Der Deutschlandfunk berichtet am 18.01.2016, die Grünen beabsichtigten, voraussichtlich Anfang Februar ein neues religionspolitisches Konzept vorzulegen. Darin soll es um eine Neuausrichtung gegenüber den muslimischen Religionsgemeinschaften gehen. Besser gesagt darum, ihnen den verfassungsrechtlichen Status einer Religionsgemeinschaft abzusprechen. Zu diesem Thema haben sich die Grünen in jüngerer Vergangenheit bereits geäußert. Dazu wurde in diesem Blog Stellung genommen. Die inhaltliche Qualität der bisherigen Grünen Positionen und Argumente lässt befürchten, dass das neue religionspolitische Konzept eher dem Grünen Bauchgefühl, als verfassungsrechtlichen Vorgaben folgen wird. Einen Vorgeschmack bietet der vorbezeichnete Beitrag von Michael Hollenbach, in welchem die wesentlichsten Grünen Standpunkte nochmals dargelegt werden. In einem späteren Beitrag soll der verfassungsrechtliche Rahmen ausführlicher beleuchtet werden. Der folgende Text seziert vorher den Geist, der dem religionspolitischen Vorstoß der Grünen innewohnt:
Tragende Säule des Grünen Verfassungs(miss)verständnisses offenbart sich in einem Zitat Volker Becks. Mit Blick auf die muslimischen Religionsgemeinschaften DITIB, Islamrat, ZMD und VIKZ heißt es: „ Die müssen dann bekenntnismäßig organsiert sein und können sich nicht danach orientieren, aus welchem Land kamen die Eltern und Großeltern und womöglich welche Interessen von Funktionen gilt es zu berücksichtigen. Das sind religionsfremde Kriterien.“ Bekenntnismäßigkeit oder Bekenntnisförmigkeit, wie es in einer früheren Verlautbarung der Grünen hieß, scheint der Nukleus der Argumentation zu sein. Was mit „Interessen von Funktionen“ gemeint ist, wird sicher dem neuen religionspolitischen Konzept zu entnehmen sein. Wir warten gespannt. Der Begriff der Bekenntnisförmigkeit scheint den Grünen bei der Lektüre verfassungsrechtlicher Entscheidungen ins Auge gefallen zu sein. Ein Hobby-Staatsrechtler in Grünen Diensten wird sich dabei gedacht haben, „da wird sich aus diesem Begriff doch was machen lassen“, um verfassungswidrige Grüne Positionen in ein Gewand vermeintlicher Rechtsstaatlichkeit zu hüllen. Damit sich diese juristisch recht knapp bekleidete Haltung in eine Pose der empörten Besorgnis werfen kann, wird suggeriert, die muslimischen Religionsgemeinschaften würden erwarten, das deutsche Religionsverfassungsrecht müsse für sie „geöffnet“ werden. Haben sie aber nie erwartet, noch gefordert. Sie erwarten vielmehr, dass gleiches Recht für alle gilt. Geltendes Recht also auch Anwendung findet und nicht durch politische Opportunität gebogen und gebrochen wird, wie es die Grünen offenbar vorhaben. Gleichzeitig erfahren wir, „liberale Staatsrechtler“ hätten zu Gunsten der muslimischen Religionsgemeinschaften „unser Religionsverfassungsrecht zur Disposition“ gestellt. Die Erkenntnis daraus: liberale Muslime, gut – liberale Staatsrechtler, böse. Wo kämen wir hin, wenn liberale Staatsrechtler oder konservative Muslime oder, noch schlimmer, muslimische Staatsrechtler (notabene!) „unser“ Verfassungsrecht zur Disposition stellen? Nein, das dürfen bitteschön nur, „wir“, die Grünen. Sekundant dieses Pippi Langstrumpf-Verfassungsrechts – widde, widde wie sie Özdemir und Beck gefällt – ist Friedmann Eißler von der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen, der dem KRM die „Repräsentativität auf die muslimische Gemeinschaft“ abspricht. Unabhängig vom recht eigenwilligen Duktus ist das schon eine mutige Würdigung angesichts der Tatsache, dass die EKD nach eigenen Angaben einen Kirchenmitgliederanteil an der Gesamtbevölkerung von 28,5 % aufweist – Tendenz deutlich sinkend. Auf die Tatsache, dass nicht der KRM, sondern die muslimischen Verbände Religionsgemeinschaften sind, muss man bei solchen Statements auch nicht näher eingehen. Differenzierung stört nur den interessierten Leser, der ja nur auf die Herabqualifizierung muslimischer Religionsgemeinschaften wartet. Die ganz große Gänsehaut scheint Beck und Özdemir bei der Frage der Imame zu befallen. Mit Blick auf DITIB heißt es da: „Gebt die Muslime frei und gebt diese Religion aus den Fängen der Politik frei!“ Offenbar träumen sich Özdemir und Beck beim mittäglichen I-have-a-dream-Power-Napping im Bundestag in Lutherische Sphären (nicht Martin – auf den Job bewerben sich bereits diverse Hochschulprediger/Professoren –, sondern Dr. King) und möchten endlich „Free at last! Free at last! Thank God Allmighty, we are free at last!