In der Sackgasse

Von der Schieflage der öffentlichen Debatte um muslimische Selbstorganisation – und der Tragik, gefallen zu wollen 

 

In ihrem Artikel „Der Gott der anderen“ in der ZEIT vom 24.09.2015 versucht Mariam Lau eine Analyse der islamischen Verbandslandschaft und wagt einen Blick in die Zukunft der muslimischen Selbstorganisation. Dieser Beitrag ist wichtig, verdichtet sich in ihm doch die öffentliche Wahrnehmung der muslimischen Organisationen und eine charakteristische Haltung der Medien und der Politik im Umgang mit ihnen in einer exemplarischen Janusköpfigkeit, unter der die Debatte über den Islam seit geraumer Zeit unbemerkt leidet.

So treffend sich in dem ZEIT-Beitrag die Wiedergabe der öffentlichen Wahrnehmung der muslimischen Verbände darstellt, so inhaltlich unzutreffend gestalten sich die daraus resultierenden Prognosen und Schlussfolgerungen. Das ist für Kenner der muslimischen Selbstorganisation nicht verwunderlich. Denn die öffentliche Meinung über die Verbände – perpetuiert durch immer gleiche Zuschreibungen – beruht schon seit Langem auf gravierenden Fehlwahrnehmungen.

Diese Bewertung mag auf den ersten Blick nicht nachvollziehbar sein. Sie erschließt sich erst mit einer Beobachtung, die in der öffentlichen Debatte über den Islam in Deutschland bislang vernachlässigt bleibt. Sie ist aber symptomatisch für das politische Handeln und damit für die mediale Reflexion gesellschaftlicher Rahmenbedingungen.

Jahrelang wurde der Status der sogenannten Gastarbeiter und ihre Zukunftsperspektive in Deutschland falsch – nämlich als vorübergehendes und in dieser Gestalt durchaus willkommenes Phänomen – bewertet. Diese politisch falsche Prädisposition hat dazu geführt, dass selbst treffende Beschreibungen des Ist-Zustandes und der sich daraus ergebenden Handlungsanforderungen, wie etwa im 1979 verfassten Kühn-Memorandum („Stand und Weiterentwicklung der Integration der ausländischen Arbeitnehmer und ihrer Familien in der Bundesrepublik Deutschland“, Memorandum des Ausländerbeauftragten der Bundesregierung, Heinz Kühn) unbeachtet blieben oder nur unzureichend umgesetzt wurden.

Ein ähnliches Ignorieren der tatsächlichen Verhältnisse und der sich aus ihnen ergebenden Handlungsanforderungen wiederholt sich gegenwärtig im Umgang mit den Muslimen und ihren Organisationsformen. Der größte muslimische Verband, die DITIB, wird zu einer heteronomen, ja geradezu karthagischen Bedrohung stilisiert. Ihre Entstehungsgeschichte und gegenwärtige Struktur wird als Fremdkörper beschrieben. Damit wird suggeriert, sie sei keine legitime Selbstorganisation der Muslime in Deutschland. Hier spielen vielleicht unterbewusste Altlasten der Bismarckschen Kulturkämpfe eine Rolle. Religionsgemeinschaften, deren Anspruch auf Bewahrung einer religiösen Wahrheit als Bedrohung empfunden wird, werden also nicht mehr im Böckenfördeschen Sinne für ihren gesellschaftlichen Beitrag, sondern nur noch unter dem Gesichtspunkt ihrer sicherheitspolitischen Berechenbarkeit wertgeschätzt.

Diese problematische Haltung wird am Bespiel der DITIB besonders greifbar. Sie wird als Ableger einer ausländischen Religionsbehörde, als verlängerter Arm einer ausländischen Regierung diffamiert. Diese formalistisch-plakative Betrachtung bezieht sich auf die Tatsache, dass die Imame der DITIB Beamte des türkischen Staates sind. Diese Betrachtung ist aber gleichzeitig manipulativ, verkennt sie doch nicht nur die tatsächlichen und historischen Fakten, sondern auch die Grundprinzipien unserer Verfassungsordnung.

