Monthly archives of “Juli 2016

Offener Brief an den Ministerpräsidenten des Landes Baden-Württemberg Winfried Kretschmann

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,

es ist sonst nicht meine Art, in diesen Angelegenheiten mit Spitzenpolitikern öffentlich zu kommunizieren. Allerdings hat das Interview, das Sie zusammen mit Ihrem grünen Bundesvorsitzenden Cem Özdemir der FAZ gegeben haben und das gestern veröffentlicht wurde, mich auf so unterschiedlichste Weise irritiert und nachdenklich gestimmt, dass ich darin eine Art Konzentration der unglücklichen gesellschaftspolitischen Entwicklungen der letzten Jahre wahrnehme.

Ich habe den Eindruck, dass die türkischstämmige Community in Deutschland und die politischen Stimmen auf Landes- und Bundesebene mittlerweile so konsequent aneinander vorbei reden, dass darin ganz grundsätzliche Missverständnisse und Fehlentwicklungen manifest werden. Die Positionen sind gegenwärtig derart verhärtet, dass ich mich genötigt sehe, ganz klar und offen die gröbsten Unstimmigkeiten anzusprechen, in der Hoffnung, dass Sie meine Kommentierung als ein besorgtes Warnsignal vernehmen mögen.

Im Marianengraben des politischen Anstandes

Man hätte erwarten dürfen, dass die hiesige Politik nach monatelanger Türkeiobsession und antitürkischen Ausfällen kurz aufschreckt, innehält und sich Gedanken darüber macht, ob die durchgehend negative Besetzung und Kommentierung der Causa Türkei nicht auch problematische Reaktionen auslöst. Ob die dramatisch angestiegene Zahl an Moscheeübergriffen, insbesondere gegen solche mit überwiegend türkischstämmiger Gemeinde, nicht auch Folgen der politischen Auseinandersetzung mit dem Thema Türkei sind. Ob nicht die hetzerische Rhetorik der dauernd unterstellten Fremdkontrolle, der vorgeworfenen Unterwanderung durch türkisch-muslimische Organisationen Einzelne in ihrem Hass auf Türken eskalieren lässt. Das hätte man nach München erwarten dürfen.

Die Fänger im Roggen – Ein Trauerspiel in drei Teilen, Teil 3 „Der Abgrund“

In den beiden vorherigen Teilen haben wir an zwei konkreten Beispielen die Narrative und Argumentationsmuster der antimuslimischen „islamkritischen“ Szene kennen gelernt. Auch am Beispiel eines Hochschullehrers für islamisch-theologische Fächer. Das ist das akademische Fachpersonal. Und es ist – in dieser Gestalt – nicht gut. Nicht gut für unser gesellschaftliches Zusammenleben.

Wer ist bloß auf die Idee gekommen, Import-Experten ohne den geringsten Bezug zu den einheimischen Muslimen könnten etwas Sinnvolles produzieren, das unserem gesellschaftlichen Zusammenwachsen förderlich wäre? Die Imame der DITIB kennen wenigstens die hiesigen Muslime. Die Import-Experten kennen – wie in den beiden Teilen zuvor exemplarisch dargelegt – weder die hiesigen Muslime, noch die historischen und rechtlichen Bedingungen unseres Landes. Wer hat bei ihren Einstellungen denn wirklich geglaubt, dass aus einem grobschlächtigen religionspolitischen Reformeifer, ohne inhaltliche oder gemeindliche Substanz, etwas Fruchtbares für die islamische Theologie, die muslimischen Gemeinschaften oder die Gesamtgesellschaft in Deutschland herauskommen könnte?

Die Fänger im Roggen – Ein Trauerspiel in drei Teilen, Teil 2 „Ourghi“

Der „Experte“ Ourghi bläst zeitgleich mit Azizi (siehe Trauerspiel, Teil 1), ebenfalls am 20.07.2016, mit einem Beitrag auf Cicero online, ins gleiche Horn.

Zu den akademischen Qualitäten des „Experten“ Ourghi kann hier in diesem Blog umfangreiches Material nachgelesen werden.

