Nicht mehr verfassungstreu …

Reden wir Tacheles. Nennen wir das Kind doch einfach beim Namen: Die Grünen sind bald ein Fall für den Verfassungsschutz.

Der Vorstoß der Grünen Parteiführung und ihr abermaliger untauglicher Versuch, die muslimischen Religionsgemeinschaften zu diskreditieren, hat eine andere Motivlage, als die vorgeschobene Sorge um die Verfassungsmäßigkeit der religionspolitischen Entwicklungen in den Bundesländern, in denen die etablierten muslimischen Religionsgemeinschaften beginnen, ihre verfassungsrechtlich skizzierte Rolle im Verhältnis zum Staat einzunehmen.

Es ist vielmehr die in weiten Teilen der Politik und der Medien verbreitete Neigung, je nach aktuellem Spielstand die geltenden Regeln des gesellschaftlichen Miteinanders ändern zu wollen. Erst gestern wurde das Grundgesetz den Muslimen als unverrückbarer Ordnungsrahmen unter die Nase gehalten. In einer an heiligen Eifer erinnernden Manier wurde die Sakralisierung des Säkularen auf den Höhepunkt getrieben, in dem das Grundgesetz in den Rang einer quasigöttlichen Verkündung erhoben wurde, die für sich letzte und umfassende Geltung auch für das Denken und Glauben eines jeden Bürgers beansprucht. Dabei völlig verkennend, dass es sich beim Grundgesetz nicht um die Offenbarung eines Gnadenaktes handelt, sondern um den Regelungsrahmen, der dem Individuum – und im Falle der Religionsgemeinschaften auch ihren personellen Selbstorganisationen – Freiheitsansprüche gegen und Schutz vor dem Staat garantiert.

Das Grundgesetz ist nicht der exklusive Gabenkorb, aus dem der Staat nach Gutdünken Freiheitsrechte verteilt. Es ist der für alle gleichermaßen gültige Referenzrahmen unseres Zusammenlebens. Die Verfassungstreue ist ein für alle verbindlicher Maßstab – ganz besonders aber für die Politik und den Staat. Denn das Grundgesetz schützt nicht in erster Linie den Staat vor seinen Bürgern, sondern die Bürger vor ihrem Staat.

Heute, da sich die muslimischen Religionsgemeinschaften nun vollständig in diesen Regelungsrahmen begeben und einpassen, gerade jetzt wollen einige Herrschaften die Spielregeln wieder ändern und offenbaren eine verfassungswidrige und in ihrer Willkür schon als verfassungsfeindlich zu bezeichnende Gesinnung, die nach politischem Gusto Religionsgemeinschaften gestalten, reglementieren oder sie vollständig aus dem Schutzbereich unserer Verfassung herausdefinieren will. Es soll nicht mehr das gelten, was Recht ist, sondern das, was politisch opportun erscheint.

Diese häufig anzutreffende Geisteshaltung findet Inkarnation in den politischen Islamexperten und den Desperados der muslimischen Szene.

Im öffentlichen Diskurs scheint bereits als Islamexperte zu gelten, wer irgendwie dunkle Haare hat, nicht akzentfrei Deutsch sprechen kann und / oder etwas Abfälliges über muslimische Religionsgemeinschaften von sich gibt. Zum Expertentum braucht es heutzutage selten mehr.

Im Bereich der Politprofis erkennt man solche Experten daran, dass sie ihren Bezugspunkt aber nicht ihre Hybris geändert haben. Deutlich wird das aktuell wieder am Beispiel Cem Özdemirs, der in der taz Perlen seines Verfassungsverständnisses unter das Leservolk streut: http://www.taz.de/Gruenen-Chef-kritisiert-Import-Imame/!5262516/

„Import-Imame“ ist eine eigene Formulierung Özdemirs, bei der er und auch die veröffentlichende Redaktion offenbar nicht erkennen, dass es sich um eine stigmatisierende, ausgrenzende, in ihrem minderqualifizierenden, Untauglichkeit suggerierenden Gehalt rassistische Bezeichnung handelt. Bei dieser Formulierung ist der gleiche Ungeist am Werk, der im Falle von organisierten rassistisch motivierten Morden auch nur „Döner-Morde“ erkennen wollte.

