Die aktuellen Diskussionen um den Beirat des geplanten Islam-Instituts an der Humboldt-Universität in Berlin verlaufen – wie so oft – entlang eingeübter Positionen und erschweren dadurch den Blick auf die tatsächlichen Schwierigkeiten bei der Etablierung islamisch-theologischer Studien an Hochschulen in Deutschland.
Was ist konkret passiert? Vier der fünf beteiligten muslimischen Verbände verweigern die Unterzeichnung der Gründungsvereinbarung. Da verfassungsrechtlich – sehr verkürzt dargestellt – ohne eine die bekenntnisgebundenen Details der universitären Lehre legitimierende Religionsgemeinschaft keine Hochschultheologie möglich ist, droht das Vorhaben zumindest ins Stocken zu geraten, wenn nicht gar gänzlich zu scheitern.
Erneut wird darüber diskutiert, ob und welchen ausländischen Einfluss etablierte muslimische Verbände in die Beiratsarbeit hineintragen könnten. Die Frage der Verfassungstreue der muslimischen Verbände wird aufgeworfen und in den manchmal subtilen, oft auch konkreten Kontext der Extremismusprävention gesetzt: Dieser Logik nach stünden die islamisch-theologischen Lehrstühle an deutschen Universitäten für ein liberales Islamverständnis und damit im Gegensatz zu den als konservativ bis radikal markierten Verbänden, weshalb diese auch nicht an der Beiratsarbeit beteiligt werden sollten.
All diese Positionen sind ein Echo auf die schrille Islamdebatte in Deutschland und verhindern eine sachliche Fokussierung auf die eigentlich entscheidenden Fragen.
Kinderkrankheiten der universitären Theologie
Das Vorhaben der Etablierung islamisch-theologischer Studiengänge an hiesigen Universitäten leidet an Kinderkrankheiten, die von einer eiligen und von der Motivlage her unpräzisen Umsetzung begünstigt wurden.
Die Grundthese, dass universitäre islamische Studien einer Entschärfung des Islamverständnisses in den Moscheegemeinden dienen sollen, ist eine Belastung für alle Beteiligten dieses Vorhabens. Sie fördert Misstrauen gegenüber der Unabhängigkeit der akademischen Lehre und setzt sie dem Verdacht aus, unter dem Primat der Prävention auch inhaltlich biegsam zu sein.
Die personelle Ausstattung der Lehrstühle erfolgte bislang durchaus voreilig und etabliert damit auf Jahre hinaus einen Zustand, in welchem die universitäre islamische Theologie noch in zu vielen Fällen als eine fremde, von einer ausländischen Perspektive geprägte Disziplin wahrgenommen wird. Auch ihre öffentliche Positionierung im populärwissenschaftlichen Diskurs folgt dieser Sachlage und trägt Positionen in die Debatte, die nicht die Perspektive von in Deutschland sozialisierten Muslimen spiegeln, sondern biographische Spuren der Migration oder der Flucht vor repressiven Regimen tragen. Das muss grundsätzlich keine Hypothek für die Qualität der universitären Forschung und Lehre sein.
Indes erleichtert dieser Zustand auch nicht die Wahrnehmung, dass hier deutsche Muslime ganz selbstverständlich aus einer einheimischen Perspektive ihre Religion akademisch durchdringen und ihre historischen theologischen Befunde für diese Gesellschaft nutzbar machen.
Die Zukunftsperspektive der universitären islamischen Theologie war bislang klar auf die langfristige schulische und gemeindliche Verwendung gerichtet. Aus den Studiengängen sollten Absolventen hervorgehen, die als ReligionslehrerInnen edukative pädagogische oder als Geistliche in den Moscheen praktische gemeindedienstliche Arbeit verrichten.
