Der muslimische Mann in der Schmollecke

Vor knapp 3 Monaten ist dieser Blog an den Start gegangen. Texte zur grundsätzlichen Standortbestimmung mit Blick auf die muslimische Selbstorganisation und zum innermuslimischen Umgang mit Kritik und öffentlichen Debatten bildeten den allgemeineren Einstieg und führten zu konkreteren Texten über das Phänomen der „Islamkritik“, das Profil der „Islamexperten“, die Silvesterereignisse in Köln, die Verfassungswidrigkeit Grüner Positionen zur Religionspolitik und bayerischer Modellversuche zum Religionsunterricht.

 

Dabei muss man rückblickend feststellen, dass die ersten allgemeineren Ausführungen zur diskursiven Befindlichkeit muslimischer Verbandsvertreter auf fast schon hellseherische Fähigkeiten beruhten. Die weitverbreitete Unfähigkeit, öffentliche Sachdiskussionen zu führen, auf inhaltliche Kritik zu erwidern und eine Meinungsverschiedenheit auch auszuhalten, kennzeichnet in weiten Teilen die Hypersensibilität muslimischer Vertreter. Bemerkenswert ist, dass gerade diejenigen Vertreter, die in der Vergangenheit am lautesten innermuslimische Mängel beklagt haben, heute am empfindlichsten reagieren, wenn selbst in der denkbar sachlichsten Form inhaltliche Gegenpositionen formuliert werden.

Enttäuschend ist über dieses exaltierte Betroffenheitsgebaren hinaus auch eine mit ständig reklamierten muslimischen Tugenden in Widerspruch stehende, latente Weinerlichkeit, die sich in angedeuteten Unterstellungen und heimlich gestreuten Gerüchten manifestiert. Besonders peinliche Blüten dieser Haltung sind Beschwerdeanrufe bei Vorgesetzten und „großen Brüdern“, mit denen von eigener diskursiver Schwäche oder skandalösen Inhalten abgelenkt werden soll.

 

Richtig grotesk wird es schließlich, wenn muslimischen Akteuren „Agententätigkeiten“ angedichtet werden. Das sind „trojanische“ Etikettierungen, die man eigentlich von islamfeindlichen Verwirrten kennt. Es ist kein gutes Zeichen, wenn muslimische Personen des öffentlichen Lebens den Eindruck vermitteln, sie würden zu Hause mit Aluhüten herumsitzen und Verschwörungstheorien ausknobeln.

 

In öffentlichen Foren wird dann in kryptischen Zeilen darüber philosophiert, wie unanständig, unislamisch, inhaltsleer, widerwärtig, illoyal, unwissend und destruktiv kritische Positionen doch seien. Allerdings werden solche (Un-)Wertaussagen nicht namentlich adressiert oder gar auf konkrete Sachthemen bezogen. Nein, sie sind nahezu ausnahmslos Fluchten in die unspezifische ad hominem Taktik, um ja nicht in die Verlegenheit zu kommen, inhaltlich Position beziehen zu müssen.

 

Die Dichter dieser Hate Poetry merken dabei nicht, dass ihr Verhalten mehr über die eigene Diskussionsunfähigkeit und die mangelnde Ernsthaftigkeit des muslimischen Anspruchs aussagt, als über denjenigen, den sie als randständig markieren wollen. Und was ihnen ebenso entgeht: Ihr Verhalten ist von der gesellschaftlichen Entwicklung überholt worden. Junge Muslime suchen nach inhaltlichen Positionen und nicht nach einer ideologischen Abgrenzung zum „Anderen“.

 

Diese Wagenburgmentalität, in der man es sich im ständig selbsterfüllenden Freund-Feind-Schema gemütlich gemacht hat, ist mit sachlicher Argumentation kaum zu durchdringen. Jede Äußerung, jedes Verhalten des Gegenübers ist stets die Bestätigung seiner fiebrig illusionierten Niedertracht und die eigene Uneinsichtigkeit stets eine Haltung der Standhaftigkeit in den Wogen der Missgunst und Anfeindung.

 

Diese nachgerade ungesunde Geisteshaltung äußert sich exemplarisch in der Paradoxie, dass man sich selbst als kompetenteste muslimische Vertretung in Deutschland wähnt, Ausgrenzung und Entfremdung durch die Gesellschaft anprangert, aber die schlichte Verwendung der deutschen Sprache im innermuslimischen Diskurs als von „Fremdwörtern“ gespicktes Imponiergehabe begreift.

 

Man muss angesichts dieser Phänomene feststellen, dass die über Jahre als Opferdiskurs geführte Rhetorik nicht folgenlos für die seelische Verfassung und die diskursiven Fähigkeiten muslimischer Akteure geblieben ist.

 

In diesem Bunker der Sprachlosigkeit und der hinter vorgehaltener Hand getuschelten Abfälligkeiten hat sich nun zaghaft ein Türchen geöffnet, dessen kleiner Spalt Hoffnung macht auf einen tatsächlich inhaltlichen Austausch. Auch wenn der Wunsch geäußert wird, diese inhaltliche Diskussion in türkischer Sprache führen zu wollen, muss man dieses Zeichen wertschätzen und erwidern. Um diese wichtigen behutsamen Schritte einer innermuslimischen Debattenkultur auch dem breiten Publikum zugänglich zu machen, bemüht sich der Verfasser dieser Zeilen darum, die Diskussion wenigstens zweisprachig zu führen, damit auch all jene Muslime teilhaben können, die zufällig kein Türkisch sprechen.

 

Worum geht es konkret? Es geht um die unterschiedliche Bewertung von Präventionsprojekten. Ausgangspunkt war der Beitrag von Murat Gümüş, auf den in diesem Blog erwidert wurde.

Statt Murat Gümüş hat Elif Zehra Kandemir darauf in türkischer Sprache repliziert. Um den ursprünglichen Diskussionsfaden nicht abreißen zu lassen, fehlt es noch an einer deutschsprachigen Version dieser Replik. Anschließend wird es wieder auf diesem Blog eine – so der Kompromiss – zweisprachige Duplik geben. Diese etwas holprige, über Bande daherkommende Diskussionsform sollte nicht abschrecken. Zu wertvoll ist die Möglichkeit einer tatsächlich inhaltlichen, öffentlichen Debatte unter Muslimen.

 

Dass dies im Wortwechsel mit einer jungen Muslimin geschieht, ist kein Zufall. Gestählt durch die schwierigen Debatten um das Kopftuch sind die Frauen innerhalb der muslimischen Community ganz offensichtlich das souveräne und deutlich stärkere Geschlecht. Während sie bereit sind, sich auf eine inhaltliche Meinungsverschiedenheit einzulassen und diese auch auszuhalten, pflegen die Männer ihre sorgsam konstruierte Ablehnung und richten sich bequem in der Schmollecke ein.

 

Man(n) kann, wie in der Vergangenheit üblich, durch eine solche Nichthaltung natürlich Debatten auch aussitzen. Aber auf Dauer wird man dem Anspruch muslimischer Vertretung so nicht gerecht werden können.

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