Offener Brief in einer kritischen Debatte

Lieber Erdal,

mein gestriger Blog-Beitrag „Eine kritische Debatte?“ muss Dich so sehr gestört haben, dass Du Dich noch spät in der Nacht genötigt sahst, darauf per Mail zu reagieren. Leider wendest Du Dich mit Deiner Mail nicht an mich, sondern an meine Kollegen. Dabei hätten wir die Irrtümer, wegen denen Du Dich offenbar so entrüstest, im direkten Kontakt viel schneller ausräumen können.

Ich schreibe Dir jetzt öffentlich, weil ich davon überzeugt bin, dass Form und Inhalt der geforderten „kritischen Debatte“ eine Natur angenommen haben, die uns dazu zwingt, jede Disputation öffentlich zu führen. Gerade auch deshalb, damit Fehlentwicklungen vom betroffenen breiten Publikum uneingeschränkt wahrgenommen und gewürdigt werden können.

Lass uns bitte zunächst Deine Bemerkungen zu meiner Person aus der Welt schaffen, damit der Blick in der Sache etwas klarer wird.

Eine kritische Debatte?

Am 09.07.2016 hat taz.de einen Beitrag Ahmad Mansours veröffentlicht. Die Überschrift lautet „Wir sind nicht eure Kuscheltiere“. Die Prämisse dieses Textes wird in den einleitenden Worten deutlich. Das linksliberale Spektrum tue sich schwer mit kritischen Muslimen. Es erkläre sich zum Beschützer konservativer Muslime und mache sie so zu Opfern.

Dieser Essay Mansours ist exemplarisch für eine Medien- und Diskursstrategie, die nicht improvisiert oder spontan entsteht, sondern internationale Vordenker hat. Es ist deshalb umso bemerkenswerter, dass ausgerechnet Mansour sich in seinem Beitrag quasi darüber beschwert, zu wenig Unterstützung zu erhalten. Die Frontlinien, die er nachzeichnet und die Talking Points, die er setzt, sind beispielhaft für das Wirken einer Gruppierung von vermeintlich authentischen innermuslimischen Stimmen, die doch vorgeblich nichts anderes wollen, als eine dringend notwendige Reform des Islam anzustoßen. Eine vermeintlich aus bitterer Erfahrung und schockierender Binnenperspektive gespeiste kritische Emanzipation muslimischer Stimmen soll das sein, die sich nicht gegen die angeblich mächtigen „konservativen“ Verbände durchsetzen können.

Wie infam diese Rhetorik ist, soll in diesem Beitrag inhaltlich und systematisch dargelegt werden. Zu den internationalen Verflechtungen und Querverbindungen der Mansourschen Diskurstechnik kommen wir am Ende des Textes, zunächst eine Kommentierung der inhaltlichen Nebelbomben, die da auf taz.de gezündet werden:

Ramadan – Eine Retrospektive

Er ist vorbei, der diesjährige Ramadan. Es war in der Rückschau ein Ramadan, der durch die öffentliche Berichterstattung über islamische Religionsgemeinschaften überlagert, als seltsam profan und schal empfunden werden konnte. Er war gekennzeichnet von vielen Absurditäten und Abgründen in und um die muslimischen Community, die erst jetzt – nach den Feiertagen – kritisch besprochen werden können. Für die Feiertage galt eine selbstverordnete Regel: Kein Klagen, kein Kritisieren. Nur Freude. Sie war sehr schwer einzuhalten.

Den Auftakt des Ramadan prägten die Debatten um die Armenier-Resolution des Bundestages. Diese politischen Diskussionen haben den Zustand insbesondere der türkisch-muslimischen Community in bedrückender Weise offengelegt. Man muss rückblickend feststellen, dass – teilweise bis in die muslimischen Organisationen hinein – das Selbstverständnis von religiöser Gemeinschaft und die Sensibilität für die Unterschiede von politischen Interessenvertretungen zu religiösen Organisationen problematische Konturen aufweist.

Terrorzellen – in den Köpfen

Nach dem jüngsten Terroranschlag in der Türkei wiederholen sich öffentliche Rituale, die als irritierend über abstoßend bis hin zu degoutant eingeordnet werden können. So fragmentarisch diese Eindrücke aus der öffentlichen Berichterstattung, aus sozialen Medien und persönlichen Gesprächen sind, so schlaglichtartig soll dieser Text sie beleuchten. Er ist zugespitzt, vielleicht provokativ.