Überforderung der Verbände
All diese Aspekte stellen für die muslimischen Verbände eine permanente und zunehmende Überforderung dar. Sie haben weder die personellen Ressourcen, noch eine institutionell entwickelte und tradierte Kompetenz in diesen Fragen. Sie sind rechtlich wie tatsächlich kaum in der Lage, all die in der Entwicklung befindlichen universitären Prozesse konstruktiv zu begleiten, geschweige denn im eigenen Sinne zu gestalten. Sie kommen einfach nicht mehr mit. Dieses Gefühl der Überforderung führt dazu, dass in den muslimischen Verbänden die Neigung zum Stillstand wächst. Innehalten, den Status quo einfrieren, intern Grundsatzdebatten führen und nach außen besser gar nichts entscheiden, als falsch zu entscheiden. Das ist – so scheint es von außen – das prägende Gefühl innerhalb der muslimischen Verbandslandschaft.
Die Indizien für diesen Befund sind der aktuellen Berichterstattung und dem Verhalten der Verbände zu entnehmen. Bis zum Ablauf der Unterzeichnungsfrist am 1. April haben sich vier der fünf involvierten Verbände offenbar überhaupt nicht zu der Gründungsvereinbarung geäußert. In der Presse wird der Gründungsdirektor des Instituts, Michael Borgolte, mit den Worten zitiert: „ Wir müssen jetzt herausfinden, was die Nicht-Äußerung bedeutet“. Diese Nichtkommunikation ist vielsagend. Sie korrespondiert mit dem öffentlichen Schweigen der Verbände. Bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt haben die Verbände ihre Argumente und Entscheidungen nicht öffentlich kommuniziert. Weder ihre eigene Basis, noch die Allgemeinheit haben Einblick in ihre Entscheidungsgrundlagen.
Der Presse ist lediglich zu entnehmen, dass es Diskussionen um Entscheidungsmehrheiten und eine zukünftige Evaluation der Beiratsarbeit gab. Fünf Verbandsvertreter möchten im Zweifel die vier von der Humboldt-Universität berufenen muslimischen Hochschullehrer im Beirat überstimmen können, also mit einfacher Mehrheit entscheiden. Die Gründungsvereinbarung sieht aber eine Zweidrittelmehrheit im Gremium vor. Die Verbände wollen also unbedingt mit einer eigenen Mehrheit ihrer Beiratsmitglieder ein Machtwort sprechen können, ohne einen Konsens mit den übrigen Mitgliedern finden zu müssen.
Das ist faktisch eine Alleinentscheidungskompetenz, von welcher die Verbände wohl auch glauben, dass sie sie als Religionsgemeinschaften beanspruchen dürfen. Hier äußert sich wieder, wie falsch die Verbände die aktuellen Entwicklungen interpretieren. Sie sind der Überzeugung, dass Krisen vorübergehen, ohne Spuren zu hinterlassen. Nach „erfolgreichem“ Aussitzen von Widrigkeiten, Problemen und Fehlentwicklungen wollen sie zum Tagesgeschäft zurückkehren und spüren kaum, wie sehr sich die äußeren Bedingungen geändert haben.
Veränderte Arbeitsbedingungen
Die Islamische Föderation in Berlin ist Mitglied im Islamrat (IR). Diesem ist gemeinsam mit dem Zentralrat der Muslime (ZMD) erst im November 2017 vom OVG Münster attestiert worden, dass sie keine Religionsgemeinschaften sind. Entgegen der auf diesem Blog diskutierten und bewerteten Weiterungen dieses Verfahrens, scheinen beide Verbände gewillt zu sein, sich auch höchstgerichtlich nochmal bestätigen zu lassen, dass sie keine Religionsgemeinschaften sind.
Der Ditib Verband hat bis zum heutigen Zeitpunkt die verfassungsrechtliche Anforderung der Staatsferne nicht akkurat durchdringen können. Dabei geht es juristisch betrachtet weniger um die behördlichen Verflechtungen der Ditib-Struktur, sondern wie sich diese strukturellen Bedingungen auf die inhaltliche Arbeit auswirken. Wir werden gleich näher beleuchten, wo dabei das eigentliche Problem liegt.
