Im ersten von drei Teilen dieses Blogartikels wurde mit der Analyse des aktuellen Gastbeitrages Susanne Schröters in der FAZ begonnen. Nach der Beschreibung der Ausgangslage, der Bühnengestaltung des „islamkritischen Diskurses“, folgt nun im zweiten Teil die inhaltliche Betrachtung der darin getroffenen Aussagen.
Wortreich führt Schröter in ihrem Gastbeitrag aus, wie viele Beamte des türkischen Staates wo überall bei der DITIB welche Funktionen bekleiden. Damit will sie darlegen, wie abhängig die DITIB doch von der türkischen Politik sei. Das ist das bekannte Narrativ des verlängerten Ohrläppchens, also der Heteronomie.
Was sie verschweigt, vielleicht nicht einmal weiß, ist die Tatsache, dass alle diese Beamten Theologen und eben wegen dieser theologischen Kompetenz in die Gremien der DITIB eingebunden sind. Als Religionsgemeinschaft braucht man nun mal Theologen. Das ist eine sehr schlichte Feststellung, deren geistige Durchdringung aber offenkundig nicht jeder und jedem gelingt. Und das ist jetzt nicht – in gewohnter Weise – polemisch gemeint, sondern ein Fingerzeig auf die Probleme der Etablierung der islamischen Theologie in der akademischen Landschaft in Deutschland.
Denn dieser Prozess begann mit dem Grundproblem, dass die universitäre Ausbildung von Theologen in Angriff genommen wurde, obwohl nicht genug Theologen als Ausbilder zur Verfügung standen. So sind überall in der islamischen Theologie in Deutschland Islamwissenschaftler, Religionspädagogen oder Religionssoziologen unterwegs, die sich um die Ausbildung von angehenden Theologen bemühen. Das muss nicht grundsätzlich in jedem Fall schlecht sein, aber auf die Problematik einer solchen Konstellation hinzuweisen und sich der daraus ergebenden Folgeprobleme gewahr zu werden, muss in einer offenen Debatte legitim sein. Und dabei sind die Ethnologen, die sich in universitären Forschungszentren Gedanken darüber machen, wieviel Sprengkraft in einem islamischen Lebensstil wohl liegen mag, noch gar nicht mitgezählt.
Es geht um Vertrauen, nicht um „Barmherzigkeit“
Ein Blick in die Aktivitäten der universitären Standorte zeigt dann auch, wie schwierig es ist, theologische Grundlagenarbeit zu entwickeln und wie sehr die Versuchung lockt, sich stattdessen auf religionspraktische, gemeindliche Fragen zu verlegen oder populärwissenschaftlich zu publizieren, bevor sich überhaupt eine Forschungstradition etabliert hat. Wenn aber das Vorhaben der universitären islamischen Theologie wirklich gelingen soll, müssen wir realisieren, dass die universitären Standorte eben nicht die besseren islamischen Religionsgemeinschaften sein können und rechtlich auch nicht sein dürfen.
Hier muss es ein vernünftiges – notfalls auch im Streit fortentwickeltes – Miteinander der Universitäten mit den islamischen Religionsgemeinschaften geben. Grundvoraussetzung hierfür ist dann aber, dass sich beide Seiten in ihrer Rolle ernst nehmen und die Existenzberechtigung und die wertvolle Bedeutung des jeweils anderen für das islamische Leben in Deutschland nicht in Frage stellen. Bei dieser Grundvoraussetzung geht es um Redlichkeit, Aufrichtigkeit, Vertrauen und Respekt. Und überhaupt nicht um „Barmherzigkeit“.
Also, woher soll die DITIB ihre qualifizierten Theologen für ihre Gremien, religiösen Beiräte und Aufsichtsräte nehmen, wenn nicht von der Diyanet, die nun mal als staatliches Präsidium organisiert ist? Dieser Umstand ist eine faktische Gegebenheit, an der keine Entscheidung vorbeiführt. Die DITIB hat den Anspruch, dass über theologische Fragen auch Theologen entscheiden, die ihre Glaubenstradition kennen und zu pflegen bereit sind und die in ihren Gemeinden Vertrauen genießen. Für die DITIB geht es nicht darunter. Und ein anderes Angebot, das genau diese Nachfrage und diese Notwendigkeit abzudecken in der Lage ist, existiert schlicht und ergreifend nicht.