“ rufen, wenn es ihnen dereinst gelingen sollte, mit den eigenen politischen Fängen unser (sic!) Verfassungsrecht zu brechen und nach eigener politischer Willkür den Status einer Religionsgemeinschaft an befreundete „liberale Muslime“ – ja, hier sind Liberale wieder die Guten – zu vergeben. Prächtiges Verständnis von Verfassungstreue offenbaren die Grünen Hohepriester des Rechts in dem Moment, in dem sie den muslimischen Religionsgemeinschaften diesen Status absprechen, aber gleichzeitig dafür plädieren, mit „Zwischenlösungen“ sich dieser Organisationen zu bedienen, um zum Beispiel islamischen Religionsunterricht zu gestalten. Also je nach politischer Zweckmäßigkeit mal auf die Verfassung pochen, mal sie mit „Zwischenlösungen“ nach eigenem Verständnis umschiffen. Alle Achtung! Da findet man wahrscheinlich unter jeder Straßenlaterne im Rotlichtviertel mehr Integrität und Prinzipientreue. Mit der gleichen Nonchalance will Volker Beck „den Druck auf die Islamverbände erhöhen, damit die Muslime neue Religionsgemeinschaften bilden, die dann bekenntnismäßig organsiert sind“. Die Grünen legen die religiöse Neutralitätspflicht des Staates im Klartext also so aus: Wer jetzt alles Religionsgemeinschaft sein darf, hängt davon ab, wer in Berlin die Wahlen gewonnen hat. Widersprüche, gedankliche Brüche, unverhohlene Gleichgültigkeit gegenüber Verfassungsprinzipien wohin man blickt. Das ficht einen Özdemir oder Beck natürlich nicht an. Denn es geht ihnen nicht um Fragen des Verfassungsrechts oder um gedankliche Konsistenz. Es scheint vielmehr Özdemirs Zuneigung für die HDP in der innertürkischen politischen Auseinandersetzung zu sein, die ihn offenkundig zum Rundumschlag insbesondere gegen die türkischstämmigen Muslime in Deutschland motiviert. In seiner Denklogik ist Erdogan gleich Diyanet, gleich DITIB, gleich alle türkischstämmigen Muslime. Dass diese Wahrnehmung ein Trugschluss ist, kümmert ihn nicht. Fakten sind irrelevant. Dabei ist es ihm auch gleichgültig, dass er mit der DITIB die größte muslimische Religionsgemeinschaft in Deutschland und all ihre Mitgliedsgemeinden als fremdstaatliche Territorien markiert und damit zum Ziel für deutsche Rechtsextremisten und kurdische Linksextremisten definiert. Die Saat dieser geistigen Brandstiftung geht auf. Allein in 2015 gab es über 50 Übergriffe und Anschläge allein auf DITIB-Gemeinden. Seine Privatfehde mit dem türkischen Staatspräsidenten Erdoğan will Özdemir, von derlei Eskalation unbekümmert, auf dem Rücken der Muslime in Deutschland austragen und kapert dafür seine eigene Partei. Denn in den Bundesländern stoßen die verfassungswidrigen Eskapaden der Grünen Parteiführung auf Unverständnis. Dort haben die Grünen muslimische Arbeitskreise gegründet und pflegt den Dialog mit den muslimischen Religionsgemeinschaften. Doch offenen Widerspruch zur Parteiführung traut man sich allem Anschein nach nicht. Deutliche Distanzierungen zu Özdemir und Beck in den Sozialen Medien scheinen kurzfristig redigiert und abgemildert zu werden – was wiederum Rückschlüsse auf die demokratische Kultur innerhalb der Grünen zulässt. Und noch abenteuerlichere Volten schlägt die Grüne Einstellung zu muslimischen Gemeinden, wenn ein Wahltermin bevorsteht: Aus Grünen Kreisen in Rheinland-Pfalz heißt es, Özdemir beabsichtige, im rheinland-pfälzischen Wahlkampf DITIB-Gemeinden zu besuchen. Wohlgemerkt jene Gemeinden, die er seit Wochen als untaugliche muslimische Repräsentanten, fremdstaatliche U-Boote und religionsverfassungsrechtliche Falschspieler beschimpft. Es stärkt nicht gerade das Ansehen von Politikern, wenn sie potentiellen Wählern den Eindruck vermitteln, sie seien nur Stimmvieh, das man im Wahlkampf umgarnt und den Rest der Legislaturperiode nach tagespolitischem Kalkül auf die populistische Schlachtbank führt. Dass Özdemir glaubt, mit seinen DITIB-Besuchen die Wahl zu Gunsten der rheinland-pfälzischen Grünen beeinflussen zu können, ist nach den diversen Grenzüberschreitungen und verfassungswidrigen Entgleisungen geradezu verwegen. Es ist vielmehr anzunehmen, dass seine Landeskollegen beim Besuch von Moscheegemeinden gern auf solche „Unterstützung“ verzichten möchten. Es gibt viele Muslime, die die Grünen wählen oder persönlich als Parteimitglieder engagiert sind. Es gibt viele Grüne Landes- und Kommunalpolitiker, die ein gänzlich anderes Verständnis von Verfassungstreue und Zusammenarbeit mit muslimischen Religionsgemeinschaften haben als Özdemir und Beck. Am Ende kann man nur sagen, an Özdemir und Beck ist das hauptsächlich adressiert: Gebt die Grünen frei und gebt diese Partei aus den Fängen eurer Hetzkampagne frei!
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