Neutralität mit und ohne Kopftuch

Der Bundesrat hat einer Gesetzesvorlage zugestimmt, die im April vom Bundestag verabschiedet wurde und mit der das Erscheinungsbild von Beamt:innen bundeseinheitlich geregelt werden soll.

In der muslimischen Landschaft ist von einem Kopftuchverbotsgesetz die Rede. Formulierungen wie Diskriminierung, Stigmatisierung, „so fängt es an“, Kopftuchverbot durch die Hintertür etc. dominieren die wütende muslimische Auseinandersetzung mit dem Sachverhalt. Dieser Reflex des ständig verfolgten, benachteiligten Opfers tut unseren gesellschaftspolitischen Debatten nicht gut und leistet keinen sinnvollen oder auch nur ansatzweise Erfolg versprechenden Beitrag zu einer professionellen Artikulation muslimischer Belange im öffentlichen Raum. Dieser Ton und Inhalt verfestigen Fronten und vertiefen Gräben innerhalb einer Gesellschaft, in welcher es gilt, Vorstellungen von „Wir“ und „Ihr“ zu überwinden, anstatt sie zu zementieren.

Muslim:innen sind nicht Gegenstand, sind nicht getriebene Objekte der öffentlichen Debatten. Sie sind Subjekte. So sollten sie auch öffentlich auftreten. Empörung kann und darf nicht die inhaltliche Auseinandersetzung ersetzen.

Muslim:innen sollten sich schon gar nicht vorbehalten, sich erst dann als Teil dieser Gesellschaft begreifen zu wollen, wenn ihre Interessen uneingeschränkt erfüllt werden und sie ohne Konflikte, ohne Interessenabwägungen mit ihren Ansichten stets und vollumfänglich durchdringen. Einen solchen Zustand der uneingeschränkten Interessenverwirklichung kann es in einem demokratischen und pluralistischen Staat nicht geben. Dieser lebt von Kompromissen und Einschränkungen, die durch ihre bürgerlichen, demokratischen Regulierungskräfte zu Gunsten eines allgemeinen Interessenausgleichs und zu Lasten der individuellen Selbstverwirklichung ertragen werden. Das sollte nicht als Defizit, nicht als Mangel unserer Gesellschaftsordnung begriffen werden, sondern als ihre Stärke.

Näheres zum Sachverhalt

Eine gesetzliche Regelung war nach einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 2017 notwendig geworden. Das Gericht hatte entschieden, dass die Regelung des zulässigen Ausmaßes von Tätowierungen von Beamt:innen einer hinreichenden gesetzlichen Grundlage bedarf. Weil das Verbot des Tragens von Tätowierungen auch in das Beamt:innen gewährte Grundrecht auf freie Persönlichkeitsentfaltung eingreift, bedurfte es einer hinreichenden gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. Ein Verbot allein durch Erlass oder Verordnungen oder Dienstanweisungen wäre nicht zulässig.

Die neue gesetzliche Regelung lautet nun:

„Beamtinnen und Beamte haben bei Ausübung des Dienstes oder bei einer Tätigkeit mit unmittelbarem Dienstbezug auch hinsichtlich ihres Erscheinungsbildes Rücksicht auf das ihrem Amt entgegengebrachte Vertrauen zu nehmen. Insbesondere das Tragen von bestimmten Kleidungsstücken, Schmuck, Symbolen und Tätowierungen im sichtbaren Bereich sowie die Art der Haar- und Barttracht können von der obersten Dienstbehörde eingeschränkt oder ganz untersagt werden, soweit die Funktionsfähigkeit der Verwaltung oder die Pflicht zum achtungs- und vertrauenswürdigen Verhalten dies erfordern.
Das ist insbesondere dann der Fall, wenn Erscheinungsmerkmale nach Satz 2 durch ihre über das übliche Maß hinausgehende besonders individualisierende Art geeignet sind, die amtliche Funktion der Beamtin oder des Beamten in den Hintergrund zu drängen.
Religiös oder weltanschaulich konnotierte Erscheinungsmerkmale nach Satz 2 können eingeschränkt oder ganz untersagt werden, wenn sie objektiv geeignet sind, das Vertrauen in die neutrale Amtsführung der Beamtin oder des Beamten zu beeinträchtigen. Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat wird ermächtigt, die Einzelheiten nach den Sätzen 2 bis 4 durch Rechtsverordnung zu regeln. Die Verhüllung des Gesichts bei der Ausübung des Dienstes oder bei einer Tätigkeit mit unmittelbaren Dienstbezug ist stets unzulässig, es sei denn, dienstliche oder gesundheitliche Gründe erfordern dies.“

