Das wirklich wahre Interview

Lennart Pfahler von der WELT hat kürzlich ein Interview mit Ali Mete, dem amtierenden Generalsekretär der IGMG geführt. Die Antworten Metes stehen für alles, was man an den muslimischen Verbänden kritisieren muss. Jeder Zeile von Metes Antworten kann man ansehen, dass sie im Bewusstsein dessen formuliert wurden, was Mete für sozial erwünscht hält. Das Problem, das Mete dabei hat und das durch die Zeilen des Interviews brüllend zu Tage tritt: Es gibt zwei soziale Öffentlichkeiten, deren Wünsche Mete erfüllen will. Er weiß, dass seine Mitglieder andere Antworten lesen wollen als die nicht muslimische deutsche Öffentlichkeit.

Mete weiß: Will er mit seinen Antworten eine dieser Gruppen überzeugen, wird er es sich mit der jeweils anderen Gruppe verscherzen. Und so windet und verrenkt er sich in seinen Formulierungen, dass jede orientalische Bauchtanztruppe vor Neid erblassen würde. Wie unwohl er sich bei diesem Schleiertanz gefühlt haben muss, kann man erahnen, wenn man den Tweet Metes liest, den er nach der Veröffentlichung des Interviews gepostet hat: „Interview mit der „Welt“ über schwierige Themen, meist Suggestivfragen. Danke trotzdem, Lennart Pfahler. Nächstes Mal können wir uns mehr über die unzähligen Dienste der tausenden Ehrenamtlichen in mehr als 600 IGMG-Moscheen weltweit unterhalten.“

Man merkt, Mete hätte sich lieber selbst interviewt, mit Fragen, die ihm Gelegenheit für eine werbende Selbstdarstellung der IGMG geboten hätten. Den Gefallen hat ihm wenige Tage zuvor tatsächlich die „Islamische Zeitung“ getan. Dort durfte Mete – vermutlich in einem schriftlich geführten Interview – sich über unkritische Fragen freuen, die er in epischer Länge mit der immer gleichen Antwort beantwortet, nämlich wie großartig er die IGMG findet.

Bei kritischen Fragen hingegen hat Mete nur ein Ziel. Er will und muss das Gleichgewicht halten zwischen einer nach außen zur Schau getragenen Selbstdarstellung und der Selbstwahrnehmung, die seine Mitglieder haben. Er will niemanden vor den Kopf stoßen und sucht dabei immer nach Formulierungen, die die Wahrheit so verbiegen, dass sie letztlich beiden Seiten zumindest nicht vollkommen missfällt.

Und an diesem Punkt liegt dann auch das große Problem: Als muslimischer Vertreter kann man in den etablierten Verbandsstrukturen nicht die Wahrheit sagen. Die Wahrheit wird immer Teilen des Publikums missfallen. Die Wahrheit ist zu einer Währung geworden, die in den muslimischen Verbänden keinen Wert mehr hat. Das, was in den muslimischen Verbänden für „gute Vertretung“ gehalten wird, erhebt keinen Anspruch mehr, wahrhaftig zu sein. Ein Gewissen, das sich regt, das ein Problem damit hat, zu lügen, ist keine Grundvoraussetzung mehr für die Arbeit als muslimischer Vertreter.

Man muss sich das nun nicht mehr abstrakt vorstellen. Man sieht es dem Interview konkret an, das Mete geführt hat. Man sieht es seinen Antworten an: Für Organisationen, die behaupten, Religionsgemeinschaften zu sein, ist die Wahrheit zu einer permanenten Belastung geworden. Hätte Mete sich an die Wahrheit gehalten, würden wir heute ein anderes Interview lesen. Ein Interview, das es so auf absehbare Zeit mit diesen aktiven muslimischen Vertretern nicht geben wird.

