Der Fisch stinkt vom Kopf her

Der muslimischen Verbandslandschaft stehen Wochen und Monate bevor, die ganz wesentlich über ihre Zukunft in Deutschland entscheiden werden. Dabei steht der zahlenmäßig größte Verband, die Ditib, im Zentrum der Aufmerksamkeit. Eigentlich muss man es anders formulieren: Durch ihr Agieren insbesondere in den letzten zwei bis drei Jahren und vielleicht noch mehr durch ihre Passivität und Ignoranz während dieser Jahre hat sich die Ditib eigenhändig ins Zentrum dieser Aufmerksamkeit manövriert. 

Nun stehen der Ditib zwei Themen ins Haus, mit denen sie aller Voraussicht nach restlos überfordert sein wird. Ende September kommt der türkische Staatspräsident im Rahmen seiner Deutschland-Reise auch nach Köln, um die Zentralmoschee der Ditib offiziell zu eröffnen. Hat sich das die Ditib ausgesucht? Die Frage spielt letztlich keine Rolle. Die Ditib hat allem äußeren Anschein nach keine eigenständige Autorität, so eine Frage zu entscheiden oder auch nur Einfluss auf die Entscheidung auszuüben. Denn das Selbstverständnis auf Seiten der türkischen Regierungspolitik ist bereits in den ersten Äußerungen des Staatspräsidenten Erdoğan zu diesem Thema deutlich geworden. Er sprach davon, dass er die Moschee der Diyanet, also der türkischen Religionsbehörde, in Köln eröffnen werde. 

Damit ist in letzter Konsequenz ausgesprochen worden, was die Entwicklung der Ditib in den letzten Jahren gekennzeichnet hat: Die Bestrebungen, eine eigenständige deutsche Religionsgemeinschaft zu werden, die nur in religiösen Fragen mit der Diyanet kooperiert, sind „erfolgreich“ zurückgedrängt worden.

Heute ist die Ditib das, was die türkische Politik will, dass sie sein soll: eine unter vollständiger Kontrolle der türkischen Regierung stehende Deutschland-Filiale der türkischen Religionsbehörde. Damit bleibt die Ditib endgültig das, was sie dem Namen nach immer gewesen ist: Eine türkisch-islamische Union der Anstalt für Religion, also des türkischen Religionspräsidiums. 

Diese Entwicklung wird mit dem Auftritt Erdoğans in Köln für alle sichtbar manifestiert und gefeiert.  

Die Ditib feiert damit den Abschied aus der deutschen Öffentlichkeit. Sie feiert, die gegenläufigen Bewegungen einer föderal aufgestellten, zivilgesellschaftlich emanzipierten und eigenverantwortlich handelnden Gemeinschaft mit Landesverbänden, die von Vertretern aus ihrer eigenen Basis gelenkt werden, endgültig zerschlagen zu haben.

Sie feiert, zum Symbol einer türkischen Außenpolitik verkümmert zu sein, die als Zeichen ihres weltweiten Geltungsanspruchs überall im Ausland neue Moscheen eröffnet.

Sie feiert, das Projekt einer transparenten deutschen Modellmoschee auf einen Akt politischer Gunsterweisung des türkischen Staatspräsidenten herunter gebrochen zu haben. Sie feiert, die „Moschee aller Kölner“ endgültig zu einer „ Erdoğan-Moschee“ gemacht zu haben – ob sie sie von nun an auch ausdrücklich so nennt, ist eigentlich egal.

Welche Bilder gefeiert werden

Intern dürfte die Vorfreude auf diesen Besuch so groß und überschwänglich sein, dass keine Zeit mehr dazu bleibt, sich zu fragen, welchen Eindruck die Bilder hinterlassen werden, die nun produziert und auf Jahre hinaus in die Köpfe der deutschen Öffentlichkeit projiziert werden. 

