Als Anwalt ist man stets dazu verpflichtet, seine Mandanten über die Risiken des Falles, der gewählten Strategie und der prozessualen Weichenstellungen zu beraten. Für einen verantwortungsbewussten Rechtsanwalt empfiehlt sich dabei stets der für den Mandanten sicherste Weg. Dazu gehört es auch, manchmal einen begonnenen Rechtsstreit nicht bis zu einer gerichtlichen Entscheidung fortzusetzen. Auch wenn man zu Beginn anstrebte, eine solche Entscheidung zu erhalten, kann sich die prozessuale und auch die tatsächliche Lage des Falles im Laufe eines Gerichtsverfahrens derart ändern, dass es klüger wäre, sich keine abschließende Entscheidung abzuholen.
Worauf ziele ich konkret ab? Der Islamrat und der ZMD führen gegenwärtig einen Rechtsstreit gegen das Land NRW fort, den sie 1998 gemeinsam begonnen haben, zwischenzeitlich ruhen ließen und nun doch zum Ende führen wollen. Das OVG Münster wird morgen aller Wahrscheinlichkeit nach abschließend über die Klage der beiden muslimischen Verbände entscheiden. Vereinfacht dargestellt geht es um die Frage, ob die beiden Kläger Religionsgemeinschaften im Sinne unseres Grundgesetzes sind und damit den Islamischen Religionsunterricht an öffentlichen Schulen nach ihren Vorstellungen gestalten dürfen.
In vergangenen Verlautbarungen der Verbandsvertreter wurde deutlich, dass sie darüber verärgert zu sein scheinen, dass das religionssoziologische Gutachten, das die NRW-Staatskanzlei in Auftrag gegeben hat und welches ihr vermutlich bereits in einer ersten Fassung vorliegt, nicht gegenüber den muslimischen Verbänden offengelegt worden ist. Nun wollen die Kläger also durch die Fortsetzung des Gerichtsverfahrens sich eben durch die Judikative bestätigen lassen, dass sie Religionsgemeinschaften sind. Sie hoffen auf einen „Meilenstein“. Nur: An Meilensteinen kann man sich auch den Kopf stoßen.
Religionsgemeinschaft: Ja oder Nein?
Meiner Auffassung nach waren und sind die klagenden Verbände schlecht beraten, diesem trotzigen Impuls folgend nun eine gerichtliche Entscheidung zu erzwingen, die sie inhaltlich nicht vorhersehen können.
Gerade die beiden klagenden Verbände Islamrat und ZMD sind ihrem verbandlichen Charakter nach eher als Dachverbände von Dachverbänden organisiert. Ihre Struktur weist kaum ein durchgehendes organisatorisches Band bis in die praktizierende Basis auf. Sie agieren faktisch eher als politische Interessenvertreter, als dass sie die religiösen Wahrheiten ihrer Mitglieder generieren oder tradieren.
Eine Umsetzung der religiösen Ausbildung und Wissensvermittlung von oben nach unten in die muslimische Basis findet bei den beiden Klägern nicht mit einer qualitativen und quantitativen Substanz statt, wie sie charakteristisch für Gemeinschaften wäre, die sich der umfassenden Erfüllung der sich aus dem Glaubensbekenntnis ergebenden religiösen Aufgaben verpflichtet sehen. Das religiöse Leben der Mitglieder an der Basis wird bei keinem der beiden Kläger tatsächlich von Gremien der oberen Verbandsebene gestaltet oder durch letztverbindliche Autorität direktiv geleitet.
Somit wären die für die Begründetheit der Klage entscheidenden Fragen durchaus kritisch zu bewerten und das prozessuale Risiko einer Niederlage auch der Sache nach nicht unerheblich.
Zu vermuten ist jedoch, dass das OVG Münster gar nicht erst in die Prüfung der Begründetheit der Klage und damit der Eigenschaft der Kläger als Religionsgemeinschaften einsteigen wird. Ich wage die anwaltliche Prognose, dass das OVG Münster bereits bei der Zulässigkeitsprüfung der Klage aus dem Fall aussteigt.
Religionsgemeinschaft? Vielleicht auch egal…
Das Grundgesetz sieht vor, dass der Religionsunterricht an öffentlichen Schulen in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt wird. Ein konkretes Organisationsmodell für diese Zusammenarbeit zwischen dem Staat als Aufsichtsbehörde über den Schulunterricht und den Religionsgemeinschaften als inhaltliche Instanz über Lehrfragen und -personal schreibt das Grundgesetz nicht vor.
Beide Kläger haben in dem aktuell fortgesetzten Beiratsmodell einem Weg der Zusammenarbeit faktisch zugestimmt, mit dem sie sicherstellen, dass der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit ihren Grundsätzen erteilt wird. Damit ist der Vorgabe des Grundgesetzes Genüge getan.