Im Folgenden „führe“ ich ein solches „Interview“, das entstanden wäre, wenn Wahrheit für muslimische Vertreter eine Bedeutung hätte – mit den gleichen Fragen aus dem Original-Interview. Es antwortet ein fiktiver IGMG-Generalsekretär der Zukunft. Fiktiv deshalb, weil er in diesem satirischen „Interview“ nicht nur die Antworten aus dem vorliegenden realen Interview gibt, sondern einfach der Wahrheit entsprechend weiterredet. Vielleicht wird es einen solchen Vertreter eines fernen Tages mal geben. Nennen wir ihn heute und an dieser Stelle den erfundenen Charakter, die satirische Kunstfigur „Ali M.“. (Dank gebührt Lennart Pfahler für die Zustimmung zur Verwendung seines Textes mit den Originalfragen und -antworten für diese Satire. https://www.welt.de/politik/deutschland/article243121175/Milli-Goerues-In-unseren-Moscheen-findet-kein-Wahlkampf-statt.html)

Frage: Auf Ihrem Schreibtisch liegt das Buch „Operation Allah“ von Ahmad Mansour. Darin geht es um den Einfluss legalistischer Islamisten in unserer Gesellschaft und Politik. Ich kann mir vorstellen: Sie lesen das Buch nicht, weil es Ihnen so gut gefällt?

Ali M.: Ich habe angefangen, es zu lesen, es aber dann wieder zur Seite gelegt. Man kennt seine Argumente schon aus anderen Publikationen. Für das Interview habe ich das Buch hier sichtbar auf meinem Schreibtisch platziert, damit Sie den Eindruck gewinnen, dass wir offen sind für Kritik und kritische Debatten. In Wirklichkeit würden wir den Typen nicht zu einem Gespräch einladen. So, wie wir auch keine Einladungen annehmen, bei denen wir wissen, dass die Gesprächspartner vertiefte Kenntnisse von unseren Organisationen und Binnenverhältnissen haben. Bei solchen Anlässen können wir nicht unsere üblichen Werbebotschaften aufsagen und müssen uns konkreten Nachfragen stellen. Auf sowas haben wir keine Lust.

Frage: Was stört Sie an den Darstellungen?

Ali M.: Er macht das, was er selbst kritisiert. Er fördert Schwarz-Weiß-Denken und ordnet vieles sehr pauschal ein: Das sind konservative Muslime, deswegen denken sie in einer bestimmten Weise. Sie können gar nicht anders. Ich bin ja offen für Kritik und Selbstkritik, aber das ist essentialistisch. Das dürfen nur wir, wenn wir intern gegen andere Gruppen oder Glaubensgemeinschaften hetzen, zum Beispiel wenn wir abfällig über arabische Muslime reden. So etwas ist aber nichts für die Öffentlichkeit.

Frage: Sie führen seit nun drei Monaten als Generalsekretär die IGMG. Was sind Ihre Herausforderungen?

Ali M.: Ich bin schon länger im IGMG-Kontext unterwegs und deshalb mit den Themen und Strukturen vertraut. Der Umfang ist aber natürlich groß, hier in Köln ist die weltweite Zentrale der IGMG. Ich bin in einer Sprecher-Funktion. Das ist nicht einfach, weil es eine Spannung zwischen der öffentlichen Wahrnehmung und dem Selbstverständnis der IGMG gibt. Zudem ist in so einer internationalen Gemeinschaft eine gewisse Binnensolidarität und Kommunikation von großer Bedeutung. In so einer großen Organisation ist Zusammenhalt wichtig. Mit Binnensolidarität meine ich: Wir dürfen die Mitglieder nicht vor den Kopf stoßen. Deshalb managen wir das Spannungsverhältnis zwischen öffentlicher Wahrnehmung und internem Selbstverständnis mit doppelten Botschaften. Wir reden in die Öffentlichkeit auf Deutsch anders als wir nach innen auf Türkisch reden. Wir müssen da genau aufpassen, welche Botschaft von welchem Publikum gehört werden will. Danach entscheiden wir dann, was wir konkret sagen. Häufig ist es hilfreich, eben nicht konkret zu werden, sondern möglichst unbestimmt und wortreich auszuweichen. Das zu verinnerlichen und konsequent einzuhalten ist manchmal schon anstrengend.

Frage: Gibt es Themen, bei denen es knirscht?