Der DITIB-Bundesverband ist kein ausländisches UFO, das wider die Interessen der deutschen Integrationspolitik in der muslimische Verbandslandschaft gelandet wäre. Sie wurde in den 1980er Jahren durch den Zusammenschluss bereits bestehender und seit vielen Jahren aktiver muslimischer Gemeinden, immerhin schon damals über 200 Mitgliedsgemeinden, gegründet. Zweifelsohne mag es auf allen Seiten politische Interessen gegeben haben. Der türkische Staat mag sich angesichts der damaligen weltpolitischen Entwicklungen eine Diasporagemeinde gewünscht haben, die ihren Glauben nicht als Quelle politischer Machtansprüche versteht und damit dem damals aktuellen Beispiel iranischer Exilgemeinden folgt. Der deutsche Staat mag sich gewünscht haben, dass die türkischen Gastarbeiter ihre Religion und Sprache nicht verlieren beziehungsweise verlernen und somit die Rückführungsoption tatsächlich durchführbar bleibt.

Die DITIB-Gemeinden selbst waren jedenfalls dankbar für einen Imam, der eine kontinuierliche und gemeindebezogene Glaubens- und Wissensvermittlung gewährleisten konnte. Die Verbandsmitgliedschaft stellt bis heute sicher, dass die Gemeinde offen ist für das gesamte Spektrum der muslimischen Religionspraxis – von regelmäßigen Moscheebesuchern bis hin zu Muslimen, die nur zweimal im Jahr zu den großen Feiertagsgebeten in einer Moschee auftauchen. Diese religiöse Heterogenität und Offenheit für alle war und ist ein prägendes Merkmal der DITIB-Gemeinden. Auch deshalb ist ihre Zahl seit der Gründung des Bundesverbandes in den 1980er Jahren und der Etablierung der Landesverbände seit 2009 auf heute über 900 Gemeinden angewachsen – Tendenz deutlich steigend.

Sicher ist durch die anfängliche Struktur und die Person des Imam eine prägende Wirkung der türkischen Sprache nicht zu bestreiten. Dies ist aufgrund der überwiegend türkischsprachigen Zusammensetzung der Gemeinden auch nicht ungewöhnlich. Mehr noch ist eine solche Selbstorganisation und die Entscheidung für eine Zusammenarbeit mit der Religionsbehörde Diyanet und damit mit ihrer über 500-jährigen Glaubens- und Gelehrtentradition nicht nur legitim, sondern als Ausdruck der Selbstverwaltungsrechte von Religionsgemeinschaften ausdrücklich durch unser Grundgesetz geschützt.

Einer Religionsgemeinschaft – zumal unter den vorliegenden historischen Bedingungen gewachsen – vorzuwerfen, sie organisiere sich „falsch“ oder durch den öffentlichen Diskurs den Eindruck zu erwecken, ihr Glaube sei Ausdruck einer fremdländischen Einmischung und damit etwas Verwerfliches und Bedrohliches, ist – das muss man so deutlich sagen – nicht liberale Kritik, nicht sachliches Problembewusstsein, sondern schlicht und ergreifend die Aberkennung von Grundrechten und damit eine verfassungswidrige Haltung, mit der Muslimen in über 900 Gemeinden ihre Grundrechte abgesprochen werden. Diese Haltung bedeutet die Preisgabe unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung, weil sie für Bürger muslimischen Glaubens willkürlich eingeschränkt werden soll.

Dass diese Einstellung nicht als Aufruf zu einem Zwei-Klassen-Recht entlarvt wird, sondern als vermeintlich legitime Kritik an muslimischen Verbänden salonfähig ist, muss uns als Ausdruck eines schwindenden Bewusstseins für die Grundzüge unserer Verfassung und damit die Grundvoraussetzung unseres Zusammenlebens nachdenklich stimmen. Das sind nämlich die vielzitierten Spielregeln, die in Deutschland gelten. Sie dürfen nicht nach Gutdünken oder auf Zuruf islamfeindlicher Kreise relativiert werden.