Zusammengefasst lässt sich also analysieren, dass die Verbände in Berlin erneut auf die Option Stillstand setzen, ohne die selbst verursachte gerichtliche Antwort auf die verfassungsrechtliche Statusfrage als entscheidende Arbeitsbedingung zu akzeptieren, also sich auf den Kompromiss des Beiratsmodells auch inhaltlich einzulassen.
Sicher kann man die Ansicht vertreten, dass es im eigenen Interesse der Verbände liegt, Maximalpositionen nicht aufzugeben und sich notfalls der Kooperation auch gänzlich zu entziehen. Das ist als Handlungsalternative legitim. Was bedeutet das aber für alle anderen Beteiligten?
Falsche Annahmen
Die Einbindung der Verbände in die Beiratsarbeit der universitären islamischen Theologie ist das Ergebnis der Annahme, sie seien die gemeindlich relevanten Kräfte und die zukünftigen Arbeitgeber der sich für den gemeindlichen Dienst entscheidenden universitären Absolventen. Noch einfacher formuliert: Die Verbände sollen bei der universitären Lehre mitentscheiden dürfen, damit es ihnen leichter fällt, die Absolventen, deren Studien sie ja personell und inhaltlich zumindest mittelbar mitgestaltet haben, auch in den Dienst als Imame in ihren Moscheen einzustellen.
Wie realistisch ist eine solche Annahme als Grundvoraussetzung der Zusammenarbeit eigentlich?
Der ZMD wirbt häufig mit dem Hinweis, er sei der einzige Dachverband, in welchem Muslime unabhängig ihrer ethnischen Herkunft organisiert seien. Zutreffend ist durchaus, dass der ZMD eine heterogene Binnenstruktur aufweist. Allerdings gerät dabei häufig aus dem Blick, dass sich der ZMD als „Dachverband der Dachverbände“ versteht – und die Mitgliedsverbände sind durchaus nach ethnischer Herkunft getrennt. Die Vorstellung, alle ZMD Mitglieder würden ihren Glauben in heterogenen Gemeindezusammensetzungen leben, ist falsch.
Marokkanische, bosnische, albanische u.a. Mitgliedsvereine weisen jeweils sehr homogene, der ethnischen Herkunft und dem Gründungszweck entsprechende einheitliche Gemeindeprofile auf. Entsprechend ist auch das geistliche Personal, teilweise mit klarer Anbindung an die Herkunftsländer, strukturiert. Dass der ZMD eine Personalpolitik quasi „von oben“ verordnen könnte, wonach geistliches Personal nur noch aus dem Pool der Absolventen deutscher Universitäten einzustellen sei, ist undenkbar.
Gerade auch der Mangel an religiös-organisatorischer Autorität und tatsächlichem Durchgriff bis in die unterste Gemeindeebene hat vor dem OVG Münster zur Verneinung des Religionsgemeinschaftsstatus geführt. Über die Frage also, wer in den Gemeinden der ZMD-Mitgliedsvereine Personalentscheidungen trifft, entscheiden nicht die Führungsgremien auf Ebene des ZMD-Dachverbandes. Das sind vielmehr Entscheidungen, die bei den Mitgliedsgemeinden autark und in vielen Fällen sogar erst bei den staatlichen oder religiösen Autoritäten ihrer Herkunftsländer getroffen werden.
Transparenz und ein präziser Blick
Unbeachtet sollte auch nicht bleiben, dass sich häufig die Frage nach der gesellschaftlichen Relevanz mancher Verbandsstrukturen erst auf den zweiten Blick präzise beantworten lässt. So wird häufig kolportiert, dass die ATIB als Mitglied des ZMD dort die meisten Moscheegemeinden stellt – dabei ist die Angabe einer Größenordnung von etwa 120 Vereinen im Umlauf.