Ali M.: Ich würde eher von Herausforderungen sprechen, mit denen jede Religionsgemeinschaft konfrontiert ist, zum Beispiel die zunehmende Säkularisierung, Nachwuchsförderung oder der Wert von Ehrenamtlichkeit. Wir sind in einer Phase, in der wir uns strukturell weiter festigen müssen. Deshalb meiden wir es, intern über Themen zu sprechen, die in der nicht muslimischen Öffentlichkeit als wichtig empfunden werden. Nach innen ist es uns viel wichtiger, mit der unveränderten Erbakan-Propaganda die Reihen geschlossen zu halten. Da geht es dann darum, dass wir als Milli Görüs Anhänger eine moralische Elite sind und die einzig wirklich anständigen Menschen auf diesem Planeten. Alle anderen sind unsere Gegner und wollen uns nichts Gutes. Wir führen praktisch einen permanenten Existenzkampf um den Erhalt des Islam und wir sind die Elitetruppen Gottes. Klingt ein bisschen martialisch, aber die Mitglieder spenden üppiger, wenn sie das Gefühl haben, es geht um Alles oder Nichts und ohne uns als IGMG-Vertreter ginge es ihnen deutlich schlechter. Ein bisschen Armageddon-Rhetorik tut der Vereinskasse ganz gut.

Frage: Es gab Berichte, dass Ihr Vorgänger Beko A. bei der Basis in Ungnade gefallen sei. A. hatte die Hamas bei einer Veranstaltung in Wien als „terroristisch“ bezeichnet. Und er hat sich in Teilen von Necmettin Erbakan distanziert, dem Gründervater von Milli Görüs.

Ali M.: Ich würde nicht sagen, dass er in Ungnade gefallen ist. Er genießt weiterhin das Vertrauen der Gemeinschaft und ist stellvertretender Vorsitzender. Man muss das richtig einordnen. Es war eine zweistündige Diskussion und am Ende wurden zwei Halbsätze herausgepickt. Das war unglücklich. Hat aber letztlich doch gereicht, um den armen Teufel abzusägen. Der wollte bei einer quasi geschlossenen Werbeveranstaltung in Wien all jenen gefallen, die unsere Ideologie kritisieren. Doppelte Botschaften sind aber nur dann wirklich nützlich, wenn sie in dem Kreis der Adressaten bleiben, für die sie bestimmt sind. Unsere interne Demagogie wird schließlich nur dann zu einem Problem, wenn sie öffentlich sichtbar wird. Dann müssen wir wieder die Einzelfall-Strategie auspacken. Und umgekehrt gilt eben auch: Eine selbstkritische Distanzierung vom Gründervater unseres Ladens ist halt keine Position, mit der man intern einen Blumentopf gewinnt. Vielmehr bekommt man dann den Blumentopf über den eigenen Schädel gezogen. Das meine ich natürlich nur metaphorisch. Aber das hätte Bruder Beko eben besser wissen müssen. Keine Ahnung was ihn da geritten hat, warum er sich nach Jahren plötzlich eindeutig und klar positionieren wollte.

Frage: Was genau empfanden Sie als unglücklich?

Ali M.: Dass die wichtigen Aspekte in Bezug auf die IGMG und ihre Entwicklung, die auf der Veranstaltung diskutiert wurden, am Ende kaum Beachtung gefunden haben. DAS war doch die Botschaft, die für das nicht muslimische Publikum bestimmt ist. Veränderung, Demokratisierung, „Wir sind Religionsgemeinschaft“ und so. Warum dort plötzlich von Israel, Hamas und Erbakan reden? Das war nicht sehr geschickt.

Frage: Würden Sie seine Aussage wiederholen, dass die Hamas eine Terrororganisation ist?

