Am vergangenen Donnerstag hat das OVG Münster über die Klage des ZMD und des Islamrats auf Zulassung zum Religionsunterricht an öffentlichen Schulen entschieden und den Klägern bescheinigt, keine Religionsgemeinschaften im Sinne des Grundgesetzes zu sein.
Dieses Ergebnis wurde hier auf diesem Blog einen Tag vor Urteilsverkündung bereits vorausgesagt. Übernatürliche Kräfte waren dafür nicht erforderlich. Das Ergebnis war angesichts der tatsächlichen und rechtlichen Ausgangslage unausweichlich.
Nach dem Urteil des OVG Münster sprach der Islamrat davon, das Gericht habe die Chance vertan, die Institutionalisierung der Muslime voranzubringen. Der ZMD deutete an, das Gericht habe sich einer antimuslimischen Stimmung im Land ergeben. Beide Reaktionen sind ungebührlich. Die Institutionalisierung der Muslime in Deutschland ist nicht Aufgabe des Gerichts. Sie war und ist Aufgabe des ZMD und des Islamrats. Wenn jemand hier Chancen vertan hat, dann war es sicher nicht das Gericht.
Richterliche Unabhängigkeit ist ein hohes Gut und Stützpfeiler der Gewaltenteilung. Sie anzuzweifeln, ist ein Griff in die unterste Schublade, um mit bequemer Richterschelte von eigenem Versagen abzulenken.
Meine deutliche Bewertung will ich im Folgenden näher erläutern. Dies gerade auch deshalb, weil in vielen Kommentaren und Nachfragen nach der Urteilsverkündung in Münster deutlich geworden ist, dass der muslimischen Basis die entscheidenden Informationen fehlen, um die Ereignisse und das Verhalten der betroffenen Akteure richtig einzuordnen. „Was hätte man anders machen müssen?“ war eine häufige Frage in den Online-Medien. Diese Lücke soll der vorliegende Blogbeitrag schließen.
Was hätte man anders machen müssen?
Dabei sollen die wichtigsten Kriterien der Rechtsprechung zu dem Themenkomplex Religionsgemeinschaft erklärt werden, ohne zu sehr in juristische Fachtermini abzudriften. Das heißt, der folgende Text erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder präzise juristische Differenzierung, sondern soll in möglichst einfacher Sprache auch den muslimischen Nichtjuristen verständlich machen, was vor dem OVG Münster passiert ist.
Das OVG Münster hat am vergangenen Donnerstag über eine Klage entschieden, die bereits seit 1998 durch die Instanzen der Verwaltungsgerichte verhandelt wurde. Die ursprüngliche ablehnende Entscheidung des OVG Münster wurde in der Revisionsinstanz vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) aufgehoben und das Verfahren an das OVG Münster zurückverwiesen. Denn das BVerwG hat einige der ablehnenderen rechtlichen Auffassungen des OVG zu der Möglichkeit, ob Dachverbände überhaupt Religionsgemeinschaften sein können, verworfen und das OVG damit beauftragt, tatsächliche Fragen weiter zu prüfen und das Ergebnis der tatsächlichen Prüfung nochmals nach den Vorgaben des BVerwG rechtlich zu würdigen.
Das BVerwG hat all dies bereits im Jahr 2005 in seinem entsprechenden Urteil ausgeführt. Das Urteil beschreibt die wichtigsten Kriterien, die ein Dachverband erfüllen muss, um Religionsgemeinschaft zu sein. Dem ZMD und dem Islamrat hat das BVerwG also bereits 2005 bescheinigt, dass nach ihren Satzungen jedenfalls nicht auszuschließen ist, dass sie Religionsgemeinschaften sein könnten. Im gleichen Zug hat das BVerwG die Voraussetzungen näher beschrieben, die tatsächlich vorliegen müssen, damit die Religionsgemeinschaftseigenschaft bejaht werden kann.
Das BVerwG hat also dem OVG Münster die Aufgabe erteilt, bestimmte Kriterien nochmals zu prüfen und in seiner Urteilsbegründung gleichzeitig den Klägern buchstäblich Hausaufgaben aufgegeben, die sie möglichst schnell erledigen müssen, wenn sie die Chancen auf eine positive zweite Prüfung des OVG erhöhen wollen. Die vorgegebenen Hürden waren nicht sehr hoch. Tatsächlich waren sie ziemlich niedrig. Sie wurden aber dennoch nicht überwunden.
