Vorbemerkung: Seit drei Monaten ist es still auf diesem Blog. Das hat Gründe. Allen interessierten Leserinnen und Lesern schulde ich eine Erklärung für diese Stille. Dafür brauche ich noch ein wenig Zeit. Für den Moment nur so viel: Ditib und ich gehen seit Anfang des Jahres getrennte Wege. Ich werde bald ausführlicher dazu Stellung nehmen.
Die Islam-Debatte der letzten Tage hat mich nicht in Ruhe gelassen. Deshalb nun – vor einer Erklärung in eigener Sache – der folgende Text:
Als Muslim
„Der Islam gehört nicht zu Deutschland!“ und die muslimische Gemeinschaft rotiert, als ob ein gesellschaftliches Tabu gebrochen worden wäre. Und so, als ob seit 8 Jahren dieser Satz nicht unendliche Male zitiert, beklatscht, verflucht, gelobt oder bestritten wurde. Reflexartig folgen ebenso apodiktische und ebenso oberflächliche Bekundungen, dass ja genau das Gegenteil der Fall sei.
Ich erhalte sogar von unterschiedlichen Absendern Aufrufe zur Teilnahme an Online-Umfragen. So als ob das Ergebnis einer Social Media-Abstimmung die Frage endgültig zu klären vermag. Es folgen Darlegungen historischer, theologischer oder kulturgeschichtlicher Verflechtungen, aus denen die Dazugehörigkeit des Islam, die Prägung europäischer Geschichte durch den Islam bewiesen werden soll. So, als ob der Seehofersche Satz nur Ausdruck einer unzureichenden faktischen Kenntnislage sei.
Wie naiv ist die Vorstellung, ein solcher Satz sei durch sachliche Information zu widerlegen und sein Urheber vom Gegenteil seiner Äußerung zu überzeugen?
Niemand macht sich die Mühe, die unbestimmten Begriffe dieses Satzes auf ihre kommunikative Signalwirkung hin zu beleuchten.
Der Islam. Was ist das? Eben noch hört man die Laienprediger und akademischen Stimmen des Islam noch im Gleichklang verkünden, so etwas wie „DEN“ Islam gebe es gar nicht. Dazu sei die lebendige Auslegung des Islam durch die Praxis der Muslime viel zu heterogen. Nur um von den gleichen Experten jetzt als Gegenrede auf Seehofer wie selbstverständlich erklärt zu bekommen, „DER“ Islam gehöre natürlich zu Deutschland. Erstaunlich, wie leicht man selbst in solch seichten Gewässern intellektuell ertrinken kann.
Wenn „DER“ Islam wie auf dem CSU-Plakat durch eine Burka versinnbildlicht wird, erstaunt es doch, warum nur 76 % der Befragten befinden, der Islam gehöre nicht zu Deutschland. Unter Muslimen hätte eine solche Umfrage, in der die entscheidende Frage durch eine Burka veranschaulicht wird, wohl zu 99,99 % ergeben, dass „DIESER“ Islam nicht zu Deutschland gehört.
Und was soll „gehört zu“ bedeuten? Ist nach bloßer Duldung gefragt? Nach einer historischen Verwurzelung? Nach traditioneller Prägekraft? Nach sozialem und politischem Einfluss? Nach grundrechtlicher Freiheit? Nach gesellschaftlicher Normalität? Warum beruhigt die Formulierung „ist selbstverständlich ein Teil von Deutschland“, wo doch „gehört nicht zu“ solche Aufregung verursacht? Warum reicht es – ganz spröde –, ein Teil geworden zu sein? Warum soll das so viel besser sein, als nicht dazu zu gehören?
Ich kann Horst Seehofer seinen Satz nicht verübeln. Er spricht aus, was seine persönliche Erfahrung ist. Der Islam ist ihm fremd. Nach all den Jahren muslimischer Präsenz in Deutschland kann er den islamischen Glauben seiner Mitbürger unverändert nur als etwas Fremdes wahrnehmen. Deshalb schiebt er auch nach, dass „Muslime mit uns und nicht neben uns oder gegen uns leben müssen“.
