Am 18. Dezember 2016 schrieb ich hier auf diesem Blog:
„Diese Herausforderung müssen wir gerade mit Blick auf die deutsch-türkischen Verhältnisse und angesichts der vielen Menschen, die gleichzeitig mit beiden Ländern untrennbar verbunden sind, annehmen und ihr gerecht werden. Die aktuelle, sehr ernste Nachrichtenlage macht deutlich, dass wir an dieser Stelle noch viele Versäumnisse haben und Fehler begehen. Der Schlüssel zu unserem gedeihlichen Zusammenleben ist jedoch gegenseitiges Vertrauen. Dort, wo dieses Vertrauen zerrüttet wird, müssen wir mit deutlichen Worten und zügigen Schritten, wenn nötig auch mit schmerzhaften Veränderungen alles dafür tun, es wiederzugewinnen. Jeder Tag der Untätigkeit, jedes weitere Zögern und Hadern vertieft nur die Gräben des Misstrauens.“
Mit deutlichen Worten und zügigen Schritten. Das war, wie gesagt, am 18. Dezember 2016.
Eine Religionsgemeinschaft ist kein Mineralölunternehmen. Nach einer Havarie reicht es nicht aus, den Strand zu reinigen, den Müll zu verklappen und dann die nächsten Tanker auf die gleiche Route zu schicken.
Eine Religionsgemeinschaft ist kein Mobilfunkunternehmen. Nach explodierenden Akkus reicht es nicht, die Produktionsserie einzustampfen und das Nachfolgemodell mit besserer Kamera auf den Markt zu werfen.
Eine Religionsgemeinschaft ist kein ehemaliger Verteidigungsminister. Nach einer Plagiatsaffäre reicht es nicht aus, für einige Jahre aus der Öffentlichkeit zu verschwinden und nach Ablauf der Bewährungszeit wieder in die politische Arena zu marschieren, als sei nie etwas gewesen.
Wobei gerade das letzte Beispiel, der Guttenberg-Skandal, auch weitere Lehren bereithält:
Der Vorwurf eines Fehlverhaltens relativiert sich nicht im Verhältnis zu den bisherigen Leistungen oder zu der öffentlichen Bedeutung der vergangenen Jahre. Qualitäten in anderen Bereichen rechtfertigen kein Fehlverhalten.
Es steigert nicht die Glaubwürdigkeit, immer nur das einzuräumen, was die Öffentlichkeit aus anderen Quellen bereits erfahren hat. Wenn schnelle, lückenlose, gründliche, kompromisslose Aufklärung und Stellungnahme unterbleiben, wird man nur zum Gejagten der Wahrheit, verliert man immer mehr Achtung und Ansehen, schrumpft man letztlich nur zum „Selbstverteidigungsminister“.
Es steigert nicht das Vertrauen der Öffentlichkeit, wenn konkrete Einschätzungen und Bewertungen eines Sachverhalts unterbleiben, dann vorgenommen werden, dann revidiert werden und am Ende Untergebene mit der öffentlichen Bloßstellung den Preis für die Wankelmütigkeit ihrer Führung bezahlen müssen (Stichworte: Kundus-Luftangriff, Schneiderhan, Wichert).
Fehler bleiben nicht ohne Folgen.
In einer anderen Krise – im Zusammenhang mit der Watergate-Affäre um den Missbrauch von Regierungsvollmachten durch den damaligen amerikanischen Präsidenten Richard Nixon – prägte der an der Aufklärung der Vorgänge beteiligte Chefredakteur der Washington Post, Ben Bradlee, jenen Satz, der heute noch an der Wand der Redaktionszentrale prangt: „The truth, no matter how bad, is never as dangerous as a lie in the long run.“ – „Die Wahrheit, egal wie schrecklich sie sein mag, ist auf lange Sicht nie so gefährlich wie eine Lüge.“ Die Affäre endete mit dem Rücktritt Nixons vom Präsidentenamt und Haftstrafen für Untergebene.
In einer Religionsgemeinschaft darf die Wahrheit niemals zu einem Risiko werden. Denn eine Religionsgemeinschaft lebt nicht von Umsätzen, von Beiträgen oder von sonstigen finanziellen Einkünften. Eine Religionsgemeinschaft lebt von Vertrauen und Glaubwürdigkeit. Das offene, das wahre Wort ist die härteste Währung einer Religionsgemeinschaft. Dort, wo sie auch nur um ein Jota von der Wahrheit abweicht, verliert sie ihre Existenzgrundlage.
In der Redaktionszentrale der Washington Post steht noch ein anderes Zitat an der Wand. Es stammt nicht aus den 70er-Jahren, wie das oben erwähnte Bradlee-Zitat. Es ist jüngeren Datums. Es stammt vom Multimilliardär Jeff Bezos, der vor knapp 4 Jahren die Zeitung übernahm: „What’s dangerous is not to evolve.“ – „Am gefährlichsten ist es, sich nicht zu verändern.“
Eine solche notwendige Veränderung der gesamten islamischen Organisationslandschaft und auch konkret einzelner Religionsgemeinschaften ist auf diesem Blog schon in vielen Texten beschrieben worden. Die DITIB steht aktuell vor der größten Herausforderung ihrer Organisationsgeschichte. Sie wird diese Herausforderung sicher nicht meistern können, wenn die immer freundlich lächelnden Böcke, die gerade auch mit ihrem Wirken in den vergangenen Monaten für die aktuelle Nachrichtenlage mitverantwortlich sind, sich jetzt als die innovativen Gärtnern zu profilieren versuchen.
Diese Herausforderung besteht entgegen der oberflächlichen, wie auch unverhohlen schadenfrohen öffentlichen Kommentierung der gegenwärtigen Entwicklungen auch nicht in der Abnabelung vom türkischen Religionspräsidium Diyanet. Vielmehr ist das Gegenteil richtig. Was die DITIB jetzt dringend braucht, ist eine viel intensivere und stabilere Bindung an die Diyanet.
Mir ist bewusst, dass dieser Cliffhanger angesichts der täglich immer dramatischeren Nachrichtenlage provoziert. Und das ist auch gut so, wenn diese Provokation zu mehr Aufmerksamkeit für die tatsächlich wichtigen Fragen und Details der aktuellen Situation führt. Was genau gemeint ist, soll hoffentlich bald in einem Folgebeitrag deutlicher erläutert werden.