Das Grauen … Das Grauen …

Wer hätte gedacht, dass es so einfach ist? All die Studien, Expertisen, Analysen, Forschungen im Bereich der Migration. Sie waren letztlich nichts als Zeitverschwendung. Die schlichte Erkenntnis, die sich aus den öffentlichen Positionierungen der bundesdeutschen Spitzenpolitik und in Teilen der Landesregierungen herausschält, stellt eine überzeugende Antwort zur Verfügung, warum es mit der Integration vieler türkischstämmiger Menschen nicht geklappt hat, warum wir das Problem radikaler Strömungen innerhalb einer muslimischen Jugendszene haben, warum plötzlich Menschen, die hier in Deutschland geboren worden sind, sich kaum für die deutsche Politik und Gesellschaft, aber leidenschaftlich für ausländische Staatsoberhäupter engagieren. An all dem ist die DITIB schuld.

Gebe es die DITIB nicht, alle unsere Probleme wären gelöst. Neo-Salafisten würden sich mit flacher Hand an die Stirn schlagen und auf Streetworker umschulen. Leidenschaftliche Türkeifahnenschwenker würden vor Liebe gegenüber dem Bundespräsidenten verglühen. Die Imame würden in ihren Freitagspredigten aus der Betroffenheitsprosa kürzlich eingewanderter Importexperten zitieren – natürlich auf Deutsch. Dem Vornamen nach als ehemalige Türken zu identifizierende Facebook-Nutzer würden ihre Katzenbilder nur noch hochdeutsch kommentieren. Und unter der Dusche könnte man sich endlich ohne lästige Badehosen einseifen.

Hätten wir früher erkannt, dass DITIB das Problem ist – viel Ärger wäre uns erspart geblieben. Nun gilt es, für die Zukunft vernünftige Fundamente zu gießen. Natürlich müssen jetzt, wo endlich die durch Importexperten hochqualifiziert geschulten ersten Reformtheologen als Absolventen die deutschen Universitäten verlassen, auch genug Arbeitsplätze geschaffen werden, um deren sinnvolle Verwendung zur Reformierung der Gemeinden von innen zu ermöglichen. Die können ja nicht alle Taxi fahren. Gut, dass wir zufällig jetzt der DITIB eigentlich verbieten müssten, weiterhin Imame aus der Türkei zu beziehen. Mit einem Schlag wären da 900 Arbeitsplätze frei. Immerhin ein Anfang.

Aus öffentlichen Mitteln können diese Arbeitsplätze natürlich nicht bezahlt werden. Die Muslime sollen gefälligst selbst für ihre längst überfällige Modernisierung bezahlen. Sie könnten ja Steuern bei ihren Mitgliedern eintreiben, so wie die Kirchen es auch tun. Das Besteuerungsrecht gehört aber zu dem Privilegienbündel, in dessen Genuss Körperschaften des öffentlichen Rechts kommen. Aber genau dieser Status soll den islamischen Verbänden ja gegenwärtig abgesprochen werden, in dem man wider das Verfassungsrecht einfach hartnäckig genug wiederholt, sie seien keine Religionsgemeinschaften und damit auch ohne Aussicht auf den Körperschaftsstatus.

Also etwas zu fordern, das gleichzeitig nicht realisierbar ist, weil man die Grundvoraussetzung für die Umsetzung der Forderung in Abrede stellt, macht eigentlich keinen Sinn und offenbart doch nur die eigene Unkenntnis oder Unredlichkeit. Egal. Der Sachverhalt ist für den durchschnittlichen 140-Zeichen-Leser ohnehin zu kompliziert, als dass er den Widerspruch erkennen könnte. Und irgendein Hinterbänkler aus den Landtagen der Südachse wird sich schon finden lassen, der mit ernster Miene diese paradoxen Positionen innerhalb ein und desselben Interviews vertritt.

Momentan kann man den Lesern ja geradezu jeden Unsinn über die islamischen Religionsgemeinschaften erzählen. Zum Beispiel sie seien nicht „bekenntnisförmig“ organisiert. Eine Phrase, eine sinnentleerte Worthülse. Man muss sie nur häufig genug wiederholen, um ein vermeintliches Defizit überzeugend zu behaupten. Über die Frage der tatsächlichen Begründetheit dieser Behauptung macht sich doch niemand Gedanken.

Fast 9 von 10 Bundesbürgern kennen keine deutsche Moschee aus eigener Anschauung. Also sind die Experten wichtig. Die bilden Meinung. Zum Beispiel, dass sogenannte Importimame schädlich und gefährlich seien. Für ein Land, das Exportweltmeister ist, hat der Begriff Import grundsätzlich schon mal ein gewisses Geschmäckle. Die Meinung einer Gemeinde, die seit 50 Jahren in Deutschland existiert und diese Imame schätzt, ist dabei aber weniger überzeugend, als das Urteil von Importexperten, die gerade seit 5 Jahren im Land sind.