Die Kriterien im Einzelnen:
Personales Substrat
Das BVerwG hat darauf hingewiesen, dass es nicht darauf ankommt, dass in Dachverbänden nur Vereine, also juristische Personen des Zivilrechts und keine natürlichen Personen, also Menschen in Fleisch und Blut, mitgliedschaftlich organisiert sind. Eine Religionsgemeinschaft setzt zwingend voraus, dass in ihr Menschen zusammenkommen, die ihren Glauben praktizieren und nicht nur juristische Personen, die eben nicht glauben können, weil dies eine menschliche Eigenschaft ist.
Das BVerwG setzt noch nichtmal voraus, dass die Mitglieder von Moscheegemeinden durch die Mitgliedschaft des Moscheevereins im Dachverband auch gleichzeitig Mitlgieder im Dachverband werden. Es lässt sogar genügen, dass die Menschen in den Moscheevereinen durch einen Beschluss die Mitgliedschaft nur ihres Moscheevereins im Dachverband erwirken. Ihr gemeinschaftlicher Wille zur Zusammenkunft im Dachverband reicht als personale Grundlage aus, um auch dem Dachverband die Eigenschaft als Religionsgemeinschaft zu vermitteln.
Diese Voraussetzung war weder für den Islamrat, noch für den ZMD ein tatsächliches Problem.
Organisatorisches Band
Die Moscheevereinsmitglieder und die Dachverbandsebene müssen, wenn nicht durch direkte Mitgliedschaft, so doch wenigstens durch ein organisatorisches Band miteinander verbunden sein, so dass die Willensbildung der Mitglieder für die Zusammensetzung der Gremien im Dachverband wirksam wird und umgekehrt der Dachverband durch seine Tätigkeit direkt das Gemeindeleben der Mitglieder beeinflusst.
Auch insoweit gab es für Islamrat und ZMD keine rechtlichen oder tatsächlichen Hindernisse.
Identitätsstiftende Aufgaben im Dachverband
Das BVerwG hatte somit organisatorisch und rechtlich den muslimischen Verbänden alle Türen geöffnet, alle Chancen vermittelt, um den Staus einer Religionsgemeinschaft für sich beanspruchen zu können. Es hat dabei lediglich in tatsächlicher Hinsicht auf bestimmte Voraussetzungen hingewiesen, mit deren Erfüllung auch die letzten Hürden auf dem Weg zu diesem rechtlichen Status hätten genommen werden können. Dabei hat das BVerwG sich gar nicht umständlich ausgedrückt oder seine Hinweise in verklausulierten Ausführungen versteckt. Nein, die Hinweise sind bereits in den Leitsätze, also den Überschriften des Urteils aus 2005 enthalten. Dort heißt es im dritten Leitsatz:
„Ein Dachverband ist nicht bereits dann Teil einer Religionsgemeinschaft, wenn sich die Aufgabenwahrnehmung auf seiner Ebene auf die Vertretung gemeinsamer Interessen nach außen oder auf die Koordinierung von Tätigkeiten der Mitgliedsvereine beschränkt; erforderlich ist, dass für die Identität einer Religionsgemeinschaft wesentliche Aufgaben auch auf der Dachverbandsebene wahrgenommen werden.“
Das BVerwG gab dem ZMD und dem Islamrat sogar in dem vierten Leitsatz seiner Entscheidung aus dem Jahr 2005 einen warnenden Hinweis mit auf den Weg, indem es formulierte:
„Eine Dachverbandsorganisation ist keine Religionsgemeinschaft, wenn der Dachverband durch Mitgliedsvereine geprägt wird, die religiöse Aufgaben nicht oder nur partiell erfüllen.“
Diesen Gedanken führt das BVerwG in seiner Entscheidungsbegründung deutlich aus. Wie verständlich und klar dieser Hinweis damals gewesen ist, soll allen Lesern hier vor Augen geführt werden durch den Auszug des Originaltextes des Urteils (Anmerkung: Kläger zu 1 ist der ZMD, Kläger zu 2 der Islamrat):
„Es kann beim bisherigen Erkenntnisstand nicht ausgeschlossen werden, dass andere, auf beruflicher, sozialer, kultureller, wissenschaftlicher oder sonstiger fachlicher Grundlage bestehende Mitgliedsverbände bei beiden Klägern ein Übergewicht haben, so dass der Charakter der Gesamtorganisationen als Religionsgemeinschaft verloren geht. Als derartige „Fachverbände“ mit dem Status eines ordentlichen Mitglieds kommen beim Kläger zu 1 allein aufgrund ihrer Namensgebung und vorbehaltlich weiterer Prüfung in Betracht: Islamische Arbeitsgemeinschaft für Sozial- und Erziehungsberufe e. V., Islamisches Bildungswerk e. V., Muslimische Studentenvereinigung in Deutschland e. V., Union der in Europäischen Ländern Arbeitenden Muslime e. V., Union der türkisch-islamischen Kulturvereine in Europa e. V., Union muslimischer Studenten Organisation in Europa e. V.
