Dimensionen des Respekts

Ich finde, Mesut Özil hätte besser geschwiegen. Seine nun veröffentlichte Erklärung zu den Fotos mit dem türkischen Staatspräsidenten wirft mehr Fragen auf, als sie beantwortet:

Sprache als Mittel der Distanz

Eine englischsprachige Erklärung wirkt wie ein weiterer Bruch mit der deutschen Öffentlichkeit. Was professionell wirken soll und mit Blick auf seinen aktuellen Arbeitgeber nachvollziehbar erscheint, ist für mein Empfinden nur das Ergebnis einer falschen Beratung.

Sein Verhalten hat seine Beziehung zur deutschen Öffentlichkeit belastet. Sie hatte eine emotionale Dimension. In diese hinein, hätte er sich unmittelbar und direkter wenden sollen. So blendet er erneut die emotionalen Aspekte dieser Diskussion aus und rationalisiert seine Beziehung zu Deutschland – gleichzeitig verschiebt er aber seine Beziehung zur Türkei ausdrücklich ins Emotionale. Er verschenkt damit eine Gelegenheit.

Bequeme Abstraktion

Die Untrennbarkeit zwischen Amt und Amtsinhaber/Amtsführung mag für Politiker handlungsbestimmend sein. Sie müssen einen bilateralen Dialog führen – auch wenn sie mit der Amtsführung ihrer Kollegen nicht einverstanden sind. Eine solche Verpflichtung haben Sportler nicht. Sie wählen selbst aus, welche Signale sie setzen wollen.

Sie sollten dabei mit ihrer Vorbildfunktion auf unzählige Jugendliche sensibler umgehen und auch beachten, dass ihr Verhalten eine Außenwirkung hat, die von ihrer ursprünglichen Intention abweichen kann. Ob er sich mit dieser Dimension seines Verhaltens auseinandergesetzt hat, wird auch nach dieser Erklärung nicht deutlich.

Gefährliches Monopol auf Respekt

Ich teile Mesut Özils kulturelles, traditionelles und historisches türkisches Erbe. Auch für mich ist es wichtig, nicht zu vergessen, woher ich komme. Und auch mir ist es wichtig, diesem türkischen Erbe Respekt zu erweisen. Es ist ein Erbe, das mich daran erinnert, dass unsere gemeinsamen Vorfahren, von denen Mesut Özil spricht, dafür gekämpft haben, als freie Bürger einer demokratischen Republik leben zu können – und nicht länger als Untertanen eines Alleinherrschers. Auch für dieses Erbe steht das Amt des Staatspräsidenten der Republik Türkei.

Deshalb gehört zu dieser Diskussion eben auch die Frage, ob man diesem Erbe und diesen Vorfahren nicht auch dann und vielleicht nicht auch größeren Respekt erweist, wenn man als Sportler ein Treffen mit dem aktuellen Amtsinhaber ablehnt.

Ich glaube, dass Mesut Özil vor allem anderen ein besonders guter Fußballer ist. Intensive Diskussionen über Themen außerhalb des Fußballs lassen sich mit anderen vielleicht besser führen. Mit seiner Erklärung aber begibt sich Mesut Özil nun ausdrücklich in diese Diskussion und stellt dabei zumindest implizit die Behauptung auf, dass nur sein Verhalten die angemessene Form der Respektbekundung sei.

Angesichts seiner Reichweite und der Erosion, dem unser gesellschaftliches Demokratieverständnis gegenwärtig ausgesetzt ist, müssen wir seiner Stellungnahme widersprechen dürfen. Seine Erklärung markiert nicht das Ende, sondern den Beginn einer Diskussion.