Klare Verhältnisse

Angesichts der aktuellen – teils sehr kontroversen – Diskussionen um islamische Religionsgemeinschaften und ihre zukünftige Entwicklung, soll durch diesen ausführlicheren Beitrag, orientiert an konkreten Fragestellungen, der Versuch einer Einordnung und Bewertung wichtiger Aspekte der geführten Debatten unternommen werden. Es geht dabei weniger um Begriffsdefinitionen oder juristische Wissensvermittlung, sondern um eine inhaltliche Bewertung aktueller Diskussionsschwerpunkte. In zwei Abschnitten soll das Verhältnis des Staates zu Religionsgemeinschaften und das Verhältnis der Religionsgemeinschaften untereinander, durch jeweilige Teilfragen konkretisiert, erörtert werden.

1. Das Verhältnis des Staates zu den Religionsgemeinschaften:

a) Ist die Verleihung des Körperschaftsstatus an eine Religionsgemeinschaft eine „Privilegierung“ seitens des Staates?

Zweifelsohne ist die Verleihung des Körperschaftsstatus an eine Religionsgemeinschaft eine „Privilegierung“ seitens des Staates. Hierauf deuten nicht nur die sich aus dem Grundgesetz ergebenden Rechte, sondern gerade auch einfach-gesetzliche Vergünstigungen hin, die an den Körperschaftsstatus geknüpft sind und zusammen mit ersteren in der Literatur als „Privilegienbündel“ bezeichnet werden.

Die durch die Verfassung garantierten Korporationsrechte umfassen bekanntermaßen etwa das Besteuerungsrecht, die Dienstherrenfähigkeit, die Ausübung einer öffentlich-rechtlichen Organisationsgewalt, die Rechtssetzungsgewalt, das Parochialrecht, usw.. Hinzu kommen durch einfachgesetzliche Regelungen begründete Vergünstigungen wie etwa im Bereich des Gebührenrechts, des Arbeitsrechts oder im Bereich der Medien. Mehr noch als die Aufzählung dieser faktischen Vergünstigungen, wiegt die diesen Vergünstigungen zu Grunde liegende konkludent-qualitative Positionierung des Staates durch den Akt der Verleihung von Körperschaftsrechten.

 

Denn die inkorporierten Artikel der Weimarer Reichsverfassung dienen nicht nur dem Fortbestand vorkonstitutioneller Rechte, sondern sind – wie es höchstrichterlich wiederholt formuliert worden ist – funktional auf die Inanspruchnahme und Verwirklichung des Grundrechts der Religionsfreiheit angelegt. Der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts ist demnach ein qualifiziertes Mittel zur Entfaltung gerade dieser Religionsfreiheit und soll die Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der Religionsgemeinschaften unterstützen. Ihnen werden durch diesen Status zwar hoheitliche Rechte verliehen, sie werden dadurch aber nicht zum Staat, sondern stehen dem Staat weiterhin als Teile der Gesellschaft gegenüber. Der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts verleiht den Religionsgemeinschaften also nicht nur Kompetenzen durch den Staat, sondern bietet gleichermaßen – wenn nicht sogar in gewichtigerem Maße – Schutz vor dem Staat, so dass sie ihre Tätigkeit frei von staatlicher Bevormundung und Einflussnahme entfalten können. Durch diesen Schutz werden die Voraussetzungen und der Rahmen geschaffen, in dem die Religionsgemeinschaften ihren Beitrag zu den Grundlagen von Staat und Gesellschaft leisten können.

 

Mit der quasi eine Bestandsgarantie vermittelnden Verleihung von Korporationsrechten verdeutlicht der Staat gleichzeitig, dass gerade der Beitrag der betroffenen Religionsgemeinschaft für Staat und Gesellschaft wichtig und erhaltungswürdig ist. Seiner Neutralitätspflicht wird der Staat dadurch gerecht, dass er den Zugang zu diesen Rechten jeder Religionsgemeinschaft gewährt, welche die rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen zur Erlangung dieses Status erfüllt. Die Verleihung des Körperschaftsstatus kann somit auch im Böckenfördeschen Sinn verstanden werden, nämlich als Anerkennung der Rolle einer Religionsgemeinschaft, die als ganz konkreter Teil der innergesellschaftlichen Regulierungskräfte, um der Freiheit willen, nicht nur für die Freiheit durch den Staat, sondern gerade auch für die Freiheit vom Staat in unserer Gesellschaft ringt und gerade deshalb förderungs- und schutzwürdig ist.