Betroffenheit wird wieder mit der Änderung von Profil- oder Hintergrundbildern zum Ausdruck gebracht. Die Ikonisierung von Anteilnahme, Trauer, Bestürzung usw. mag die Überwindung von Sprachlosigkeit und die Übersetzung dieser Gefühle in eine weltweit verständliche Formen- und Bildersprache bedeuten. Sie verengt jedoch auch den Fokus auf die Details. Und sie ritualisiert die Reaktion auf Terroranschläge derart, dass Sprache über und differenzierte Auseinandersetzung mit den Ereignissen zu plakativer Folklore zu verkümmern droht.

Der Zorn der Schwachen

„Hass gleicht einer Krankheit, dem Miserere, wo man vorne herausgibt, was eigentlich hinten wegsollte.“ – Johann Wolfgang von Goethe

Die Ereignisse nach der Bundestagsresolution vom 02.06.2016 machen auf vielfältiger Ebene und im Zusammenhang mit den unterschiedlichsten Akteuren deutlich, welche dramatische Erosion unsere gesellschaftlichen Umgangsformen erfahren haben. Der Begriff Erosion ist, angesichts der rasanten Verrohung des Diskurses und seiner Protagonisten, wohl zu euphemistisch. Es ist vielmehr ein Steinschlag ordinärer, hämischer Verachtung, der sich überall Bahn bricht. Mal knapp verhüllt im scheinbar souveränen Gewand der Ironie, dann wieder als unverhohlene Pöbelei, die jede Behauptung kritischer Sachlichkeit als trügerische Tarnung entlarvt.

Ohrenbetäubende Sprachlosigkeit

Die aktuellen Entwicklungen machen deutlich, welches besorgniserregende Niveau gesellschaftliche und politische Diskurse in unserem Land erreicht haben. Bei allen Beteiligten herrscht eine Atmosphäre der maximalen Entrüstung und Skandalisierung. Jede Entscheidung, jede Stellungnahme oder jede Handlung des als „politischer Gegner“ markierten Gegenübers wird als Abgrund an Schlechtigkeit, als Ausbund von Niedertracht und Manifestation verdorbener Charakterlosigkeit qualifiziert.

Gerade in den deutsch-türkischen Beziehungen und hierbei insbesondere nach der Bundestagsresolution vom 02.06.2016 scheinen sich alle Akteure wechselseitig die schlechtesten Eigenschaften und die verwerflichsten Motive zuzuschreiben.

Jede Seite reklamiert für sich die Position der absoluten Tugend und der edelsten Beweggründe, so dass dem „Gegner“ natürlich nur noch die Rolle des ebenso vollkommenen Bösen zukommen kann.

Das deutsch-türkische Verhältnis gleicht einem Scherbenhaufen. Ohne Rücksicht auf Nuancen oder Empathie für die Wahrnehmung und das Empfinden des anderen wird hemmungslos noch der kleinste Rest dessen zerschlagen, was man gemeinhin als interkulturelle Verständigung oder gedeihliches Miteinander zu beschreiben pflegt.

Die Beteiligten erinnern dabei an die Parteien eines Rosenkrieges, die auch die letzte Rücksicht auf die frühere Beziehung verloren haben und hasserfüllt nur noch die maximale Schädigung und Verletzung des ehemaligen Partners beabsichtigen. Der Endkampf um den bisherigen gemeinsamen Hausstand führt in eine blinde Zerstörungswut, mit der man jedes noch so wertvolle Gut zu zerstören gewillt ist, um es ja nicht dem anderen überlassen zu müssen.

Wahn ohne Sinn

Oder: Ist die Kurdische Gemeinde in Deutschland verfassungskonform?

Die Diffamierungen und Hetzkampagnen gegen islamische Religionsgemeinschaften – insbesondere gegen die DITIB – hören nicht auf. Dieser Hetzkampagne hat sich nun auch die Kurdische Gemeinde in Deutschland angeschlossen, mit der Begründung, die muslimischen Religionsgemeinschaften seien heteronom und würden die Bedrohung von Abgeordneten nicht verurteilen.