Soll die DITIB stattdessen deutsche Hochschulbeamte ohne theologischen Abschluss in diesen Gremien einsetzen? Wäre sie dann nicht vom deutschen Staat und der deutschen Politik abhängig? Ist das überhaupt mit der staatlichen Neutralitätspflicht, die unser Grundgesetz vorschreibt, vereinbar? Viele Fragen, die im „Globalen Forschungszentrum“ wohl noch nicht tiefer Durchdrungen werden konnten, weil man sich zu sehr um die globale Konflikt-Verknüpfung islamischen Lebens zu kümmern scheint, statt sich mit der Realität vor Ort zu beschäftigen. Und von denen sich offenbar auch der öffentliche Diskurs verabschiedet hat, wenn man verfolgt, wie leidenschaftlich die islamischen Religionsgemeinschaften aus dieser Diskussion herausgedrängt werden sollen. Aber eine Antwort auf diese Fragen wird es über den Kopf der islamischen Religionsgemeinschaften hinweg nicht geben.
Und zwei Nachfragen seien nebenbei gestattet: Ist nach der Schröterschen Logik auch das geistliche Personal der beiden großen Kirchen vom deutschen Staat abhängig, weil deren Gehälter zu erheblichen Teilen aus staatlichen Leistungen aufgebracht werden? Müssten die sich dann – um eine Formulierung Schröters aus der Vergangenheit zu verwenden – für eine erkennbar „Merkel-kritische Theologie“ einsetzen?
Experten in Anführungszeichen
Zurück zum Gastbeitrag Schröters: Erst kürzlich wurde mir unterschwellig vorgeworfen, die Anführungszeichen, in die ich „islamkritische Experten“ setze, seien despektierliche Angriffe. Der Beleg, den Schröter für die behauptete politische Abhängigkeit DITIBs anbietet, ist aber ein Paradebeispiel dafür, warum man auch hier wieder nur unter Anführungszeichen von „Experten“ sprechen kann. Streng genommen dürfte die FAZ den Gastbeitrag Schröters allein aus diesem Grund nicht im Feuilleton bringen – denn eine solche Pointe darf nicht in den Kulturteil, sondern muss auf die Satireseite einer Zeitung.
Schröter zeigt nämlich folgende Linie auf: Erdogan spricht 2010 in Köln über Assimilierung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit. „In der Freitagspredigt vom 18. März 2016 wird das Thema“ von DITIB „aufgegriffen“. Nach der Logik Schröters ist die politische Abhängigkeit der DITIB von der Türkei also so wirkmächtig, dass eine Rede, die in der Lanxess Arena in Köln gehalten wird, ganze 6 Jahre braucht, um über den Rhein zu schwimmen und in einer Freitagspredigt der DITIB zu stranden.
Sie weist weiter auf den Titel der Predigt hin „Erinnerung an die geehrten Märtyrer“. Sie kombiniert ihre vermeintlich skandalöse Entdeckung mit einer ähnlichen Predigt vom 14.März 2014, und kommt zu dem Schluss, „Märtyrer spielen eine gewichtige Rolle im Weltbild von DITIB und Diyanet“. Als dritten Beleg in der Kette ihrer Beweisführung erwähnt sie einen Comic der Diyanet, in welchem „ein Vater seinem Sohn erklärt, wie schön es ist, den Märtyrertod zu erlangen“, „um auch Kinder vom großen Glück des Sterbens für Allah zu überzeugen“.