Dort wo ein Azizi sich in seiner grenzenlosen Selbstgewissheit genug ist, scheint ein Ourghi noch Suchender nach Verbündeten zu sein. Betrachtet man seine Facebook Seite, fällt auf, dass man nach wenigen Scroll-Bewegungen kaum noch unterscheiden kann, ob man sich noch auf der Seite Ourghis oder schon auf der Facebook Seite Azizis befindet. So häufig scheinen sich die Gedanken und Vorlieben zu gleichen. Das war nicht bei jedem Kollegen so. Vor einigen Jahren sorgte Ourghi für einen Plagiats-Skandal, mit Vorwürfen Richtung Münster. Dabei wurde er von Münsteraner Kollegen kritisiert, sein Vorwurf sei angesichts seiner „diffusen und wenig überzeugenden Argumente […] nichts als böswillig zu nennen.“

Mittlerweile sucht Ourghi den kollegialen Schulterschluss und würde wahrscheinlich gern in den Kreis der „liberalen Reformer“ des MFD aufgenommen werden. Die personellen Verflechtungen eben jenes MFD wurden hier bereits ausführlich thematisiert.

Die Fänger im Roggen – Ein Trauerspiel in drei Teilen, Teil 1 „Azizi“

Azizi, Beck, Özdemir, Ourghi. Brüder im Geiste, die mit Ihren aktuellen Veröffentlichungen und Verlautbarungen wieder eine Rolle spielen, die mittlerweile charakteristisch für die Natur unseres öffentlichen Diskurses ist. Inhaltlich kommt da nicht viel Neues. Es sind eigentlich nur noch exzessivere Absurditäten, mit denen die Schraube der antimuslimischen Agitation um einige Windungen weitergedreht wird. Aber die eingenommenen Rollen sind modellhaft für die „islamkritische“ Szene und deshalb auf persönlicher wie inhaltlicher Ebene es wert, schärfer angeleuchtet zu werden.

Trennen wir sie in zwei Gruppen: Mimoun Azizi und Abdel-Hakim Ourghi als pseudowissenschaftliche „Experten“ und damit vermeintlich akademisch-sachliche Souffleure. Und Özdemir und Beck als politische Diven, die auf der großen Bühne der Bundespolitik die gelieferten „Analysen“ in besorgte Forderungen kleiden und zu klangvollen Arien der Diskreditierung islamischer Religionsgemeinschaften intonieren.

Nachlese – Teil 2

Im vorherigen Blogbeitrag wurde der gesellschaftliche Resonanzraum hinsichtlich der jüngsten Ereignisse in der Türkei beleuchtet. In diesem Beitrag sollen die Gefahren und Herausforderungen angesprochen werden, die sich aus der gegenwärtigen Situation ergeben.

Angesichts der aufgeheizten gesellschaftlichen Atmosphäre – gerade auch im Zusammenleben der türkischen Community in Deutschland – muss ausdrücklich auf den ersten Teil dieser Nachlese hingewiesen werden. Nur vor dem Hintergrund dieser zusammenhängenden Texte kann die Intention für die vorliegende Bewertung akkurat nachvollzogen werden. Also, falls Teil 1 noch unbekannt ist, zunächst einen Beitrag zurück und diesen zuerst lesen.

Allein die Tatsache, dass ein solcher „Verwendungshinweis“ vorgeschaltet werden muss, zeigt eindrücklich, wie angespannt die Lage aktuell ist und wie groß die Gefahr missverständlicher Wahrnehmungen und entsprechender Reaktionen sein kann. Das bringt uns gleich zum ersten Aspekt, der gerade für das gesellschaftliche Zusammenleben hier in Deutschland von zentraler Bedeutung ist: Konzepte von Kollektivschuld oder Sippenhaft sind völlig inakzeptabel.

Nachlese – Teil 1

Viel ist in den letzten Tagen erzählt, gepostet und getwittert worden. Viel ist berichtet und behauptet worden. Viel zu oft sind Mutmaßungen als Gewissheiten verkauft worden. Und manchmal sind auch Wünsche und Erwartungen zu vermeintlichen Tatsachen geronnen. Bis heute dauern die Bewertungen und Prognosen an. Und auch in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten wird vielfach zu hören sein, wer es damals schon besser gewusst hat. Eine Geschichte ist aber noch nicht erzählt worden. Das soll hier an dieser Stelle nachgeholt werden, denn sie ist in mancherlei Hinsicht entlarvender als die vielen Expertisen der vergangenen Tage:

Es waren schlimme, grausame Stunden. Eine wütende Menge von etwa 900 Zivilisten hatte sich über mehrere Stunden vor den Toren der befestigten Garnison versammelt. Darin verschanzt sahen sich die Soldaten einer Situation ausgesetzt, die sie in diesem Ausmaß nicht erwartet hatten. Ein Garnisonskommandant und gut hundert Soldaten unter seinem Befehl, stark bewaffnet, militärisch ausgebildet, mit dem Vorteil der befestigten Stellung gegen 900 Zivilisten, welche die Soldaten immer wieder zur Aufgabe auffordern und verlangen, dass sie die Waffen niederlegen.