Beim Kläger zu 2 können dies – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – etwa sein: Verband Islamischer Jugendzentren, Bund Moslemischer Pfadfinder Deutschlands, Moslemisches Sozialwerk in Europa (Moslemische Kollegenschaft im DGB), Muslimischer Sozialbund e. V., Ehsan Hilfsorganisation, Weimar Institut e. V., Deutsch-Afrikanische Transfer-Agency, Islam-Info e. V., Islamisch- Pädagogisches Institut, Islamisches Informations-Kulturzentrum e. V.
[60] Bei den vorgenannten Organisationen handelt es sich ausweislich der vorgelegten Mitgliedsverzeichnisse ausschließlich um ordentliche Mitglieder der Kläger, die zur Entsendung von Delegierten in die Vertreterversammlungen berechtigt sind und so Einfluss auf deren Aufgabenerledigung einschließlich Vorstandswahlen und Satzungsänderungen ausüben (§ 6 Abs. 5 bis 7, Abs. 9 und 10 der Satzung des Klägers zu 1; § 7 Abs. 2 und 3, Abs. 5 bis 8 der Satzung des Klägers zu 2). Der prägende Einfluss der Moscheevereine und ihrer Zusammenschlüsse auf der Dachverbandsebene wird davon abhängen, ob deren Delegierte über die Stimmenmehrheit in den Vertreterversammlungen verfügen. Ist dies nicht der Fall, so ist nicht mehr sichergestellt, dass die Tätigkeit auf der Dachverbandsebene ein Beitrag zur Erfüllung der durch die islamische Konfession gestellten Aufgaben ist, der für die Gläubigen in den Moscheevereinen geleistet wird. In einem solchen Fall ist vielmehr anzunehmen, dass diese Tätigkeit überwiegend fachlichen, wenn nicht gar religionsfremden Motiven folgt. Sollte die Zusammensetzung der Vertreterversammlungen kein eindeutiges Bild ergeben, wird eine Gesamtbewertung aller für den Charakter der beiden Gesamtorganisationen maßgeblichen Umstände vorzunehmen sein.“
Einfacher und deutlicher kann man einen solchen Hinweis, eine solche Hausaufgabe nicht mehr erteilen. Das BVerwG hat bereits im Jahr 2005 also gesagt: „Sorgt dafür, dass eure Mitglieder mit deutlicher Mehrheit aus Moscheevereinen bestehen, in denen der Glaube vollumfänglich gelebt und gepflegt wird. Sorgt dafür, dass es keine oder kaum Mitglieder gibt, die nur durch die Religion motiviert aber lediglich fachliche Tätigkeiten ausüben, also „nur“ Jugendarbeit, „nur“ Wohlfahrtsarbeit, „nur“ Bildungsarbeit etc. betreiben.“
Was haben die Kläger, also ZMD und Islamrat, in dieser Hinsicht in den letzten 12 Jahren seit dem Hinweis des BVerwG bis zum abschließenden Urteil des OVG Münster getan?