Ali M.: Für uns als Religionsgemeinschaft gilt der Maßstab, dass Unrecht Unrecht ist, egal von wem es begangen wird und egal, an wen es sich richtet – und auch belangt wird. Außerdem haben wir jegliche Form von Gewalt und antijüdische Äußerungen immer verurteilt. Wir haben uns als Organisation für die Zwei-Staaten-Lösung bei gleichzeitiger Anerkennung des Existenzrechts ausgesprochen. Wenn die Hamas etwas Unrechtes tut, dann wird das ganz sicher immer nur eine Reaktion auf vorheriges Unrecht der Juden gewesen sein. Oder, nein. Streichen Sie das bitte. „… eine Reaktion auf vorheriges Unrecht der Zionisten sein“. So ist es besser. Am Ende muss man das auch richtig einordnen. Es geht immer um die richtige Einordnung. Die Hamas hat nicht die gleichen Waffen wie die Armee der Zionisten. Deshalb wirkt das so, als ob das Terrorismus sei, wenn Bomben irgendwo explodieren oder Raketen fliegen. Es geht hier aber um Selbstverteidigung gegen einen terroristischen Zionismus. Das muss man richtig einordnen.

Frage: Im Jahre 2010 hat das Bundesinnenministerium die Hilfsorganisation IHH verboten die von IGMG-Funktionären geleitet wurde. Die IHH hatte Spenden für die Hamas gesammelt. Da müssen Sie sich doch klar positionieren, Herr M.: Ist die Hamas eine Terrororganisation?

Ali M.: Die IHH hat nicht für die Hamas gesammelt, sondern für humanitäre Hilfsprojekte. Diese wurden über dieselben Strukturen abgewickelt wie EU-Projekte. Zu beurteilen, welche Organisation eine Terrororganisation ist, ist die Aufgabe der Gerichte und der Staatsbehörden, nicht meine. Schließlich ist jeder Widerstand gegen Jud…, Verzeihung Zionisten legitim. Das kann schon vom Grundverständnis her kein Terror sein. Das sind immer nur Hilfsprojekte. Man will z.B. den Familien von Hamas-Helden eine Rente zahlen, wenn deren Kinder sich in der Nähe von jüdischen Soldaten oder in einem Bistro in die Luft jagen. Wer soll dann die Hinterbliebenen versorgen? So ein Bistro bauen die Zionisten schnell wieder auf. Aber die Familien? Wer kümmert sich um die? Sie dürfen den Hilfsaspekt der Projekte nicht übersehen.

Frage: Also keine Positionierung. Wenn Sie davon sprechen, Unrecht zu thematisieren: Wie blicken Sie auf die brutale Unterdrückung der Demonstrationen im Iran, die dort im Namen des Islams stattfindet?

Ali M.: Doch, ich habe mich positioniert. Wie bereits gesagt, wir haben die Aktionen der Hamas verurteilt. Wir haben uns nicht erst im Kontext des harten Vorgehens Irans gegen Demonstranten, sondern viel früher grundlegend dazu geäußert. Und zwar sowohl gegen den Zwang, das Kopftuch abzulegen, als auch gegen den Zwang, es tragen zu müssen. Genauso habe ich mich kurz nach der Entscheidung der afghanischen Regierung, Frauen den Besuch von Universitäten zu verbieten, kritisch geäußert. Zur Klarstellung: Wir sind eine Religionsgemeinschaft mit Sitz in Deutschland. Unsere Schwerpunkte sind Religionspraxis, soziale Arbeit, Dialog und gesellschaftliche Teilhabe. Bei regionalen Krisensituationen äußern wir uns gelegentlich. Aber eine stete Kommentierung von Ereignissen weltweit kann man von Religionsgemeinschaften nicht erwarten. Hierzu gibt es Menschenrechtsorganisationen und staatliche Einrichtungen. Noch deutlichere Aussagen zu moralischen Fragen können Sie von mir nicht erwarten. Sonst brauche ich wieder Stunden, wenn ich mit türkischen Regierungsvertretern oder unseren Brüdern im Nahen Osten zusammensitze, um zu erläutern, dass wir das hier in der deutschen Presse so sagen müssen, um die Dinge nach außen richtig einzuordnen. Also so, wie das gemein hin erwünscht ist. Wir, nicht ich jetzt im Interview, sondern wir äußern uns immer zu solchen Themen, die uns nicht sonderlich wehtun. Kein Afghane hier in Deutschland kräht danach, was wir zu den Taliban sagen. Da können wir uns ein bisschen öffentlich aufregen. Das versteht jeder intern, dass das manchmal notwendig ist. Aber wenn es zum Beispiel darum ginge, die PKK zu bewerten. Na, dann hätten wir schon eine ganz klare Meinung, die wir auch ganz deutlich und laut öffentlich kundtun würden. Aber über unsere Brüder, die seit Generationen unsere heiligen Stätten auf dem Tempelberg in Jerusalem gegen die Juden verteidigen, verlieren wir natürlich kein einziges schlechtes Wort. Das gebietet schon der Anstand.