Staatliche Neutralität und Vertrauen in die Justiz

Die wesentlichen Argumente der neuen gesetzlichen Regelung sind der Verweis auf die religiöse und weltanschauliche Neutralität des Staates, die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung, das Vertrauen in die Unparteilichkeit der Justiz. Die Befürworter der neuen gesetzlichen Regelung, insbesondere auch die Regierungskoalition, welche den Gesetzesentwurf eingebracht hat, springen in ihrer Begründung zwischen diesen Grundsätzen willkürlich und quasi synonym hin und her und offenbaren damit tatsächlich eine pauschalierende Rechtsbetrachtung, bei der man die Sorge haben kann, dass hier eine undifferenzierte Umsetzung der gesetzlichen Regelungsmöglichkeiten bevorstehen könnte. Das schwächt aber nicht das Argument in der Sache, wenn es um das muslimische Kopftuch im Bereich der Justiz geht.

Die Funktionsfähigkeit des Rechtsstaates hängt in ganz entscheidender Weise von dem Vertrauen der Bürger in ein neutrales hoheitliches Handeln des Staates und die Unparteilichkeit seiner Justiz ab. Das sind zwei wichtige, aber nicht identische Grundsätze. Justiz ist staatliches Handeln, aber nicht jedes staatliche Handeln ist Justiz und verlangt die Einhaltung jenes Grades an Neutralität, die der Justiz obliegen muss. An diesem Punkt ist die öffentliche Debatte auf allen Seiten noch viel zu unpräzise und wird einem Interessenausgleich in einer pluralistischen Gesellschaftsordnung noch nicht in angemessener Weise gerecht.

Nicht jedes Verwaltungshandeln ist Justiz

Mittlerweile ist zum Beispiel unstreitig, dass Lehrerinnen im öffentlichen Dienst ein Kopftuch tragen dürfen, ohne dass dies als Beeinträchtigung ihrer staatlichen Aufgabenerfüllung oder als Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des Staates im Bereich der schulischen Bildung gedeutet werden darf. Im Gegenteil trägt die Manifestation der gesellschaftlichen pluralistischen Realität im schulischen Dienst gerade dem Bildungsauftrag Rechnung, die demokratischen Werte und die pluralistische Prägung unserer Gesellschaftsordnung nicht nur in der Theorie zu lehren, sondern in ihrer praktischen Verkörperung gerade auch im Schuldienst vorzuleben. Hier steht nicht die Ausübung staatlicher Gewalt gegenüber den Schüler:innen im Vordergrund, sondern die Verwirklichung einer inhaltlichen, edukativen Zielsetzung.

Ich halte mit der gleichen Begründung ein Verbot des Kopftuches zum Beispiel im allgemeinen öffentlichen Verwaltungsdienst und im Polizeidienst für unzulässig. Sollte die neue gesetzliche Regelung dafür genutzt werden, ein muslimisches Kopftuch oder andere religiöse Symbole im öffentlichen Dienst oder im Polizeidienst pauschal zu verbieten, bin ich zuversichtlich, dass ein entsprechendes Verbot verfassungsrechtlich keinen Bestand hätte.

Denn im öffentlichen Dienst und in seiner besonderen Ausprägung des polizeilichen Dienstes erfüllen die Beamt:innen zwar wesentlich klassischer und auch in ihrer Außenwirkung im Einzelfall körperlichen Zwang vermittelnde hoheitliche Aufgaben des Staates. Die Wirkung und Gestaltung dieser Aufgabenerfüllung ist aber meiner Ansicht nach nicht mit dem Bereich der Justiz vergleichbar.