Der ZMD hat seine Mitgliederliste auf seiner Internetseite gesperrt. Vorgeblich aus Sicherheitsbedenken. Allerdings sind seine Landesverbände mit Namen und Telefonnummern weiter online. Ebenso sind die Namen und Aufgabenbereiche der Ausschüsse und Fachbeauftragen des Bundesverbandes weiter auf der Internetseite abrufbar. Weshalb sich das Sicherheitsbedürfnis auf die Mitgliederliste beschränkt und nicht auf die sonstigen Personendaten auf der Internetseite, bleibt unklar.
Ein Blick auf die Mitgliederliste vor Sperrung durch den ZMD macht deutlich, dass unverändert Organisationen als Mitglieder des Bundesverbandes geführt werden, die sich als „Vereinsverband“, „Trust“, „Bildungswerk“, „Studentenvereinigung“ oder „Kulturvereine“ bezeichnen, also gerade nicht umfassende religiöse Aufgaben wahrnehmen sondern eher als Fachverein einzuordnen sind.
Weshalb es der ZMD in den letzten 12 Jahren nicht für notwendig erachtet hat, den Hinweis des BVerwG ernst zu nehmen, bleibt das Geheimnis seiner Verbandsfunktionäre. Es wäre ein Leichtes gewesen, alle Fachvereine in einen ZMD-Fachverband auszulagern, diesen als einziges Mitglied stellvertretend für alle Fachvereine in den ZMD aufzunehmen und somit zu gewährleisten, dass neben Moscheevereinen nur ein einziger Nicht-Moscheeverein als Mitglied aktiv ist. Das alles ist nicht passiert.
Hausaufgaben nicht gemacht
Ebenso untätig ist der Islamrat geblieben. Noch heute heißt es in der Selbstdarstellung des Islamrates auf seiner Internetseite:
„Heute sind im Islamrat 25 Mitgliedsgemeinschaften mit über 400 Moscheegemeinden vertreten, von denen sich 150 in Nordrhein-Westfalen befinden. Dazu kommen über 1000 Einrichtungen, die sich der Frauen-, Jugend- und Sozialarbeit widmen, sowie Bildungseinrichtungen, Eltern- und Nachhilfevereine.“
Das heißt, trotz des obigen Hinweises des BVerwG aus dem Jahr 2005 hat der Islamrat es nicht für notwendig erachtet, seine Mitgliederstruktur entsprechend einer Religionsgemeinschaft umzugestalten. Im Gegenteil betont der Islamrat heute noch unverändert, dass unter seinen Mitgliedern ein Verhältnis von 400 Moscheevereinen zu 1000 Nicht-Moscheevereinen besteht und damit die überwältigende Mehrheit seiner Mitglieder eben nichtreligiöse Aufgaben erfüllt und als Fachverein tätig ist.
Wie kann man sich angesichts dieser Tatsachen noch zu Statements hinreißen lassen, das OVG Münster hätte Chancen vertan?
Nicht nur den warnende Hinweis des BVerwG zu der Mitgliederstruktur haben Islamrat und ZMD einfach überhört. Auch die positiven Ausführungen im dritten Leitsatz und damit die wichtigen Hausaufgaben zur tatsächlichen Ausgestaltung der Dachverbandsarbeit sind missachtet worden.
Das BVerwG hat seinen entsprechenden Hinweis in der Entscheidungsbegründung 2005 mit folgenden Worten konkretisiert:
„Allerdings setzt, wie oben näher dargelegt, eine den Dachverband einschließende Religionsgemeinschaft notwendig voraus, dass auch auf der Dachverbandsebene Aufgaben wahrgenommen werden, die für die Identität der Gemeinschaft von wesentlicher Bedeutung sind.“
Und weiter (Kläger zu 2 ist der Islamrat, Kläger zu 1 der ZMD):
„Namentlich mit der Zuständigkeit für die Lehre und die Wahrung islamischer Werte sind beim Kläger zu 2 Aufgaben beschrieben, die für die Identität einer Religionsgemeinschaft wesentlich sind. Das Oberverwaltungsgericht wird daher zu prüfen haben, ob diese satzungsmäßigen Aufgaben tatsächlich auf der Grundlage religiösen Sachverstands wahrgenommen werden. Es bedarf der Feststellung, dass der Kläger zu 2 über die satzungsmäßig vorgesehene, mit Sachautorität und -kompetenz ausgestattete Instanz tatsächlich verfügt und dass die von ihm in Anspruch genommene Autorität in Lehrfragen in der gesamten Gemeinschaft bis hinunter zu den Moscheegemeinden reale Geltung hat. [58] Ähnliches gilt für den Kläger zu 1.“
Auch hier wieder, konnte das BVerwG kaum deutlicher formulieren, was das OVG Münster zu prüfen haben wird und was ZMD und Islamrat hätten sicherstellen müssen. Nämlich ein Gremium, das Sachautorität und -Kompetenz in religiösen Lehrfragen innehat, anwendet und bis in die einzelne Moscheegemeinde hinein auch konkret durchsetzt.
