Österreicher waren in der deutschen Geschichte keine guten politischen Ratgeber. Beim Islamgesetz ist das nicht anders. Vor zwei Jahren trat es in Österreich in Kraft. Sein gesamter Inhalt wäre – übertragen auf die deutsche Rechtsordnung – ein einziger, massiver Verstoß gegen unser Grundgesetz, gegen die religiöse Neutralitätspflicht des Staates und eine mehrfache Verletzung kollektiver und individueller Religionsfreiheit.
Das hat hiesige zentrale muslimische Verbandsvertreter vor zwei Jahren nicht daran gehindert, ein ebensolches Islamgesetz auch für Deutschland zu fordern. Schlechtes Vorbild mögen die österreichischen Verbandsvertreter gewesen sein, die in einer Mischung aus Unwissenheit und Ignoranz das Gesetzesvorhaben billigten, weil es vermeintlich die Rechte von Muslimen auch für den Staat verbindlich festschreibe.
Zumindest in dieser Hinsicht scheint in der muslimischen Verbandslandschaft mittlerweile Klarheit darüber zu herrschen, dass ein Islamgesetz nicht nur den Rechten der in Deutschland lebenden Muslime nicht zuträglich ist, sondern auch gegen unsere Verfassung verstößt: Sein damaliger Fürsprecher ist heute wieder Sprecher des KRM und positioniert sich gegen ein Islamgesetz.
Dieser Zuwachs an Einsicht ist bei namhaften CDU-Politikern offenkundig ausgeblieben. Julia Klöckner, niemand geringeres als die stellvertretende Parteivorsitzende der CDU, ist davon überzeugt, ein Islamgesetz könne „die Rechte und Pflichten der Muslime in Deutschland auf eine neue rechtliche Basis stellen“. Mit einem solchen Gesetz sollen der rechtliche Status der Moscheevereine festgelegt und ihre Finanzierung aus dem Ausland verboten werden. Klöckner fordert auch ein Moschee-Register. Damit soll festgestellt werden, „wie viele Moscheen es in unserem Land gibt, wo sie sind, wer Träger und wer Finanzier ist.“ Im Gegenzug soll ein Anspruch auf muslimische Seelsorger in Gefängnissen, Krankenhäusern und Pflegeheimen und das Recht auf islamische Bestattungen festgeschrieben werden.
Beistand erhält diese Forderung vom Vorsitzenden der Jungen Union, Paul Ziemiak, der überzeugt davon ist, dass Integration scheitern muss, wenn in Moscheen kein Deutsch gesprochen wird. Er will „wissen, wo Moscheen sind und was in ihnen passiert.“
Beide, Klöckner und Ziemiak, liegen mit diesen Positionen auf Linie des CDU-Präsidiumsmitglieds Jens Spahn, der sich vom Islamgesetz auch einen zentralen Ansprechpartner für die in Deutschland lebenden Muslime verspricht.
Wie kann es bei erfahrenen Politikern zu solchen gravierenden, verfassungswidrigen Fehlleistungen kommen?
Die bisherige Basis für die Rechte und Pflichten von Muslimen in Deutschland war und ist unsere für alle Bürger geltende Rechtsordnung. Fundament dieser Rechtsordnung ist unser Grundgesetz. Welche „neue rechtliche Basis“ möchte Julia Klöckner nun also normieren? Warum will sie Muslime per Gesetz aus dem bisherigen Schutzbereich des Grundgesetzes herausdefinieren? Solche Sondergesetze für religiöse Minderheiten stehen auf den dunkelsten Seiten unserer deutschen Geschichte. Ist das Julia Klöckner und ihren Parteikollegen nicht bekannt?