Er ist im äußersten, besten Fall nur in der Lage, sich vorzustellen, dass Muslime „mit uns“ zusammen leben. Der Fall, dass Muslime zu diesem „Uns“, zu diesem „Wir“ gehören, dass sie dieses gemeinsame „Wir“ mitverkörpern, ist für ihn schlichtweg unvorstellbar. Denn er hat nie erlebt, dass Muslime dieses „Wir“ für sich reklamieren. Er erlebt im politischen Dialog bis zum heutigen Tag immer nur, dass sich Muslime selbst immer wieder nur als das „Fremde“, als das „Andere“ verorten.
Der KRM veröffentlicht nach diversen Brandanschlägen auf Moscheen eine Erklärung, in der von „türkischstämmigen Moscheen“ und „türkischen Einrichtungen“ die Rede ist. Wenige Tage später greift die mediale Berichterstattung genau diese Terminologie auf. Plötzlich ist die Empörung auf muslimischer Seite groß. Wer von „türkischen Einrichtungen“ spreche, befördere ausgrenzende Narrative. Die kollektive kognitive Dissonanz, die Widersprüchlichkeit des eigenen Verhaltens fällt niemandem mehr auf. Das ist verständlich. Denn sie entspringt keinem bösen Willen. Sie ist das Ergebnis einer kollektiven Selbstverortung der muslimischen Verbände in einer religiös-ethnischen Enklave, die es gegenüber der deutschen Fremde zu bewahren und zu behüten gilt. Das ist eine selbstgewählte Isolation, begleitet vom Beifall identitärer Strömungen, die vom Rand immer weiter in die Mitte der muslimischen Gemeinschaften drängen.
Es gibt kein Gefühl der originären, deutschen Selbstverortung. Dieses Land ist den muslimischen Verbänden so fremd geblieben, wie sie als Muslime Horst Seehofer unverändert fremd erscheinen. Horst Seehofer trifft in seiner beruflichen Praxis immer nur auf Muslime, die bis heute nicht akzentfrei Deutsch sprechen, die ihren Lebensabend immer noch in einer ausländischen Heimat planen oder die wenn nicht persönlich, dann doch stellvertretend für ihre Mitglieder davon überzeugt sind, dass das Muslimsein authentisch eigentlich nur von Türken oder Arabern gelebt werden kann.
Er trifft auf Muslime, die selbst als religiöse Gemeindevertreter davon überzeugt sind, sich eher für die politischen Interessen ihrer ausländischen Heimat stark machen zu müssen, als sich für ein gedeihliches Zusammenleben in Deutschland zu engagieren. Wer sich so im Fremdsein einrichtet und sich damit auch noch wohl fühlt, darf sich nicht entrüsten, wenn ein Horst Seehofer ihn nur als etwas „Fremdes“ wahrnimmt, mit dem er globale Krisen, Katastrophen und Exzesse verbindet aber nicht einen deutschen Mitbürger.
„Der Islam“ ist dann Frauenverstümmelung, Burka, Zwangsehe, Enthauptung, Terroranschlag, Christenverfolgung aber ganz bestimmt nicht etwas, was als gesellschaftliche Selbstverständlichkeit empfunden wird.
Und die muslimischen Verbände sind weiterhin nicht in der Lage, diesen Assoziationsmechanismen etwas entgegen zu setzen. Schon gar nicht gelingt es ihnen, diese Wahrnehmungsmuster umzukehren.
Da brennt eine Moschee in Berlin. Und der Dachverband dieser Moschee ruft zur Solidarität mit der Gemeinde auf. Der Aufruf läuft unter dem Motto „Nimm deinen Gebetsteppich und sei auch du dabei!“. Niemandem fällt auf, dass das wieder nur ein Aufruf zur Binnensolidarität ist, dass man wieder nur ein Selbstgespräch mit den eigenen Mitgliedern führt. Das Motto adressiert nicht die nichtmuslimische Gesellschaft, nicht den nichtmuslimischen Nachbarn, der sich vielleicht auch solidarisch mit der Gemeinde zeigen will. Ein solcher Nachbar hat aber keinen Gebetsteppich, mit dem er am Freitagsgebet teilnehmen kann.