Aber auch heute noch, 12 Jahre nach diesen Hinweisen, ist in den Selbstdarstellungen von Islamrat und ZMD stets nur von beratenden, unterstützenden, begleitenden Leistungen für die Moscheevereine die Rede. Sind auch heute noch bei beiden wortreiche Auflistungen religionspolitischer Ziele zu finden. Beide betonen ausführlich ihre repräsentative Funktion und ihre Zusammenarbeit mit wichtigen politischen Gremien. Der ZMD macht sich sogar die Mühe, die Aktion am Brandenburger Tor im Jahr 2015 als Merkmal seiner Tätigkeit als Dachverband anzuführen.
Aber bei keinem der beiden Verbände ist irgendwo ein deutlicher, unmissverständlicher Hinweis zu finden, welches religiöse Gremium, mit welcher Besetzung, mit welcher Kompetenz über religiöse Lehrfragen entscheidet. Nirgends ist zu finden, welche Fragen diese Gremien beantwortet haben, welche religiöse Entscheidung sie gefällt haben und die Moscheevereine als Mitglieder nun zu befolgen haben. Nirgends ist etwas von einer direktiven religiösen Autorität zu finden, wie es das BVerwG 2005 als Gegenstand der bevorstehenden Prüfung beschrieben hat.
Keine gute Vertretung
Im Verhandlungstermin vor dem OVG Münster haben den Islamrat sein Vorsitzender Burhan Kesici und sein Generalsekretär Murat Gümüş vertreten. Zusätzlich hat Bekir Altaş als Generalsekretär des größten Mitglieds des Islamrates, der IGMG, Stellung genommen. Der ZMD ist von seiner stellvertretenden Vorsitzenden Nurhan Soykan und dem Rechtsbeauftragten des ZMD Said Barkan vertreten worden. Aiman Mazyek, Vorsitzender des ZMD, ist nicht vor Gericht erschienen.
Keiner der Anwesenden konnte die entscheidenden Prüfungsfragen positiv beantworten. Nurhan Soykan hat auf diverse telefonische Anfragen von Moscheevereinen und Mitgliedern hingewiesen, die mit Sachkompetenz durch die religiösen Gremien des ZMD beantwortet worden seien. Keine einzige Anfrage und Antwort konnte nachgewiesen werden. Zu keiner der Mitgliederanfragen oder Antworten der religiösen Gremien konnten Dokumentationen vorgelegt werden. 12 Jahre nach dem Urteil des BVerwG und den darin erteilten Hinweisen gab es zu diesen entscheidenden Tätigkeiten keinerlei Nachweis oder Dokumentation.
Bekir Altaş hat für den Islamrat vorgetragen, der religionssoziologische Gutachter der NRW-Staatskanzlei habe die tatsächliche Lehrautorität und entsprechende Tätigkeiten des Islamrats gegenüber den angeschlossenen Moscheegemeinden untersucht und müsse als Zeuge in diesem Verfahren angehört werden. Er konnte mit diesem Einwand – nicht nur für Rechtskundige kaum überraschend – vor Gericht nicht durchdringen. Denn wenn der durch den Gutachter untersuchte Sachverhalt tatsächlich vorhanden ist, also die Autorität und Kompetenz in religiösen Lehrfragen vom Dachverband bis hin zu den Moscheevereinen tatsächlich gelebt wird, warum konnten dann der Islamrat selbst oder die IGMG als Dachverband der Moscheevereine im Islamrat kein einziges Beweismittel vorlegen, das eine solche Autorität und ihre tatsächliche Umsetzung in der Verbandswirklichkeit belegt?
