Mia san verfassungswidrig!

Der Freistaat Bayern praktiziert seit 2003/2004 einen Modellversuch „Islamischer Unterricht“. Er ist von Beginn an den muslimischen Bürgerinnen und Bürgern in Bayern als Äquivalent zum katholischen und evangelischen Religionsunterricht vorgestellt und beworben worden. Entsprechend gutgläubig haben ihn muslimische Eltern von Beginn an unterstützt und ihre Kinder zum Islamischen Unterricht (IU) als vermeintlichen Religionsunterricht angemeldet.

 

Je deutlicher die rechtliche und inhaltliche Mangelhaftigkeit dieses Modellversuchs wurde, desto intensiver haben sich die islamischen Religionsgemeinschaften in Bayern, allen voran die DITIB Landesverbände Nordbayern und Südbayern, um eine Überführung dieses problematischen Konzepts in einen verfassungsmäßigen Religionsunterricht auf der Grundlage unseres Grundgesetzes bemüht.

 

Seit zwei Jahren bleibt ein Antrag der DITIB Landesverbände auf einen verfassungskonformen Religionsunterricht durch das zuständige Fachministerium unbearbeitet. Gleichzeitig treten die Janusköpfigkeit und die verfassungsrechtliche Untauglichkeit des IU immer deutlicher hervor.

 

Durch Politik und Verwaltung wird diese Entwicklung mit einer Haltung begleitet, die man nur noch als offene Geringschätzung der islamischen Religionsgemeinschaften verstehen kann. Der Begriff „Freistaat“ wird offensichtlich als Synonym für verfassungsrechtliche Willkür verstanden. „Mia san mia“ scheint zum Credo und im rechtlichen wie protokollarischen Umgang einzig bestimmendes Element geworden zu sein.

Im Interesse der Verfassungstreue aller Beteiligten und zur Wahrung der bürgerlichen Rechte der bayerischen Muslime können diese Zustände nicht unkommentiert bleiben.

 

Das Konzept IU kann vereinfacht so beschrieben werden: „Am bayerischen Wesen, soll der Islam genesen“. Der verfassungswidrige islamische Religionsunterricht in Gestalt des IU soll einen Islam lehren, wie ihn das bayerische Kultusministerium sehen will und nicht, wie er den Grundsätzen der betroffenen Religionsgemeinschaften entspricht. Ein solches Konzept – das wissen auch die Juristen des bayerischen Kultusministeriums – ist verfassungswidrig.

 

Das Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung (ISB) beschreibt die rechtlichen Rahmenbedingungen des IU dann auch entsprechend holprig. Dort wird erkannt, dass die Umbenennung des Modellversuchs nichts an den rechtlichen Voraussetzungen ändert. Nur weil der Unterricht nicht „islamischer Religionsunterricht“ genannt wird, sondern „Islamischer Unterricht“, beseitigt dies nicht die Tatsache, dass hier der Staat seine Neutralitätspflicht verletzt und einen Religionsunterricht ohne Religionsgemeinschaft betreibt.

 

Der Bericht des ISB beklagt, dass es für die Durchführung eines Religionsunterrichts einer entsprechenden Religionsgemeinschaft bedarf, diese aber angeblich in Bayern nicht existiere. Das ist eine vollkommen willkürliche Ausgangsthese. Allein mit den beiden DITIB Landesverbänden gibt es bereits zwei islamische Religionsgemeinschaften, in denen über 150 Moscheegemeinden verbunden sind.

 

Diese Tatsache ignorierend heißt es im ISB-Bericht sehr erhellend: „Aus diesem Grund hat das Kultusministerium nach einer Lösung gesucht, um dennoch einen Unterricht für alle Muslime zu ermöglichen.“

Dann wird beschrieben, wie das Kultusministerium zwei Elternvereine, die sich im Vereinsnamen „Religionsgemeinschaft“ nennen, aber die verfassungsrechtlichen Kriterien nicht erfüllen – ein Elternverein ist nun mal keine Religionsgemeinschaft, auch wenn sie sich so nennt – als muslimische Quasi-Legitimation beteiligt. Damit seien – so der ISB-Bericht im Wortlaut – „die Erfordernisse des Grundgesetzes, Art. 7, weitgehend erfüllt.“

 

Das ist also das bayuwarische Verfassungsverständnis: Bestehende Religionsgemeinschaften ignorieren, um eigene inhaltliche Vorstellungen ohne Rücksicht auf die Grundsätze der Religionsgemeinschaften umsetzen zu können, dabei gleichzeitig Elternvereine als verfassungsrechtliches Feigenblättchen benutzen, obwohl es sich bei ihnen nicht um Religionsgemeinschaften handelt.