Die Rechte und Pflichten von Muslimen in Deutschland sind in unserer Rechtsordnung bereits klar geregelt. Erinnert sei exemplarisch nur an folgende Verfassungsinhalte:
Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 Abs. 1 und 2 WRV:
„Die bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten werden durch die Ausübung der Religionsfreiheit weder bedingt noch beschränkt.“
„Der Genuß bürgerlicher und staatsbürgerlicher Rechte sowie die Zulassung zu öffentlichen Ämtern sind unabhängig von dem religiösen Bekenntnis.“
Ebenso ist es dem Staat unseres Grundgesetzes aus gewichtigen und historischen Gründen verwehrt, darüber zu bestimmen, wer bei ihm Muslim ist, wie diese sich zu organisieren und welche Ansprechpartner sie zu konstituieren haben. Denn ein Moschee-Register macht ja nur dort Sinn, wo alle Muslime dazu gezwungen werden, als Pflichtmitglieder darin eingetragen zu sein. Aber dem steht unsere Verfassungsordnung entgegen:
Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 1 bis 3 WRV:
„Es besteht keine Staatskirche.“
„Die Freiheit der Vereinigung zu Religionsgesellschaften wird gewährleistet. Der Zusammenschluß von Religionsgesellschaften […] unterliegt keinen Beschränkungen.“
„Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes. Sie verleiht ihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates oder der bürgerlichen Gemeinde.“
Auch für die Regelung muslimischer Ansprüche auf Seelsorge bedarf es keines Islamgesetzes. Unsere Verfassung regelt diesen Anspruch bereits unmissverständlich:
Art. 140 GG i.V.m. Art. 141 WRV:
„Soweit das Bedürfnis nach Gottesdienst und Seelsorge im Heer, in Krankenhäusern, Strafanstalten oder sonstigen öffentlichen Anstalten besteht, sind die Religionsgesellschaften zur Vornahme religiöser Handlungen zuzulassen, wobei jeder Zwang fernzuhalten ist.“
Sichtbarkeit und Transparenz
Wer wie die CDU-Politiker wissen will, wo Moscheen sind und was in ihnen passiert, braucht kein Islamgesetz. Er müsste lediglich auf populistische Kampagnen verzichten, wenn wiedermal eine Moscheegemeinde endlich ihre Industriebrache oder ihren Hinterhof verlassen will und sich um die Errichtung einer neuen Moschee mit Minarett bemüht. Es ist ja nicht so, dass Muslime unsichtbare, versteckte Gebetshäuser errichten wollen. Vielmehr sind es fast immer Politiker des konservativen Spektrums, die sich an der Sichtbarkeit von Moscheen im Stadtbild stören.
Moscheen sind offene Häuser. Sie stehen nicht nur zu Gebetszeiten allen Interessierten offen. Selbst solchen Personen, die nicht unbedingt daran interessiert sind zu wissen, was in Moscheen passiert, sondern eher nach Bestätigung für ihre Vorurteile suchen und dabei auf kräftige Auflage hoffen.
Bei Moscheen handelt es sich nicht um rechtsfreie Räume. Die allermeisten Moscheen sind eingetragene Vereine. Ihre Satzungen und die Protokolle ihrer Mitgliederversammlungen sind in den Unterlagen der Registergerichte zu finden. Handelt es sich um Ausländervereine, also solche Vereine, deren Mitglieder oder Vorstände mehrheitlich nichtdeutsche Staatsbürger sind, sind diese Vereine auch regelmäßig polizeilich gemeldet.
Überdies ist es nicht die Aufgabe von Religionsgemeinschaften, sich so zu organisieren, dass sie einen zentralen Ansprechpartner für den Staat herausbilden. Das mag praktisch sein, ist aber nicht obligatorisch. Und schon gar nicht kann der Staat dies gesetzlich erzwingen. Das Bundesverwaltungsgericht hat bereits vor mehr als 10 Jahren festgestellt: „Die Angehörigen einer Konfession oder mehrerer verwandter Bekenntnisse sind dem Staat gegenüber nicht rechenschaftspflichtig, weshalb sie sich nicht in einer einzigen, sondern in mehreren Religionsgemeinschaften organisieren.“ (BVerwGE 123, 49 (56 f.)) Die Befürworter eines Islamgesetzes liegen also auch in diesem Detail vollständig neben Recht und Grundgesetz.