Es werden Bilder einer Moschee sein, die als türkische Festung erscheint. Abgeschirmt von deutschen Sicherheitskräften und belagert von einer Öffentlichkeit, für die der Ehrengast alles das symbolisiert, was von nun an auch mit der Ditib verbunden sein wird: eine totalitäre Gesinnung und ein Verständnis von Demokratie als Mittel zur Macht und nicht als Selbstzweck zum Wohle der Allgemeinheit. Die Proteste gegen diese Gesinnung werden zu Protesten gegen die Ditib. 

Damit bürdet die Ditib auch allen ihren Gemeinden in Deutschland von nun an dieses Image auf. Die Ditib wird ja nicht müde, immer wieder auf die Zahl ihrer Gemeinden zu verweisen. Gedanken darüber, wie verheerend das Handeln ihrer Bundeszentrale auf die Wahrnehmung dieser Gemeinden und ihrer Mitglieder wirkt, sind offenkundig nicht präsent oder irrelevant. 

Wie gleichgültig und wie fahrlässig die zentralen Führungskräfte der Ditib mit ihrer Gemeindebasis umgehen, zeigt sich auch bei dem zweiten wichtigen Thema. Die Ditib hat nach Wochen der Sprachlosigkeit kürzlich eine Pressemitteilung veröffentlicht und sich zu den Nachrichten geäußert, wonach die Verfassungsschutzbehörden prüfen, ob die Ditib Gegenstand geheimdienstlicher Beobachtung werden soll. 

Eine Stellungnahme, die mehr sagt, als sie will

Als Ditib-Mitglied müsste man sich wünschen, sie hätte weiter geschwiegen. Als interessierter Bürger muss man dankbar sein für diese öffentliche Stellungnahme. Denn der Text wirkt in seinen zentralen Aussagen aber auch in kleinen Details geradezu wie eine Legende für eine Landkarte der gedanklich-ideologischen Topographie der Ditib-Führung. Dieses gedankliche Gelände lässt sich nun endlich mit diesem Text erschließen. 

In der Kernaussage der Pressemitteilung kann man mitansehen, wie die Ditib-Führung ganz kalkuliert und ohne zu zögern die eigenen Gemeinden vor den fahrenden Bus stößt. Den Grund für verfassungsschutzrelevante Verdachtsmomente weist sie den Gemeinden zu. Das „fehlerhafte Handeln“ ist nach dieser Stellungnahme stets das Fehlverhalten von ehrenamtlichen Funktionsträgern. Denn die Zentrale irrt nie.

Die tatsächlichen Gründe und Ursachen für diese „Fehleranfälligkeit“ an der Basis werden auch in dieser Stellungnahme der Ditib nicht thematisiert. Das werden wir gleich nachholen. Bleiben wir für den Augenblick noch beim Text der Ditib.

Darin spricht sie davon, es sei ungerecht, „den religiösen Dienst von hunderttausenden ehrenamtlichen Menschen (…) unter Verdacht zu stellen“. Damit reproduziert die Ditib auf erstaunliche Weise ein antimuslimisches Narrativ, wonach der Islam selbst das Problem sei. Auf den Gedanken, was denn völlig unabhängig von den religiösen Diensten der Gemeindemitglieder zum Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen geführt haben mag, kommt die Ditib Führung offensichtlich nicht. Wir werden an dieser Stelle gleich nachhelfen. 

Ein Satz, der alles offenbart

Der vorletzte Absatz der Pressemitteilung besteht aus einem Satz, der seiner Bedeutung wegen hier wörtlich zitiert werden soll (Fehler im Original bleiben unverändert): 

„Hunderttausende in Deutschland sozialisierte Muslime zum Gegenstand zwischenstaatlicher Beziehungen zu machen und die um darüber hinaus die Aufmerksamtkeit von den aktuellen Diskussionen innerhalb Deutschlands  abzulenken, wird dazu führen, dass der gesellschaftliche Frieden gestört wird und die Gräben zwischen den unterschiedlichen gesellschaftlichen Teilen größer werden.“

Übersetzen wir das Ditib-Deutsch in eine einfache Sprache, welche die tatsächlichen Gedanken hinter den Formulierungen sichtbar werden lässt:

„Hunderttausende in Deutschland sozialisierte Muslime“ – Das bedeutet: Wir sind „too big to fail“. Wir sind so groß und mächtig, dass man ohne uns nicht kann. Man mag uns prügeln und beschimpfen, aber am Ende werden alle wieder bereit sein, mit uns zu arbeiten, denn niemand kann riskieren, es sich mit uns und unseren Gemeinden zu verscherzen. 