 

So, als ob man nur ein bisschen schwanger sein könnte, ist es in Bayern ausreichend, verfassungsrechtliche Vorgaben nicht vollständig, sondern nur „weitgehend“ zu erfüllen. Das ist ein bemerkenswertes integratives Vorbild, an dem sich zukünftig alle orientieren können, von denen man „Anpassung an einheimische Werte“ verlangt: Es reicht, wenn man „weitgehend“ rechtstreu ist.

 

Es verwundert nicht, dass die inhaltliche Arbeit unter solchen rechtswidrigen Voraussetzungen nicht gelingen kann. Entsprechend merkwürdige Blüten treiben die Lehrpläne des IU.

Dort heißt es, die Lehrpläne beruhten „auf denjenigen grundlegenden Aussagen der islamischen Glaubenslehre, über die unter Muslimen in ihren verschiedenen ethnischen Ausprägungen und Rechtsschulen Konsens besteht“.

Hier erfindet das bayerische Kultusministerium neue verfassungsrechtliche Kriterien, die es gar nicht gibt. Das Grundgesetz verlangt vielmehr, dass der Religionsunterricht „in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt“ wird. Was diese Grundsätze sind, können nicht der bayerische Staat oder seine „Fachleute“ bestimmen. Das ist die Aufgabe der Religionsgemeinschaften.

 

Die staatliche Selbstermächtigung, was ein Religionsunterricht inhaltlich bewirken soll, wird deutlich in der Formulierung: „Alles in allem dient der Islamunterricht auch dazu, die muslimischen Kinder auf ihr Leben als Bürger der Bundesrepublik Deutschland vorzubereiten.“

Welches Menschen- und Muslimbild dabei diesem Erziehungsauftrag innewohnt, wird an anderer Stelle der Lehrpläne deutlich, wo es heißt: „Was wir als muslimische Schüler zu einem friedlichen Miteinander beitragen können […] – nicht stehlen und nicht lügen […] – nicht Schwarzfahren“.

 

Besonderes Augenmerk legen die Lehrpläne darauf, dass den muslimischen Kindern das Christentum näher gebracht wird. Im „Islamischen Unterricht“ soll das Leben und Wirken Jesu aus christlicher Sicht thematisiert werden – und zwar mit einer appellativen Konzeption: „Jesus solidarisierte sich mit den Schwachen und Verachteten in der Gesellschaft […] Wer ist in unserer Gesellschaft schwach und wird verachtet? Wie gehen wir mit diesen Menschen um? Wie würden wir auf einen „Heiland“ reagieren. Der sich mit solchen Menschen umgibt?“.

 

Über die bloße unterschiedliche Bedeutung Jesu in Christentum und Islam geht das bayerische Kultusministerium hinaus und will den Kindern der sechsten Jahrgangsstufe mit Blick auf das Christentum die Fragen stellen: „Was finde ich gut an anderen Religionen? Kann ich Gutes übernehmen?“

Ob ein solche „Übernahme“ sich mit den Grundsätzen der islamischen Religionsgemeinschaften deckt, ist für das bayerische Kultusministerium irrelevant.

 

An anderer Stelle wird dann für einen Moment deutlich, mit welcher qualitativen Bewertung die muslimischen Kinder für die Sicht des bayerischen Kultusministeriums eingenommen werden sollen. Da heißt es in den Lehrplänen: „Kreuzzugszeit als Einbruch und gleichzeitig Begegnung und Kulturaustausch. Schilderung der Entstehung der Kreuzzugsidee im Abendland unter Papst Urban II. (Wallfahrtsgedanke; Rittertum; Befreiung des heiligen Grabes von den „Ungläubigen“) […]“.

In der gleichen Logik wird die spanische Reconquista als „Unnachsichtigkeit gegenüber Nichtchristen“ beschrieben.

 

Schwerer noch als diese Passagen wirkt die religionsgestaltende Intention des bayerischen Kultusministeriums, das unmittelbar in die Grundsätze der islamischen Religionsgemeinschaften eingreift: „ Als wesentliches hermeneutisches Prinzip gilt auch für den Islamunterricht, was für die islamische Theologie gilt: Aussagen des Korans müssen, bei aller möglichen korrelativen Aktualisierung, zuerst in ihrem historischen Bezug gesehen werden.“

 

Als islamische Religionsgemeinschaft will man da spontan fragen, warum? Seit wann und mit welchem Recht – das Grundgesetz kann es jedenfalls nicht sein – ist das bayerische Kultusministerium dazu berufen und befähigt, muslimischen Kindern beizubringen, wie sie Aussagen des Korans sehen müssen?