Nun versteht sich die ATIB als „Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa e.V.“. Ein Kulturverein muss aber nicht zwangsläufig auch ein Moscheeverein sein. Bei einer Internetsuche konkret nach ATIB-Moscheevereinen findet man nur 24 Gemeinden. Die Vermutung liegt nahe, dass es sich bei den anderen rund 100 Vereinen um Kultur- oder Jugendvereine oder sonstige nichtreligiöse Vereine handelt, die sich entsprechend der ATIB Selbstdarstellung dem Ziel der Pflege, der Bewahrung und Integration der kulturellen und religiösen „Identität der türkischstämmigen Einwanderer in Deutschland“ widmen. Bei einem solchen Verhältnis von Moscheegemeinden zu Kulturvereinen wären ernste Zweifel dahingehend begründet, ob es sich aufgrund der Mitgliederstruktur des ZMD bei diesem überhaupt um eine Religionsgemeinschaft handeln kann.
Dabei ist anzunehmen, dass das Suchergebnis von 24 Moscheegemeinden durchaus realistisch ist. Denn laut Auskunft der türkischen Botschaft in Berlin sollen im April 2015 beim ATIB Verband 25 Imame der Diyanet beschäftigt gewesen sein. Die Nähe des Suchergebnisses zu der Auskunft der türkischen Botschaft ist vermutlich kein Zufall.
Erneuerung und Öffnung
Der Verband der Islamischen Kulturzentren e.V. (VIKZ) ist bekannt für seine intensive Ausbildung und Schulung von geistlichem Personal, insbesondere zu dem Zweck der Beschäftigung in den eigenen Moscheegemeinden. Mit welchem Nachdruck kann dort überhaupt das Ziel verfolgt werden, die selbst ausgebildeten Geistlichen durch universitäre Absolventen zu ersetzen? Im günstigsten Fall ist vorstellbar, dass die VIKZ ihre Ausbildungsstrukturen so transparent macht und in eine Kooperation mit den universitären Studiengängen eintreten lässt, dass dort eine Art dualer Ausbildung mit universitärer Lehre und praktischer gemeindedienstlicher Tätigkeit entsteht.
Eine solche Entwicklung hängt entscheidend vom Willen der VIKZ auch zur eigenen personellen Erneuerung und Öffnung ab. Denn die sprachliche Barriere darf man auch hier nicht unterschätzen und das religionspraktische Selbstverständnis der VIKZ, das sich von dem der meisten Studierenden unterscheidet, darf kein Hindernis auf dem Weg zu einer umfassenden gemeindetauglichen Ausbildung – über die ideellen Grenzen des VIKZ hinweg – sein. Lässt sich die VIKZ auf eine solche Erneuerung ein, kann sie noch am ehesten zu einem aktiven Gestalter auf diesem Gebiet heranwachsen.
Die Islamische Gemeinschaft Milli Görüş (IGMG) ist mit ihrem Dachverband, dem Islamrat, ebenfalls an der Hürde gescheitert, die das OVG Münster in seinem Urteil vom November 2017 nochmals für Dachverbände als Religionsgemeinschaften unterstrichen hat. Auch hier ist man offenbar gewillt, sich dieses Urteil erneut höchstgerichtlich bestätigen zu lassen. Und was bei der IGMG noch auffällt, ist die Tatsache, dass der dortigen Führungsebene der Wandel des eigenen Verbandscharakters bislang nicht klar zu sein scheint. Von einer zivilen Bewegung mit eigener politischer Agenda hat man sich im Laufe der Zeit von einer Oppositionsbewegung zum regierungspolitischen Mainstream entwickelt – wohlgemerkt mit Blick auf die türkische Politik.
„Diyanetisierung“
Der Erfolg des eigenen politisch-ideologischen Islamverständnisses in der Türkei hat die IGMG hier in Deutschland eingeholt. Staatlichem Einfluss – so wirkt es – kann und/oder will man sich nicht mehr entziehen. Die Zahl der Diyanet-Imame, die ihre religiösen Dienste nicht mehr nur in Ditib-Gemeinden, sondern auch in IGMG-Gemeinden verrichten, war in den letzten Jahren durchaus signifikant. Schätzungsweise bei mindestens einem Viertel der IGMG-Gemeinden konnte man hinter einem Diyanet-Imam beten. Ein religiöser oder religionspraktischer Unterschied zum Ditib-Verband ist kaum noch festzustellen. Im Gegenteil kann bei verbandsübergreifenden Aktivitäten häufiger ein gemeinsames Vorgehen beider Verbände beobachtet werden. Der Diskussion um die Frage der Staatsferne wird sich zukünftig also auch die IGMG nicht mehr entziehen können.