„Gegenstand zwischenstaatlicher Beziehungen“ – Das bedeutet: Es geht hier gar nicht um uns oder unsere Gemeinden. Das sind alles Konflikte zwischen der Türkei und Deutschland. Die Türkei wird von allen für ihre Stärke und Macht beneidet. Alle Staaten versuchen die Türkei aufzuhalten und zu schädigen. Wir sind hier zwischen die staatlichen Fronten geraten. Es kommt gar nicht darauf an, was wir als Ditib tun oder sagen. Es geht nur darum, dass Deutschland die Türkei schädigen will und uns für diesen Zweck als Werkzeug und Druckmittel benutzt. Deshalb kommt es auch gar nicht darauf an, ob oder dass wir uns überhaupt verändern. Unsere Handlungen haben gar keine Bedeutung oder Wirkung in diesem Konflikt. Den müssen die beiden Staaten ganz oben auf der politischen Ebene aushandeln. Nächste Woche wird ja unser Staatspräsident nach Deutschland kommen und die Merkel endlich einnorden. Er wird dafür sorgen, dass alle verstehen, dass er hinter uns steht. Dann wird die Merkel ihren Beamten sagen, dass man uns nicht anrühren darf und dann wird man uns auch in Ruhe lassen. So funktioniert jedenfalls die Politik in der Türkei und bestimmt auch in Deutschland. 

„… die Aufmerksamtkeit von den aktuellen Diskussionen innerhalb Deutschlands abzulenken“ – Das bedeutet: Wie oben schon festgestellt, geht es hier gar nicht um uns als Ditib oder unser Verhalten. Das sind Nebelbomben, die auf unsere Kosten gezündet werden, um davon abzulenken, wie Nazi Nazi-Deutschland eigentlich ist. Es geht hier wieder um große Politik. Wir müssen nur den Kopf einziehen und den Sturm vorüberziehen lassen. Sorgt euch nicht, bald kommen auch wieder heitere Tage.  

„… dass der gesellschaftliche Frieden gestört wird und die Gräben … größer werden.“ – Das bedeutet: Wir können von uns aus nichts dafür tun, um den gesellschaftlichen Frieden positiv zu beeinflussen. Die deutsche Politik stört diesen Frieden ja, weil sie den antimuslimischen Rassismus in diesem Land nicht abstellt. Statt uns grundlos zu kritisieren, sollte der deutsche Staat endlich mal seine Hausaufgaben machen und uns besser schützen.

Vor dem Hintergrund des bisherigen Agierens der Ditib-Führung dürften die obigen Interpretationen ziemlich präzise die Gedankengänge und Motive bei der Formulierung dieser Pressemitteilung wiedergeben. 

Transparenz als Versprechen

Ein interessantes Detail, das wir auch interpretieren können: Der Text ist mit „DITIB Pressestelle“ unterzeichnet. Man hätte annehmen können, dass dieses Thema so gewichtig ist, dass der Vorsitzende des Bundesvorstandes selbst dazu Stellung nimmt oder dass der Text zumindest die Meinung des Ditib Bundesvorstandes wiedergibt. Vergleichbare Verlautbarungen sind in der Vergangenheit nämlich von diesen Personen bzw. Organen unterzeichnet worden, zum Beispiel die Presseerklärung vom 11.07.2018 zum NSU-Verfahren. 

Stattdessen haben wir es hier mit der Stellungnahme „nur“ der Pressestelle zu tun. Der Grund ist naheliegend: Es handelt sich um ein Thema, das so kurz vor dem Deutschland-Besuch des türkischen Staatspräsidenten mit Sicherheit auch die Aufmerksamkeit der Diyanet und der türkischen Staatsspitze auf sich gezogen hat. In einer so heiklen Angelegenheit und zumal mit der Schuldzuweisung an die Gemeindebasis, will sich kein türkischer Staatsbeamter oder Funktionär mit Karriereambitionen in der Türkei die Finger verbrennen. Da stellt man lieber das Personal der Pressestelle in die Schusslinie.