Auch inhaltlich ein Satz verfassungsrechtlich schlimmer als der andere. „Es ist nicht akzeptabel, dass der türkische Staatspräsident darüber entscheidet, welche Interpretation des Islam auch hier in Deutschland die legitime ist.“ und „Ankara muss die Muslime freigeben. Wir müssen darauf bestehen“. Das klingt markig, das klingt Missstände entlarvend. In Wirklichkeit entlarven diese Sätze nur den verfassungsrechtlich kenntnisarmen oder bewusst verfassungswidrigen Geist ihres Urhebers.

Dass das Religionspräsidium Diyanet organisatorisch nicht dem Amt des Staatspräsidenten der Türkei, sondern dem des Ministerpräsidenten zugeordnet ist, mag man als Nebensächlichkeit verzeihen. Auch ein Grünen-Chef kann ja nicht von jedem Thema, zu dem er sich äußert, eine Ahnung haben. Vielleicht ist es auch nur eine freudsche Fehlleistung, die den eigentlichen Anknüpfungspunkt des revanchistischen Grolls offenbart und sich nur unbeholfen das knappe Mäntelchen der Religionspolitik übergeworfen hat.

Die Türkisch-Islamische Union DITIB ist jedenfalls eine nach deutschem Vereinsrecht organisierte muslimische Religionsgemeinschaft. Sie ist also eine deutsche Organisation. Sie kooperiert eng mit der Religionsbehörde Diyanet. Ihre Imame kommen mehrheitlich von der Diyanet. Aber nur drei von sieben Mitgliedern des Bundesvorstandes sind Diyanet-Theologen.

Die Suggestion, es handele sich bei der DITIB um eine ausländische Organisation, ist also ein Versuch der bewussten Irreleitung. Die Tatsache, dass die nahezu 900 Moscheegemeinden der DITIB ihre Imame von der Diyanet beziehen, hat ihre Gründe nicht in einer fremdstaatlichen Kontrolle, sondern in dem großen Vertrauen, das Muslime den Theologen der Diyanet entgegenbringen. Das mag sicher auch daran liegen, dass die Diyanet nicht erst seit 5 Jahren mittels Religionspädagogen versucht, islamische Theologen auszubilden, sondern aus einer fast 500-jährigen Gelehrten- und Ausbildungstradition schöpft. Das mag auch der Grund dafür sein, warum Moscheegemeinden aus anderen Dachverbänden, zum Beispiel solche des Islamrats oder des ZMD, in nicht unerheblicher Zahl ebenfalls Diyanet-Imame in ihren Gemeinden einstellen.

In den DITIB Gemeinden versammeln sich Muslime jeglicher Herkunft zum Gottesdienst. Selbst in Dachverbänden, die sich einer ethnischen Vielfalt rühmen, ist eher zu beobachten, dass ihre Mitgliedsgemeinden ethnisch homogene Gemeindestrukturen aufweisen. Den DITIB Gemeinden ist dieses Phänomen fremd – ihre vereinsrechtlich eingetragenen Mitglieder mögen mehrheitlich türkischstämmig sein, ihre Moscheebesucher kommen regelmäßig aus allen muslimischen Bevölkerungsgruppen. Gerade auch aus diesem Grund sind es jedes Jahr mehrere Moscheegemeinden, die eine Aufnahme in die Religionsgemeinschaft der DITIB nachfragen.

Von „freigeben“ kann deshalb mit Anspruch auf Ernsthaftigkeit kaum die Rede sein. Die Muslime stimmen über die Tauglichkeit der religiösen Angebote mit ihren Füßen ab. Dass den Kleinstorganisationen mit selten mehr als zwei Moscheegemeinden nicht die Türen eingerannt werden, ist in der Grünen-Logik offenbar auch die Schuld der etablierten Religionsgemeinschaften. Der Wunsch, diese Verhältnisse durch politische Interventionen umkehren zu wollen, offenbart ein janusköpfiges Demokratieverständnis.