Jüngst schrieb mich der politische Sekundant dieses Expertentums, Volker Beck, über Twitter an und wies auf die exakt gleiche Predigt vom 14.März 2014 hin und fragte, eher rhetorisch wie zum Beweis seiner „islamkritischen“ Thesen, was es denn mit dieser Predigt auf sich habe. Ich wies ihn darauf hin, dass das Datum bereits ein Hinweis sei. Er ist trotz weiterer Recherche nicht auf eine schlüssige Erklärung gekommen. Und auch Schröter ist in dieser Frage offenkundig empirisch gänzlich unbefangen.
Und dieses Beispiel zeigt einmal mehr, was ich mit „gemeindefern“ meine, wenn ich die fragwürdige „Expertise“ der „Islamkritiker“ hinterfrage. Denn es hätte ein Besuch in irgendeiner DITIB-Gemeinde genügt. Jedes Gemeindemitglied hätte sofort erklären können, worauf diese Predigten hindeuten. Aber die „liberalen Vordenker“, die vorbildlichen „Reformer“, die aufgeklärten „Mustermuslime“ gehören ganz offensichtlich wie Susanne Schröter auch zu den fast 90% Bundesbürgern, die noch nie eine einheimische Moschee von innen gesehen haben. Das ist schade, aber auch nicht weiter schlimm, solange sie – anders als Schröter – nicht auf die Idee kommen, ihre Unkenntnis über islamische Religionsgemeinschaften in der Öffentlichkeit mit dem Siegel der vermeintlichen Wissenschaftlichkeit zu publizieren.
Aber den „Islamkritikern“ geht eine solche Bescheidenheit völlig ab. Sie wissen ja schon alles über den Islam, über die explosive Gefährlichkeit islamischer Lebensführung, dass sie eine – meinetwegen auch nur ethnologische Feldforschung – für überflüssig halten. Sie sind ganz auf der Linie Alice Schwarzers, die mir in einer Sendung ins Wort fiel und rhetorisch fragte „Warum soll ich den denn ausreden lassen?“. Denn wenn man schon „Experte“ ist, braucht man sich mit Muslimen gar nicht mehr zu unterhalten, man schreibt nur noch über sie – am besten in der FAZ.
Ein Glas Tee hätte gereicht
Lösen wir diesen „Skandal“ nun auf: Es ist kein bloßer Zufall, dass beide zitierten Predigten und der zitierte Comic im März öffentlich wurden. Man wird nämlich in jeder zweiten Märzhälfte eines jeden Jahres Predigten finden, die ähnliche Themen behandeln. In allen anderen 51 Predigten des restlichen Jahres bis zum nächsten März wiederum wird sich kaum eine Predigt finden, die das gleiche Thema behandelt.
Der 18.März wird jedes Jahr in den DITIB Gemeinden als „Tag der Gefallenen“ („Şehitler Günü“) begangen. Es ist ein Gedenktag ähnlich dem Volkstrauertag. Er dient dem Gedenken an Kriegsgefallene und zivile Opfer von Kriegen. Sein historischer Anknüpfungspunkt ist der 18. März 1915, an welchem im Ersten Weltkrieg die Seeoffensive der alliierten Kräfte in der Schlacht bei Gallipoli begann. Dieser Tag dient dem Gedenken aller Opfer dieser Schlacht und der durch den Zerfall des Osmanischen Reiches ausgelösten millionenfachen Vertreibung und Ermordung von Muslimen in den sich vom Osmanischen Reich lösenden Gebieten. Aber auch der vielen Opfer der Alliierten bei der Schlacht um Gallipoli wird dabei gedacht. In ähnlicher Weise begehen Australien und Neuseeland den 26. April eines jeden Jahres im Gedenken an den 26. April 1915, an dem die Landeoperation der alliierten Infanterieeinheiten bei Gallipoli begann, als ANZAC-Day. An diese Ereignisse erinnert auch das berühmte Antikriegslied von Eric Bogle „And the Band Played Waltzing Mathilda“.