Frage: Im Frühjahr 2022 haben wir über einen IGMG-Imam aus Bonn berichtet. In einem Instagram-Video hat der suggeriert, Juden würden sich als eine „goldene Rasse“ begreifen, die das Ziel hätte, Muslime zu massakrieren und den Weltuntergang einzuleiten. Hand aufs Herz: Geht es noch abscheulicher?

Ali M.: Ich kann mit solchen Aussagen nicht viel anfangen und lehne sie ab. Antisemitismus und alle Formen von Rassismus sind aus islamischer Sicht ohnehin nicht möglich. Aus der Lehre ergibt sich, dass man Rassismus ablehnen muss. Leider ist es trotzdem so, dass in Deutschland Antisemitismus vorhanden ist. Übrigens vor allem bei Nichtmuslimen. Wir sind im Falle des Imams dagegen vorgegangen. Er hat Fortbildungen zum Thema besucht und sich glaubhaft distanziert. Also vom Antisemitismus der Deutschen! Wir haben ihm einen ganzen Tag lang Guido Knopp-Dokus gezeigt und er hat uns glaubhaft versichert, kein arischer Nazi werden zu wollen. Das reicht uns. Denn Rassismus gibt es nicht im Islam. Und weil wir alle anständige Muslime sind, gibt es auch keinen Rassismus bei uns. Das mit dem Antisemitismus unter Muslimen ist eine Erfindung der deutschen Medien. Ich muss Ihnen sicher nicht erläutern, wer diese Medien kontrolliert. Also wenn einer unserer Imame ein bisschen zu viel mit Deutschen zu tun hatte und von denen Antisemitismus gelernt hat, dann können wir doch nichts dafür. Das ist auch ein bisschen das Risiko unseres offenen gesellschaftlichen Dialogs.

Frage: Sie suggerieren, dass ein IGMG-Imam mit Antisemitismus aufgefallen ist, sei ein Zufall. Dieses Weltbild ist doch tief in Ihrer Bewegung verwurzelt. Erbakan sagte noch 2010 in einem Interview: „Seit 5700 Jahren regieren Juden die Welt. Es ist eine Herrschaft des Unrechts, der Grausamkeit und der Gewalt. Sie haben eine Religion, die ihnen sagt, dass sie die Welt beherrschen sollen.“ Das ist doch perfide.

Ali M.: Auch wenn Erbakan in der Geschichte der IGMG einen gewissen Platz hat, bedeutet das nicht, dass wir alle seine Aussagen für richtig halten und unterstützen, gerade das von Ihnen Zitierte ist nicht hinnehmbar. Erbakan hat seine Stellung bei der IGMG nicht wegen seiner Einlassungen zum Judentum, sondern wegen seines Einsatzes für Religionsfreiheit in der Türkei und für die damaligen Arbeitsmigranten. Moment, kann ich das nochmal ändern? Also den ersten Satz. Können wir den streichen? Sonst droht mir hier intern wieder eine Diskussion darüber, warum ich Erbakan als nicht hinnehmbar bezeichnet habe. Mit solchen Andeutungen bin ich intern nicht hinnehmbar. Natürlich werde ich weiterhin das Vertrauen der Gemeinschaft genießen und irgendeinen stellvertretenden Stellvertreterposten bekommen, damit der Schein gewahrt bleibt. Aber das kann mich schon den Job kosten. Ich würde lieber was zu Erbakans Einsatz für Religionsfreiheit in der Türkei sagen. Moment, das muss ich jetzt doch genauer formulieren. Also zu der Religionsfreiheit der Erbakan-Anhänger. Ich meine ausdrücklich nicht, dass Erbakan sich für Juden, Christen, Aleviten oder andere Leute mit merkwürdigen Glaubensauffassungen in der Türkei eingesetzt hätte. Mir ist wichtig, dass das jetzt nicht falsch eingeordnet wird. Sehen Sie, wie schwierig mein Job ist?