Der öffentliche Dienst in Gestalt der allgemeinen Verwaltungsdienste und des Polizeidienstes sind dem exekutiven Bereich des staatlichen Handelns zuzuordnen. Die staatliche Gewalt, die ausgeübt wird, ist eine exekutive, eine Gesetze vollziehende Gewalt.

Niemand mit demokratischer Gesinnung käme auf die Idee, im Bereich der legislativen staatlichen Gewaltausübung zu argumentieren, das Tragen religiöser Symbole oder Erscheinungsmerkmale Beeinträchtige die Neutralität des Staates. Innerhalb der gesetzgebenden Gewaltsphäre äußert sich die Neutralität des Staates darin, dass die für ihn Handelnden in religiösen Fragen ausdrücklich inkompetent sein müssen, also nicht wissen dürfen, was eine richtige oder falsche Religion, was eine gute oder schlechte Religion sein soll, soweit sie gesetzgeberische Gewalt ausüben. Sie dürfen im Gesetzgebungsverfahren keine Religion privilegieren. Tun sie das, erlassen sie ein verfassungswidriges Gesetz.

Darüber hinaus sollen sie in religiösen und weltanschaulichen Fragen gerade nicht unparteilich sein dürfen und in ihrer Vielfalt idealerweise die gesellschaftliche Vielfalt abbilden, für die sie stellvertretend legislative Gewalt ausüben. Ihre Vielfalt soll der Ausübung legislativer Gewalt ihre demokratische Legitimation verleihen – alle Bevölkerungsgruppen sollen durch die Mitglieder des jeweiligen Gesetzgebungsorgans vertreten sein können und in der politischen Willens- und Meinungsbildung einbezogen werden.

Im Bereich der exekutiven Gewalt steigert sich indes die Erwartung der Bürger im Hinblick auf die Unparteilichkeit der für den Staat Handelnden. Denn die Beamt:innen vollziehen Recht und Gesetz. Sie treten den Bürgern in einem Über- und Unterordnungsverhältnis gegenüber, in welchem sie bei Vorliegen der entsprechenden Ermächtigungsgrundlagen auch staatliche Gewalt ausüben, die als körperlicher Zwang wirkt. In dieser Rolle müssen Bürger in einer gesteigerten Weise darauf vertrauen dürfen, dass die stattliche Gewalt nicht als Ausdruck persönlicher Einstellungen, sondern als Handlung ausgeübt wird, zu der die Beamte:innen durch Gesetz ermächtigt sind. Die staatliche Gewalt ist hier Ausdruck staatlichen Handelns, die durch vom Staat erlassene Gesetze limitiert und geregelt wird.

Die Beamte:innen verlassen während ihres Dienstes also in einem gewissen Maße ihre Rolle als Privatperson, als Individuum und treten in die Rolle staatlicher Vertreter. Je nach Art und Ausprägung der Aufgabenerfüllung ist es im Hinblick auf das Vertrauen in das staatliche Handeln geboten, diesen Rollenwechsel auch und gerade nach außen intensiver oder geringfügiger auszugestalten.
Ein Finanzbeamter, den die Bürger bei der Ausübung staatlicher Aufgaben kaum zu Gesicht kriegen, wird insoweit mit anderen Maßstäben beurteilt werden müssen, als eine Beamtin im Einwohnermeldeamt mit  stetigem Bürgerkontakt. Je nach dem, wie eingriffsintensiv das staatliche Handeln nach außen wirkt, kann und muss an das Zurückdrängen von Individualisierung und an die Voraussetzung von Uniformität im äußeren Erscheinungsbild ein anderer Maßstab angelegt werden.

Das gerade ist die Funktion der Dienstuniform. Sie verkörpert den Rollenwechsel vom Individuum zum Staatsbeamten. Der Staat tritt dem Bürger, in dessen Rechte er im Zweifel eingreift, den er zu Handlungen zwingen kann, nicht mit der Individualität und den Persönlichkeitsmerkmalen seiner Beamte:innen entgegen, sondern nach Möglichkeit als neutrale Instanz, die nicht von persönlichen Interessen, Vorlieben oder Vorurteilen geleitet ist.