Es handelt sich aber nicht nur um eine verfassungsrechtliche Frage. Der an dieser Stelle immer wieder zu beobachtende pauschalisierende öffentliche Blick auf die muslimischen Verbände verkennt auch die differenzierte Gemeinderealität. Denn bereits seit mehreren Jahren ist eine auch ethnisch-kulturelle Vielfalt zu beobachten. Das liegt insbesondere daran, dass in kleineren Städten aufgrund der geringen Zahl von Muslimen häufig nur eine Moschee existiert. Dabei handelt es sich fast immer um eine DITIB-Moschee, in der dann natürlich eine sehr bunte Gemeinde beheimatet ist. Entgegen mancherorts empfundener Vorfreude werden es allein schon aufgrund der räumlichen Verbreitung auch mehrheitlich diese Gemeinden sein, in denen die meisten hier sesshaft werdenden muslimischen Flüchtlinge eine religiöse Heimat finden. Entsprechend engagiert sind die betroffenen DITIB-Gemeinden. Diese Entwicklung zeichnet sich jetzt schon ab und ist auch ohne weiteres erkennbar, wenn man nicht danach schaut, wer die lautesten Forderungen stellt, sondern welche Gemeinden vor Ort die umfangreichste Flüchtlingshilfe leisten.

Und auch in großstädtischen Moscheen bestehen die Gemeinden immer häufiger aus Moscheebesuchern, deren gemeinsame Sprache Deutsch ist. Auf diese Veränderungen reagieren auch die Moscheevorstände. Ihr Bewusstsein hat sich weg von einer Rückkehrillusion und dadurch bedingter provisorischer Gemeindeorganisation hin zu einer dauerhaften Beheimatung gewandelt.

Die DITIB-Gemeinden sind auch deshalb bundesweit die einzigen Moscheegemeinden, die satzungsrechtlich und faktisch die Beteiligung von Frauen-, Jugendlichen- und Elternvertretungen in den Moscheevorständen etabliert haben. Es ist der DITIB-Bundesverband, der die Internationalen Theologischen Studiengänge unterstützt. Mit deren Hilfe können junge Menschen aus Deutschland und Europa nach Abschluss ihrer Schulausbildung islamische Theologie studieren, um mit ihren erworbenen Hochschulabschlüssen in ihre deutschen und europäischen Heimatorte zurückzukehren und als Imame tätig zu sein. Der DITIB Verband hat dieses Projekt und dadurch die Einstellung von deutschsprachigen, hier sozialisierten Imamen in ihren Gemeinden bereits zu einem Zeitpunkt unterstützt, als die islamkritischen Debattenführer das Thema deutschsprachiger Imame noch nicht einmal ansatzweise für sich entdeckt hatten.

An solchen Beispielen wird deutlich, dass die häufig als rückständig diffamierten Moscheegemeinden und ihre Dachverbände offener und progressiver sind, als die selbsternannten „Islamexperten“ mit ihrer längst überholten Gemeindevorstellung von Vorgestern.

Natürlich handelt es sich hierbei um einen Entwicklungsprozess des DITIB-Verbandes, der vielleicht hätte noch früher beginnen müssen und der bei über 900 Gemeinden nicht an jedem Standort gleichermaßen zügig verläuft. Und sicher geht es auch um eine Generationenfrage in den Führungsgremien der Moscheegemeinden. An dieser Stelle lässt sich nichts erzwingen und müssen Veränderungen durch den Gemeindewillen getragen sein. Die DITIB-Kritiker können oder wollen sich dabei offenbar gar nicht vorstellen, wie wenig zentral gesteuert die Moscheegemeinden agieren und wie wichtig demokratische Entscheidungsprozesse in den rechtlich selbständigen Gemeinden genommen werden.

Dieser partizipatorischen und von einer breiten Basis getragenen Gemeindearbeit steht ihre verzerrte Wahrnehmung in der öffentlichen Diskussion entgegen. Die Markierung der DITIB als heteronom, illoyal, anachronistisch, rückständig, ja sogar gefährlich ist bar jeder tieferen Kenntnis über ihre tatsächliche Arbeit zur Selbstverständlichkeit geworden, bei der auch ignoriert wird, dass durch eine solche Ausgrenzung über 900 Moscheen in ganz Deutschland als Stützpunkte einer ausländischen Macht und damit quasi als legitimes Ziel der Aggression islamfeindlicher Gruppierungen definiert werden. Darunter leiden die Menschen vor Ort, deren Moscheen in wachsender Zahl von islamfeindlichen gewalttätigen Übergriffen betroffen sind.