Oder die nächste Absurdität, die niemandem auffallen will: DITIB dürfe niemals als Religionsgemeinschaft behandelt werden, weil sonst Erdogan und seine Imame unsere Kinder in unseren Schulen mit ihren bösen Gedanken vergiften. Mit der DITIB sei Erdogan im Klassenzimmer.

All jene, die diese Behauptungen aufstellen, sind nichts anderes als Vorreiter der AfD-isierung der deutschen Politik. Sie sind die Stimmungsmacher einer Gesellschaft, die in weiten Teilen gegenwärtig dazu bereit ist, mit Mistgabel und Fackel jedem hinterher zu rennen, der Muslime zum Feindbild markiert. Und die etablierten Parteien scheinen überzeugt davon zu sein, dass sie als Aufwiegler eines antimuslimischen Mobs eine bessere Figur machen, als Frauke Petry, von der man aktuell gar nichts mehr hört, weil sie sich wahrscheinlich entspannt zurückgelehnt köstlich über die gegenwärtige politische Kampagne gegen Muslime in Deutschland amüsiert. Wer quer durch die Parteien solche politischen Kollegen hat, der muss gar keine Wahl mehr gewinnen, um die Gesellschaft nach seinen exkludierenden Vorstellungen umzugestalten.

Und die Verfechter der Erdogan-im-Klassenzimmer-These wissen natürlich nur zu gut, dass sowohl bei der Gestaltung der Lehrpläne des islamischen Religionsunterrichts, als auch bei der Erteilung der religiösen Lehrbefugnis kein ausländisches Personal und auch keine Angestellten der DITIB involviert sind. Diese Wahrheit passt aber nicht in das Konzept der Panikmache.

Hier gilt vielmehr das Prinzip der anekdotischen Evidenz: Verhält sich eine Gemeinde von 900 Moscheegemeinden falsch, ist dies ein Makel der gesamten Religionsgemeinschaft, die gerade wegen dieses Makels nun reglementiert, reformiert, neu organisiert, zerschlagen werden muss. Würde man sich mit dieser Logik an eine Bewertung der Parteienlandschaft machen, bestünde die SPD nur aus Lebenslauffälschern und Hochstaplern, die CDU wäre ein Hort der Spendenbetrüger und Plagiatspromovenden und die Grünen wären die Partei der Drogen-Junkies und korrupten Bonusmeilen-Schnorrer. Das eine solche Betrachtung kein fairer Umgang ist, fällt bei islamischen Religionsgemeinschaften offenbar nicht mal mehr auf.

Was ist also das Ziel dieses Shitstorms gegen die DITIB? Eine aktuelle öffentliche Forderung ist vielsagend. Die Legitimität der Selbstorganisation der Muslime wird von Bundespolitikern in Abrede gestellt – eine klar verfassungswidrige Position. Aber Verfassungswidrigkeit zum Nachteil von Muslimen ist heutzutage kein politischer Skandal.

Gleichzeitig wird gefordert, die Muslime müssten sich neu organisieren und zwar zu einer „islamischen Glaubensgemeinschaft in Deutschland“. Und das ist endlich mal eine Aussage, die hinter die Stirn blicken lässt. Denn in diesen Worten wird deutlich, was ganz offenkundig die Blaupause der aktuellen Kampagne gegen die DITIB ist. Denn die Forderung nach einer IGGiD (Islamische Glaubensgemeinschaft in Deutschland) hat deutlich die IGGiÖ, also die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich zum Vorbild.

Die deutsche Öffentlichkeit hat die Ereignisse in Österreich und um das dortige Islamgesetz und die dadurch betroffene IGGiÖ kaum intensiver verfolgt. Die Hintergründe, Auswirkungen und Details dieser Vorgänge sind hierzulande kaum bekannt. In Österreich gab es im Verlauf der Entwicklungen zum Islamgesetz den Verdacht, dass österreichische und deutsche Politiker gemeinsam auch konkret am Gesetzestext gearbeitet haben. Indizien dafür gab es genug, wie man aus informierten Kreisen in Österreich hört. Mit der jetzigen Forderung einer deutschen IGGiD schließt sich der Kreis zu den österreichischen Vorgängen.

Diese Verflechtung wird in zukünftigen Diskussionen sicher noch intensiver analysiert und beschrieben werden müssen. Bereits jetzt kann man jedoch aufzeigen, wohin die politische Reise wohl gehen soll. Denn das Islamgesetz in Österreich hat ganz konkrete Folgen, deren Übertragung auf deutsche Verhältnisse ein Chaos anrichten würde, dessen gesellschaftliche und sicherheitspolitische Auswirkungen überhaupt nicht zu überblicken sind.