Die Kurdische Gemeinde in Deutschland nimmt leider keinen direkten Einfluss auf radikale kurdische Gruppierungen in Deutschland. Wiederholt sind Moscheegemeinden der von der Kurdischen Gemeinde diffamierten Religionsgemeinschaften auch von kurdischen extremistischen Gruppierungen angegriffen worden, teilweise unter Verwendung von Sprengstoffen und Brandsätzen. Zu keinem dieser Vorfälle hat sich die Kurdische Gemeinde öffentlich geäußert, geschweige denn dass sie diese Straftaten verurteilt oder sich auch nur davon distanziert hätte. Wen die Kurdische Gemeinde ideologisch und finanziell fördert oder von wem sie gefördert wird, ist unbekannt.

Offenkundig ist aber, dass die Kurdische Gemeinde in Deutschland entweder die Berichterstattung, die sie kommentieren will, nicht verfolgt oder dass sie bewusst falsche Tatsachen unterstellt. Denn bereits am 07.06. und am 08.06. hat sich die DITIB über unterschiedliche Kanäle an der öffentlichen Debatte beteiligt und unmissverständlich geäußert.

Schämt euch!

Drei Dinge gilt es, entschieden festzuhalten.

Erstens: Nach der Armenier-Resolution am 02.06.2016 ist die darauffolgende Kritik an dem Beschluss des Bundestages und insbesondere an dem Stimmverhalten der türkischstämmigen Abgeordneten in ihrer Vehemenz, in Inhalt und Ton mehr als überzogen. Was in sozialen Medien und in der türkischsprachigen Presse teilweise zu lesen ist, überschreitet die Grenze zu strafrechtlich relevantem Verhalten und ist nicht akzeptabel. Beschimpfung und Bedrohung von Parlamentariern sind nicht hinnehmbar, sondern entschieden zu verurteilen. Punkt. Kein Wenn, kein Aber, kein Jedoch. Einfach Punkt.

Die Grenzen der Toleranz gegenüber kritischen Reaktionen hören nicht erst dort auf, wo die Strafbarkeit des Handelns beginnt. Sie sind bereits deutlich vorher, gerade im Bereich der nichtstrafbaren Äußerungen zu ziehen. Denn auch legale aber unangemessene Tiraden vergiften das gesellschaftliche Klima und verrohen die Atmosphäre, in der wir Meinungsverschiedenheiten und auch gesellschaftliche Konflikte austragen müssen.

Von Bergen und Menschen

Am 2. Juni wird aller Voraussicht nach im Bundestag die Vertreibung der Armenier aus Anatolien – anlässlich der Abstimmung über eine Resolution – als Völkermord bezeichnet werden.

Die öffentlichen Positionierungen aus den Lagern der Befürworter und der Gegner dieser Resolution machen deutlich, welchen höchst destruktiven Punkt diese Debatte erreicht hat. Dabei hindert die erregte Auseinandersetzung um die juristische Einordnung der historischen Ereignisse den Blick für die wichtigeren Bedürfnisse der durch diese Ereignisse miteinander auf tragische Weise verwobenen Menschen.

Der Focus-Liebesbrief

Sehr verehrte, liebe Frau Hinz,

ich habe Ihre offene Fanpost vom 12.05.2016 erhalten und danke Ihnen für die freundlichen Worte.

Sie sind ja nicht Irgendwer, sondern die Leiterin des Ressorts Politik der Focus Online Redaktion. Ich bin beeindruckt, dass Sie bei all dem politischen Weltgeschehen ausgerechnet mir einen ganzen Kommentar widmen. Womit habe ich diese Aufmerksamkeit und über 3.000 Zeichen bloß verdient?

Ach ja, ich war für Sie nervtötender als Alice Schwarzer.

Wenn Sie nur wüssten, welches Kompliment Sie mir da machen. Ich bin gemeinhin dafür bekannt, ein gewisses Gefallen daran zu finden, in einer Debatte meine Mitdisputanten zu nerven. Dabei hat Frau Schwarzer die Macho-Messlatte gleich von Anfang an so hoch gehängt, dass ich ganz entspannt aufrecht darunter entlang spazieren konnte, ohne auch nur ansatzweise in die Nähe der von Ihnen so bewunderten „Schnoddrigkeit“ zu kommen. Und Sie haben gesehen, welche Körperfülle ich habe.