Nicht alle Beamt:innen tragen Uniform

So macht das neue Gesetz auch deutlich, dass es gerade auf diese Abstrahierungswirkung ankommt und ankommen soll. Die Beeinträchtigung der Aufgebanerfüllung und der Funktionsfähigkeit der Verwaltung soll gerade dann angenommen werden, wenn die Erscheinungsmerkmale der Beamt:innen „durch ihre über das übliche Maß hinausgehende besonders individualisierende Art geeignet sind, die amtliche Funktion der Beamtin oder des Beamten in den Hintergrund zu drängen.“ Auf dieses Spannungsverhältnis zwischen der Notwendigkeit der Reduzierung von Individualisierung zwecks Erfüllung der staatliche Rolle und der Kraft der Herstellung von Individualisierung durch äußere Erscheinungsmerkmale kommt es ganz entscheidend an.

Diese Frage kann nicht pauschal für jede Art des öffentlichen Dienstes und jede Funktion von Beamt:innen einheitlich beantwortet werden. Sie ist mit Blick auf die Eingriffsintensität des staatlichen Handelens und das damit verbundene Vertrauen der Bürger, dass individuelle Merkmale der Beamte:innen nicht die staatliche Unparteilichkeit einschränken, dem Einzelfall entsprechend zu beantworten.

Meiner Ansicht nach kann ein Ausgleich zwischen diesen Positionen in einer beide Grundrechtspositionen optimierenden Weise und damit verfassungskonform gefunden werden, wenn das Kopftuch dem äußeren Erscheinungsbild der Dienstuniform folgt, also farblich und in Material und Musterung mit der Gestaltung der sonstigen Uniform identisch ist. Ob ein solches Kopftuch bereits die notwendige Zurückdrängen der Individualisierungswirkung erfüllt oder zusätzlich eine Dienstmütze aufgesetzt werden muss, um diese Wirkung zu erreichen oder zu verstärken, dürfte für den hier diskutierten Sachverhalt unerheblich sein.

Dem zurückbleibenden Anteil an Individualisierungswirkung in Gestalt der Tatsache, dass andere Beamte:innen kein Kopftuch tragen und sich die muslimische Beamtin darin unterscheidet, ist meiner Ansicht nach nicht dazu geeignet, die Funktionsfähigkeit der Verwaltung und das Vertrauen in die Sachlichkeit der Diensterfüllung zu beeinträchtigen.

Im Gegenteil kann die Wahrnehmung, dass der Staat seine exekutive Gewalt nicht nur durch eine bestimmte Bevölkerungsgruppe, sondern in einer die Vielfalt der Gesamtbevölkerung widerspiegelnden Personalkonstellation ausübt, das Vertrauen in die Sachlichkeit und Unparteilichkeit sogar steigern, auch und gerade wenn es um den Polizeidienst geht. Polizeibeamte:innen die ohne Ansehung ihrer jeweiligen religiösen oder weltanschaulichen Individualität gemeinsam und kollegial ihren Dienst verrichten, die gleichen Aufgaben erfüllen und in der Vielfalt ihrer persönlichen Prägung sich gerade auch wechselseitig am Maßstab einer immer wieder an den Grundsätzen des Pluralismus und der Demokratie orientierten Diensterfüllung messen, kann das Vertrauen aller Bürger in die exekutive Gewalt fördern.

Neutralität gerade durch religiöse Erscheinungsmerkmale

Im Regelfall werden Bürger auch im Polizeidienst einzelnen Beamt:innen nicht isoliert gegenüberstehen. Die völlig vom Zufall abhängende Begegnung mit einzelnen Beamt:innen, ihre Flankierung durch andere Beamte:innen, die Vielfalt einer Einsatzgruppe oder einer Dienststellenbesetzung, die Personalvielfalt in einer sonstigen Behörde, die Möglichkeit, mit Dienstvorgesetzten in Kontakt zu treten, all das lässt die individuellen Beamt:innen in ihrer Rolle als Teil einer größeren Gruppe aufgehen. Ihre individuellen Merkmale treten zurück und sie werden als Vertreter einer staatlichen Gewalt angesehen, die genauso von einem vielfältigen Beamtenstand gegenüber einer vielfältigen Bevölkerung ausgeübt wird. Innerhalb eines solchen Systems der hoheitlichen Selbstkontrolle bewirkt der geringe Einfluss eines uniformen Kopftuches keine so starke Einwirkung auf einzelne Bürger, die sich dadurch in einer Situation der Unausweichlichkeit und Abhängigkeit von ganz konkreten, individualisierten Polizeibeamten fühlen müssten.