Die Pressemitteilung schließt mit einem Versprechen. Die „DITIB wird, wie bisher auch zukünftig ihre religiösen und sozialen Dienste,…, auf transparente Art und Weise fortführen.“

Das ist ein wichtiges Versprechen. Es sollte nicht bei einem Lippenbekenntnis bleiben. Deshalb soll an dieser Stelle Unterstützung für diese Transparenz geleistet werden. Denn alles, was nun folgt, ist oder war öffentlich zugänglich. Aber aufgrund der Fülle an medialen Informationen gehen wichtige Details manchmal unter. Diese sollen hier sichtbar gemacht werden – im Interesse der versprochenen Transparenz. 

Nicht ein Problem der Basis, sondern der Führung

Transparenz muss mit einer wichtigen und klaren Feststellung beginnen: Die Situation, in der sich die Ditib jetzt befindet, haben nicht ihre Gemeinden zu vertreten. Deshalb wäre es auch sachlich wie politisch falsch, mit einer Beobachtung durch die Verfassungsschutzbehörden die Gemeindebasis auf Jahre hinaus zu stigmatisieren und die Bande zu kappen, die in vielen Gemeinden bereits in ihre jeweilige Stadtgesellschaft hinein gewachsen sind.

Die Gemeinden und die ehrenamtlich engagierten Mitglieder ahmen vielmehr jenes Verhalten nach, das ihnen die Ditib-Führung aus Köln vorlebt. Es müssen gar keine ausdrücklichen Anweisungen erteilt werden. Es muss gar keine schriftlichen Anordnungen von oben an die Gemeindebasis geben. Denn die türkeistämmige Gesellschaft funktioniert in kollektiven Strukturen durch die Antizipation des Verhaltens der Obrigkeit und entsprechender Anpassung des Verhaltens an der Basis. 

Um es noch einfacher zu formulieren: Der Staatspräsident der Türkei lebt in Rhetorik und Gebaren ein Verhalten, eine Gesinnung vor, die den gesamten Staatsapparat beeinflusst. Es ist eine nonverbale Kommunikation zwischen der Erwartung von oben und der Folgsamkeit, bis hin zur Imitation, von unten. Viele Beamte hören auf, öffentlich sichtbar zu rauchen, weil bekannt ist, dass der Staatspräsident keine Raucher in seiner Nähe duldet. Viele Beamte lassen sich einen kurzgeschorenen Oberlippenbart stehen, weil der Staatspräsident einen solchen hat. Viele Beamte entdecken plötzlich ihre Vorliebe für breit karierte Sakkos, weil der Staatspräsident solche bevorzugt trägt. Sie imitieren – gegenüber ihren Untergebenen – sein Dominanzgebaren, seine martialische Rhetorik, seine Beschimpfung politischer Gegner. Es ist in der Breite des Staatsapparates ein stillschweigendes Wettrennen darum, wer päpstlicher als der Papst ist.

Diese Verhaltensmuster übertragen sich in die hiesigen Strukturen der Ditib. Sie wird nicht im eigentlichen Wortsinn gelenkt, sondern vielmehr angeführt von türkischen Staatsbeamten im Vorstand, in Gestalt der Religionsattachés in den Bundesländern und in Gestalt der Gemeindeimame, die jeweils nach oben schauen und nach unten weitergeben, was sie als machtkonformes Verhalten deuten. Damit kommt dem Führungspersonal eines solchen Systems eine faktisch entscheidende Bedeutung zu. 

Der Lobgesang auf Militarismus und das Weltbild einer von Feinden umgebenen muslimisch-türkischen Enklave, der chauvinistische Nationalismus, antisemitische Ausfälle, all das, was die Ditib-Führung zur eigenen Exkulpation als Problem der Gemeinden markiert, hat seine Ursprünge nicht in den lokalen Gemeinden. Diesen kann man Anfälligkeit, in manchen Fällen ideologischen Gleichschritt, in den meisten Fällen wohl mangelnde Resilienz vorwerfen, aber gewiss keine strukturelle Neigung zu verfassungsfeindlichen Bestrebungen. 