Frage: Da unterschätzen Sie doch die Macht seiner Worte. Ich sehe regelmäßig SocialMedia-Posts von IGMG-Gemeinden und Anhängern, die Erbakan mit üblen antisemitischen Passagen zitieren und diesen beipflichten. Ich beobachte einen regelrechten Erbakan-Personenkult.

Ali M.: Personenkult würde ich das nicht nennen. Es wird an ihn gedacht, aber seine Ansichten sind nicht bestimmend für unsere Arbeit. Ich sehe das eher als eine Generationenfrage. Wir haben die Phase, in der wir uns mit Erbakans Rolle auseinandergesetzt haben, größtenteils hinter uns, teilweise läuft sie noch. Aber man darf nicht erwarten, dass dieses Thema öffentlich ausgeschlachtet wird. Es wird halt von Zeit zu Zeit an ihn gedacht, wie wir auch an andere vorbildliche Muslime denken. Zum Beispiel haben wir die regelmäßigen Gedenkveranstaltungen zu Ehren jener, die „vorangeschritten sind“. Also muslimische Vorbilder, Männer natürlich, die durch ihre Worte und Taten ins Paradies eingegangen sind und denen wir nachfolgen wollen. Rein zufällig findet das jährlich zum Todestag Erbakans statt. Für unsere Arbeit sind Erbakans Ansichten nicht unbedingt bestimmend. Aber für die Chancen aufs Paradies folgt man besser seinem Beispiel und seinen Ansichten. Das ist die Botschaft, die wir hier senden wollen. Eine Auseinandersetzung über seine Rolle ist eigentlich schon abgeschlossen. Wir sind uns intern einig, dass die Verehrung seiner Person und seiner Schriften zum Kernauftrag, zur Identität der IGMG werden muss. Fester und nachhaltiger als bisher. Sonst haben wir ja nicht viel, was unsere Existenz rechtfertigen würde, außer dieser Rückbindung an unseren geistigen Gründer und Führer. Deshalb denken wir manchmal an ihn.

Frage: Aber haben Sie nicht das Gefühl, dass gerade die Jugend sich wieder verstärkt an Erbakans Lehren zurückbesinnt?

Ali M.: Nein. Von allein macht sie das leider nicht. Wir müssen das denen regelrecht eintrichtern. Wir fangen dann bei Malcolm X an. Malcolm zieht immer. Und dann müssen wir irgendwie eine hippe Überleitung zu Erbakan finden. Rein optisch ist da ja schon irgendwie ein charismatisches Gefälle. Da helfen uns dann die Schriften Erbakans und seine antijüdische Hetze. Das sorgt für ein Gefühl der notwendigen Einheit, weil man gegen einen weltweit so mächtigen Gegner nur bestehen kann, wenn man zusammenhält – und uns mit Spenden unterstützt. Äh, das war jetzt wieder eine problematische Formulierung: Können wir das mit dem „charismatischen Gefälle“ doch lieber streichen?

Frage: In den sozialen Medien finden sich zahlreiche Posts von IGMG-Jugendverbänden, die für mich anders wirken. Dazwischen fand man zuletzt auch Beiträge von der Jugend in Mannheim, in denen ziemlich antiemanzipatorische Dinge standen. Zum Beispiel: „Brüder mit engen Hosen sind unsere Schwestern“. Oder: „Hinter jeder Feministin steht ein unfähiger Vater“. Wo kommt ein solches Weltbild her?

Ali M.: Das ist nicht unser Weltbild. Im Gegenteil: In unserer Jugendarbeit, in Empowerment-Kursen und Mentoring-Projekten, die zum Standartrepertoire unserer Jugendarbeit gehören, sensibilisieren wir unsere Jugendlichen. Schön, nach Geschlechtern getrennt und wenn sie in einem Raum sitzen, sorgen wir lieber dafür, dass es zwei Projektoren gibt, die den Vortrag optisch an die Leinwand werfen – jeweils ein Bild für die männliche und eines für die weibliche Seite des Raumes. Damit man nicht in Versuchung gerät, den Blick schweifen zu lassen. Wonach hatten Sie nochmal gefragt?

