Die Fänger im Roggen – Ein Trauerspiel in drei Teilen, Teil 3 „Der Abgrund“

In den beiden vorherigen Teilen haben wir an zwei konkreten Beispielen die Narrative und Argumentationsmuster der antimuslimischen „islamkritischen“ Szene kennen gelernt. Auch am Beispiel eines Hochschullehrers für islamisch-theologische Fächer. Das ist das akademische Fachpersonal. Und es ist – in dieser Gestalt – nicht gut. Nicht gut für unser gesellschaftliches Zusammenleben.

Wer ist bloß auf die Idee gekommen, Import-Experten ohne den geringsten Bezug zu den einheimischen Muslimen könnten etwas Sinnvolles produzieren, das unserem gesellschaftlichen Zusammenwachsen förderlich wäre? Die Imame der DITIB kennen wenigstens die hiesigen Muslime. Die Import-Experten kennen – wie in den beiden Teilen zuvor exemplarisch dargelegt – weder die hiesigen Muslime, noch die historischen und rechtlichen Bedingungen unseres Landes. Wer hat bei ihren Einstellungen denn wirklich geglaubt, dass aus einem grobschlächtigen religionspolitischen Reformeifer, ohne inhaltliche oder gemeindliche Substanz, etwas Fruchtbares für die islamische Theologie, die muslimischen Gemeinschaften oder die Gesamtgesellschaft in Deutschland herauskommen könnte?

Was wir stattdessen haben, ist eine Szene, die – wie beim Beispiel MFD – über Einzelpersonen in ihren Reihen teilweise mit ausländischen antimuslimischen Think Tanks verflochten ist, flankiert von „Experten“, die durch die Kriminalisierung und Dämonisierung ganzer Religionsgemeinschaften eine gesellschaftliche Bedrohungslage konstruieren, um die sich dann die Politik mit ihren exponierten Stimmen kümmern soll.

Volker Beck verschickt einen Tag nach den Veröffentlichungen Ourghis und Azizis über seinen Informationsdienst als Bundestagsabgeordneter Verlautbarungen, in denen die DITIB als rechtlich wie gesellschaftlich zwielichtig lanciert werden. Er verschweigt dabei geflissentlich, was die wahre Haltung der DITIB Vertreter – wie sie hier auch auf dieser Seite immer wieder deutlich wird – tatsächlich ist.

Gleichzeitig wird er unterstützt von seinem Parteifreund Özdemir, der taggleich in den Raum stellt, DITIB sei „undemokratisch“. Für diese Proklamationen sind Fakten irrelevant. Sie dienen einzig und allein dazu, die größte islamische Religionsgemeinschaft im gesellschaftlichen Ansehen zu diskreditieren. Das politische Ziel ist dabei schon längst die Wiederholung des österreichischen Testlaufs eines Islamgesetzes, das trotz seiner Verfassungswidrigkeit gesellschaftlich akzeptiert werden soll.

Für den Preis der Aufgabe demokratischer Grundprinzipien soll ganz dem Wunsch Ourghis entsprechend ein neuer Islam und eine neue muslimische Vertretung staatlich „gestaltet“ werden. Dazu bedienen sich diese Herostraten in ihrer mittlerweile obsessiven Ablehnung gegenüber den islamischen Religionsgemeinschaften wie oben dargelegt der Mittel der Denunziation, Diskreditierung und Dämonisierung.

Jeder konstruktive Beitrag der Religionsgemeinschaften ist eine irrelevante oder mit dem Makel der Verstellung behaftete Einzelmeinung, jede Äußerung die im Wortlaut nicht mit den eigenen Gedanken übereinstimmt, ein Beweis von Niedertracht, der hämisch kommentiert wird. Von einer seriösen Debatte um die Zukunft der Muslime in Deutschland haben sie sich schon längst verabschiedet.

Es geht um das Fernziel des Verbots, der Zerschlagung oder Umgestaltung im Interesse eines vermeintlich „reformierten Islam“, von dem die Akteure selbst außer plakativen Schlagworten nicht wissen, was er bedeuten soll. In völliger Ignoranz gegenüber dem immer deutlicher erkennbaren Phänomen des individualisierten Terrors, der ideologischen Adaption von Hassnarrativen durch Individuen ohne gemeindliche, also kollektive Religionspraxis, betreiben sie die Atomisierung des gemeinschaftlichen Islam.