Geld und Sprache
Ebenso rechtlich unhaltbar und gesellschaftlich abwegig ist die Forderung nach Gesetzen zum Verbot von Auslandsfinanzierung und Zwang zur deutschen Sprache in Moscheen. Die obigen Regelungen zum Selbstverwaltungsrecht von Religionsgemeinschaften bilden hier den verfassungsrechtlichen Rahmen.
Allerdings ist diese Forderung auch vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Realitäten und politischer Aufrichtigkeit zurückzuweisen. Dabei soll gar nicht in Abrede gestellt werden, dass die deutsche Sprache in Moscheen immer mehr an Bedeutung gewinnt und stärker gefördert werden müsste. Aber das ist eine andere gesellschaftliche Diskussion, die nicht im Lichte von gesetzlichen Zwangsvorschiften geführt werden kann.
Oder wollen die Verfechter eines Islamgesetzes mit der Zwangseinführung der deutschen Sprache in Moscheen gleichzeitig das Hebräische aus Synagogen verbannen? Oder die serbische oder griechische Sprache aus orthodoxen Kirchen? Oder den lateinischen Ritus aus römisch-katholischen Kirchen?
Oder will die CDU den beiden großen Kirchen in Deutschland zukünftig die Förderung ihrer Auslandsgemeinden und -dienste gesetzlich verbieten? Denn das müsste sie fordern, wenn sie hier tatsächlich dem Gleichbehandlungsgrundsatz folgend nicht nur Muslimen sondern auch Christen in die wirtschaftliche und sprachliche Selbstorganisation hineinreden will:
Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) führt in ihrem Haushalt 2017 unter dem Titel „Handlungsbereich Auslandsarbeit“ aus, dass der „Dienst an ev. Christen deutscher Sprache oder Herkunft im Ausland […] konsequent mit dem Zeugnis und der Dienstgemeinschaft der Kirchen im gleichen Ort verbunden“ ist. Sie will dabei erkennen und entscheiden, „wo Gemeindearbeit umgestaltet, reduziert, aufgegeben oder neu aufgebaut werden muss.“ Für diesen Aufgabenbereich hat die EKD in 2015 mehr als 7,8 Mio. € aufgewendet. Bis 2020 soll diese Haushaltsposition auf bis zu 9 Mio. € anwachsen.
Unter diesen Aufgabenbereich fällt das Handlungsfeld „Auslandsgemeinden / Partnerkirchen“. In der Beschreibung des Handlungsfeldes heißt es: „Heute leben etwa 1 ½ Millionen Deutsche auf Zeit oder auf Dauer im Ausland, die Mitglieder von Mitgliedskirchen der EKD sind. Viele von ihnen erwarten eine evangelische deutschsprachige pastorale Begleitung. Sie finden in den mit der EKD verbundenen deutschsprachigen Gemeinden eine religiöse und kulturelle Heimat. Dies wird unterstützt durch: Auswahl, Entsendung, Beauftragung, Qualifizierung und Begleitung kompetenter Pfarrer/innen in derzeit etwa 130 Gemeinden […] Förderung des deutschsprachigen kirchlichen Dienstes durch einheimische Kirchen […]“. Nur für dieses Handlungsfeld hat die EKD in 2015 mehr als 6 Mio. € aufgewendet. Bis 2020 soll diese Haushaltsposition auf mehr als 7 Mio. € anwachsen.
