Das Straßenbild der muslimischen Gemeinschaften

Drei Stimmen in der Gesamtheit der muslimischen Communities in Deutschland, also unter insgesamt etwa 5 Mio. Menschen, sind ein so großes Problem, dass in meinen Social Media Accounts erneut gehäufte persönliche Anfeindungen zu lesen sind. Muslimische Gemeinschaften, die es nicht aushalten, von drei Stimmen hinterfragt und kritisiert zu werden. Das offenbart Zustände, die es wert sind, näher beleuchtet zu werden.

Die muslimischen Gemeinschaften sind seit geraumer Zeit nicht mehr in der Lage, abweichende, selbstkritische Stimmen in den eigenen Reihen zu dulden. Und diese mangelnde Toleranz feiern sie als innere Stärke und standfeste Frömmigkeit. Die Qualität des eigenen Glaubens und die der eigenen Glaubensgemeinschaft wird dabei als Zustand der größtmöglichen Homogenität verstanden.

Eine gute Gemeinschaft ist in diesem Sinne eine im identischen Glauben, im uniformen Handeln geeinte Gemeinschaft. Ein puristisches Verständnis des Glaubens, das die Stärke der eigenen Gemeinschaft in der totalen Gleichschaltung der inneren Überzeugungen und des äußeren Handelns erkennt, sollte für uns deutsche Muslime eigentlich ein schrillendes Alarmzeichen sein.

Deutsche Muslime

Aber da sind wir bereits bei der zweiten problematischen Dimension der jüngsten Anfeindungen. Der Begriff des „deutschen Muslims“ gilt als Oxymoron. Eine in sich widersprüchliche Beschreibung, die zwei Komponenten vereint, die unvereinbar sind. Und die zusammen eine neue Bedeutung vermitteln – nämlich die des vorgeblichen Muslims, des verräterischen Kollaborateurs.

Das Muslimische kann nicht muslimisch bleiben, wenn es deutsch wird. In diesem Punkt gibt es eine ideologische Nähe vom linken Spektrum, über islamistische Extremisten bis hin zu Rechtsradikalen.

Für die Rechtsradikalen gibt es eine unüberwindliche, biologistische, völkische Ungleichwertigkeit zwischen allem Muslimischen und allem Deutschen – und damit eine unüberwindliche Unvereinbarkeit: Der Esel, der im Pferdestall geboren wird, kann niemals ein Pferd sein. Das Deutsche ist eine Reinheit, mit der man und in die man geboren wird.

Für die islamistischen Extremisten gibt es einen absoluten, reinen, einen objektiven Zustand des Muslimischen, den sie ohne jede innere Dimension allein an Äußerlichkeiten festmachen können – und der sie damit von jeder intrinsischen, jeder ethischen Kategorie des Wahren und Guten befreit und allein der äußeren Form nach befähigt, zwischen richtig und falsch, zwischen muslimisch und allem feindlichen Anderen zu unterscheiden.

In diesem Glaubensverständnis ist der Maßstab für die Reinheit der eigenen Gemeinschaft die absolute Übereinstimmung des Äußeren – der äußeren Form und des äußeren Handelns. Das uniforme Erscheinen und Handeln verdrängen jede moralische Kategorie des Zweifels. In einer solchen Glaubenswelt und in einer von dieser Glaubenswelt geprägten Gemeinschaft ist der äußerlich authentische Muslim jedem anderen überlegen, der nicht dieser Äußerlichkeit entspricht. Ein solcher „objektive Muslim“ ist selbst im Moment der niederträchtigsten, der verwerflichsten Tat höherwertiger als jeder andere, der nicht dieser muslimischen Äußerlichkeit entspricht. So werden aus Terroristen Glaubenskämpfer und Widerstandshelden. So werden aus Kleinkindern und Greisen todeswürdige zionistische Monster. So werden aus Mädchen und jungen Frauen käufliche und verkäufliche Beute.

Der Weg zur Gewalt

Der Weg in diese ideologische Radikalisierung beginnt damit, dass Muslimen, die sich nicht diesem Verständnis einer äußerlichen Frömmigkeit ergeben, die Relevanz für die eigene Glaubensgemeinschaft abgesprochen, dass ihnen die Absicht einer Unterwanderung, eine Fremdbestimmtheit, eine eigensüchtige, materielle Motivation unterstellt wird.

Denn wenn das eigene Verständnis dieser äußerlich reinen Frömmigkeit als absoluter Maßstab gesetzt wird, kann der Widerspruch zu diesem Verständnis nicht als innere Haltung, nicht als konkurrierende muslimische Glaubensüberzeugung akzeptiert werden. Er muss ein von Nichtmuslimen bezahlter Verrat an der muslimischen Gemeinschaft sein. Und der Finanzier dieses Verrats ist das Deutsche. Damit schließt sich der Kreis der Unvereinbarkeit des Muslimischen und des Deutschen.