Bei der Ditib wird die Problematik der Fragestellung, ob langfristig Absolventen der islamisch-theologischen Studiengänge den Weg in die Moscheegemeinden finden werden, am deutlichsten erkennbar. Damit durchdringt diese Problematik aufgrund der obigen Darstellung der Verbände nicht nur die Ditib, sondern über die ATIB auch den ZMD und vermutlich bald in Gänze auch die IGMG.
Um einschätzen zu können, welche realistische Chance deutsche Universitätsabsolventen auf eine Beschäftigung in einer Moscheegemeinde der Ditib haben, lohnt sich ein Blick auf das eigene Studienprogramm der Ditib bzw. der Diyanet.
Ditib und Diyanet fördern gemeinsam das Uluslararası İlahiyat Programı (UIP), also das Internationale Theologie Programm. Hier werden weltweit, jedoch in überwiegender Zahl europäische und darunter wieder mehrheitlich aus Deutschland stammende junge Abiturienten dazu ermutigt, ein vierjähriges theologisches Studium an universitären Standorten in der Türkei zu absolvieren. Anschließend – so wird das Programm beworben – sollen diese Absolventen in die gemeindlichen Dienste ihrer jeweiligen Moscheegemeinden in Europa und Deutschland treten und so als am Tätigkeitsort geborene und sozialisierte theologische Experten ein zeitgenössisches Verständnis gemeindlicher Dienste orientiert an den lokalen Bedürfnissen der Moscheegemeinden in Deutschland vorleben.
Das klingt auf den ersten Blick zukunftsweisend und problembewusst. Ein Blick auf die Webseite der Ditib, auf der das Programm ebenfalls beworben wird, offenbart, dass bislang fast 500 Studierende das Programm erfolgreich beendet haben. Wie viele dieser Absolventen tatsächlich in Deutschland in Ditib Moscheegemeinden als Imame tätig sind, ist unklar. Oft ist von etwa 60 bis 70 Personen die Rede. Das Missverhältnis zu der hohen Zahl der Absolventen ist überraschend und vor dem Hintergrund des selbstdefinierten Ziels des Studienprogramms muss man sich über die geringe Zahl der UIP-Imame nach nunmehr 10 jährigem Bestehen des Programms, also bei nunmehr mindestens 5 Absolventenjahrgängen, schon wundern. Bis man dann vertrauliche Gespräche mit den Betroffenen führt.
Kaum ein Weg in die Gemeinden
Dabei gewinnt man den Eindruck, dass die Entscheider innerhalb der Ditib/Diyanet-Strukturen alles daran setzen, dass möglichst wenige UIP-Absolventen überhaupt als Imam in die Dienste einer Moscheegemeinde in Deutschland eintreten: Die Arbeitsbedingungen sind problematisch. Die Arbeitsverhältnisse sollen nach türkischem Recht gestaltet sein. Sie sollen auf jeweils ein Jahr befristet sein und werden wohl auch über einen längeren Zeitraum hinweg nur um jeweils ein Jahr verlängert. Anwartschaften auf Sozial- oder Rentenleistungen nach deutschem Recht können so nicht aufgebaut werden. Im Krankheitsfall soll eine Entgeltfortzahlung nicht möglich sein – fällt man aus gesundheitlichen Gründen aus, erhält man für die Dauer des Ausfalls auch kein Gehalt. Nur in seltenen Fällen sollen UIP-Imame eine Moscheegemeinde eigenverantwortlich anleiten können. Häufig sollen sie nur als Ersatz fungieren und nur bei Abwesenheit des Diyanet-Imams der Gemeinde vorbeten dürfen. Oft sollen Studierende schon während des Studienprogramms dazu animiert werden, eine akademische Laufbahn oder eine anderweitige berufliche Tätigkeiten als die des Gemeindeimams anzustreben.
