimischen Religionsgemeinschaften gehen. Besser gesagt darum, ihnen den verfassungsrechtlichen Status einer Religionsgemeinschaft abzusprechen. Zu diesem Thema haben sich die Grünen in jüngerer Vergangenheit bereits geäußert. Dazu wurde in diesem Blog Stellung genommen. Die inhaltliche Qualität der bisherigen Grünen Positionen und Argumente lässt befürchten, dass das neue religionspolitische Konzept eher dem Grünen Bauchgefühl, als verfassungsrechtlichen Vorgaben folgen wird. Einen Vorgeschmack bietet der vorbezeichnete Beitrag von Michael Hollenbach, in welchem die wesentlichsten Grünen Standpunkte nochmals dargelegt werden. In einem späteren Beitrag soll der verfassungsrechtliche Rahmen ausführlicher beleuchtet werden. Der folgende Text seziert vorher den Geist, der dem religionspolitischen Vorstoß der Grünen innewohnt:

Verteufelung der Prävention?

Auf islamiq.de wurde am 13.01.2016 ein Beitrag mit dem Titel „Der Teufelskreis der Prävention“ des Generalsekretärs des Islamrates und stellvertretenden Generalsekretärs der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüş (IGMG), Murat Gümüş, veröffentlicht, in dem die Maßnahmen der Extremismusprävention kritisch hinterfragt werden. Das Thema ist aufgrund seiner Aktualität und der recht eindeutigen kritischen Positionierung eines hohen Vertreters einer muslimischen Religionsgemeinschaft wert, eingehender diskutiert zu werden. Der folgende Kommentar soll ein solcher Diskussionsbeitrag sein.

Mit Rücksicht auf die spezielle Gemütslage der muslimischen Verbandslandschaft gilt es, mit einer wichtige Erläuterung zu beginnen:

Wie Karneval, nur ohne Kostüme

Nach den Ereignissen der Silvesternacht in Köln und anderswo muss man leider konstatieren: wir sind nicht überrascht. Die Reaktionen auf die verübten Straftaten fallen – leider – nicht aus dem Rahmen des Erwarteten.

Zeitungen und „Nachrichtenmagazine“, die ihr Motto wohl bald in „Hetze, Hetze, Hetze“ umwidmen werden, machen mit sexistischen und rassistischen Titelseiten auf. Damit wird die unterschwellige Phantasterei von gefährlicher, überwältigender Omnipotenz des Fremden befördert. Was „der Muslim“ über seinen vermeintlichen „Geburtendschihad“ als Projekt der demographischen Landnahme betreibt, flankiert er nun auch mit der Übergriffigkeit auf „unsere Frauen“.

Und unsere Medien machen sich auch noch freiwillig zum Instrument dieser rassistischen Pöbelei. Mal wieder gilt: Auflage vor Anstand.

Man kann froh sein, dass auf Titelseiten keine Kreuze brannten. Wir können aber noch nicht sicher sein, ob es nicht bald Berichte über Muslime geben wird, die vermeintlich Brunnen vergiften.