Frage: Solche Posts haben also nichts mit der IGMG zu tun?

Ali M.: Wenn solche Einstellungen trotz unserer großen Bemühungen vorhanden sein sollten, würde ich entschlossen dagegen vorgehen. Aber das sind Einzelfälle, die nicht abbilden, wofür wir stehen. Deshalb sorgen wir dann auch dafür, dass man die öffentlichen Postings wieder löscht. Das machen wir ganz entschlossen. Die Abbildung muss stimmen. Ob sie der internen Wirklichkeit entspricht, ist nicht die entscheidende Frage.

Frage: In Deutschland wird derzeit viel über die Imamausbildung diskutiert. Es gibt einen hohen Bedarf an Imamen. Viele hier tätige Geistliche werden weiter aus dem Ausland entsandt.

Ali M.: Die Frage der Imamausbildung ist schon lange auf unserer Tagesordnung. Die IGMG hat ihre Imame immer selbst finanziert. Ausgebildet werden sie seit circa acht Jahren in Mainz und über die theologischen Studiengänge in Deutschland. In Mainz haben allein in den letzten Jahren 68 Imame die Ausbildung abgeschlossen, wobei wir noch am Anfang des Weges stehen. Vorher wurden Theologen, die in den islamischen Zentren in der Türkei, in Ägypten und in Syrien ausgebildet wurden, angestellt. Auch hier ist die Abbildung wichtig. Deshalb veröffentlichen wir keine konkreten Zahlen und Daten zu dem Profil oder zu dem Inhalt der Ausbildung unserer Imame. Dann haben wir mehr Spielraum bei der öffentlichen Einordnung solcher Fragen, wie zum Beispiel bei diesem Interview.

Frage: Wie viele der aktuellen Imame der IGMG wurden von der türkischen Religionsbehörde Diyanet entsandt?

Ali M.: Das sind nur circa 40 von weit über 600 Imamen und tausenden Religionspädagogen in unseren Gemeinden, und werden, dort wo es möglich ist, durch eigens ausgebildete Imame ersetzt. Sie sind ein Jahr lang für uns tätig und werden nur von uns bezahlt. Das heißt: Die Weisungsbefugnis dieser Imame liegt ausschließlich bei der IGMG und nicht bei der Diyanet. Übrigens mussten wir Diyanet-Imame aus der Türkei einstellen, weil Deutschland im Jahr 2010 die Einreisebestimmungen für Imame geändert hat. In der Selbstdarstellung auf unserer Webseite heißt es: „Die IGMG unterhält 518 Moscheen, davon 323 in Deutschland.“ Mal sind es also „weit über 600“, dann wieder 518, oder 323 Moscheen in Deutschland. Und dort sind dann auch mal eben „tausende Religionspädagogen“ unterwegs. Sie sehen, wie wichtig ein unklares Zahlenwerk ist, wenn man passende Antworten formulieren muss. Und am Ende schadet es nie, wenn man einen Satz hinzufügt, dass für jedes Problem irgendwie doch der deutsche Staat verantwortlich ist.

Frage: Sie würden also sagen: Es gibt keine politische Bindung der IGMG an die Türkei?

Ali M.: Die IGMG ist finanziell, strukturell und politisch unabhängig. Immer dort, wo sie das öffentlich sein muss. Und immer dort nicht, wo sie das intern nicht sein darf. Zum Beispiel, als wir Einnahmen aus den Pilgerreisen und Opfertierkampagnen in die Türkei verschieben mussten. Quasi als „Lizenzgebühr“ für Erbakan. Da mussten wir halt bei der Buchhaltung zu den Einnahmen und bei der Versteuerung etwas kreativ werden. Vieles bei unserer Arbeit dreht sich um die richtige Einordnung. Oder als wir öffentlich deutlich gemacht haben, dass wir nicht an Demonstrationen in Deutschland teilnehmen, zu denen die türkische Regierung aufruft. Wir haben dann einige Tag später halt ordentlich Spenden für eine „Wohltätigkeitsorganisation“ in der Türkei abdrücken müssen. Der Schein politischer Unabhängigkeit hat manchmal eben seinen Preis.