Warum wird in den Ditib- und Diyanet-Strukturen das eigene Studienprogramm in dieser Weise kannibalisiert? Und wo bleiben die Absolventen, wenn sie nicht in den Gemeinden als Imame tätig sind?
Die Antwort auf diese Fragen findet man, wenn man die Entwicklung der Ditib in den letzten Jahren kritisch beleuchtet. Die Personaldecke der Diyanet ist groß. Ein Aufstieg in den Behördenhierarchien wird durch einen Auslandsdienst begünstigt. Ein solcher hat auch bei den Geistlichen einen großen wirtschaftlichen Reiz, da sie im Falle des mehrjährigen Auslandsaufenthalts in Deutschland doppelt besoldet werden – zusätzlich zu dem bisherigen Beamtensold erhalten die Imame ein weiteres Gehalt für den Auslandsdienst. Mit einem solchen Auslandsaufenthalt steigt auch die Chance auf einen späteren Dienst als Religionsattaché, insbesondere in jenen Ländern, in denen bereits ein Auslandsdienst als Imam geleistet wurde.
Vor diesem Hintergrund besteht wenig Anreiz für die Diyanet, die über 900 Anstellungsmöglichkeiten für einen Auslandsdienst allein in Deutschland dadurch drastisch zu verringern, indem UIP-Imame auf unbefristete Zeit auf diese Positionen gesetzt werden. Der Vorteil, dass solche UIP-Imame womöglich für die Dauer ihres gesamten Erwerbslebens einer Gemeinde vorstehen und als einheimische Mitbürger der Stadtgemeinde eine intensivere Anbindung der Gemeindebasis an die deutsche Gesellschaft fördern, wird der Möglichkeit geopfert, über einen befristeten Dienst eine hohe Fluktuation von immer wieder neuen Imamen zu gewährleisten und somit einen Karrierestau in den Behördenstrukturen in der Türkei zu vermeiden.
Religion nicht mehr Zweck, sondern Mittel
Mehr noch als diese verwaltungstechnischen Motive sind wohl auch ideologische Beweggründe wirksam. Seit geraumer Zeit werden die religiösen Dienste als Mittel der nationalen Identitätswahrung begriffen und gefördert. Einem solchen Ziel sind auf Dauer in Deutschland lebende und hier sozialisierte Geistliche weitaus weniger dienlich, als immer wieder neu nach Deutschland entsandte Imame, die nur eine vermeintlich authentische Identität als Muslim kennen, nämlich die türkische.
Dem gleichen Motiv der nationalen Identitätswahrung folgt die zunehmende tatsächliche Verwendung von UIP-Absolventen. In letzter Zeit war wiederholt zu beobachten, dass UIP-Absolventen in die zivilen Verwaltungsstrukturen der Ditib involviert wurden. Diese „Verbeamtung“ ziviler Verbandsstrukturen beginnt häufig mit der Verwendung von UIP-Absolventen als Konsulatspersonal in Diensten der Religionsattachés. Einige sind als Jugendkoordinatoren dafür zuständig, per Rundreise durch Moscheegemeinden der Ditib, die örtliche Jugendarbeit mitzugestalten. Nach einer gewissen Zeit beanspruchen diese UIP-Absolventen explizit Zugang und Mitgliedschaft in den jeweiligen Verbandsgremien. Sie werden durch den Bundesverband, dessen Vorstand als Aufsichtsrat der Landesverbände fungiert, als Kandidaten für die Landesverbandsvorstände aufgestellt und in der Regel auch gewählt – weil auch die Diyanet-Imame in den Mitgliederversammlungen stimmberechtigt sind.
Damit sitzen Angestellte der Diyanet, arbeitsrechtlich von dieser abhängig und unter der Weisung der jeweiligen Religionsattachés stehend, in den eigentlich zivilen Gremien des Ditib Verbandes. Wer die Entwicklung der Ditib sorgfältig verfolgt, wird festgestellt haben, dass zuletzt bei der Mitgliederversammlung des Ditib Bundesverbandes im Dezember 2017 ein solcher UIP-Absolvent in den Bundesvorstand gewählt wurde.
