In bisher zwei Teilen ist der aktuelle Gastbeitrag Susanne Schröters in der FAZ analysiert worden. Zum Abschluss dieses Blogbeitrages begeben wir uns auf den Weg zum Lager Goliaths.
Allein der Titel des FAZ-Gastbeitrages und die Metamorphose, die er durchläuft, wären Stoff für einen eigenen Beitrag. In der Online-App der FAZ, welche die Printausgabe vom 19.08.2016 bereits am Vortag den Abonnenten zur Verfügung stellt, trug der Gastbeitrag noch den Titel „Die Ditib treibt ein doppeltes Spiel“. Es handelt sich bei diesem Wortspiel um ein klassisches antimuslimisches Narrativ, nämlich das der „Taqiyya“, also um den Vorwurf der Verstellung und der Lüge zur Verschleierung anderer Absichten.
Dieser Vorwurf steht in einer historischen Tradition der Stigmatisierung religiöser Gruppen als Lügner und Betrüger, als illoyale, unaufrichtige und verschlagene und damit gefährliche Nachbarn. Das jüdische Kol Nidre Gebet, die persönliche Lossagung von Eiden, die man Gott gegenüber unüberlegt beschwört, wurde in der deutschen Geschichte stets als jüdische Eidbrüchigkeit und betrügerische Gesinnung zum kollektiven antisemitischen Narrativ umgedeutet.
Das Spiel mit antimuslimischen Narrativen
Ähnlich verhält es sich mit dem Verstellungsvorwurf Muslimen gegenüber. Der Begriff der Taqiyya, ein nur innerhalb einer bestimmten religiösen Strömung für zulässig erklärtes Verleugnen der religiösen Zugehörigkeit im Angesicht existenzieller Bedrohung, wurde zunächst im rechtspopulistischen, islamfeindlichen Milieu als Charaktermerkmal des Muslim schlechthin beschrieben, der angeblich in jeder Lebenslage alle „Ungläubigen“ über seine wahren Beweggründe belüge. Im Zuge der „Islamkritik“ wandern solche rechtspopulistischen Verzerrungen dann immer weiter in die Mitte der Gesellschaft, bis sie schließlich in kaum verhohlener Form in einer Textüberschrift der FAZ landen – und so auch das Feld bereiten für offen rassistische Narrative, denen man den gesellschaftlichen Tabubruch nicht mehr ansieht.
In der Online Ausgabe der FAZ ist die Überschrift dann verändert worden zu „Ein undurchsichtiges Spiel“. Schröter selbst mochte freilich nicht von der Taqiyya-Andeutung lassen: Im Volltext des Gastbeitrages hält sie am Ende weiter an der Aufforderung fest, die DITIB solle „Schluss machen mit dem doppelten Spiel“. Hier betreiben die FAZ und ihre Gastautorin einen Schleiertanz um klassische antimuslimische Narrative, die gerade in ihrer Beiläufigkeit zu selbstverständlichen und nicht mehr hinterfragten subtilen Gewissheiten über Muslime gerinnen und für welche die FAZ und Schröter in den Kommentarspalten hetzerischer antimuslimischer Internetseiten gewiss großen Zuspruch erfahren werden. Dieser Methoden muss man sich bewusst sein und man muss sie immer wieder entlarven.
Eine weitere bekannte und auch hier wieder betriebene Praxis islamfeindlicher Stigmatisierung und der Perpetuierung von Ausgrenzungsnarrativen ist die Umkehr des Verhältnisses von Ausnahme und Regel. Ein „südländischer“ Vergewaltiger, gleich alle Türken sind Vergewaltiger. Ein extremistischer Selbstmordanschlag, gleich alle Muslime sind potentielle Terroristen. Eine Burka (wo ist die eigentlich?), gleich alle muslimischen Frauen sind unterdrückt und fremdbestimmt.
In dieser Methodik werden dann auch die immer gleichen Fälle repetiert. Dinslaken, Melsungen, Gelsenkirchen. Aber unterstellen wir einmal gemeinsam mit allen „Islamexperten“, diese drei Orte seien Vorstufen der Hölle und Marktplätze muslimischer Niedertracht. Es sind auch dann immer noch nur 3 Gemeinden von 900 – 897 Gemeinden sind die Regel und ein Beispiel für die Arbeit der DITIB. Achthundertsiebenundneunzig.