Es gehört mittlerweile zum perfiden Repertoire der öffentlichen Debatte, diese Moscheegemeinden und all ihre Mitglieder und Besucher kollektiv zu pathologisieren und zu kriminalisieren. Ein ungeheuerlicher Vorgang, der im Zusammenhang mit anderen Religionsgemeinschaften als das erkannt würde, was es ist, nämlich blanker Rassismus und menschenfeindliche Stigmatisierung. Im Zusammenhang mit dem Islam und erst recht mit der DITIB ist der öffentlichen Debatte indes jedes Gespür für diesen Tabubruch abhanden gekommen und werden die Protagonisten dieser Hetzkampagnen mit ihren teilweise auch strafrechtlich relevanten Äußerungen als kritische, ja sogar – welch eine makabre Ironie! – liberale Stimmen hofiert.

Die politische und mediale Aufmerksamkeit konzentriert sich derweil alternativ auf Akteure, die gerade in ihrem Auftreten und ihrer gemeindlichen Realität ganz andere Merkmale aufweisen – allerdings im öffentlichen Diskurs völlig unproblematisiert bleiben. Die tatsächlich selbstorganisierte muslimische Basis vernachlässigend konzentriert sich das Gehör auf Individualstimmen, die für sich reklamieren, die schweigende Mehrheit oder gar alle Muslime zu vertreten. Ihre von jeglicher gesellschaftlichen Relevanz und damit auch von jeglicher gemeindlicher Verantwortung und Rechtfertigung entbundenen Positionen werden geradezu als vorbildliche, erwünschte muslimische Stimmen verstärkt.

Niemand will bemerken, dass es sich um Einzelgänger handelt, denen jegliche Anschlussfähigkeit an die muslimische Basis fehlt, sei sie nun schweigend oder redefreudig, praktizierend oder nicht, und dass dadurch die Medien und die Politik eher ein Selbstgespräch mit ihrer verzerrten Wahrnehmung über Muslime führen, als die tatsächliche muslimische Basis zu erreichen oder auch nur deren Befindlichkeiten und Befindlichkeiten zur Kenntnis zu nehmen.

Den Vertretern der vermeintlich schweigenden muslimischen Massen ist es – kaum überraschend – weder gelungen, eine tragfähige Selbstorganisation zu initiieren, noch können sie mit ihren inhaltlichen Positionen überzeugen. In diesen wird zunehmend eine – auch immer unverhohlener artikulierte – verfassungswidrige Gesinnung deutlich, die sich in der Forderung eines religiös wertenden und gestaltenden Staates entlarvt als eine höchstproblematische, entgegen unseren verfassungsrechtlichen Grundsätzen aufgestellte Sehnsucht nach einer Religionspolizei, die endlich das eigene als „liberal“ legitimierte Islamverständnis mit Gewalt durchsetzt.

Wie anders kann die Äußerung Lamya Kaddors verstanden werden, die sich einen Staat herbei wünscht, „der für die Moscheen sorgt. Der die Jugendlichen annimmt. Der dafür sorgt, dass da ein Islam gelehrt wird, der zu einer freien Gesellschaft passt.“?

Solche Stimmen werden als die vermeintlich liberalen Avantgardisten eines „deutschen Islam“ gefeiert. Wohlgemerkt für eine verfassungswidrige Forderung nach einem Staat, der seine grundgesetzlich vorgeschriebene religiös neutrale Position verlassen, für Moscheen sorgen und durchsetzen soll, dass da ein Islam gelehrt wird, über dessen Inhalt nicht die Religionsgemeinschaften, nicht die Muslime, sondern der Staat selbst bestimmt. Wie weit ist es mit unserem Gemeinwesen und der geistigen Verfassung unseres gesellschaftlichen Diskurses gekommen, wenn solche Positionen als progressive, freiheitliche, vorbildliche Beiträge publiziert werden? Und wo liegt die eigentlich gefährliche Entwicklung, wenn der offene Aufruf zum Verfassungsbruch und zu einer Entrechtung und Entmündigung von Muslimen und ihrer Religionsgemeinschaften nicht mehr als die gravierenden Tabubrüche erkannt werden, die sie sind?

Auch in der im ZEIT-Artikel präsentierten Figur Aiman Mazyeks wird deutlich, in welche Sackgasse sich die Politik manövriert hat. Will man dem im ZEIT-Artikel wiedergegebenen Zitat glauben, handelt es sich also um den Prototypen des muslimischen Verbandsvertreters, der immer da ist, wenn man ihn braucht und der alles mitmacht, was man von ihm will, ein eloquenter, medial hofierter „Sprecher des Islam“, der – so suggeriert es die ZEIT-Autorin – mit dem Damoklesschwert seiner Gemeindevergangenheit zu Willfährigkeit und Folgsamkeit erzogen worden ist und dessen Verbandsziel folgerichtig nur die Integration des Islam in das deutsche Staatswesen sein kann.