Der Prototyp Suat Okuyan

Die Vorbilder kommen von oben. Was in den Gemeinden passiert, ist nur die logische Konsequenz eines viel größeren und vermutlich systematischen Problems. Und das Problem hat auch einen symbolischen Namen: Suat Okuyan. 

Man kann behaupten, dass dieser Name wichtig und gleichzeitig unwichtig ist. Er ist wichtig, weil er dokumentiert, wie wirksam einzelne Personen sein können, um eine bestimmte ideologische Prägung vorzuleben und innerhalb einer breiten Gemeindebasis zu streuen. Er ist wichtig, weil sich an ihn die Frage knüpft, ob wir im Interesse eines friedlichen Zusammenlebens nicht genauer darauf blicken müssen, wer konkret in Deutschland diplomatische Dienste verrichtet und welche Konsequenzen es hat, wenn religiöse Dienste mit diplomatischer Immunität verknüpft werden. 

Der Name ist auch deshalb wichtig, weil sich an ihm entscheidet, ob die Gesinnung, für die dieser Name steht, ein Ausreißer im Religionsverständnis der Diyanet ist oder vielleicht doch ihre nun deutlich sichtbar gewordene Manifestation.

Die Antwort auf diese letzte Frage wird dann auch die Erkenntnis liefern, ob dieser Name eigentlich völlig unwichtig ist, weil es nicht um die Person an sich geht, sondern die Gesinnung und Ideologie einer Verwaltungsstruktur, die sich womöglich neue politische Ziele außerhalb der Religion gesetzt hat und nun die Religion als Mittel für diese neuen Zwecke missbraucht. Dann wären Namen tatsächlich gleichgültig, wenn nur der eine geht und der andere mit der gleichen Gesinnung kommt.

Suat Okuyan war Religionsattaché am Konsulat der Republik Türkei in Essen. Er war bis Weihnachten 2017 stellvertretender Vorsitzender des Ditib-Bundesvorstandes. Seiner Mentalität nach steht Suat Okuyan für all jene Theologen, die ihre Schul- und Universitätsbildung in den 80er und 90er Jahren in der Türkei durchlaufen haben. Zu einer Zeit also, als angehende Theologen in einer stark laizistisch geprägten Bürokratie für ihre Studienwahl verlacht wurden – mehr als Vorbeter in einer Provinzgemeinde oder städtischer Leichenwäscher zu werden, wollte man ihnen nicht zutrauen. 

Einem Suat Okuyan ist heute noch anzumerken, dass er den damaligen Spott und die dadurch geschlagenen Wunden nicht vergessen hat. Umso bewusster ist er sich des jetzigen Zustandes, in dem Menschen mit seiner Biographie an allen Schaltstellen der politischen Macht ihren Platz gefunden haben. Und diese Macht will er ausüben.

Ein Mann, eine Agenda 

Suat Okuyan ist ein Mann mit einer Agenda. Und diese ist in erster Linie nicht religiös gestaltet. Er war einer der zentralen Figuren im Konflikt mit dem früheren Bundesjugendvorstand der Ditib. Deren geschlossenen Rücktritt hat er in den sozialen Medien mit einem Bild kommentiert, das eine Skulptur Gustav Vigelands zeigt. Die Skulptur steht im Vigeland-Park in Oslo und stellt einen nackten Mann dar, der gegen Babys kämpft. Einem der Säuglinge verpasst der Mann einen Tritt. 

Alles, was die Zentralisierung von Macht in den Ditib-Strukturen stört, alles, was das von religiöser Ethik befreite Handeln der Führungsebene kritisiert und den dadurch verursachten Schaden zum Nachteil der Ditib-Gemeindebasis anprangert, muss in der Welt des Suat Okuyan beiseite getreten werden.