3 Fälle von 900 sind keine „Verharmlosung“ wie es Schröter skandalisiert, sondern – man muss nur wirkliche Wissenschaftler fragen – faktisch Einzelfälle, eben Ausnahmen. Und in jedem Fall werden sie untersucht und es wird der Regelfall wiederhergestellt, wenn es zu Fehlverhalten gekommen ist. Diesen Maßnahmen kommt aber niemand journalistisch „auf die Spur“, weil ja nicht interessiert, was die Regel ist, was die Arbeit der DITIB ausmacht. Und weil es eben nur wenige Ausnahmen gibt, werden auch immer wieder die gleichen Fälle aus dem Hut gezaubert und zum Beleg der vermeintlich kollektiven Gefährlichkeit ganzer Religionsgemeinschaften hochstilisiert. Es wird nach dem Ausnahmefall gesucht, der für sich eine ganz neue, ganz eigene Regel definieren soll, nämlich die der antimuslimischen Erzählung von gefährlichen Gemeinschaften, sich verstellenden Gemeinschaften, vom islamischen Lebensstil als gefährliches Problem, wie es auf der FFGI Internetseite so schön/schlecht beschrieben wird. Das sind die Methoden der angewandten „Islamkritik“, denen die FAZ hier aufs Neue ein Forum bietet.
Das Märchen von der Ablehnung universitärer Theologie
Eine weitere Legende, die Schröter weiterspinnt, ist die von der Ablehnung DITIBs gegenüber den islamisch-theologischen Studiengängen an den universitären Standorten in Deutschland. Sie verschweigt (oder weiß es wieder mal einfach nicht besser), dass DITIB mit ihren Landesverbänden die universitären Standorte engagiert und konstruktiv unterstützt, gerade auch als Mitglied der religiösen Beiräte der Universitäten. Dass sie sich für die Erweiterung des Lehrpersonals einsetzt, dass sie in Kontakt mit den Fachschaften steht, um den Studierenden die Angst vor diesen Legendenbildungen zu nehmen, dass sie Studierende dieser Standorte mit Stipendien im Studium unterstützt, dass sie dabei keinen Unterschied zwischen den universitären Standorten macht.
Aber die DITIB ist eine Religionsgemeinschaft. Und als solche muss sie mit ihren Kompetenzen und gemeinsam mit allen anderen Akteuren darüber diskutieren, wenn es problematische Entwicklungen gibt, die dem gesamten Vorhaben der Etablierung islamischer Theologie an deutschen Universitäten schaden können.
Dazu gehört die Feststellung, dass die Standorte Theologen ausbilden, nicht Imame. Die Ausbildung von Imamen ist Sache der Religionsgemeinschaften. Dafür brauchen sie gut ausgebildete Absolventen der islamischen Theologie. Hier ist die Schnittmenge, in der es auf eine gute Zusammenarbeit der Universitäten mit Religionsgemeinschaften ankommt.
Und vor diesem Hintergrund muss man auch offen und ehrlich diskutieren, welche Erfolgsaussichten eine solche Zusammenarbeit haben kann, wenn Hochschullehrer in antimuslimischen Kreisen unterwegs sind, sich von unlauteren Methoden der „Islamkritik“ nicht distanzieren oder sogar den islamischen Religionsgemeinschaften ihre Existenzberechtigung absprechen. Das unverzichtbare gegenseitige Vertrauen kann so nicht entstehen.
Die Grundsätze und Spielregeln der Zusammenarbeit stellt keine ausländische Macht auf, sie werden nicht von Erdoğan diktiert und sie sind nicht gefährlicher Sprengstoff islamischer Lebensführung. Es sind einfach die Spielregeln unseres Grundgesetzes. Und die islamischen Religionsgemeinschaften haben schon viel zu lange und viel zu häufig in diesen Fragen stillgehalten oder Rückzieher gemacht. Dass dadurch immer fragwürdigere Eskapaden an manchen universitären Standorten getrieben werden, die am Ende der Religionspolitik und den Universitäten mehr schaden werden als den Religionsgemeinschaften, das sagen auch ministerielle Stimmen hinter vorgehaltener Hand.
Man wünschte sich im Interesse des ganzen Projekts islamische Theologie und im Interesse der vielen Studierenden, dass sich mancher Hochschullehrer nicht in der eitlen Hybris verlöre, er sei ein gottgesandter Erneuerer des Islam, ein muslimischer Luther, auf den die von den islamischen Religionsgemeinschaften geknechteten Muslime sehnsüchtig warten und der jeden Morgen vor dem Badezimmerspiegel reformatorischen Umgang mit dem Allmächtigen pflegt. Man wäre schon froh, würde mit calvinistischem Arbeitsethos der Job verrichtet, der dem Hochschulpersonal von den Religionsgemeinschaften mit großem Vertrauensvorschuss anvertraut wurde.