 

b) Stellt das Körperschaftsgesetz in Nordrhein-Westfalen (GV NRW Nr. 27, 29.09.2014; S. 604ff.) in diesem Zusammenhang eine Benachteiligung der jüngeren in Deutschland vorhandenen Religionsgemeinschaften dar?

In diesem Zusammenhang stellt das nordrhein-westfälische Körperschaftsstatusgesetz eine Benachteiligung der islamischen Religionsgemeinschaften dar.

Dies beginnt bereits mit den Ausführungen zur Erforderlichkeit von Handlungsoptionen, die in der Verleihung aber gerade auch im Entzug von Körperschaftsrechten erblickt, und die als Handwerkszeug für Reaktions- und Gestaltungsmöglichkeiten bezeichnet werden. Eine solche Motivation steht in einem erheblichen Spannungsverhältnis zu dem verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrecht von Religionsgemeinschaften, aus deren Binnenorganisation und inhaltlicher Arbeit der Staat sich in jedem Fall mit gestalterischen Eingriffen herauszuhalten hat.

 

Das Körperschaftsstatusgesetz sieht überdies in § 4 den Entzug der Körperschaftsrechte vor, von dem jedoch mittels einer Ausnahmeregelung die altkorporierten Religionsgemeinschaften ausgenommen sind. Das Mittel des Entzuges stellt neben dem impliziten Moment des Misstrauens gegenüber den jüngeren Religionsgemeinschaften auch eine verfassungswidrige gesetzgeberische Maßnahme dar. Denn mit dieser Regelung überschreitet der Staat seine Gestaltungskompetenz nach Art. 22 der Landesverfassung (LV) und Art. 140 Grundgesetz (GG) i.V.m. Art. 137 Abs. 8 Weimarer Reichsverfassung (WRV).

 

Nach diesen Normen wäre die Landesgesetzgebungskompetenz eröffnet, soweit die Durchführung der Bestimmungen (des Art. 137 Abs. 1 bis 7 WRV) eine weitere Regelung erfordert. Mithin wäre eine Landesgesetzgebungskompetenz im Hinblick auf die in diesen Absätzen beschriebene Verleihung von Körperschaftsrechten eröffnet. Mit dem vorliegenden Körperschaftsstatusgesetz wird aber über den Regelungshorizont des Art. 137 WRV hinaus erstmalig der Entzug von Körperschaftsrechten und damit eine Bestimmung, die gerade nicht in Art. 137 WRV enthalten ist, normiert. Mit Blick auf die obigen Ausführungen zur Schutzfunktion von Körperschaftsrechten kann also durchaus diskutiert werden, ob unsere Verfassung aus guten Gründen keinen Entzug von verliehenen Körperschaftsrechten vorsieht und ob deshalb auch dem Landesgesetzgeber eine solche Normierung verwehrt bleiben muss.

 

Gerade auch die Möglichkeit eines parlamentarischen Zustimmungsvorbehalts bei der Verleihung von Körperschaftsrechten, wie in § 2 Abs. 1 des Körperschaftsstatusgesetz geregelt, zeigt, wie schwer sich der Landesgesetzgeber tut, alte und neue Religionsgemeinschaften gleichberechtigt zu behandeln. Der verfassungsrechtlich bestimmte Verleihungsanspruch soll somit von einer Zustimmung des Parlamentes abhängig sein können, welches aber aufgrund der grundgesetzlichen Bestimmungen bei Vorliegen der Verleihungsvoraussetzungen in seinem Ermessen ohnehin gebunden wäre. Eine solche Konstellation kann eigentlich nur dem gesellschaftlichen Zusammenhalt abträgliche Diskussionen um die Schutzwürdigkeit von Religionsgemeinschaften und deren etwaige Ungleichbehandlung eröffnen.