Sein Denken trägt nationalistische und militaristische Züge. Er ist von einer Weltsicht geprägt, in der Ditib die letzte Bastion türkischer Identität ist und als solche gegen die deutsche Öffentlichkeit verteidigt werden muss. Jede Form der Nähe zum deutschen Staat, jede Kooperation, jede Zusammenarbeit trägt den Keim der feindseligen Unterwanderung, der Veränderung der Ditib im Sinne einer Schwächung und Untergrabung in sich und muss deshalb beendet werden – oder dient nur dazu, die deutsche Öffentlichkeit mit dem Vorspiegeln von Kooperationsbereitschaft hinzuhalten.

Suat Okuyan hat in den schwierigen und von Fallstricken durchzogenen Hierarchien des religiösen Beamtentums gelernt, seine Ansichten nicht zu offen vorzutragen. Er hat eine musische Ader entwickelt, in welcher er seine Sicht auf die Welt in propagandistischen Reimen und mit lyrischen Kommentaren zu Instagram-Fotos – eine weitere Leidenschaft von ihm, mit der er gern seine Weltläufigkeit dokumentiert – veröffentlicht. Aus vielen seiner Dichtungen spricht die Stimme des nationalistischen, wehrbereiten Bewunderers türkischen Kampfesmutes und Opferbereitschaft. Die Tugend des tapferen Sterbens für das Vaterland, die Lobgesänge auf eine einstmals heroische Generation von Welteroberern sprühen aus seinen Versen.

Das zweite Gesicht des Poeten

Und zuweilen geht die Euphorie mit ihm durch und er entblößt jenes Gesicht, das ihn in seiner früheren und auch jetzigen Funktion vollends zu einem Problem macht. Dann postet er nämlich ein Bild der Klagemauer in Jerusalem und spricht im Kommentar zu diesem Bild zu den dort abgebildeten jüdischen Betenden. Er wirft ihnen ihre „versteinerten Herzen“ vor, zieht sie als Kollektiv zur Verantwortung für die „Tränen der unschuldigen Frauen und Mädchen“. Gibt sich ratlos, was denn „der Gott dieser Mauer“ mit ihnen anstellen soll. Er will die Mauer beschwören, die Betenden zu schlagen, aber er sorgt sich darum, dass die Mauer dabei ermüden könnte. Also beschwört er die Betenden, dass sie gegen diese Mauer krachen sollen, dass sie durch Gott geschlagen werden mögen. So lebt man den Gemeinden poetischen Antisemitismus vor.

Dann wieder postet er eine Zeichnung mit dem arabischen Vers „La galibe illallah!“. Der einzig Siegreiche ist Allah. Darunter sind in gezeichneter Darstellung verschiedene Personen zu sehen. Allen voran steht der türkische Staatspräsident Erdoğan. Unter ihm reihen sich, etwas kleiner gezeichnet, zahlreiche Personen ein, die Suat Okuyan im Kommentar unter dem Bild als jene „edlen Söhne der erhabenen Umma“ grüßt, „die in ihren Herzen die große Mission der Menschheit tragen“. Auf diesem Bild sind u.a. zu sehen: Sayyid Qutb, Hasan al-Banna (Gründer der Muslimbruderschaft), Emir Ibn al-Khattab (islamistischer Feldkommandant in Afghanistan und Tschetschenien), Ahmad Yassin (Hamas-Gründer), Shamil Bassajev (tschetschenischer Terrorist, u.a. verantwortlich für die Anschläge auf das Dubrowka-Theater in Moskau und die Schulkinder in Beslan), Anwar al-Awlaki (Al-Qaida-Extremist).

Diese militante Gesinnung schlägt immer weitere und tiefere Wurzeln, je mehr sie unwidersprochen bleibt. Oder je mehr ihr Vertreter das Gefühl hat, mit seinen Ansichten genau auf Linie seiner Organisation zu liegen. Und sie beeinflusst die Gemeindebasis, die den Eindruck gewinnt, frommes und auch der Obrigkeit in der Türkei genehmes Verhalten müsse sich an diesen Vorbildern wie Suat Okuyan orientieren. 

