Oder: Ist die Kurdische Gemeinde in Deutschland verfassungskonform?
Die Diffamierungen und Hetzkampagnen gegen islamische Religionsgemeinschaften – insbesondere gegen die DITIB – hören nicht auf. Dieser Hetzkampagne hat sich nun auch die Kurdische Gemeinde in Deutschland angeschlossen, mit der Begründung, die muslimischen Religionsgemeinschaften seien heteronom und würden die Bedrohung von Abgeordneten nicht verurteilen.
Die Kurdische Gemeinde in Deutschland nimmt leider keinen direkten Einfluss auf radikale kurdische Gruppierungen in Deutschland. Wiederholt sind Moscheegemeinden der von der Kurdischen Gemeinde diffamierten Religionsgemeinschaften auch von kurdischen extremistischen Gruppierungen angegriffen worden, teilweise unter Verwendung von Sprengstoffen und Brandsätzen. Zu keinem dieser Vorfälle hat sich die Kurdische Gemeinde öffentlich geäußert, geschweige denn dass sie diese Straftaten verurteilt oder sich auch nur davon distanziert hätte. Wen die Kurdische Gemeinde ideologisch und finanziell fördert oder von wem sie gefördert wird, ist unbekannt.
Offenkundig ist aber, dass die Kurdische Gemeinde in Deutschland entweder die Berichterstattung, die sie kommentieren will, nicht verfolgt oder dass sie bewusst falsche Tatsachen unterstellt. Denn bereits am 07.06. und am 08.06. hat sich die DITIB über unterschiedliche Kanäle an der öffentlichen Debatte beteiligt und unmissverständlich geäußert.
Diese deutlichen Stellungnahmen zu ignorieren und in ihr Gegenteil zu verkehren, ist Ausdruck einer schädlichen Feindbildkonstruktion, mit der über 900 Gemeinden und jedes einzelne DITIB-Mitglied als quasilegitimes Ziel für Hetze und Übergriffe markiert werden. Das ist eine verantwortungslose politische Agitation, die einen traurigen Tiefpunkt in dem antitürkischen Diffamierungswettkampf markiert, der seit geraumer Zeit die öffentliche Landschaft prägt. Ausgelöst von immer hysterischeren Aversionen gegenüber der Politik und den politischen Entscheidungsträgern in der Türkei wird ein immer absurderer Ersatzkonflikt herbeigeredet, in welchem die islamischen Religionsgemeinschaften in Deutschland als stellvertretende Gegner adressiert werden.
Diese Feindprojektion schlägt mittlerweile immer groteskere Kapriolen. Susanne Schröter sehnt sich in der Boulevardpresse nach einem „Erdogan-kritischen Islam“. Die Widersinnigkeit solcher Formulierungen wird deutlicher, wenn man sie analog in andere Zusammenhänge übersetzt. Was ist bitteschön ein „Merkel-kritisches Christentum“? Und warum soll eine religiöse Lehre den Glaubensgrundsatz „Ablehnung zeitgenössischer Politiker“ implizieren? Die Antwort liegt vielleicht in der Feststellung, dass die gegenwärtige Türkei- und Erdogan-Aversion in weiten Teilen der Politik- und Medienlandschaft mittlerweile den Rang einer Glaubensfrage erlangt hat. Die Erdogan-Ablehnung ist zu einem kategorischen Glaubensbekenntnis mutiert, an der sich die Einordnung der Welt, zumindest der deutschen Welt, in Gut und Böse orientiert. Das ist ungesund. Das ist obsessiv.
Die Kurdische Gemeinde macht im Grunde nur das nach, was sie als allgemeine Stimmung in der Gesellschaft analysiert und was sie sich für die eigene politische Agenda zu Nutze machen will. Gesunder Menschenverstand oder Sachkenntnis über die Dinge, von denen man spricht, sind da nur hinderlich.
Allein die Formulierung „verfassungskonform“. Keine Religion – und damit keine Religionsgemeinschaft – ist verfassungskonform. Nicht das Christentum, nicht das Judentum, nicht der Hinduismus und auch nicht der Islam. Sie haben das auch nicht zu sein. Religionsgemeinschaften haben verfassungs- und rechtstreu zu sein. Wer diesen Unterschied nicht versteht, sollte sich besser nicht öffentlich zu religionsverfassungsrechtlichen Themen äußern.
Durch die ständige Wiederholung, die Türkei – gemeint ist wohl eher wieder Erdogan persönlich – nehme Einfluss auf das islamische Leben in Deutschland, wird die darin intendierte Unterstellung der Schädlichkeit religiöser Bezüge ins Ausland nicht richtiger. Die positive Wirkung der religiösen Gemeindearbeit der DITIB ist allen Sachkundigen bekannt. Dies zu leugnen und das Gegenteil zu behaupten, ist eine bewusste Diffamierung der religiösen Dienste der DITIB-Gemeinden und Ausdruck sachfremder Motive.