 

c) Wie lässt sich das jüngste „Kopftuchurteil“ des Bundesverfassungsgerichts, aber auch das sogenannte „Kruzifixurteil“ im Blick auf die staatliche Zulassung von Religion im öffentlichen Raum bewerten?

Wie schwer sich der Staat tut, dem eigenen grundgesetzlichen Anspruch nach Gleichbehandlung, nach Äquidistanz zu den Religionsgemeinschaften gerecht zu werden, ist anhand der sogenannten „Kopftuchurteile“ des Bundesverfassungsgerichts nachzuvollziehen. In einer etwa 12 Jahre langen gerichtlichen Auseinandersetzung konnte schlussendlich ein verfassungsrechtliches Ergebnis herausgearbeitet werden, welches das Grundgesetz ohnehin bereits vorbestimmt. Der Staat hat nicht wertend zwischen religiösen Anschauungen zu unterscheiden, solange sie sich im Rahmen der Rechtsordnung bewegen. Den bereits nach dem ersten „Ludin-Urteil“ auch gangbaren Weg, alle äußerlich sichtbaren religiösen Bekundungen unsanktioniert zuzulassen, mochten zumindest die bevölkerungsreichsten Bundesländer nicht einschlagen. Und da sie keine Gleichbehandlung im Verbot umsetzen wollten, haben sie sich zu einer verfassungswidrigen Privilegierung christlicher und jüdischer Bekundungen entschlossen, die nunmehr Anfang 2015 vom Bundesverfassungsgericht auch als solche für nichtig erklärt worden ist.

 

Eine wichtige Aussage der aktuellen Entscheidung ist eigentlich ein so schlichtes Selbstverständnis, dass es schon verwundert, wie kontrovers sie auch nach der Urteilsbegründung noch öffentlich diskutiert wurde – und teilweise bis heute wird: Niemand stellt aufgrund seiner religiösen Glaubensüberzeugung und das damit einhergehende äußere Erscheinungsbild eine abstrakte Gefahr dar. Nicht das Aussehen oder das, was andere hineininterpretieren, kann eine abstrakte Gefahr für den Schulfrieden oder die staatliche Neutralitätspflicht begründen. Es kommt darauf an, was jemand konkret sagt oder wie sich jemand konkret verhält. Gleichwohl mochte auch das Bundesverfassungsgericht und mit ihm die Landesgesetzgeber nicht von der Annahme einer möglichen konkreten Gefahrenlage lassen. Statt einer ersatzlosen Streichung der Verbotsnormen, bleibt es bei der Möglichkeit eines Verbots – dann aber aller – religiösen Symbole im Schulbetrieb. Dass damit der Nährboden für potentielle gesellschaftliche Spannungen bereitet wird, bleibt ein Risiko, von dem man nur hoffen kann, dass es sich nicht realisieren wird.

 

Die Bewertung des sogenannten „Kruzifixurteils“ des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1995 und der weiteren gerichtlichen Auseinandersetzungen um die Rechtslage in Bayern bietet ein so weites Feld der facettenreichen Auseinandersetzung, dass an dieser Stelle der Rahmen wohl gesprengt würde. Unbedingt zu erwähnen ist diesem Fall jedoch, dass die verfassungsgerichtliche Entscheidung praktisch folgenlos geblieben ist. Durch die geänderte Gesetzeslage im bayerischen Erziehungs- und Unterrichtsgesetz wird – wie es im Gesetz heißt – „Angesichts der geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns […] in jedem Klassenraum ein Kreuz angebracht. Damit kommt der Wille zum Ausdruck, die obersten Bildungsziele der Verfassung auf der Grundlage christlicher und abendländischer Werte unter Wahrung der Glaubensfreiheit zu verwirklichen.“

 

Die mit einer Widerspruchregelung für „atypische Ausnahmefälle“ versehene Norm bleibt in der Praxis bislang ohne wesentliche Konsequenzen. Bemerkenswert ist, dass Widersprüche bislang nicht von nichtchristlichen Eltern erhoben wurden, sondern von christlichen oder nichtreligiösen Lehrern. Eine seit 2010 beim Bundesverfassungsgericht erhobene Verfassungsbeschwerde eines solchen Lehrers blieb so lange ohne Entscheidung, bis der Beschwerdeführer pensioniert wurde und damit das Rechtsschutzbedürfnis entfiel. Damit blieb dem Bundesverfassungsgericht in 2015 eine weitere Grundsatzentscheidung – und damit vermutlich einhergehende bayerische Proteste – erspart.