Im Bereich der Justiz sehe ich diesen Punkt allerdings anders.

Die Justiz ist die dritte Gewalt. Hier agiert der Staat auch als Kontrollinstanz der anderen staatlichen Gewalten. Ihre Arbeitsweise ist durch verschiedene Gesetze in erheblichem Maße formalisiert. Diese Formalisierung dient auch dazu, die handelnden Personen in ihrer staatlichen Rolle als Organe der Rechtspflege hervorzuheben und ihre Individualität in möglichst hohem Maße zurückzudrängen. Zu den Justizgrundrechten gehört es, dass Bürger ihren gesetzlichen Richtern nicht entzogen werden dürfen. Das heißt, wer über einen konkreten Fall entscheidet, wird durch Geschäftsverteilungspläne zuvor formal festgelegt, um jeden Anschein einer von Interessen des Staates oder Personen geleiteten Einflussnahme auf die Person des Richters oder der Richterin auszuschließen.

Nirgends treten Bürger dem Staat in einer unmittelbareren, direkteren und unausweichlicheren Situation gegenüber als vor Gericht. Nirgends beruht das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit des Staates und die Rechtmäßigkeit seines Handelns so sehr auf der Wahrnehmung einzelner Personen. Gerichte dienen nicht lediglich der Rechtsanwendung wie die Exekutive. Sie sind damit betraut, Recht auszulegen und Recht zu finden, wo der Rechtsfrieden im Verhältnis zwischen Bürgern oder zwischen Bürgern und dem Staat gestört ist. Alle Beteiligten sind in der Arena des Rechts davon abhängig, dass das Vertrauen in die Unparteilichkeit dieser Rechts- und Entscheidungsfindung nicht zerrüttet wird.

Unparteilichkeit muss nicht nur eingehalten, sondern auch sichtbar sein

Unparteilichkeit bedeutet, wie es die höchstrichterliche Rechtssprechung herausgearbeitet hat, „die Abwesenheit von Vorurteil und Parteilichkeit“. Hierbei müssen Richter:innen und Staatsanwält:innen durch ihr Erscheinungsbild und durch ihr Verhalten im Verfahren „die ausreichende Gewähr dafür bieten, jeden legitimen Zweifel an ihrer Unparteilichkeit auszuschließen.“ „Nur Richter, denen die Parteien und auch die Allgemeinheit vertrauen, können ihrer Konfliktlösungsaufgabe und ihrer daraus resultierenden Befriedungsfunktion in einer demokratischen Gesellschaft gerecht werden.“

Dieser Sensibilität versucht der Gesetzgeber durch formale Regelungen gerecht zu werden, die im Falle der Besorgnis, Richter:innen könnten nicht unparteilich und nicht unvoreingenommen sein, ihre Ablehnung wegen Befangenheit ermöglicht.
Dabei kommt es darauf an, ob bei verständiger Würdigung des Sachverhalts die Betroffenen Grund zu der Annahme haben, abgelehnte Richter:innen könnten ihnen gegenüber eine innere Haltung einnehmen, die deren Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen könnte. Entscheidend ist dabei nicht die tatsächliche innere Haltung der Richter:innen, sondern allein schon der Anschein einer mangelnden Objektivität, der in der Außenwahrnehmung das Vertrauen in die Richterrolle beeinträchtigt.

Die bloße Zugehörigkeit von Richter:innen zu einer Religionsgemeinschaft kann für sich allein keinen solchen Anschein und damit die Besorgnis der Befangenheit begründen. Sonst müssten jegliche Merkmale, die eine solche Zugehörigkeit vermuten lassen, der richterlichen Unparteilichkeit im Wege stehen. Indes wird niemand behaupten wollen, ein Richter namens Mohammed würde allein aufgrund dieses Merkmals nicht in unparteilicher Weise urteilen können – oder einen solchen Anschein begründen -, wo dies einem Richter namens Christian tagtäglich problemlos möglich sein soll.

