Empörungsbescheinigung

Ich verfolge in den Sozialen Medien und nun auch in türkischsprachiger Presse seit einigen Tagen einen Fall, in welchem eine muslimische Frau durch eine behördliche Stelle aufgefordert wird, für die Ausstellung eines amtlichen Dokumentes – im konkreten Fall ein Führerschein – ein Lichtbild ohne Kopftuch vorzulegen oder einen schriftlichen Nachweis einer Moschee einzuholen, aus dem hervorgeht, dass sie aus religiösen Gründen zum Tragen eines Kopftuches verpflichtet ist. Dieser Nachweis wird als „Kopftuchbescheinigung“ bezeichnet.

Einige Akteure der politischen Verbandslandschaft sind sofort empört, befinden sich nach eignen Angaben gegenüber türkischsprachigen Medien geradezu im Schockzustand und verlangen publikumswirksam eine Erklärung der „deutschen Dienststellen“.

Der Ton der Empörten und damit auch der Ton der Berichterstattung vermitteln den Eindruck, deutsche Behörden würden Frauen mit Kopftuch willkürlich drangsalieren.

In einer multireligiösen Gesellschaft gibt es Konflikte. Das ist nicht außergewöhnlich. In unserer Gesellschaft werden Frauen mit Kopftuch in vielen Bereichen des Alltagslebens diskriminiert. Das ist ein ernstes Problem und verdient Aufmerksamkeit – und erfordert Beistand für die betroffenen Frauen.

Es kommt aber entscheidend darauf an, wie wir mit Konflikten umgehen. Und noch viel wichtiger ist es, dass wir Konflikte nicht zur Stimmungsmache und populistischer Skandalisierung missbrauchen. Gerade dann nicht, wenn konkrete Probleme bereits diskutiert und gelöst sind.

Das Problem „amtliches Lichtbild mit Kopftuch“ ist seit Anfang der 2000er Jahre kein Problem mehr. Es ist gelöst und die Lösung hat Einzug in die gesetzlichen Bestimmungen und die entsprechenden Verwaltungsvorschriften gefunden.

Die Lösung findet sich in Art. 1.6 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Durchführung des Passgesetzes (Passverwaltungsvorschrift – PassVwV). Unter 6.2.1.1.4 heißt es dort:

„Für Angehörige von Religionsgemeinschaften und geistlichen Orden, die nach ihren Regeln gehalten sind, in der Öffentlichkeit nicht ohne Kopfbedeckung zu erscheinen, dürfen Lichtbilder verwendet werden, die die antragstellende Person mit der vorgeschriebenen Kopfbedeckung zeigen.

Die antragstellende Person hat die Zugehörigkeit zu einer solchen Religionsgemeinschaft glaubhaft zu machen. Dies kann z. B. durch die Bestätigung der jeweiligen Religionsgemeinschaft über die Zugehörigkeit der antragstellenden Person erfolgen. Ggf. ist das Selbstverständnis der jeweiligen Religionsgemeinschaft, eine Kopfbedeckung in der Öffentlichkeit zu tragen, nachvollziehbar darzulegen (vgl. BVerfG, 24. September 2003, 2 BvR 1436/02). Eine Darlegung ist nicht erforderlich, wenn dieses Selbstverständnis der jeweiligen Religionsgemeinschaft bereits bundesweit als Ausnahmetatbestand im Sinne des § 5 Satz 4 PassV anerkannt ist, was beispielsweise bei der Kopfbedeckung von Frauen der Fall ist, die dem islamischen Glauben angehören. Gleiches gilt für verheiratete, verwitwete und geschiedene jüdische Frauen sowie allgemein für jüdische Männer.“

In § 5 PassV – Lichtbild heißt es:

„Bei der Beantragung eines Passes ist vom Passbewerber ein aktuelles Lichtbild in der Größe von 45 Millimeter x 35 Millimeter im Hochformat und ohne Rand vorzulegen. Das Lichtbild muss die Person in einer Frontalaufnahme, ohne Kopfbedeckung und ohne Bedeckung der Augen zeigen. Im Übrigen muss das Lichtbild den Anforderungen der Anlage 8 entsprechen. Die Passbehörde kann vom Gebot der fehlenden Kopfbedeckung insbesondere aus religiösen Gründen, von den übrigen Anforderungen aus medizinischen Gründen, die nicht nur vorübergehender Art sind, Ausnahmen zulassen. Weitere zulässige Abweichungen bei Lichtbildern von Kindern regelt Anlage 8.“

In der zitierten Anlage 8 ist ein Bild zu finden, auf dem eine kopftuchtragende Frau dargestellt ist. Im Erläuterungstext zu diesem Bild heißt es:

„Kopfbedeckungen sind grundsätzlich nicht erlaubt. Ausnahmen sind insbesondere aus religiösen Gründen zulässig. In diesem Fall gilt: das Gesicht muss von der unteren Kinnkante bis zur Stirn erkennbar sein. Es dürfen keine Schatten auf dem Gesicht entstehen.“

Die Rechtslage ist also eindeutig: Lichtbild mit Kopftuch ist zulässig – Darlegungen des religiösen Selbstverständnisses oder entsprechende Nachweise sind nicht erforderlich. Manche Beamte lesen die Verwaltungsvorschriften vielleicht nicht. Manche lesen sie vielleicht nicht vollständig. Manche lesen nur die Regel, aber nicht die Ausnahme. Manche tun das vielleicht sogar mit der Absicht, Frauen mit Kopftuch zu drangsalieren.

Manche sind vielleicht auch nicht so rechtskundig und glauben, in dieser Frage ein Ermessen zu haben, weil es sich dem Wortlaut nach um zulässige aber nicht zwingende Ausnahmen handelt.

Aber selbst in solchen Fällen gibt es die Möglichkeit, auf diverse verwaltungsgerichtliche Urteile zu verweisen, die der geschilderten Rechtslage zu Grunde liegen und auch ausdrücklich klarstellen, dass muslimische Frauen keine gemeindlichen Nachweise über ihre als verpflichtend empfundenen Glaubensauffassungen beibringen müssen.

Die Sach- und Rechtslage ist also seit weit über 10 Jahren geklärt. Wer dennoch „geschockt“ und empört ist, will das sein – und zwar in erster Linie nicht, weil ihm die betroffenen Frauen am Herzen liegen.

Den betroffenen Frauen hilft man am ehesten dadurch, dass man sie kundig macht und in die Lage versetzt, mit einem Hinweis auf die Rechtslage der falschen Rechtsauffassung der Behörden zu entgegnen. Diese Frauen haben im Alltag genug Probleme, denen sie sich ganz allein und ohne verbandlichen Beistand stellen müssen. Wer ihnen über die letzten 10 Jahre hinweg in Gemeindeveranstaltungen diese Informationen zugänglich gemacht hätte, müsste sich heute nicht öffentlich empören. Letzteres ist aber natürlich einfacher.