 

Gleichwohl ist der Preis, den der bayerische Landesgesetzgeber für das Kreuz im Klassenzimmer zahlt, sehr hoch, wenn man empathisch versucht, eine christliche Perspektive einzunehmen: Das Kreuz wird als kulturelles und geschichtliches Zeichen definiert und nicht mehr vornehmlich als christliches Symbol. Man kann durchaus diskutieren, ob die Sichtbarkeit des Kreuzes im Klassenzimmer für den Preis seiner kulturell-historischen Umprägung, nicht ein Pyrrhussieg ist. Vielleicht kann dieses Beispiel ein Anhaltspunkt dafür sein, dass mit dem Ringen um die Präsenz und Wahrnehmbarkeit von Religion im öffentlichen Raum manchmal auch eine Veränderung ihrer inhärenten Prägung oder Deutung einhergehen kann.

 

d) Ist mittel- und langfristig eher mit einem Ausbau, einer unveränderten Fortsetzung oder einem Rückzug des Staates aus der Kooperation mit den Religionsgemeinschaften in Deutschland zu rechnen?

Im Lichte dieser Ausführungen und vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Erfahrungen im Verhältnis von islamischen Religionsgemeinschaften zum Staat kann davon ausgegangen werden, dass dieses Verhältnis auch zukünftig von Spannungen und Kontroversen begleitet sein wird. Auf allen politischen Handlungsebenen wird deutlich, dass der Staat ein nachdrückliches Gestaltungsinteresse an den Tag legt und auch weiterhin legen wird. Aktuell muss festgehalten werden, dass dieses Gestaltungsinteresse selbst vor offensichtlich verfassungswidrigen Schritten, wie dem auch unter anderen Gesichtspunkten höchst fragwürdigen Modellprojekten zum islamischen Religionsunterricht in Bayern oder der doppelt verfassungswidrigen Position der Grünen Parteiführung bei Statusfragen, nicht Halt macht.

 

Gleichzeitig zeigt die Politik großes Interesse daran, gestalterisch in die Substanz religiöser Positionen einzugreifen, sie zu fördern oder als heteronom oder rückständig abzuqualifizieren. Hierbei bedient sich die Politik gerade auch muslimischer Akteure, die scheinbar einen binnendynamischen Diskurs anstoßen sollen, jedoch ohne Verantwortung für eine gemeindliche Basis agieren und somit den Relativierungen des Zeitgeistes und dem politischen Einflussstreben unterworfen sind. All dies führt zu einer durch staatliche Hand unterstützten Bildung von theologischen Parallelwelten, die bei den gesellschaftlich wichtigen Debatten alle Beteiligten nur noch mehr Zeit und Kraft kosten.

 

Ein Ausweg aus diesem Dilemma bietet die Rückbesinnung auf die Verfassungsordnung und den Regelungsgehalt des Grundgesetzes. In den gemeinsamen Angelegenheiten, den res mixtae, sind die rechtstreuen Religionsgemeinschaften der Partner des Staates. Der Staat hat sich dabei eine inhaltliche Bewertung der religiösen Grundsätze dieser Religionsgemeinschaften zu verbieten. Er kann weder eine Würdigung entlang von Orthodoxie oder Heterodoxie vornehmen, noch steht es ihm zu, Maßstäbe von Autonomie oder Heteronomie anzulegen. Die Suche nach Surrogaten für die bestehenden Religionsgemeinschaften ist und bleibt eine fruchtlose, weil verfassungswidrige Zeitverschwendung.

 

Deshalb kann es angesichts der gegenwärtigen Missstände keine unveränderte Fortsetzung oder einen Ausbau der bestehenden Fehlentwicklungen geben. Mit einem Rückzug des Staates aus der Kooperation mit Religionsgemeinschaften ist angesichts des oben beschriebenen staatlichen Gestaltungsdranges nicht zu rechnen. Ob das umgekehrt auch für die islamischen Religionsgemeinschaften gilt, ist eine noch offene Frage.