Die ideologische Querfront ins linke Spektrum formiert sich in der Überzeugung von der Reinheit der zugewiesenen sozialen Rollen. Das Muslimische ist in diesem Verständnis stets und immer nur das Opfer des Deutschen. Das Deutsche ist die permanente Zumutung für alles, was sich Muslimisch versteht. Eine freie Existenz des Muslimischen ist damit nur in dem Maße möglich, wie das Deutsche zurückweicht oder dekonstruiert wird. Eine Verschmelzung, eine Verbindung beider Sphären ist nicht möglich. Denn das wäre – und hier liegt der Berührungspunkt nicht nur zur islamistischen Szene, sondern mittlerweile leider auch zum muslimischen Mainstream – eine verwerfliche Assimilierung.

„Rassistischer Rechtfertigungsdruck“

Das Muslimische muss sich in diesem Verständnis stets gegen das Deutsche behaupten, es zurückweisen und letztlich bekämpfen. Das Muslimische ist der antirassistische Widerstand gegen das Deutsche. Aber die Reinheit dieser sozialen Rollen bedingt, dass das Muslimische diesen Widerstand nicht selbstbestimmt leisten kann. Die politische Linke leistet diesen Widerstand für die Muslime. Das ist meiner Wahrnehmung nach die ideologische Grundlage für den Vorwurf, dem ich vor einiger Zeit in einem parlamentarischen Gremium während der Anhörung zu Fragen des gesellschaftlichen Zusammenhalts und zu Muslimfeindlichkeit ausgesetzt war. Mein Plädoyer für eine Selbstwirksamkeit der muslimischen Communities und ein eigenes Empowerment gegen Muslimfeindlichkeit in Gestalt einer intensiveren inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem eigenen muslimischen Selbstverständnis in Deutschland und mein Appell zu einem positiven Selbstbild der Verantwortlichkeit als Muslime für die Gesamtgesellschaft stießen dort auf Widerspruch: Das sei ein „rassistischer Rechtfertigungsdruck“. Eine nichtmuslimische Person erklärt mir, warum ich als Muslim rassistisch gegenüber Muslimen sei – und das ausgerechnet in dem Moment, in dem ich die Selbstwirksamkeit von Muslimen hervorhebe.

Muslime sind demnach nicht in der Lage, selbstbestimmt und selbstwirksam Muslimfeindlichkeit zu überwinden und ein positives Selbstverständnis als deutsche Muslime zu entwickeln. Deutsch und Muslimisch sind in dieser Logik immer nur Kategorien von Täter und Opfer. Muslime können in dieser Vorstellung kein Problem mit eigenen, originären Abwertungserzählungen haben. Sie können keine Überlegenheitserzählungen haben, mit denen sie andere abwerten. Und das Deutsche kann nichts anbieten, das Muslime in ihr Glaubensverständnis einpflegen könnten, und nichts, das sich lohnt in dem Selbstbild eines deutschen Muslims vereint zu werden.

Deshalb greift aktuell der Applaus immer mehr um sich, wenn der Begriff, die Idee „deutsche Muslime“ dämonisiert wird. Mit der Möglichkeit einer Selbstwahrnehmung als „deutsche Muslime“ gibt es kaum inhaltliche Auseinandersetzungen. Ihre Vertreter sind vielmehr Zielobjekte einer Stigmatisierung, die mittlerweile die muslimischen Gemeinschaften verlassen hat und Verbündete in der nichtmuslimischen Gesellschaft findet.

Staatstreu

Drei Namen sind Anlass genug, diese Stigmatisierung zu betreiben: Mansour, Güvercin, Kayman. Sie sind im Zuge dieser Dämonisierung keine Subjekte mehr, die von einer inneren Haltung motiviert die Absicht haben könnten, eine Verbesserung der Zustände innerhalb der muslimischen Gemeinschaften und eine Verbesserung der Bedingungen unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens zu befördern. Sie sind lediglich Objekte, Instrumente des Deutschen und damit ein Gegenentwurf zu allem Muslimischen. Sie sind käufliche Objekte des Deutschen, die gegen das Muslimische eingesetzt werden.