Die Kläger haben also den von ihnen angestrebten Erfolg – den Religionsunterricht in Übereinstimmung mit ihren Grundsätzen erteilen zu lassen – bereits auf einem schnelleren, einfacheren und billigeren Weg erreicht, als über die gerichtliche Klage.
Worin soll also die Beschwer der Kläger liegen? In der Mitgliedschaft behördlicher Vertreter im Beirat des Religionsunterrichts? Die Kläger hatten seit der Rechtshängigkeit der Klage, also seit 19 Jahren, Vorkehrungen treffen können, den Beirat in eigenen verbandsinternen Gremien zu organisieren und fachlich wie personell sicherstellen können, dass die Anforderungen an einen Beirat für den Islamischen Religionsunterricht ohne Hilfe und Unterstützung ministerieller Fachleute aus eigenen Mitteln und Anstrengungen der Verbände erfüllt werden.
Da es zwischen den Klägern und den anderen großen muslimischen Verbänden in NRW keine konfessionellen Unterschiede gibt, wäre es diesen Gemeinschaften zumindest zeitlich möglich gewesen, eigene Expertise und Fachkompetenz verbandsübergreifend und kooperativ, also einheitlich, aufzubauen und den Religionsunterricht gemeinsam zu verantworten.
Eine solche Entwicklung hat es nicht gegeben. Die Kläger haben sich vielmehr dafür entschieden, den Beirat in Kooperation auch mit staatlichen Vertretern zu gestalten. Sie haben sich in all den 19 Jahren nicht mittels Feststellungsklagen gegen die Teilnahme einzelner behördlicher Beiratsvertreter gewehrt und nicht darauf insistiert, dass auch die staatliche Seite behördenferne, unabhängige Beiratsmitglieder nominiert.
Fehlt es wie oben dargelegt also an einem Rechtsschutzbedürfnis der Kläger, wäre die Klage bereits als unzulässig zurückzuweisen. Dies scheint mir das wahrscheinlichste Ergebnis des morgigen Verhandlungstermins zu sein.
Zementierung des Beiratsmodells: Spielentscheidendes Eigentor?
Damit würde das Beiratsmodell auch für die Zukunft und über das Jahr seiner Befristung in NRW, 2019, hinaus als grundsätzlich anzustrebendes Kooperationsmodell für den Islamischen Religionsunterricht zementiert. Nur die Besetzung der Beiratsmitglieder im Einzelfall wäre noch Gegenstand auch juristischer Diskussionen.
Mit einer solchen Entscheidung hätten die Kläger die Bedeutung der bereits eingeholten oder vorliegenden aber noch nicht veröffentlichten Gutachten der NRW-Staatskanzlei zu der Frage, ob die muslimischen Verbände Religionsgemeinschaften im Sinne des Grundgesetzes sind, durch eigene Hand entwertet.
Das Schulministerium könnte sich relativ entspannt darauf einstellen, dass das Beiratsmodell auch nach 2019 und unter Hinweis auf die Entscheidung des OVG Münster als Kooperationsmodell zur Wahrung der grundgesetzlichen Vorgaben ausreicht. Die Frage der Übergabe der inhaltlichen und personellen Verantwortung für den Religionsunterricht an die Verbände wäre für lange Zeit, um nicht zu sagen endgültig vom Tisch. Und damit auch die Frage, ob Statusfragen im Sinne der Eigenschaft als Religionsgemeinschaft oder gar als Körperschaft des öffentlichen Rechts für die konkrete Zusammenarbeit überhaupt noch relevant sind.
Es würde sich sogar die Frage stellen, ob die Zusammensetzung der Beiräte auf die großen muslimischen Religionsgemeinschaften beschränkt bleiben muss oder sich nicht auch für kleinere Akteure öffnen kann.
Die Kläger haben sich also durch eigenes Tun in eine rechtlich wie faktisch schwierigere Situation manövriert, als wenn sie die Konsultationen mit der NRW-Staatskanzlei unter dem Eindruck der Befristung des Beiratsmodells bis 2019 ohne die angestrebte gerichtliche Entscheidung fortgesetzt hätten. Dazu war man offensichtlich nicht bereit. Warum nicht, bleibt das Geheimnis der Kläger. Jedenfalls muss man ihnen einen großen Mut zum Eigentor zugestehen.
Bleibt nun also abzuwarten, wie das OVG Münster morgen konkret entscheidet und welche Diskussionen dadurch angestoßen werden.
Kann alles auch anders kommen? Wie sagen Rechtsanwälte vor Gerichtsterminen häufig zu Mandanten, wenn diese unvernünftige Risiken eingehen: „Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand“.