Es wird wieder nur das Gefühl erzeugt, dass Muslime die eigenen Reihen schließen müssen, sich gegenseitig unterstützen müssen – umgeben von einer Gesellschaft, die im Augenblick der Krise nicht die eigene ist. Verstärkt wird diese Signalwirkung nach außen durch einen AKP-Abgeordneten, der in erster Reihe an dem Solidaritäts-Freitagsgebet teilnimmt. Das Signal: Ausländischer Beistand für eine ausländische Einrichtung.
Es fehlt allen Beteiligten das Fingerspitzengefühl, das Gespür dafür, dass eine solche Aktion auch wieder nur das Bild vermittelt, dass Fremde unter sich bleiben wollen. Jeder nichtmuslimische Beitrag bleibt bei einem solchen Veranstaltungsrahmen bloß Randnotiz, verpufft ohne Wirkung in die Gesellschaft hinein.
Es sind dann aber die gleichen Veranstalter bzw. die Repräsentanten ihrer Dachverbände, die fortgesetzt beklagen, es fehle der notwendige gesellschaftliche Aufschrei angesichts der Tatsache, dass Moscheen in Deutschland brennen. Ein solcher Aufschrei ist aber nur dann wahrscheinlich, wenn diese Moscheen als „eigene Moscheen“ auch der nichtmuslimischen Mitbürger wahrgenommen werden. Aktionen, Initiativen, praktische Schritte, die geeignet wären, eine solche Empfindung, eine solche Wahrnehmung zu befördern, fehlen jedoch gänzlich.
Stattdessen führen die gleichen Dachverbände Bildungsveranstaltungen für ihre Jugendlichen durch, anlässlich derer die Welt in ein muslimisches „Innen“ und ein nichtmuslimisches „Außen“ getrennt wird. Engagement, Einsatz, Mühe gilt es demnach in der muslimischen Innenwelt zu entfalten. Die Außenwelt ist in einem solchen Weltbild nur eine Sphäre des „Fremden“. Risikobehaftet und bedrohlich. Man kann Dialoge führen, miteinander reden, durch Moscheeräume führen, dabei immer freundlich lächeln und höflich sein. Aber geprägt von einer solchen Führungsmentalität bleibt es letztendlich die fremde Außenwelt, die nie zur eigenen Heimat werden kann und auch nicht werden soll und die man bis zum nächsten Tag der offenen Moschee tunlichst auf Abstand hält.
Wer in dieser Art und Weise in Kategorien des muslimischen „Wir“ und des nichtmuslimischen „Anderen“ denkt und handelt, darf sich nicht darüber entrüsten, dass ein Innenminister nicht in der Lage ist, sich als „sein“ Innenminister zu begreifen und letztlich umgekehrt auch in den gleichen Kategorien denkt.
Diese Analyse soll aber nicht als Pauschalvorwurf an muslimische Dachverbände verstanden werden. Auch akademischen Stimmen fällt es nicht leicht, sich von dieser Mentalität gänzlich zu befreien. Mouhanad Khorchide hat jüngst in der Rheinischen Post zu den Implikationen des Seehoferschen Postulats Stellung genommen. Auch in seiner Betrachtung ist stets von einer Reibung zwischen Parteien die Rede, die sich fremd sind, die in ihrem gesellschaftlichen Gegenüber jeweils den „Anderen“ erblicken. Er versucht diesen Konflikt dadurch aufzulösen, indem er an alle Beteiligten appelliert, die Gemeinsamkeiten im jeweils anderen zu erblicken. Er versucht, durch die Wahrnehmung von Kongruenz und die Entdeckung von Vertrautem im jeweils „Anderen“, eine Annäherung und ein gelingendes Zusammenleben zu beschwören.