Überdies war der Vortrag Bekir Altaşs für die Muslime in Deutschland auch formaljuristisch keine Sternstunde. Es gehört zu den Verfahrensgrundsätzen des Verwaltungsgerichtsverfahrens, dass die Parteien die ihnen bekannten Tatsachen und Beweismittel selbst vortragen und so bei der Ermittlung des Sachverhalts mitwirken. Dieser Verfahrensgrundsatz nennt sich Mitwirkungsobliegenheit. Der Unterschied zu einer Pflicht besteht darin, dass man nicht zur Mitwirkung gezwungen werden kann. Aber wenn die Mitwirkungsobliegenheit nicht beachtet wird, also eine Partei die für sie günstigen Tatsachen nicht vorträgt und beweist, obwohl ihr dies möglich und zumutbar gewesen ist, dann sind auch das Gericht oder die Behörde nicht dazu gehalten, anderweitigen Erkenntnismöglichkeiten nachzugehen.
Das sind einfachste, grundlegende Prinzipien eines Verwaltungsverfahrens und eines entsprechenden Verwaltungsrechtsstreits. Warum der Generalsekretär der IGMG vor Gericht darauf besteht, das Wort zu erhalten, obwohl ihm dieser Verfahrensgrundsatz auch nach 19 Jahren Verfahrenshistorie nicht bekannt ist, gehört zu den vielen Fragen, die auf eine selbstkritische Antwort warten.
Trotzig weiter so
Wenn man sich kritisch mit den Details dieses Falles beschäftigt, wird immer deutlicher, dass hier weder das Gericht, noch das Land NRW irgendwelche Chancen vertan haben. Auch hat sich das Gericht nicht irgendwelchen Stimmungen ergeben oder sich durch andere sachfremde Erwägungen leiten lassen. Vielmehr soll das Gericht bereist im Sommer die Parteien in einem Erörterungstermin auf die relevanten Rechtsfragen hingewiesen haben. Dennoch haben sich die klagenden Verbände ganz offensichtlich bis zum Verhandlungstermin im November nicht angemessen vorbereitet.
Die Wahrheit mag schmerzhaft sein, aber sie ist gerade in diesem Fall nicht mehr zu leugnen: Der Ausgang dieses historischen Rechtsstreits ist nicht durch antimuslimischen Rassismus, nicht durch Islamfeindlichkeit oder durch „fremde Mächte“ entschieden worden. Das Gericht hat ihn nicht parteiisch beeinflusst, das Land NRW hat ihn nicht durch einen überraschenden Geniestreich gewonnen. Die Niederlage in diesem die Zukunft muslimischen Lebens in Deutschland verändernden Rechtsstreit ist die Folge ganz erheblichen persönlichen und institutionellen Unvermögens auf muslimischer Seite. Wer dieser Tatsache nicht ins Auge blicken will, der kann die Zukunft der Muslime in Deutschland nicht mehr positiv beeinflussen.
Die Signale, mit denen die gescheiterten Verbände sich nun weiter als Religionsgemeinschaft bezeichnend an die Basis wenden, klingen indes wie ein „Weiter so!“. Eine Aufarbeitung der Vorgänge wird es also aller Voraussicht nach nicht geben. Ob die Mitglieder der beiden Verbände dieses Ergebnis hinnehmen, ohne Konsequenzen zu fordern, bleibt in deren Verantwortung.
Ein Ergebnis lässt sich jetzt schon voraussagen: In allen Bundesländern sind die bestehenden Gutachten zu den Verbänden faktisch entwertet worden. Alle existierenden Kooperationen mit staatlichen Stellen stehen auf dem Prüfstand. Die Beiräte an Universitäten und zum Islamischen Religionsunterricht an öffentlichen Schulen werden sich deutlich verändern.
Und was die Verbände betrifft, die nicht direkt von dem Urteil des OVG Münster betroffen sind: Ob sie die richtigen Schlussfolgerungen ziehen werden und dann klüger agieren als der Islamrat und der ZMD, bleibt völlig offen. Den Wind der Veränderung, der von dem OVG-Urteil ausgeht, werden aber auch sie in allen ihren Arbeitsbereichen spüren.