Offener Brief in einer kritischen Debatte

Lieber Erdal,

mein gestriger Blog-Beitrag „Eine kritische Debatte?“ muss Dich so sehr gestört haben, dass Du Dich noch spät in der Nacht genötigt sahst, darauf per Mail zu reagieren. Leider wendest Du Dich mit Deiner Mail nicht an mich, sondern an meine Kollegen. Dabei hätten wir die Irrtümer, wegen denen Du Dich offenbar so entrüstest, im direkten Kontakt viel schneller ausräumen können.

Ich schreibe Dir jetzt öffentlich, weil ich davon überzeugt bin, dass Form und Inhalt der geforderten „kritischen Debatte“ eine Natur angenommen haben, die uns dazu zwingt, jede Disputation öffentlich zu führen. Gerade auch deshalb, damit Fehlentwicklungen vom betroffenen breiten Publikum uneingeschränkt wahrgenommen und gewürdigt werden können.

Lass uns bitte zunächst Deine Bemerkungen zu meiner Person aus der Welt schaffen, damit der Blick in der Sache etwas klarer wird.

Eine kritische Debatte?

Am 09.07.2016 hat taz.de einen Beitrag Ahmad Mansours veröffentlicht. Die Überschrift lautet „Wir sind nicht eure Kuscheltiere“. Die Prämisse dieses Textes wird in den einleitenden Worten deutlich. Das linksliberale Spektrum tue sich schwer mit kritischen Muslimen. Es erkläre sich zum Beschützer konservativer Muslime und mache sie so zu Opfern.

Dieser Essay Mansours ist exemplarisch für eine Medien- und Diskursstrategie, die nicht improvisiert oder spontan entsteht, sondern internationale Vordenker hat. Es ist deshalb umso bemerkenswerter, dass ausgerechnet Mansour sich in seinem Beitrag quasi darüber beschwert, zu wenig Unterstützung zu erhalten. Die Frontlinien, die er nachzeichnet und die Talking Points, die er setzt, sind beispielhaft für das Wirken einer Gruppierung von vermeintlich authentischen innermuslimischen Stimmen, die doch vorgeblich nichts anderes wollen, als eine dringend notwendige Reform des Islam anzustoßen. Eine vermeintlich aus bitterer Erfahrung und schockierender Binnenperspektive gespeiste kritische Emanzipation muslimischer Stimmen soll das sein, die sich nicht gegen die angeblich mächtigen „konservativen“ Verbände durchsetzen können.

Wie infam diese Rhetorik ist, soll in diesem Beitrag inhaltlich und systematisch dargelegt werden. Zu den internationalen Verflechtungen und Querverbindungen der Mansourschen Diskurstechnik kommen wir am Ende des Textes, zunächst eine Kommentierung der inhaltlichen Nebelbomben, die da auf taz.de gezündet werden:

Ramadan – Eine Retrospektive

Er ist vorbei, der diesjährige Ramadan. Es war in der Rückschau ein Ramadan, der durch die öffentliche Berichterstattung über islamische Religionsgemeinschaften überlagert, als seltsam profan und schal empfunden werden konnte. Er war gekennzeichnet von vielen Absurditäten und Abgründen in und um die muslimischen Community, die erst jetzt – nach den Feiertagen – kritisch besprochen werden können. Für die Feiertage galt eine selbstverordnete Regel: Kein Klagen, kein Kritisieren. Nur Freude. Sie war sehr schwer einzuhalten.

Den Auftakt des Ramadan prägten die Debatten um die Armenier-Resolution des Bundestages. Diese politischen Diskussionen haben den Zustand insbesondere der türkisch-muslimischen Community in bedrückender Weise offengelegt. Man muss rückblickend feststellen, dass – teilweise bis in die muslimischen Organisationen hinein – das Selbstverständnis von religiöser Gemeinschaft und die Sensibilität für die Unterschiede von politischen Interessenvertretungen zu religiösen Organisationen problematische Konturen aufweist.