Denn genau das ist bei einer präzisen Analyse zu beachten: die Ditib-Gemeinden sind nicht aufgrund ihres Islamverständnisses oder ihrer konkreten Vereinsführung ein Problem für das Zusammenleben in Deutschland oder für unsere Verfassungsordnung. Ich glaube vielmehr, dass die große Masse der Gemeinden durchaus gewillt ist, ein transparentes und offenes Gemeindeleben zu praktizieren und ihren Glauben als etwas Positives zum Wohle aller in ihrer jeweiligen Stadtgesellschaft einzubringen. Denn sie, diese Gemeinden, gibt es schon viel länger, als einen Suat Okuyan.

Unterscheiden zwischen einer Ditib der Basis und einer Ditib der Führung  

Es sind aber diese Suat Okuyan-Vorbilder, die mit ihrer neo-osmanischen Großmachtsucht fehlende gemeindepädagogische Konzepte durch plumpen Nationalismus, die Verherrlichung von Militarismus und die Selbstberauschung an der eigenen demagogischen Macht ersetzen. Und diese Muster dienen dann den Gemeinden als Vorbild – weil von oben sonst fast gar nichts an Unterstützung oder Anleitung nach unten an die Gemeindebasis herangetragen wird. 

Eine Beobachtung der Ditib-Gemeinden durch die Verfassungsschutzbehörden würde wohl kaum mehr Einsichten in die vorhandenen Strukturen liefern, als das, was jetzt schon deutlich sichtbar ist. Sie brächte aber den großen politischen und gesellschaftlichen Nachteil, dass die Schäden, die den insbesondere jungen Gemeindemitgliedern bei der Gestaltung ihrer beruflichen Zukunft oder in ihrer Lebensführung entstehen werden, nicht dem Versagen eines Suat Okuyan oder der Diyanet angelastet würden.

Im Gegenteil würden für diese Konsequenzen – in der Rhetorik der türkischen Nationalisten auf den Kopf gestellt – allein der vermeintlich feindliche deutsche Staat und die deutsche Gesellschaft verantwortlich sein. Noch effektiver kann man das Geschäft der kulturellen Spalter und „Diaspora-Apologeten“ nicht betreiben. Denn diese stehen schon bereit, mit intensiv durch staatliches Geld geförderten „Kulturreisen“ junge türkeistämmige Menschen aus Deutschland in der Türkei an die dortige Staatspolitik heranzuführen und mit ihrem speziellen Verständnis von Geschichte, Religion und Nation und dem Ideal einer ausschließlich singulären, homogenen Identität zu indoktrinieren. 

Die Transparenz der Ditib Führung

Das Beispiel Suat Okuyan wäre vielleicht nicht erwähnenswert gewesen, ist seine hiesige Dienstzeit ja schon beendet und er nicht mehr in Deutschland tätig. 

Aber dann stolpert man über eine Nachricht, die viele Fragen aufwirft. Sie erscheint auf einer türkischsprachigen Nachrichtenseite im Internet und trägt die Unterschrift „Ercüment Aydin / Köln“. Die Überschrift lautet: „DITIB errichtet ein Waisenhaus und eine Külliye in Simbabwe“. Als Külliye wird ein Gebäudekomplex bezeichnet, der meist an eine Moschee angeschlossen, mehrere karitativen Zwecken dienende Gebäudeteile, wie Armenküchen, Bibliotheken, Bäder, Brunnen, Hospitäler etc. vereint. 

Die Nachricht ist ausgiebig bebildert. Auf vielen Aufnahmen ist Suat Okuyan zu sehen, mal umringt von glücklichen Kindern, mal in der Pose des Machers beim Inspizieren von Bauplänen. Im Text heißt es, die Vereine der Ditib in Deutschland errichten nach einem ähnlichen Projekt in Tansania jetzt auch in Simbabwe ein Waisenhaus für 100 Kinder und eine angeschlossene Külliye. Dank der Anstrengungen und der Unterstützung der Vereinsfunktionäre der Ditib Vereine in Essen, München und Hannover werde jetzt mit dem Bau dieses Projektes begonnen.