Und im Falle der Kurdischen Gemeinde in Deutschland ist man sich nicht mal zu schade, bei dieser Gelegenheit die erstaunlich raumgreifende Unkenntnis selbst elementarster Grundbegriffe des Religionsverfassungsrechts zur Schau zu stellen. Denn als vermeintlicher Makel der DITIB als Partner islamischen Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen wird der Umstand vorgetragen, unterrichtet werde (Zitat) „ein Islam sunnitischer Prägung, was der ganzen Vielfalt, die die Religion zu bieten hat, nicht gerecht wird.“ (Zitat Ende)
Hier offenbart sich eine fundamentale Unkenntnis von der Bekenntnisgebundenheit des Religionsunterrichts, der laut Grundgesetz in Übereinstimmung mit den Grundsätzen einer Religionsgemeinschaft – und nicht etwa mit allen Ausprägungen einer Religion – erteilt werden muss. Der katholische Religionsunterricht befasst sich auch nicht mit baptistischen Glaubensinhalten und der evangelische Religionsunterricht nicht mit dem Mormonentum, nur weil das alles irgendwie zur „Vielfalt, die die Religion zu bieten hat“ gehört.
Dies alles ist Ausdruck einer fast schon neurotischen Entwicklung, deren negative gesellschaftliche Auswirkung schnellstens begriffen werden sollte. Wenn selbst in einer Sportsendung unmittelbar vor dem ersten Gruppenspiel der türkischen Nationalelf ein ironischer Erdogan-Beitrag ohne den geringsten Informationswert für die bevorstehende Partie versendet wird, stimmt irgendwas nicht mehr.
Erdogan ist in Deutschland kein Sympathieträger. Das haben jetzt alle begriffen. Genauso gilt es endlich zu begreifen, dass die DITIB und auch keine andere islamische Religionsgemeinschaft der verlängerte Arm, das Bein oder sonst ein Körperteil Erdogans in Deutschland sind, nur weil ihre Mitglieder mehrheitlich türkischstämmig sind oder ihr geistliches Personal aus der Türkei kommt. Das ist der plumpe Ultramontanismusvorwurf aus dem 19. Jahrhundert. Haben wir denn gar nichts dazugelernt? Sind wir aus Erfahrung nur dümmer geworden?
In welchem Geisteszustand muss man sich befinden, um anzunehmen, alle Vorstandsmitglieder der über 900 DITIB Gemeinden hätten Erdogan auf der Kurzwahltaste 1 gespeichert? Welche Fieberträume über Moscheegemeinden muss man haben, um zu glauben, ein Imam würde Gemeindebesucher politisch indoktrinieren? Er leitet das Gebet, rezitiert dabei Koranverse in arabischer Sprache. Er bringt Kindern bei, wie man den Koran liest und das Gebet verrichtet. Er ist weder Hirte, der über die Gemeinde wacht, noch sorgt er dafür, dass alle Schäfchen in die gleiche Richtung laufen. Politik hat in den Moscheegemeinden keinen Platz.
Alle Türkei- und Erdogan-Gegner, die in Ermangelung unmittelbaren Zugriffs auf ihr Hassobjekt die DITIB und ihre Gemeinden als Ersatzgegner zu markieren versuchen, sollten begreifen, dass sie unzählige Gemeindemitglieder ausgrenzen, als Feindbild definieren und damit vor den Kopf stoßen. Gerade diese wahnhaften Vorurteile und ihre aggressive öffentliche Propaganda enttäuschen die engagierte Jugend- und Gemeindearbeit der vielen ehrenamtlichen Verantwortlichen in den Moscheegemeinden und befördern eine innere Abkehr von der deutschen Gesellschaft. Das ist eine self-fulfilling prophecy, die für einige offenbar nicht schnell genug Wirklichkeit werden kann.
Selten ist in unserer Gesellschaft eine Glaubensgemeinschaft, die sich immer engagierter mit ihrer Jugendarbeit einbringt und flächendeckend für die unterschiedlichsten Muslime eine religiöse Heimat darstellt, so aggressiv ins gesellschaftliche Abseits gedrängt worden. Welchen Sinn diese kurzsichtige, tagespolitischen Launen folgende Agitation haben soll, bleibt das Geheimnis ihrer Verfechter. Zum gedeihlichen Zusammenleben trägt sie jedenfalls nichts bei.
Es wird Zeit, dass die Ausgrenzungsprediger ihre Anti-DITIB-Kakophonie überdenken.