Und der wohl auch deshalb versuchte, aus Gründen des Gunsterhalts politische Reflexe zu antizipieren und dabei meilenweit an der muslimischen Basis vorbei auch dann noch ein verfassungswidriges Islamgesetz nach österreichischem Vorbild forderte, als sich bereits gegensätzliche Stimmen aus der Politik zu Wort meldeten, die ein solches Verbotsgesetz – nicht zuletzt auch aus historischen Gründen – ablehnten. Und der die populistischen Forderungen einer im Landtagswahlkampfmodus überhitzten CDU mit Law-and-Order-Sprüchen in der BILD rechts überholt, um seinen medialen und politischen Partnern zu signalisieren, „auf mich ist Verlass.“

Diese Schönheitsfehler, die eigentlich nicht nur kosmetische Verirrungen sind, sondern ein ernstes Problem muslimischer Glaubwürdigkeit markieren, werden stillschweigend hingenommen als Preis medialen und politischen Aufmerksamkeitskapitals, das in seiner Härte die Währung authentisch muslimischer Positionen und eines durch die Basis legitimierten und hinterfragten Vertretungsanspruchs schon längst übertrifft.

Damit ist die „bessere Vertretung“ längst zum Selbstzweck degeneriert und vermittelt nur noch die Bereitschaft, politisches Handeln zu flankieren und zu bestätigen, statt gesellschaftliche Prozesse aus einer fundierten muslimischen Haltung heraus zu kommentieren und mitzugestalten. Es sprechen zunehmend nicht Muslime durch ihre Vertreter mit der Politik, sondern führt die Politik fast nur noch ein Selbstgespräch mit den vorauseilenden Geistern, die sie durch die Adelung der politischen Anerkennung selbst erschaffen hat.

Dieser Weg ist eine Sackgasse. Ein authentischer Austausch ist so nicht möglich. Ein politischer Seismograph für gesellschaftliche Entwicklungen kann so nicht funktionieren – wie auf frappierende Weise an den Ereignissen um die Veranstaltung am Brandenburger Tor zu erkennen ist. Denn an der muslimischen Basis haben „Vertreter“ oder Einzelpersonen solchen Typus seit geraumer Zeit ihre Glaubwürdigkeit verspielt. Um es mit den Worten der ZEIT-Autorin zu sagen: Thomas de Maizière merkt nicht, dass er momentan eigentlich nur sich selbst anruft, wenn er den Islam in Deutschland sprechen will.

Oder, um es selbstkritisch zu formulieren: Die Muslime müssen selbst dafür sorgen, dass in ihrer verbandsübergreifenden Organisation und Zusammenarbeit solche Stimmen des individuellen Konjunkturopportunismus bar jeder Basislegitimation und gesellschaftlicher Relevanz in den Hintergrund treten und die Haltung und das Meinungsbild der Gemeindebasis den Weg in die Öffentlichkeit findet.

Das wird nur gelingen, wenn Formen der Zusammenarbeit gefunden und gestaltet werden, in denen es nicht mehr vordringlich um politische Repräsentanz, sondern um inhaltliche Substanz geht. Das kann für die Politik und die Medien schwierig werden, wenn plötzlich muslimische Vertreter nicht mehr alles mitmachen, wenn man sie anruft, sondern sich tatsächlich darum kümmern, was die Wünsche und Erwartungen ihrer Basis sind. Das kann mühsam sein, wird aber ein gedeihliches Zusammenleben in unserer Gesellschaft auf ein stabileres Fundament des inhaltlichen Austausches stellen. Momentan steht dieses Miteinander noch auf den tönernen Füßen der gegenwärtig hofierten Schaufensterdekorateure, die als Stimme der schweigenden oder sonstigen muslimischen Mehrheit firmieren.

Ein Ausweg könnte sein, die etablierten muslimischen Religionsgemeinschaften mit einer tatsächlich vorhandenen und ernstgenommenen Gemeindebasis nicht als gefährliche Fremdkörper auszugrenzen, sondern als das wahrzunehmen und anzusprechen, was sie sind – bereits existierende, deutsche, muslimische Zivilgesellschaft.