 

Diese inhaltliche, in die Grundsätze der Religionsgemeinschaften eingreifende Anmaßung wird auch im Detail manifest: „Manches von dem, was Mohammed gewöhnlich tat, ist durch die Sammlung zum festen Bestandteil muslimischer Lebenskultur (Sunna) geworden.“ Eine unvollständige und höchst fragwürdige Erläuterung des Begriffs und der Bedeutung der Sunna.

 

Oder an anderer Stelle: „Auch Nicht-Muslime können Zakat bekommen.“ Eine in dieser kategorischen Form schlicht falsche und das Verhältnis von Regel und Ausnahme umkehrende Behauptung.

 

All diese inhaltlichen Mängel sollen nicht darüber hinwegtäuschen, dass der IU nicht bloß seinem Inhalt nach, sondern gerade von den rechtlichen Vorgaben und Rahmenbedingungen her unzumutbar und rechtswidrig ist. Inhaltliche Anpassungen oder Verbesserungen können einen solchen Makel nicht beheben.

 

Muslimische Organisationen, wie die neue Islamische Landesreligionsgemeinschaft Bayern (ILRB), in der viele kleinere Gemeindeverbünde und Gemeinden des ZMD und des Islamrats versammelt sind, erliegen der Versuchung, durch die inhaltliche Unterstützung eines solchen verfassungswidrigen Modells politische Anerkennung als Gesprächspartner des bayerischen Kultusministeriums zu erlangen. Sie verkennen dabei, dass sie nur als Vehikel einer verfassungsrechtlichen Kosmetik dienen, welche die Unvereinbarkeit eines solchen Modells mit unserem Grundgesetz kaschieren soll.

 

Sie blenden aus, dass die problematische Grundkonstellation und die Nichtachtung der bestehenden islamischen Religionsgemeinschaften dazu führen, dass auch in der praktischen Umsetzung des IU immer häufiger Probleme auftauchen. Ein christlicher Geistlicher, der als Lehrer den Unterricht führt, Lehrkräfte, die sich abfällig über islamische Grundüberzeugungen äußern, sind nur wenige Beispiele für diese Fehlentwicklung. Muslimische Eltern scheuen sich, diese Missstände offen anzusprechen, weil sie sich um den schulischen Erfolg ihrer Kinder sorgen.

 

Auch die gesellschaftlichen Signale, die das bayerische Kultusministerium mit seiner verfassungswidrigen Praxis aussendet, führen zu einer immer weiter um sich greifenden ablehnenden Haltung gegenüber Muslimen in Bayern. Es verwundert nicht, dass es auch an Privatschulen zu Stigmatisierungen kopftuchtragender Mädchen kommt, wenn der Staat selbst es ist, der in seinem IU die negative Rolle eines paternalistisch-erzieherischen Religionsgestalters einnimmt.

Anders als der ZMD und der Islamrat im ILRB haben die DITIB Landesverbände deutlich signalisiert, dass es mit ihnen eine Unterstützung des aktuellen Modellversuchs nicht geben wird. Jedes inhaltliche Mitwirken, jeder inhaltlicher Beitrag zur Fortsetzung dieses Modells wäre eine Aufrechterhaltung und Hinnahme verfassungswidriger Zustände und einer staatlich-bayerischen Gesinnungserziehung in Religionsfragen.

 

Es muss die Aufgabe der islamischen Religionsgemeinschaften sein, die Eltern muslimischer Kinder darüber aufzuklären, welches Konzept und welche Motivation sich hinter dem IU verbergen. Wobei „verbergen“ nicht die treffende Bezeichnung ist. Denn die Verfassungswidrigkeit des Modellversuchs ist längst kein Geheimnis mehr und wird von oberster Stelle freimütig kommentiert.

 

Dank der Pressemeldung des Kultusministeriums vom 21.01.2016 erfahren wir, dass Bayern seinen verfassungswidrigen Weg weiter gehen will. Der IU sei kein konfessioneller Religionsunterricht und basiere auf dem Fundament des deutschen Grundgesetzes. Beides bloße Behauptungen und in der Substanz haltlos, wie aus dem eigenen ISB-Bericht des Kultusministeriums ersichtlich.

 

Deshalb sind Bayern und die Universität Erlangen-Nürnberg, wo die akademische Flankierung dieses Projekts stattfindet, eben nicht „im Bundesvergleich vorbildlich“. Bayern ist mit diesem Projekt im Bundesvergleich eine Insel der Verfassungswidrigkeit.

 

Mehr noch wird in dieser Meldung deutlich, worum es eigentlich geht: Bei dem IU gehe es „nicht um klassischen Religionsunterricht“. Der IU sei „staatlich kontrollierte Aufklärung, damit sie nicht in falschen Händen stattfindet“.

 

All das sollten Eltern erfahren, bevor sie ihre Kinder zum vermeintlich „Islamischen Unterricht“ anmelden.

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