Das Bauvorhaben sei Teil des Projektes „Geschwisterliches Land“ der türkischen Religionsbehörde Diyanet und werde in Lions Den, etwa 100 km außerhalb der Hauptstadt Harare realisiert. Um die logistischen Arbeiten zu koordinieren, seien der Abteilungsleiter der Diyanet für Bildung und Beratung im Ausland Suat Okuyan, der Vorsitzende des religiösen Beirates in Hannover Yusuf Ay und als Vertreter der Ditib Gemeinden das Vorstandsmitglied des Landesverbandes Niedersachsen Sami Sipahi nach Simbabwe gereist.  

Das Waisenhaus werde von der Ditib auf einem 10.000 m2 großen Grundstück  mit einer Nutzfläche von 3.200 m2 errichtet. Der Gebäudekomplex werde 100 Kindern, jeweils 50 nach Geschlechtern getrennt, zu Bildungszwecken und zur sozialen Versorgung dienen. Suat Okuyan und Yusuf Ay werden wörtlich zitiert, u.a. mit der Aussage, dass das Grundstück für dieses Bauvorhaben erworben wurde und dass die Ditib und die Diyanet Stiftung der Türkei ihr soziales Engagement mit weiteren ähnlichen Projekten fortsetzen werden.

Somit erfahren wir dank eines Berichtes, der in Köln verfasst wurde aber nicht auf der Internetseite des Ditib Bundesverbandes zu finden ist – Stichwort Transparenzversprechen -, welches Engagement die Ditib Gemeinden aus mindestens drei Regional- und Landesverbänden im Ausland an den Tag legen. Nun ist ein solcher Einsatz für bedürftige Waisenkinder im Ausland eine noble Sache. Es offenbart aber auch, dass wir als Öffentlichkeit bislang wohl keine akkurate Vorstellung von der tatsächlichen Leistungsfähigkeit und -bereitschaft der Ditib Gemeinden in Deutschland haben. 

Das Argument, man habe für die Einstellung in Deutschland ausgebildeter Imame kein Geld und sei deshalb weiter an die Kooperation mit der Diyanet gebunden, erscheint in einem anderen Licht, wenn man erfährt, zu welchen großen Bauprojekten im Ausland die Ditib Mittel mobilisieren kann und zukünftig auch will. 

Erst kürzlich war der Landesverbandsvorsitzende der Ditib aus Niedersachsen mit einem solchen Argument in der Presse zu hören. Gleichzeitig reist sein Vorstandskollege Sami Sipahi – als Vertreter der Ditib Gemeinden – zur Beaufsichtigung dieses Bauvorhabens nach Simbabwe. Es wäre interessant zu erfahren, wer seine Reisekosten finanziert hat. Der Ditib Landesverband in Niedersachsen? Der Bundesverband in Köln? Oder die Diyanet in Ankara? Zur versprochenen Transparenz gehört auch Klarheit in solchen Fragen.

Und es stellt sich auch die Frage, warum ein vergleichbares soziales Engagement zum Beispiel in der Wohlfahrtsarbeit in Deutschland bislang nicht möglich gewesen ist? Denn schließlich will die Ditib ja auch zukünftig „ihre … sozialen Dienste, … auf transparente Art und Weise fortführen.“

Und was wir dank dieses Berichtes von Ercüment Aydin auch erfahren: Suat Okuyan ist jetzt Abteilungsleiter der Diyanet für Bildung und Beratung im Ausland. Demnach waren seine Aktivitäten in Deutschland, im Bundesvorstand der Ditib, samt seiner oben beschriebenen öffentlichen Postings wohl kein Hindernis auf dem Weg zu seinem neuen Posten. Im Gegenteil scheint die Diyanet mit seiner Arbeit und seinen Ansichten so zufrieden zu sein, dass er sich nun auch weltweit mit diesen Einstellungen entfalten kann – und zwar ausdrücklich bei der Bildung und Beratung junger Muslime. 

Fragt sich nur, ob das auch im Interesse des gesellschaftlichen Friedens in Deutschland ist?