 

2. Das Verhältnis der Religionsgemeinschaften untereinander:

a) Welches gemeinsame Interesse verbinden Kirchen und islamische Religionsgemeinschaften im Blick auf die religionsverfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen in Deutschland?

Die nähere Betrachtung der Frage nach dem Verhältnis der Religionsgemeinschaften untereinander erfordert zunächst eine genauere Standortbestimmung. Wichtig ist die Feststellung, dass der KRM keine Religionsgemeinschaft ist und aufgrund der verfassungsrechtlichen Vorgaben auch nicht sein kann. Umso wichtiger ist es für das Verhältnis der Religionsgemeinschaften untereinander, dass sie befähigt sind, Diskurse inhaltlich zu gestalten und fortzuentwickeln – weil es weniger um Vertretungsansprüche, sondern um die Befähigung von inhaltlicher Positionierung gehen muss. Dies gilt in hohem Maße für die islamischen Religionsgemeinschaften in ihrem Binnenverhältnis. Erst durch eine solche inhaltliche und ein breites Spektrum an Muslimen auch wirklich und tatsächlich einbindende Struktur, wird sich ein intensiveres Verhältnis zu nichtmuslimischen Religionsgemeinschaften entwickeln lassen, welches nicht nur singuläre Haltungen wiedergibt, sondern einer Fundierung in der muslimischen Bevölkerung entspringt.

 

Auf der Basis eines solchen inhaltlich gefestigten Verhältnisses können Fragen über gemeinsame Interessen wirklich fruchtbar in den Fokus rücken. Wie ist mit einer zunehmenden Säkularisierung und einer wachsenden Zahl religionsablehnender Haltungen umzugehen? Wie kann eine Positionierung gegen kritischen Stimmen, die in der institutionellen Förderung von Religionsgemeinschaften aus Staatsmitteln ein Problem sehen, gelingen?

Einer gemeinsamen Haltung zu solchen und ähnlichen anderen Fragen lässt sich nicht nur anhand verfassungsrechtlicher Erörterungen nachgehen. In weitaus größerem Maße bestimmt auch die wechselseitige theologische Wahrnehmung die Intensität des gesellschaftlichen Miteinanders. An diesem Punkt haben es die islamischen Religionsgemeinschaften vielleicht einfacher, da es für sie außer Frage steht, dass Juden, Christen und Muslime der Glaube an den einen und einzigen Gott verbindet. Für Muslime ist das Ziel eines intensiveren Miteinanders nicht nur Ausdruck eines Wunsches nach gegenseitiger Unterstützung und solidarischer Anteilnahme, sondern Manifestation auch eines religiösen Beieinanderseins in der Frage nach dem Höchsten.

 

Aus den innerkirchlichen Positionierungen geht hervor, dass diese Frage für die Kirchen problematisch ist. Sie kann aber nicht als rein akademische Debatte für glaubensphilosophisch interessierte Theologen betrachtet werden. Gerade an der Gemeindebasis kann keine Gemeinsamkeit erzwungen werden, wo keine gedacht und geglaubt werden kann. Deshalb dürfte zukünftig auch ein theologisch engeres Verhältnis eine wichtige Grundlage für die Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen sein, die zukünftig alle Religionsgemeinschaften in ähnlicher Weise betreffen werden.

Ob und wie das möglich sein kann, ist natürlich auf vielen Ebenen eine spannende Frage. Die Antworten darauf müssen im gesellschaftlichen Dialog erst noch gefunden werden.

 

b) Entsteht durch die wachsende Zahl von Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts ein Konkurrenzverhältnis untereinander bzw. im Verhältnis zum Staat?