Das muslimische Kopftuch jedoch ist keineswegs nur eine Zugehörigkeitsbekundung – auch wenn dies in der öffentlichen Debatte von muslimischer Seite stets ins Feld geführt wird. Allein in der muslimischen Binnensphäre ist das Kopftuch kein Erscheinungsmerkmal, dem nur und ausschließlich der Aussagegehalt zugeschrieben wird, die Trägerin gehöre einer muslimischen Religionsgemeinschaft an.

Die Art der Wicklung des Kopftuches kann bereits eine politische Stellungnahme beinhalten und damit nicht nur die abstrakte Religionszugehörigkeit, sondern die persönliche Identifikation mit einer ganz bestimmten religiösen oder politischen Strömung ausdrücken. Auch und allein bereits in der muslimischen Binnensphäre ist das Kopftuch mit Vorstellungen von angemessenem weiblichen Verhalten in der Öffentlichkeit verbunden, mit sittlich-moralischen Wertungen von Richtig und Falsch, von korrektem oder normwidrigem Verhalten.

Religiöse Merkmale sagen mehr als nur „ich bin“

Richter:innen haben auch über Sachverhalte zu entscheiden, die ganz konkrete Konflikte zwischen Männern und Frauen, ihren wechselseitigen Erwartungen und Vorstellungen von der Rolle des jeweils anderen Geschlechts im sozialen Beziehungsraum einer Familie, einer Paarbeziehung etc. betreffen.

Auch unabhängig von Geschlechterrollen geht es in Rechtsstreitigkeiten stets um die Frage, wessen Ansicht von rechtmäßigem Verhalten im konkreten Einzelfall mit der Rechtsordnung eher übereinstimmt. Deshalb kommt es gerade im Gerichtsverfahren darauf an, dass die handelnden Personen, die in dieser Frage eine staatliche Wertung vornehmen, durch ihre äußere Erscheinung keinen anderen, individuellen Werterahmen verkörpern.

Dieser maximal möglichen Zurückdrängung der individuellen Persönlichkeitsebene dient die Amtstracht der Richter:innen und Staatsanwält:innen. Sie ist nicht bloß eine Verkleidung oder dient nicht lediglich der Förderung des äußeren Anscheins von staatlicher Neutralität durch Uniformität. Sie geht darüber hinaus und schafft eine Distanz mit der in einer zum Beispiel den Polizeidienst deutlich übersteigenden Wirkung die unter Umständen endgültige Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten durch staatliche Autorität ermöglicht werden soll. Dieser Bindungswirkung und Eingriffsintensität „im Namen des Volkes“ muss ein staatliches Auftreten entsprechen und gerecht werden, dem die betroffenen Bürger – eben auch solche, die Religionen kritisch gegenüberstehen – möglichst uneingeschränkt vertrauen können.

Deshalb bin ich davon überzeugt, dass den staatlichen Funktionsträger:innen im Gerichtssaal dieses Höchstmaß an Verzicht auf persönliche, insbesondere religiöse Erscheinungsmerkmale zugemutet werden kann, wenn im Gegenzug damit ein Höchstmaß an Vertrauen in die Justiz, insbesondere in die Aufgabenerfüllung der Staatsanwaltschaft und der Richterschaft, gewährleistet wird. Die Funktion der Richterschaft und der Staatsanwaltschaft sind aufgrund der dargelegten Argumente nicht die Orte, an denen gesellschaftliche Diversität abgebildet werden muss. Im Gegenteil bin ich davon überzeugt, dass in einer pluralistischen Gesellschaftsordnung gerade diese konfliktentscheidenden Instanzen und Rollen die größtmögliche Wirkung von Unparteilichkeit und Sachlichkeit gewähren müssen, um gerade im und mit dem Vertrauen aller Bürger Streitigkeiten innerhalb einer vielfältigen Gesellschaft zu befrieden oder strafrechtliches Fehlverhalten zu sanktionieren.