Die Moscheegemeinden in Österreich sind durch das Islamgesetz faktisch in eine rechtliche Grauzone, ja geradezu in die Illegalität gedrängt worden. Sie dürfen quasi nur noch als Gebäudeverwaltungsvereine existieren, praktizieren aber natürlich weiterhin den islamischen Glauben mit allen religiösen Ritualen. Das heißt, die muslimische Existenz in Österreich ist an der muslimischen Basis durch staatliche Maßnahmen in eine Diskrepanz zwischen deklarierter und praktizierter Vereinsaktivität gedrängt worden. Eine Maßnahme, mit der bei Bedarf vereinsrechtlich gegen jede Moscheegemeinde vorgegangen werden kann.

Unter dem Deckmantel der Zentralisierung und Vereinheitlichung von Vertretungsstrukturen ist in Wirklichkeit eine durch staatliche Hand geförderte Fragmentierung der Muslime in Österreich in gerade auch ethnische Substrukturen betrieben worden, die jederzeit in ein konkretes, organisatorisches Auseinanderfallen muslimischer Selbstorganisation bedeuten kann. Der Staat entscheidet selbst darüber, wer islamische Religionsgemeinschaft wird. Der Staat ist also nicht mehr Garant der Selbstverwaltungsfreiheit einer Glaubensgemeinschaft, sondern oberste Entscheidungsinstanz über die Existenzberechtigung einer Glaubensgemeinschaft als solcher.

Und letztlich soll jede religiöse Handlung, jeder religiöse Dienst, jede religiöse und rituelle Tätigkeit unter die Obhut und den Vormund universitärer Reformtheologen gestellt und die Religionsausübungsfreiheit dem Primat der staatlichen Bildungs- und Innenpolitik unterworfen werden.

Das sind grob umrissen die Folgen und Ziele der politischen Einhegung und Gestaltung des „Österreichischen Islam“. Soll das Vorbild für Deutschland sein – und so sind die konkreten Äußerungen aus der Bundespolitik mittlerweile nur noch zu verstehen – dann wird hier das Tor zu einer Verfassungswidrigkeit als legitimes Instrument staatlichen Handelns aufgestoßen. Ein politischer Schritt, den man in Deutschland, mit der hier uns prägenden Geschichte, niemals für möglich gehalten hätte.

Der Staat soll seine Neutralitätspflicht aufgeben und im Falle des Islam zum obersten Entscheider und Gestalter werden. Der Staat soll sagen: „Wer bei mir Muslim ist, wer bei mir islamische Religionsgemeinschaft ist, bestimme ich!“. Und er soll auch noch einen Schritt weiter gehen und mit eigener Hand die Selbstorganisation der Muslime gestalten.

Durch die aktuellen Debatten um das Ruhen der Beziehungen zur DITIB, um den Abbruch der Zusammenarbeit mit der größten türkisch-muslimischen Selbstorganisation in Deutschland ist ohnehin ein Signal gesetzt worden, das Migranten auch anderer Herkunft oder religiöser Prägung aus der Vergangenheit nur allzu schlecht in Erinnerung ist. Wieder einmal werden gesellschaftliche Spielregeln willkürlich zu Lasten der Migranten geändert, sobald diese anfangen, gesellschaftliche Teilhabe zu fordern.

Selbst das Recht, das man den „Anderen“ als Maßstab, als zu überwindende Hürde vorgehalten hat, gilt plötzlich nichts mehr und werden Ergebnisse rechtlicher Prüfungen und Gutachten aus politischen Gründen für nichtig erklärt. Plötzlich reicht es nicht mehr, das Recht einzuhalten. Nein, nun soll das Recht auch noch als neues Glaubensbekenntnis und Heilsversprechen angeeignet werden und religiöse Quellen der Sinnfindung ersetzen.

Und mehr noch als diese heuchlerische Unaufrichtigkeit muss uns die unbekümmerte Bereitschaft weiter Teile unserer Politik besorgen, fundamentalste Verfassungsprinzipien aufzugeben und zu Lasten der muslimischen Selbstorganisationen zu brechen. Der Firnis der zivilisatorischen, demokratischen und rechtsstaatlichen Überlegenheit gegenüber dem Feindbild Erdogan – um bei einem aktuell gepflegten Antagonismus zu bleiben – war nie so dünn wie heute. Und es fehlt offenbar nicht viel, bis er gänzlich wegbröckelt.

Vielleicht wären die islamischen Religionsgemeinschaften gut beraten, die Zusammenarbeit mit einer solchen Politik, die gegenwärtig nicht einmal mehr mit den Zehenspitzen auf dem Boden unseres Grundgesetzes steht, bis auf weiteres ruhen zu lassen.

 

Anmerkung: Die Überschrift wiederholt die letzten Worte des Stationsleiters Kurtz aus Joseph Conrads Werk „Herz der Finsternis“, über das Bertrand Russell schrieb, es beschreibe den „leidlich moralischen Kulturmensch auf dem gefahrvollen Weg über eine Kruste kaum erkalteter Lava, die jeden Augenblick durchbrechen und den Unvorsichtigen in heiß lodernde Abgründe sinken lassen kann.“