Eine solche, auch theologische Nähe zueinander würde es in weitaus höherem Maße ermöglichen, die sich verändernden religionsverfassungsrechtlichen Konstellationen nicht nur als Konkurrenz zu verstehen. Die unterschiedliche gesellschaftliche Relevanz der ohnehin schon bestehenden zahlreichen Körperschaften des öffentlichen Rechts wirkt bereits als Korrektiv. Dies wird auch in absehbarer Zukunft unverändert bleiben. Gleichwohl bedingt der Maßstab der gesellschaftlichen Relevanz bereits jetzt eine weitaus größere und intensivere Einbindung der islamischen Religionsgemeinschaften, als es bislang tatsächlich der Fall ist. Die fordernde Haltung der islamischen Religionsgemeinschaften darf an dieser Stelle nicht als okkupatorische Zumutung missverstanden werden. Sie ist nur Ausdruck einer gesellschaftlichen Realität, die nicht auf Verdrängung anderer gerichtet ist, sondern auf die Einübung und Einnahme einer Rolle, welche umgekehrt auch die islamischen Religionsgemeinschaften herausfordern wird, ihre inhaltliche Arbeit weiter zu qualifizieren.

Hier schließt sich dann auch der Kreis zu dem vorstehend skizzierten Bedarf an intensiverer inhaltlicher Arbeit der innermuslimischen Strukturen.

 

c) Was bedeutet das Urteil des Bundesarbeitsgerichtes im Fall des Bochumer evangelischen Krankenhauses, das eine muslimische Mitarbeiterin mit Kopftuch entlassen hatte, für das Miteinander von Kirchen und Muslimen?

Wie schwierig die theologischen Überzeugungen das Miteinander gestalten können, ist gerade auch im Fall der kopftuchtragenden Krankenschwester im Dienst eines kirchlichen Krankenhausträgers deutlich geworden. Eines der tragenden Argumente der arbeitsgerichtlichen Entscheidung ist die Feststellung, dass Patienten, Besucher und andere Mitarbeiter die sich im äußeren Erscheinungsbild manifestierende Glaubensäußerung der muslimischen Mitarbeiterin wahrnehmen und dadurch die Glaubwürdigkeit der Kirche Schaden nehmen kann. Ist die sichtbare nichtchristliche Glaubensbekundung einer Mitarbeiterin eine gegen die – hier betroffene evangelische – Kirche gerichtete Meinungsbekundung? Ein Ausdruck von Illoyalität?

 

Eine Muslimin würde wohl sagen: Nein, im Gegenteil arbeite ich für einen Arbeitgeber, der wie ich an Gott glaubt. Ähnlich fühlen und handeln muslimische Eltern, die ihre Kinder in die Obhut von Kindergärten und Betreuungseinrichtungen in christlicher Trägerschaft geben. Sie fühlen sich dem christlichen Träger im Glauben und im durch den Glauben geprägten Erziehungskonzept verbunden. Hier wird erkennbar, dass der Bezug zu der oben angerissenen Frage des theologischen Beieinanderseins nicht ohne praktische Folgen ist und eine tiefere Diskussion erfordert, aber auch lohnt.

 

Gerade in einer Gegenwart, in der muslimische Frauen mit Kopftuch auf dem Arbeitsmarkt massiv benachteiligt werden, wäre eine versöhnlichere Haltung der Kirchen ein wichtiges gesellschaftliches Zeichen – auch dafür, dass man trotz unterschiedlicher Glaubensüberzeugungen verbunden sein kann, durch das beiderseits aus dem Glauben genährte Helfen-Wollen.

 

Man kann es aus dieser Perspektive auch als etwas ironischen Wink des Schicksals verstehen, dass gerade ein Krankenhaus, das nach Kaiserin Augusta, also der Frau Wilhelms I. benannt wurde, diesen Rechtsstreit ausgefochten hat. Immerhin war Augusta bekannt für ihre ablehnende Haltung gegenüber dem bismarckschen Kulturkampf und setzte sich entschieden dafür ein, die katholischen Orden, die krankenpflegerische Dienste verrichteten, nicht wie andere Orden zu vertreiben.

Manch einer mag in solchen Zufällen ja auch göttliche Zeichen erkennen.

 

Die oben dargelegten rechtlichen Verhältnisse sind klar. Die Politik versucht dennoch, durch verfassungswidrige Manöver und Projekte religionspolitische Interessen zu verfolgen – auf Kosten der Rechte ihrer muslimischen Bürgerinnen und Bürger. Dem müssen alle Religionsgemeinschaften und alle Teile der Gesellschaft entschieden widersprechen. Denn Verfassungstreue ist etwas, das nicht nur von Muslimen verlangt werden darf. An unsere Verfassung hat sich auch der Staat zu halten.