Um Missverständnisse zu vermeiden: All das ist im Rahmen des grundgesetzlich garantierten Selbstverwaltungsrechts von Religionsgemeinschaften durchaus zulässig. Eine solche Religionsgemeinschaft vergibt ihre Ämter ohne Mitwirkung des deutschen Staates. Nur kann und sollte der Staat durchaus kritisch würdigen, wie sich die Selbstverwaltung einer Religionsgemeinschaft auf das Zusammenleben hier in Deutschland auswirkt und seine eigene Bereitschaft zur Kooperation an dieser kritischen Würdigung ausrichten.
Schlechte Chancen für deutsche Absolventen
Im Ergebnis wird deutlich, dass das praktische Vorgehen der Ditib aller Voraussicht nach darauf gerichtet ist, die Fluktuation von aus der Türkei entsandten Geistlichen dauerhaft aufrechtzuerhalten. Wenn sie sogar Absolventen, die sie durch die UIP-Studienförderung selbst mitausbildet, allem Anschein nach aus den Gemeindediensten herauszuhalten bestrebt ist und lieber als weisungsabhängiges und berichtspflichtiges Personal in den Verwaltungsgremien des Verbandes einsetzt, welche realistische Chance haben dann Absolventen der universitären Studiengänge in Deutschland, jemals in einer Moscheegemeinde der Ditib beschäftigt zu werden?
Und diese Frage stellt sich aufgrund der dargelegten Zusammenhänge eben auch für die anderen etablierten Dachverbände. Deshalb wird es Zeit, darüber nachzudenken, von welchen Kriterien sich die Zusammenarbeit in universitären Beiräten zukünftig leiten lassen soll.
Gesellschaftliche Relevanz und die Übereinstimmung der Lehre mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften sind verfassungsrechtliche Kriterien, bei denen stillschweigend davon ausgegangen wird, dass sich die Geistlichen der in die Kooperation eingebundenen Religionsgemeinschaften langfristig aus den Absolventen der universitären Studiengänge rekrutieren werden.
Wenn diese Zukunftsperspektive schwindet und durch das eigene Verhalten der betroffenen Verbände sich zunehmend als unwahrscheinlich darstellt, welche Legitimation hat die Kooperation mit diesen Verbänden dann noch? Wozu die Mitbestimmung der Verbände privilegieren, wenn sie das Resultat ihrer Mitbestimmung aller Wahrscheinlichkeit nach ohnehin nicht in ihren Gemeinden wirksam werden lassen? Sollen sie in gewisser Weise nur die „Reinheit der muslimischen Lehre“ gewährleisten, wo sich der religiös-weltanschauliche Staat eine religiöse Kompetenz verbieten muss? Einen solchen religionstheoretischen „Klerus“ lehnt das islamische Selbstverständnis ab.
Umkehr der Entscheidungsprozesse
Wo kann in dieser Gemengelage eine Lösung zu finden sein? Da sich der Versuch, eine zentrale muslimische Autorität als Ansprechpartner für den Bereich der „res mixtae“ zu etablieren, wiederholt und zunehmend als untauglich entpuppt, muss die Lösung in der umgekehrten Richtung gesucht werden: Nicht in der Zentralisierung von Kompetenz und Entscheidungsmacht, sondern in der höchstmöglichen aber noch praktisch handhabbaren Pluralisierung und Demokratisierung von Entscheidungsprozessen. In einer solchen Entwicklung haben auch die Verbände als wichtige Stimmen unter vielen Wichtigen ihren Platz.
Das Ergebnis wäre die Privilegierung des fachkompetenten Meinungsstreites und der Konsensfindung zu Lasten des autoritären Machtworts – das aktuell viel zu oft nur aus purer Ohnmacht gesprochen wird und zum Stillstand führt.