Und so zu tun, als ob die Tätigkeit der Diyanet-Imame ein problematischer Faktor bei der Frage extremistischer Radikalisierung sei, ist schlichtweg böswillig und muss als fremdmotivierte politische Kampagne bezeichnet werden. Denn jede ernstzunehmende Untersuchung auf diesem Feld kommt zu dem Ergebnis, dass die religiösen Dienste der etablierten muslimischen Religionsgemeinschaften nicht als radikalisierender, sondern vielmehr immunisierender Faktor wirken. Nicht zuletzt aus diesem Grund sind es mehrheitlich die DITIB Gemeinden, die bei der Präventionsarbeit mit ihren Kompetenzen wichtige Aufgaben übernehmen. Die stetigen Verbesserungsmöglichkeiten dazu zu missbrauchen, die tatsächlichen Verhältnisse in ihr Gegenteil zu verkehren, ist einfach nur maliziös.

Das sind die Fakten, die sich jedem erschließen, der sich die Mühe macht, in eine Moscheegemeinde zu gehen und an einem Gottesdienst teilzunehmen. Abweichendes „Expertenwissen“ lässt sich nur vertreten, wenn man es tunlichst vermeidet, eine Moschee von innen kennen zu lernen.

Die Bismarckschen Kulturkämpfer in grüner Pickelhaube, die in jedem Auslandsbezug einer Religionsgemeinschaft gleich Landesverrat und gesellschaftsschädliche Umtriebe wittern und lieber selbst nach politischer Sympathie bestimmen wollen, wer hier Religionsgemeinschaft sein darf, müssen sich eines vorhalten lassen: Unser Grundgesetz sieht das anders.

Denn nach unserer Verfassungsordnung darf eine Religionsgemeinschaft sich auch vollständig an einer ausländischen Religionsgemeinschaft orientieren. Sie darf sogar im äußersten Fall ein ausländisches Staatsoberhaupt als religiöses Oberhaupt betrachten (einfach mal die Katholiken fragen) – unabhängig davon, dass die DITIB dies faktisch nicht tut, ihr dies aber wiederholt vorgeworfen wird.

Unser Grundgesetz formuliert es in einer sehr klaren und unmissverständlichen Sprache: „Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes. Sie verleiht ihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates oder der bürgerlichen Gemeinde.“ (Art. 140 GG i.V.m. Art 137 Abs. 3 WRV).

Also auch wenn der Staats des Grundgesetzes religiös neutral ist, muss dies nicht für die Religionsorganisation anderer Länder gelten und dürfen sich auch deutsche Religionsgemeinschaften an religiösen Strukturen im Ausland orientieren. Das ist Bestandteil der im Grundgesetz garantierten Religionsfreiheit.

Wer diese Freiheit beseitigen will oder für die muslimischen Religionsgemeinschaften, allen voran DITIB, außer Geltung setzen will, verfolgt gemäß unserer Rechtsordnung verfassungswidrige Bestrebungen (§ 3 Abs. 1 Nr. 1, § 4 Abs. 1 Lit. c), Abs. 2 Lit. g) BVerfSchG).

Im Interesse einer verfassungsrechtlich wachsamen Zivilgesellschaft müssen wir alle die Parteiführung der Grünen dazu anhalten, sich an unsere Verfassungsordnung zu halten. Mehr noch: Wir müssen darauf bestehen.

Und für die Medien gilt: Wenn die taz ein Streitgespräch zu Imamen der DITIB führen will, sollte sie auch Vertreter der DITIB als Gesprächspartner anfragen. Zum zeitgemäßen Expertentum gehört nämlich zu wissen, dass auch die DITIB Deutsch spricht.

Es besteht aber die Gefahr, dass es dann auch wirklich ein Streitgespräch wird.

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