Bei der katholischen Kirche sieht es nicht anders aus. Unter der Überschrift „Auslandsgemeinden“ in der Handreichung „Zahlen und Fakten“ zu kirchlichen Statistiken, veröffentlicht über die Internetpräsenz der Deutschen Bischofskonferenz, heißt es:
„Das Katholische Auslandssekretariat der Deutschen Bischofskonferenz hat die Aufgabe, Seelsorge für deutschsprachige Katholiken anzubieten, die aus den unterschiedlichsten Gründen im Ausland leben, manchmal nur Wochen, manchmal auf Dauer. Für viele spielt dabei die Möglichkeit, den eigenen Glauben im Ausland in der Muttersprache leben zu können, eine wichtige Rolle. Das Auslandssekretariat gibt es seit 1921. Ursprünglich nur für Auswanderer gegründet, hat es inzwischen noch eine Reihe anderer Personen im Blick, wie zum Beispiel Touristen oder die sogenannten »Expatriates«, also Menschen, die häufig mit ihren Familien von ihrer Firma ins Ausland geschickt werden. Weltweit an circa 120 Orten in 57 Ländern ist das Katholische Auslandssekretariat vertreten, darunter mit Gemeinden in Brüssel, Johannesburg, Singapur. Das Katholische Auslandssekretariat entsendet rund 50 hauptamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (Priester, Diakone, Pastoral und Gemeindereferenten/innen). Daneben gibt es circa 50 nebenamtliche Welt und Ordenspriester sowie Ordensschwestern, die sich in den deutschsprachigen Gemeinden engagieren.“
Jedes Jahr wird der Bericht zu den „Auslandsgemeinden“ mit dem Bild eines Geistlichen illustriert, der die Bedeutung des deutschsprachigen religiösen Angebots unterstreicht. Die Zitate geben anschaulich wieder, was die Motivation für die intensive Förderung deutschsprachiger Auslandsgemeinden bedeutet:
Pfarrer HansJoachim Fogl, Auslandsseelsorger, Deutschsprachige katholische Gemeinden Singapur, Kuala Lumpur, Ho Chi Minh Stadt: „Fremd und doch daheim sein, ankommen und Vertrautes wiederfinden, den Glauben in der eigenen Sprache feiern, Traditionen leben und auch den Kindern weitergeben können – dies ist gerade für Menschen fern der Heimat etwas sehr Wertvolles. Vor allem in fremden Kulturen und angesichts der Schnelllebigkeit unserer globalen Welt ist es gut und wichtig, dass es unsere Gemeinden gibt.“
Martin Leitgöb CSsR, Auslandspfarrer, Deutschsprachige katholische Gemeinde Prag, Tschechien: „Für Menschen, die im Ausland leben, stellt sich die Frage nach Beheimatung in besonderer Weise. Die Möglichkeit, in der eigenen Sprache Weggemeinschaft im Glauben zu erleben, kommt diesem Bedürfnis entgegen.“
Besonders anschaulich und erkennbar mit dem prägenden Einfluss seines Einsatzortes fasst es Pfarrer Reinhold Sahner, Auslandspfarrer, Vereinigte Arabische Emirate zusammen: „Entlang der Handelswege der Wirtschaftsnomaden unserer Tage, sind wir wie die Karawansereien, die es möglich machen, Heimat im Glauben lebendig zu erhalten.“
Das eigentliche Problem
Unser Problem liegt nicht „Inside Islam“. Die Radikalen finden ohnehin keinen Platz in der Mitte der Muslime in Deutschland. Um die strafrechtlich relevanten Fälle kümmern sich die Sicherheitsbehörden. Die Frage der Gemeindesprache werden die Muslime angelehnt an die tatsächlichen Bedürfnisse ihrer Mitglieder und Gottesdienstbesucher mit der Zeit selbst beantworten. Dabei wird es sich sicher um eine mehrsprachige Antwort handeln, um in völlig legitimer Weise auch „Heimat im Glauben lebendig zu erhalten“.
Dies wird umso mehr und umso dauerhafter der Fall sein, je mehr Politiker mit einer verantwortungslosen Sprache der Ausgrenzung es versäumen, den Muslimen ein Gefühl der authentischen Beheimatung in Deutschland zu vermitteln.
Unser Problem liegt nicht „Inside Islam“. Unser Problem sind all die schrillen Stimmen, die sich geschichtsvergessen, im politischen Tagesgeschäft opportunistisch, und immer wieder viel zu leichtfertig „Outside Grundgesetz“ begeben, um „besorgten Bürgern“ nach dem Mund zu reden.
Was uns aber über all die Unterschiede und auch die religiöse Vielfalt hinweg verbindet, in Zukunft verbinden muss, ist die Geltung des gleichen Rechts für alle, ist der uneingeschränkte Schutz des Grundgesetzes für alle Bürger. Darum sollten wir uns alle Sorgen machen.