Bei allem Respekt und bei aller Wertschätzung für die positiven Motive eines solchen Appells: Letztlich ist diese Perspektive auch nur eine durch die Erfahrungen einer Flüchtlingsbiographie geprägte Wahrnehmung der gesellschaftlichen Zustände. Sie argumentiert immer noch aus der Position des Fremden. Sie ist Ausdruck eines Verständnisses von Integration, von Transformation des Fremden. Sie festigt damit – beabsichtigt oder unbewusst – die Annahme, das Muslimsein sei ein Antagonismus zu einem deutschen „Wir“. Damit ist dies aber letztlich auch nur der Versuch, Fremdheit soweit von Ängsten zu befreien, dass ein Zusammenleben „mit uns und nicht neben oder gegen uns“ möglich wird. Das ist dann aber nichts anderes als Seehofer – nur aus der muslimischen Richtung. Damit will ich mich nicht abfinden.
Als Deutscher
Und insbesondere als deutscher Jurist: „Der Islam gehört nicht zu Deutschland!“ aus dem Mund von Spitzenpolitikern ist ein Satz, der offenlegt, welches gravierende Problem wir in unserem Land haben. Das Freiheitsversprechen und das Gleichheitsversprechen, die uns in Gestalt unseres Grundgesetzes vorliegen, sind zunächst nur ein Ideal, das auf Papier geschrieben ist. Wir tragen alle gemeinsam dafür Verantwortung, dass dieses Ideal gelebte Praxis wird. Eine wichtige Voraussetzung hierfür ist die Pflicht des Staates und seiner Repräsentanten zu religiöser und weltanschaulicher Neutralität.
Diese Neutralitätspflicht kommt einem Identifikationsverbot gleich. Der Staat kann in seinem Freiheits- und Gleichheitsversprechen nur dann glaubwürdig sein, wenn er sich selbst verbietet, sich mit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung zu identifizieren, sie damit gleichsam qualitativ zu würdigen. Noch einfacher ausgedrückt: Dem Staat ist es verboten, zu formulieren, welche Religion oder Weltanschauung er für gut und damit für besser als andere Religionen und Weltanschauungen hält.
Die Nichtbeachtung, ja der Bruch dieses Verbots hat uns vor 80 Jahren in die Katastrophe geführt. Jede noch so intensive christliche Prägung unseres Landes hat uns davor nicht bewahren können.
Ganz im Gegenteil, auch die kirchlichen Institutionen haben in dieser Zeit versagt. Einzelne christliche Märtyrer, wie jene aus meiner Heimatstadt Lübeck, erinnern an den einsamen Widerstand jener, die davon überzeugt waren, dass religiöse Normen über denen des Nationalsozialismus stehen sollten. Diese Haltung, die sie auch in ihren Predigten offen zum Ausdruck brachten, bezahlten die katholischen Geistlichen Johannes Prassek, Eduard Müller und Hermann Lange sowie der evangelische Geistliche Karl Friedrich Stellbrink mit ihrem Leben. Sie wurden wegen „landesverräterischer Feindbegünstigung“ und „Zersetzung der Wehrkraft“ zum Tode verurteilt und im November 1943 in Hamburg durch Enthauptung mit der Guillotine hingerichtet.
Es sind auch diese Erfahrungen, die unserer Verfassung prägen. Der in ihr enthaltene Gottesbezug verweist darauf, dass keine weltliche Macht absolut ist und sich jede weltliche Macht vor einer höheren Instanz zu verantworten hat – ohne dass unsere Verfassung konfessionell benennt, um welche es sich konkret handelt. Deshalb muss im Lichte dieses Verfassungsverständnisses jede Religion und jede Weltanschauung als ein solches Korrektiv begriffen werden. Und gerade das dem Staat auferlegte Verbot einer Hierarchisierung, einer Bevorzugung oder Zurückweisung von Religionen und Weltanschauungen eint seine Bürger im Einsatz für ein solidarisches Gemeinwesen.