Mit der gleichen Argumentation vertrete ich die Auffassung, dass dieser Grad an Einschränkung im Falle der Rechtsanwält:innen und Schöff:innen keinen Platz haben darf. Auch Rechtsanwält:innen sind Organe der Rechtspflege. Ihre Anwaltsrobe erinnert sie an diese Aufgabe, auch wenn sie in ihrer Rolle ausdrücklich zur Parteilichkeit verpflichtet sind. Den Bürgern steht es frei, ihre Interessenvertretung in solche Hände zu legen, denen sie – vielleicht gerade auch aufgrund ähnlicher religiöser Überzeugungen – das größte Vertrauen entgegenbringen. Eine staatliche Aufgabenerfüllung mit einer unmittelbaren Drittwirkung findet in der Rolle der Rechtsanwält:innen aber gerade nicht statt.

Auch die Rolle der Schöff:innen halte ich im Hinblick auf die oben diskutierte Rolle und Funktion von Richter:innen für nicht vergleichbar, obwohl sie auf den ersten Blick das gleiche Amt ausüben. Gewiss unterliegen auch ehrenamtliche Richter:innen einer Pflicht der besonderen Verfassungstreue. Denn auch sie – wie die hauptamtlichen Berufsrichter:innen – üben staatliche Gewalt aus. Diese Pflicht zur Verfassungstreue leitet sich aber nicht aus den für Berufsrichter:innen geltenden gesetzlichen Bestimmungen ab, sondern direkt aus der Verfassung.

Sie verkörpern nicht lediglich die judikative Gewalt des Staates, sondern gerade auch ihre Legitimation durch den gemeinschaftlichen Willen aller Bürger des Staates. Dort, wo sie im Verfahren eine Rolle ausüben, stehen sie den Parteien des Verfahrens nicht nur als „das Gericht“ gegenüber, sondern auch als Vertreter des Volkes, in dessen Namen geurteilt wird.

Die für Berufsrichter:innen anzuwendenden Vorschriften – wie nun auch das neue Gesetz zum äußeren Erscheinungsbild von Beamt:innen – können nicht auf Schöff:innen übertragen werden. Denn diese stehen weder in einem Beamtenverhältnis, noch in einem sonstigen Dienstverhältnis zum Staat. Vielmehr üben sie ein Ehrenamt aus, wobei sie trotz der Amtsausübung Privatpersonen sind und auch bleiben. Dies äußert sich auch im nach außen getragenen Erscheinungsbild: Schöff:innen tragen keine Richterroben, sondern sitzen in ihrer privaten, höchstpersönlichen Bekleidung neben den Berufsrichter:innen.

Schöff:innen verkörpern mehr die Gemeinschaft aller Bürger als nur den Staat

Sie sollen den gesetzlichen Bestimmungen nach alle Gruppen der Bevölkerung nach Geschlecht, Alter, Beruf und sozialer Stellung angemessen repräsentieren. In einer vielfältigen Gesellschaft gehören auch Personen unterschiedlicher Religionszugehörigkeit zu dieser Bevölkerung. Sie sind ein Teil unserer Gesellschaft, die bei der Ausübung dieses Ehrenamtes nicht allein aufgrund ihres religiös konnotierten äußeren Erscheinungsbildes ausgeschlossen werden dürfen.

Das bedeutet, dass Schöff:innen in ihrer Person nicht nur die Amtsausübung und die repräsentative Rolle der Bevölkerung vereinen, sondern dass auch Letztere überwiegt. Genau umgekehrt verhält es sich bei Berufsrichter:innen und Staatsanwält:innen – dort steht die staatliche Vertretungsfunktion im Vordergrund.
Ein Ausschluss von Schöff:innen allein aufgrund eines religiösen Erscheinungsmerkmals wäre für sich gerade deshalb nicht mit der Neutralität des Staates vereinbar, wonach staatsbürgerliche Rechte, zu denen eben auch das Recht auf Ausübung des Schöff:innenamtes gehört, unabhängig vom religiösen Bekenntnis zu sein hat.