In vielen DITIB Gemeinden, werden die Tage um den 18.März deshalb schon seit vielen Jahren mit Totengebeten für die Kriegsopfer und Fürbitten des Friedens und des gesellschaftlichen Zusammenhaltes begangen, auf dass nie wieder Krieg und Vertreibung menschliches Leid verursachen möge – eine auch in diesen Tagen eigentlich sehr aktuelle Botschaft. Und es ist dann eben so, dass diese Themen auch in der Freitagspredigt vor, am oder nach dem 18. März aufgegriffen werden. Das sind Kenntnisse, die in jeder DITIB-Gemeinde bei einem Glas Tee hätten erworben werden können.
Ein Expertentum des Bauchgefühls
Dass die politischen und akademischen „Experten“ des „islamkritischen Diskurses“ das alles aber nicht wissen und stattdessen über vermeintlich aktuelle politische Einflussnahmen philosophieren, zeigt die Tiefe ihrer „Expertise“ und die Redlichkeit ihrer „wissenschaftlichen“ Methoden. Man gewinnt immer mehr den Eindruck, es handele sich um ein Expertentum des Bauchgefühls und der aufgesträubten Nackenhaare. Mit wissenschaftlicher Arbeit hat das alles nicht das Geringste zu tun.
Auch in sprachlicher Hinsicht zeigt sich das beschriebene Elend. Der Begriff des „Märtyrers“ soll wohl die Übersetzung des Originalbegriffs „Şehit“ sein. Hier muss man tatsächlich auch der DITIB den Vorwurf machen, dass sie die Deutungshoheit über religiöse Begriffe nicht offensiver in die eigenen Hände nimmt.
Denn der Begriff des „Märtyrertums“ hat vor dem christlichen Deutungshintergrund ganz andere Implikationen. Beim Begriff des „Şehit“ geht es nicht um körperliches Leid und Qualen, die man wegen des religiösen Bekenntnisses zu erdulden bereit ist. Es kommt nicht auf das „große Glück des Sterbens“ an. Es ist vielmehr eine Botschaft des Trostes, die diesem Begriff innewohnt.
Er hat den gleichen Wortstamm, aus dem sich auch der Begriff „Şahit“ ableitet. Beides bedeutet, etwas mit eigenen Augen sehen, bezeugen können. Der Fokus liegt also nicht auf dem Sterben, sondern auf dem Trost, dass die Verstorbenen das Paradies werden bezeugen können.
So geht es auch in dem zitierten Comic der Diyanet nicht darum, dass der Vater den Sohn zu Selbstmordanschlägen animiert, wie Schröter im Subtext vielleicht anzudeuten bereit ist, sondern darum, einem Kind vor dem Hintergrund der historischen Ereignisse (in dem Comic geht es auch um einen Besuch der Gedenkstätten und der dortigen Soldatenfriedhöfe) und den aktuellen Ereignissen mit Terroranschlägen und den dadurch verursachten Todesopfern, die Angst vor den Nachrichten und den Berichten über Terroranschläge und Kriege in der Welt zu nehmen.
Über den pädagogischen Sinn oder Unsinn solcher Comics mag man trefflich streiten. Die DITIB verwendet den Comic jedenfalls nicht in ihren Gemeinden und bemüht sich um andere Formen der Wissensvermittlung. Die von den „Islamexperten“ nahegelegten Interpretationen sind jedoch ganz offensichtlich Früchte ihrer fragwürdigen „Expertise“ und ein Versuch, antimuslimische Narrative weiter zu konditionieren. Nämlich die grundsätzliche Identität jeder muslimischen Glaubenspraxis mit der terroristischen Ideologie des IS und anderer Terrorgruppen zu konstruieren. Hier zeigt sich wieder der Geist, der islamische Lebensführung in einer problematischen Linie mit Extremismus beschreiben will – hier ist er wieder, der Drang, völlig problemloses lokales muslimisches Leben mit globalen gewalttätigen Konflikten zu verknüpfen.
Die weiteren Methoden der „Islamkritik“, welche die FAZ und Schröter in dem hier diskutierten Gastbeitrag praktizieren, werden im dritten Teil dieser Beitragsreihe seziert.