In diesem Sinne sind dem, woran die Bürger unseres Landes glauben, keine Grenzen gesetzt. In diesem Sinne steht jeder Glaube und jede Glaubensschrift über dem Grundgesetz.
Wir müssen, ja wir dürfen das Grundgesetz nicht zu einer quasisakralen Schrift erheben, um einen Geltungsanspruch zu formulieren. Wie oben dargelegt, entzieht sich das Grundgesetz ganz ausdrücklich einem solchen absoluten Anspruch und überlässt den Religionen und Weltanschauungen die Sphäre des Ideellen. Ganz entschieden aber reklamiert unsere Rechtsordnung den Bereich des praktischen Handelns für sich. Glauben kann jeder und jede, was er oder sie will. Das konkrete Handeln unterliegt aber den Gesetzen, die für alle in gleicher Weise gelten. Gerade weil der Staat im Bereich der Religionen und Weltanschauungen keine Prioritäten setzen darf, muss er unter Beachtung der Grundrechte religiös und weltanschaulich neutral Gesetze formulieren, an die sich alle zu halten haben.
Das ist kein abstraktes Problem. Genau daran scheiterten zum Beispiel die Schulgesetze Nordrhein-Westfalens und Baden-Württembergs. Sie bevorzugten die eine Religion vor der anderen und sind deshalb im Hinblick auf die relevanten Passagen für verfassungswidrig und damit nichtig befunden worden. Sie trennten ihre Bürger nach deren Glaubenszugehörigkeit und sanktionierten die einen und privilegierten die anderen – allein aufgrund ihres Glaubens.
Sobald Politiker und insbesondere Amtsträger anfangen, Religionen zu bewerten, ihren Platz innerhalb unseres Gemeinwesens zu bestreiten oder die Prägekraft der einen Religion gegenüber der anderen qualitativ abzuwägen, wecken sie den Verdacht, dass sie ihre legislativen Kompetenzen oder ihre exekutiven Aufgaben nicht im Einklang mit dem Freiheits- und Gleichheitsversprechen unseres Grundgesetzes erfüllen. Ein solches Verhalten befördert die Vorstellung von einer nach religiösen Kriterien sortierten Kastengesellschaft. In einer solchen Gesellschaft würde nicht mehr der Vorrang des Rechts herrschen, sondern die faktische Macht der Mehrheit.
Genau hier liegt der Ursprung jeder „bürgerlichen Besorgnis“ und auch der Sorge des Bundesinnenministers um den Erhalt von christlichen Feiertagen, Traditionen und Bräuchen. Hier beginnt die Wahnvorstellung von der angeblichen Islamisierung unseres Landes: Dass sich nämlich die Mehrheitsverhältnisse in unserem Land ändern könnten und damit die Verteilung von Ressourcen, politischer Entscheidungskompetenz und der Geltungsanspruch der Religion im öffentlichen Raum.
Eine solche Angst entlarvt aber nur, dass sich unsere gegenwärtigen Verhältnisse immer noch viel zu oft nicht nach dem Recht und dem Freiheits- und Gleichheitsversprechen des Grundgesetzes für alle seine Bürger ordnen, sondern dass wir faktisch die Dominanz der Mehrheit über die Minderheit nicht nur dort pflegen, wo sie hingehört, nämlich in den Mechanismen der demokratischen Willensbildungsprozesse, sondern auch dort zu dulden bereit sind, wo sie nichts zu suchen hat, nämlich im Bereich der in unserer Verfassung normierten bürgerlichen Grundrechte.
Das ist der Grund, warum wir immer noch um gleiche Rechte und gleiche Freiheiten für muslimische Frauen im Berufsleben kämpfen, warum wir immer noch über verfassungswidrige Neutralitätsgesetze streiten, von denen jeder weiß, dass sie nur der Ausgrenzung einer bestimmten Gruppe dienen und warum wir uns immer noch nicht daran stören, dass Urteile des Bundesverfassungsgerichts zum Beispiel in Bayern faktisch nicht umgesetzt werden.