Es ist kein Zufall, dass die Protagonisten dieses Verständnisses selbst einsame Wölfe ohne gemeindliche Anbindung sind, keine Sozialisation in den hiesigen Gemeinden erlebt haben und zu den fast 90 % der Bürger gehören, die noch nie eine einheimische Gemeinde von innen erlebt haben. Und damit ist in ihrem Fall nicht der Besuch einer Gemeinde gemeint, sondern die Erfahrung kollektiv gelebten Glaubens unter Muslimen. Am Ende wollen sie den Islam dahin reformieren, dass er nur noch in der individuellen Praxis relevant ist und ohne Gemeinde, ohne Moscheekultur, ohne Anleitung durch die in der islamischen Tradition verankerten religiösen Gelehrten funktioniert. Nach einer solchen „Reform“, wird ein Islam in Gestalt eines esoterischen Selbstbedienungsladens entstehen, aus dem sich dann jeder für sein Wohlbefinden die jeweils passenden islamischen Versatzstücke heraussuchen wird.

Die „Experten“ glauben in ihrer grenzenlosen Hybris, mit einem „historisch-kritischen“ Ansatz den Missbrauch religiöser Inhalte verhindern zu können und erkennen trotz der alltäglich gelebten Praxis nicht, dass es gerade der kollektive Glaube, die Kultur einer gelebten Moscheegemeinschaft ist, die das etwaige Missbrauchspotential durch Individuen einhegt. Jeder alte Haci versteht das, weil er in dieser Gemeinschaft aufgewachsen ist. Jeder muslimische Gastarbeiter, der mit eigener Hände Arbeit seine Moschee errichtete, hatte das begriffen, weil er in Zeiten der Not, der Einsamkeit und der Verzweiflung stets Trost und Geborgenheit in dieser Gemeinschaft erfahren hat. Den hochgebildeten akademischen „Import-Experten“ und religionspolitischen Koryphäen gelingt diese simple Erkenntnis bis heute nicht. Weil sie diese hier einheimische, muslimische Kultur der Gemeinschaft im eigenen Leben nie erfahren haben und in der Perspektive des außenstehenden Dritten nur als vermeintlich rückständig belächeln.

Sie glauben, mit in einer Beschützerrolle die Gesellschaft vor Gefahren zu bewahren, die sie in den islamischen Religionsgemeinschaften verorten. Ähnlich dem Protagonisten Holden Caulfield aus J.D. Salingers Roman „Der Fänger im Roggen“ – hier schließt sich der Bogen zur Überschrift der drei Beiträge –, wähnen sie unsere Gesellschaft in der Nähe eines gefährlichen Abgrundes und haben in Wirklichkeit nur missverstanden, worum es wirklich geht. Es gibt keine islamischen Religionsgemeinschaften als Klippen, an denen der Absturz der Gesellschaft aufgehalten werden muss. Es fehlt uns vielmehr daran, dass wir uns häufiger begegnen, über den Weg laufen und kennenlernen. Die „Experten“ und „islamkritischen“ Politiker hören immerzu nur den Auftrag „Catch!“, obwohl es uns vor allem an einem „Meet!“ mangelt.

Und was sie auch nicht erkennen: Die ständige Anrufung der Geister der Ablehnung, des Widerstandes gegen vermeintlich bedrohliche, radikale, moderat islamistische, gefährliche, konservative, islamische Religionsgemeinschaften bleiben nicht folgenlos. Es wird nicht dabei bleiben, dass Verbotsgesetze erlassen werden, dass Gemeinschaften nach staatlichen Vorstellungen umgestaltet werden.

Denn es etabliert sich hierzulande immer mehr eine antimuslimische Kultur der Fremdmarkierung, der Ausgrenzung, der Denunziation, der öffentlichen Anprangerung und Entfremdung. Es führt dazu, dass immer größere Bevölkerungsgruppen kollektiv als feindlich, bedrohlich, gefährlich lanciert werden, so dass in der breiten Bevölkerung repressive gesetzliche Maßnahmen gegen diese Gruppen als legitim betrachtet werden. Und je größer die Bedrohung dargestellt oder auch nur imaginiert wird, desto größer werden die Einschränkungen an Freiheit und Demokratie sein, die unsere Gesellschaft als im Interesse der Sicherheit notwendig zu akzeptieren bereit sein wird.

An welche aktuell so vehement kritisierte Situation erinnert das bloß?