Wenn auf diese Entwicklungen hingewiesen wird, ist das eben keine Polemik. Es ist die Rolle, die eine Religionsgemeinschaft im Gleichgewicht unseres Religionsverfassungsrechts einnimmt. Diese Funktion zu negieren, sie zu beschneiden und zu relativieren, wird eben mehr Taxifahrer produzieren als Theologen. Das ist keine Botschaft der Verweigerung oder der Blockade. Das ist ein ernster Hinweis auf die Bedürfnisse von Religionsgemeinschaften und auf die Notwendigkeiten einer theologischen Lehre, die nicht scheitern, sondern vernünftige und realistische Ergebnisse liefern soll.
Die DITIB will genau an dieser Stelle ansetzen: fundiertes, kompetentes theologisches Studium gepaart mit gemeindlicher Ausbildung zur Heranführung an die konkreten Bedürfnisse einer Gemeinde. Das kann natürlich auch mit Studierenden an den universitären Standorten in Deutschland funktionieren.
Statt den Religionsgemeinschaften wahrheitswidrig zu unterstellen, sie hätten ja nie vor, diese Absolventen einzustellen, könnte man sich vielleicht zunächst die Frage stellen, wie willkommen diese Absolventen überhaupt sein können, wenn ihre Lehrer öffentlich die Religionsgemeinschaften als gefährliche Brutstätten des Extremismus diffamieren oder ihre Kameraden im „islamkritischen Geist“ mit absurdesten Thesen, wie dem hier besprochenen Schröter-Text in der FAZ, an der Konstruktion eines antimuslimischen Feindbildes mitwirken.
Der „islamkritische“ Goliath
So ist auch die große Klammer, die um diese aktuelle öffentliche Disputation gezogen wird, nicht zutreffend. Es ist nicht so, dass die Religionsgemeinschaften unter großem Druck stehen und sie, allen voran die DITIB, nun angeblich mit gefährlichen Mitteln zurückkeilen und aggressiv die Fassung verlieren. Es ist nicht so, dass der Goliath der „Islamkritik“ – mit all seinen journalistischen und politischen Unterstützern – dem David der Religionsgemeinschaften Angst macht, so dass dieser nun mit Steinen wild um sich wirft.
Dafür gibt es überhaupt keinen Anlass. Es mag die „islamkritische Szene“ und ihre journalistischen Claqueure irritieren, dass die Religionsgemeinschaften sich nicht mehr zurückhalten und die über sie vergossenen Kübel der Fehlinformation, der tendenziösen Berichterstattung und – wie hier dokumentiert – der schieren Unwissenheit im Tarnmantel wissenschaftlicher Exzellenz nicht mehr still über sich ergehen lassen. Sie melden sich immer mehr und immer lauter zu Wort.
Und das nicht, weil sie unter Druck geraten sind oder Angst um ihre Zukunft haben. Es ist nicht der Mut der Verzweiflung, der sich hier Bahn bricht: Angesichts der Fülle der „islamkritischen“ Exzesse, der nun immer deutlicher sichtbar werdenden Methoden der „Verbandskritik“, der Außerkraftsetzung des Grundgesetzes für islamische Religionsgemeinschaften, der Selbstentlarvung der „Experten“ durch Nichtwissen, durch unredliche Unterstellung und der offenen Solidarisierung mit antimuslimischen Netzwerken und Akteuren, ist es eine andere Form der Gewissheit, die hier zum deutlichen Protest motiviert.
Da liegen David und seine Begleiter einen Abend vor dem berühmten Aufeinandertreffen auf den Anhöhen vor dem Lager Goliaths und beobachten ihn. Davids Begleiter erschaudern vor dem Anblick Goliaths, vor dessen Größe und Stärke. Eingeschüchtert raunen sie David zu: „Der ist so groß, den kannst du niemals besiegen!“
Doch David liegt dort, schaut sich diesen „islamkritischen“ Goliath an und sagt ganz ruhig: „Der ist so groß, den kann ich gar nicht verfehlen!“
Nochmals Danke, liebe FAZ und liebe Susanne Schröter, für diesen ganz großen, in jeder Hinsicht überaus aufschlussreichen Gastbeitrag!