Der größte Vorwurf, der bei diesem charakterlichen Unwerturteil dann auch folgerichtig erhoben wird, ist der Vorwurf der Staatstreue. Da das Deutsche der Gegner des Muslimischen ist, muss die institutionelle Manifestation des Deutschen der ultimative Gegner des Muslimischen sein: Der deutsche Staat wird zum Endgegner des Muslimischen. Deshalb erreicht der vermeintliche Verrat der drei Namen  seinen Höhepunkt auch in der Kollaboration mit diesem Staat.

Denn die Förderung von Projekten, die das Ziel einer Verbesserung unseres gemeinsamen Lebensortes verfolgen, können aus dieser Perspektive nicht von einem intrinsischen Motiv getragen sein, das das Deutsche und Muslimische vereint und verbunden denkt. Die Vorstellung, dass es Muslime geben könnte, die einen positiven Bezug zu ihrem Lebensort empfinden und sich als deutsche Muslime wohlfühlen, muss mittlerweile so unvorstellbar geworden sein, dass solche Muslime keine „wirklichen Muslime“ mehr sein können. Sie sind allenfalls „Hausmuslime“: fremdbestimmte, servile Sklaven einer feindlichen, ausbeuterischen Herrschaft, mit der keine gleichberechtigte Koexistenz möglich ist und die zwingend überwunden werden muss – das dürfte dann wohl das sein, was die „Globalisierung der Intifada“ für Deutschland bedeuten soll.

Deutsche Religionsgemeinschaften ohne deutsche Muslime

Wenn das Haus, also dieser demokratische Rechtsstaat, der feindliche Ort ist, für den man sich als redlicher Muslim nicht einsetzen kann, ohne dem Vorwurf charakterlichen Verfalls und banaler Käuflichkeit ausgesetzt zu sein, was sind dann die muslimischen Gemeinschaften? Orte der diversen Freiheitsräume für alle? Der gleichberechtigten Teilhabe und der individuellen Entfaltung? Gemeinschaften, die als Resonanzräume freier Meinungen und Glaubensansichten organisiert sind? Dann braucht es natürlich keine Namen mehr, die sich selbstkritisch äußern, da es in diesem Straßenbild der muslimischen Vollkommenheit nichts mehr gibt, was kritisiert oder gar verbessert werden müsste.

Was ist dann das nächste Ziel? Dass alles, was deutsch ist, irgendwann muslimisch werden muss, damit es allen in dieser Vollkommenheit endlich besser geht? Ist es jetzt ein Problem, dass ich mit diesen Worten die letzte Konsequenz dieses Gedankens einer Unvereinbarkeit des Deutschen und Muslimischen ausformuliere? Befördert das den Applaus der falschen Seite, weil es rechte Islamfeindlichkeit anspricht?

Dann fragt euch bitte, warum ihr so laut applaudiert, wenn ihr exakt diese vermeintliche Unvereinbarkeit reproduziert, indem ihr den drei Namen vorwerft, „zu deutsch“ und damit nicht mehr muslimisch zu sein. Überlegt euch sehr genau, dass im Verhältnis des Muslimischen zum Deutschen nur noch „Staatsfeind“ als Alternative eines authentischen muslimischen Seins übrig bleibt, wenn ihr „staatstreu“ als Vorwurf des Verrats an muslimischen Gemeinschaften verwendet.

Und bevor ich es vergesse: Ich sehe sehr genau, was die Grundlage der neuerlichen persönlichen Angriffe ist. Drei Muslime sind bereits zu viel der Zumutung, wenn sie sich für ein besseres Zusammenleben von Muslimen und Juden hier bei uns in Deutschland einsetzen und der Tendenz widersprechen, die Konflikte des Nahen Ostens, ihre Symbole, ihre Parolen, ihre Feindseligkeit und ihre Gewalt in unsere Gesellschaft zu tragen.

Die Linke versagt gerade dabei, die Judenfeindlichkeit als ein Merkmal des deutschen Faschismus zu erkennen, wenn sie nicht aus dem rechten politischen Milieu kommt.

Und die muslimischen Gemeinschaften versagen gerade dabei, glaubhaft zu formulieren, wie man eigentlich eine deutsche Religionsgemeinschaft ohne deutsche Muslime sein will. Die Aufregung über die Stadtbild-Formulierung erscheint jedenfalls unaufrichtig, wenn gleichzeitig selbst nur drei kritische Stimmen im Bild der eigenen Gemeinschaften als unerträglich  – weil „zu deutsch“ – empfunden werden und niemand aus diesen Gemeinschaften deutlich widerspricht, dass Juden aus Angst vor Anfeindung durch uns Muslime zunehmend aus der Sichtbarkeit im öffentlichen Raum verdrängt werden.

Die Verantwortung für das deutsche Stadtbild endet nicht mit der Forderung nach einem eigenen Platz darin.