Das ist der Grund, warum wir uns in einen Diskurs hineingesteigert haben, in dem sich niemand daran stört, dass immer häufiger dem Islam die Eigenschaft, eine Religion zu sein, abgesprochen wird. Und das ist auch der Grund, warum wir nicht gesellschaftlich bestürzt darüber sind, dass Moscheen brennen. Über all das sollten wir uns Sorgen machen.
Als deutscher Muslim
Die Integrationsdebatte ist vorbei. Für mich. Sie mag geführt werden und muss geführt werden mit denen, die neu in unser Land einwandern. Ich kann mich gern an dieser Debatte beteiligen, sie mit meiner Erfahrung unterstützen. Aber sie ist nicht mehr meine Debatte. Ich weigere mich, weiterhin Adressat dieser Debatte zu sein, nur weil ich Muslim bin. Es ist mir egal, ob jemand meine Religion als dazugehörig empfindet oder nicht. Ich kann nichts dafür, wenn jemand das Grundgesetz nicht versteht.
Es geht mir nicht mehr darum, zum Team zu gehören, die Spielregeln zu lernen, mir einen Platz in der Startelf zu erstreiten. Mir gehört der Rasen. Ach was, mir gehört das Stadion, der ganze Verein!
Ich mache mir keine Gedanken mehr darüber, ob ich oder meine Religion dazugehören. Das ganze Land gehört mir!
Frei nach Tucholsky: Jeder Baum, jeder Wald, jede Lichtung, jeder Fluss, jeder Berg, jede Stadt, jede Moschee, jede Kirche, jede Synagoge, jeder Tempel gehört mir! Alles ist meins, alles ist mein Land!
Und Ja, ich liebe dieses Land. Ich liebe die See, ich liebe den Rhein. Ich liebe das knorrige „Moin“ meiner nordischen Heimat. Ich liebe „Unsere Stammbaum“: Su simmer all he hinjekumme…
Und weil ich es liebe, habe ich auch das Recht, dieses Land zu hassen. Für „Ganz unten“, für die Anschläge in Mölln und Solingen, für den NSU, für geschredderte Akten, für seine Nazis mit Springerstiefeln und für seine Nazis mit Abgeordnetenmandat oder Bestseller im Buchhandel.
Es reicht mir, dass pauschal immer noch darüber diskutiert wird, wie Muslime sich anpassen können. Ich muss mich nicht anpassen. Ich bin in diesem Land geboren und aufgewachsen. Das, was ich bin, der, der ich bin, hat dieses Land aus mir gemacht. Dieses Land hat mich geformt.
Ich brauche keine Leitkultur. Ich habe doppelt so viel Kultur, wie all jene, die mir erklären wollen, was besser an der hiesigen Kultur sein soll, die aber nie eine andere als diese eine Kultur erlebt haben. Erlebt – im buchstäblichen Sinn!
Ich spreche und schreibe besser Deutsch, als die „Mehrzahl der nationalen Esel“, die von sich meinen, dieses Land sei auf ihren Namen „grundbuchlich eingetragen“. „Mit dem gleichen Recht, mit genau demselben Recht nehmen wir“, wir deutsche Muslime dieses Land in Beschlag: es ist unser Land. Egal, wie wir beten und an was wir glauben.
„Man hat uns zu berücksichtigen, wenn man von Deutschland spricht… man hat uns mitzudenken, wenn „Deutschland“ gedacht wird.“
Unsere Existenz, unsere Präsenz ist der historische Eignungstest, ob es Deutschland nach zwei Weltkriegen mit seinem Grundgesetz wirklich ernst meint. Und wir deutschen Muslime haben nicht vor, diese Prüfung jenen zu überlassen, die mit ihrer Gesinnung dieses Land zuvor schon mit gezücktem Schwert und wehenden Fahnen in den Abgrund geführt haben.
Welche Erleichterung, welches Glück für Deutschland, dass wir immer mehr werden. Wir, die deutschen Muslime.