Frage: Und wenn AKP-Politiker in IGMG-Moscheen Wahlkampf machen wollen, unterbinden Sie das?

Ali M.: Die IGMG fördert die politische und gesellschaftliche Teilhabe ihrer Mitglieder. Politiker, deutsche wie türkische, besuchen hier und da Moscheen, denn diese stehen jedem offen, der sich an Recht und Ordnung hält. Aber in unseren Moscheen findet kein Wahlkampf statt. Wir sind erleichtert darüber, dass sich immer die richtigen regierungstreuen Politiker aus der Türkei in unsere Moscheegemeinden verirren und rein zufällig auf ein Publikum stoßen, das sich zufällig zu einem Glas Tee in unseren moscheeeigenen Teestuben eingefunden hat. Manchmal treten die auch direkt im Anschluss an das Ritualgebet vor die Gebetsnische und fangen mit ihrer eigenen politischen Predigt an. So ganz spontan. Wir deuten das als göttlichen Beistand für unsere neutrale, unabhängige und überparteiliche Haltung. Rein theoretisch steht die Moschee natürlich auch türkischen Oppositionspolitikern offen. Rein theoretisch. Wir können diese gottlosen Gesellen schließlich nicht dazu zwingen, in unsere Moscheen zu kommen und uns ihre politischen Ansichten zu erläutern. Das wäre parteipolitisch nicht neutral.

Frage: Teilweise wurde ein Brief von Erdogan verteilt, in dem zu seiner Wahl aufgerufen wird. Das ist kein Wahlkampf?

Ali M.: Ich kenne diesen Brief nicht. In unseren Moscheen ist Werbung für politische Parteien nicht erlaubt. Politische Vertreter dürfen auch nicht auf die Kanzel. Vor die Gebetsnische, ja. Vor die Kanzel, ja. Aber nicht auf die Kanzel. Da sind wir sehr prinzipienfest. Ein anderes sehr hilfreiches Prinzip ist zum Beispiel auch das „glaubhafte Bestreiten.“ Ich höre und lese natürlich etwas über einen solchen Brief. In solchen Momenten ist Weitsicht ganz wichtig. Wenn man den Original-Brief nicht mit eigenen Augen liest, kann man in Interviews den Satz formulieren: „Ich kenne diesen Brief nicht.“ Alles eine Frage der Prinzipien.

Frage: Ärgert es Sie, dass der Verfassungsschutz Milli Görüs Jahr für Jahr in seinem Bericht erwähnt?

Ali M.: Wir haben die Beobachtung der IGMG durch den Verfassungsschutz und die Anschuldigungen in den Berichten immer zurückgewiesen. Einerseits ärgert mich, dass diese haltlosen Behauptungen Konsequenzen für die einzelnen Gemeindemitglieder haben können und stellenweise unsere Arbeit einschränken. Andererseits wird die IGMG nur noch in drei Bundesländern und im Bundesbericht relativ kurz erwähnt. Ich würde sagen, dass der Verfassungsschutz der Realität hinterherhinkt. Die IGMG hat ihren gesellschaftlichen Beitrag längst geleistet, und wird das weiterhin tun. Und ganz ehrlich, wo kämen wir denn da hin, wenn die Verfassungsschutzbehörden uns in ihren Berichten nicht mehr erwähnten? Das würde ja bedeuten, wir hätten uns von den Ansichten Erbakans entfernt und uns dem prozionistischen, kapitalistischen, freimaurerischen Westen so sehr angebiedert, dass er uns nicht mehr als Bedrohung wahrnimmt. Aber gerade das ist doch eine ehrenvolle Auszeichnung für uns und unsere Mitglieder. Das bedeutet, dass wir die wirklich wichtigen Dinge intern schon noch richtig einordnen.

Dieses „Interview“ ist natürlich frei erfunden. Es ist lediglich eine von wahren Ereignissen inspirierte Satire. Die darin auftretenden Figuren sind fiktive Charaktere. Jede Ähnlichkeit zu real existierenden Personen ist rein zufällig.