Und an dieser Stelle sind auch die öffentlichen muslimischen Stellungnahmen geprägt von einer unausgereiften, unpräzisen Fokussierung der eigentlichen Problematik. Vielfach war zu hören und zu lesen, das neue Gesetz sei eine Diskriminierung von Musliminnen, eine Stigmatisierung religiöser Menschen.
Das Gesetz richtet sich aber nicht gegen Religionen oder eine besondere religiöse Gruppe. Es richtet sich gegen die Individualisierungswirkung religiöser Erscheinungsmerkmale. Und das auch nicht auf jeder Ebene der Verwaltung und nicht in jedem Bereich staatlicher Aufgabenerfüllung – sondern dort, wo diese Merkmale „durch ihre über das übliche Maß hinausgehende besonders individualisierende Art geeignet sind, die amtliche Funktion der Beamtin oder des Beamten in den Hintergrund zu drängen.“ und im Falle religiöser Erscheinungsmerkmale „wenn sie objektiv geeignet sind, das Vertrauen in die neutrale Amtsführung der Beamtin oder des Beamten zu beeinträchtigen.“
Die Religiosität von Richter:innen und Staatsanwält:innen ist überall dort nicht betroffen, wo diese ihre Religion so verstehen, dass äußere Erscheinungsmerkmale nicht zwingend getragen werden müssen. Die Mehrheit muslimischer Frauen trägt kein Kopftuch. Als Musliminnen können sie uneingeschränkt als Richterinnen und Staatsanwältinnen ihren Dienst verrichten.

Dass es nicht auf die religiöse Bedeutung eines Bekleidungsstücks ankommt, sondern auf die damit mögliche Beeinträchtigung des Vertrauens in die Unparteilichkeit staatlicher Amtsausübung durch das Zurückdrängen der staatlichen Funktionseigenschaft hinter die individuellen Merkmale einer Person, wird in einer umgekehrten Betrachtung noch deutlicher:
An den obersten Bundesgerichten unserer Judikative gehört eine Kopfbedeckung – jedenfalls bei Einzug in und Auszug aus dem Gerichtssaal – zwingend zum Erscheinungsbild des Gerichts. Sie erfüllt in dieser letzten Stufe des Instanzenzuges und damit in einer Situation größtmöglicher Abhängigkeit und Unausweichlichkeit für den das Recht suchenden Bürger die Funktion einer dem äußeren Erscheinungsbild nach größtmöglichen Vereinheitlichung des Gerichts und der Deindividualisierung der einzelnen Richter:innen.
Damit wird in letzter Konsequenz auch die Frisur als Ausdruck der Individualität teilweise zu Gunsten der Wirkung einer unparteilichen hoheitlichen Autorität zurückgedrängt.
Ich hielte es für richtig, wenn in diesem Fall auch die aus religiösen Gründen motivierte Weigerung, eine Kopfbedeckung zu tragen, untersagt werden würde. Denn durch diese Individualisierung wird gerade das Erscheinungsbild des Gerichts in seiner Gänze gebrochen und derart gestört, dass die Rechtsuchenden zu besorgen hätten, die jeweiligen Richter:innen hielten auch andere Wertungen als solche unserer Rechtsordnung für letztverbindlich.

Entscheidend ist die konkrete Funktion staatlich Handelnder

Im Ergebnis halte ich mit den obigen Argumenten und Abwägungen ein aus religiösen Gründen getragenes Kopftuch und damit alle religiös motivierten oder konnotierten Erscheinungsmerkmale im gesamten Bereich der öffentlichen Verwaltung einschließlich des Polizeidienstes für grundsätzlich zulässig. Sollte das neue Gesetz in diesem Bereich für Verbote herangezogen werden, wäre auf dem Rechtsweg die Verfassungsmäßigkeit eines solchen Verbotes zu prüfen.

Im Bereich der Judikative und dort nur für Berufsrichter:innen und Staatswanwält:innen halte ich ein Verbot auf Grundlage des neuen Gesetzes für zulässig und notwendig. Das Zusammenleben in einer pluralistischen Gesellschaft bringt mit sich, dass nicht alle Grundrechte schrankenlos ausgelebt werden können. Bei einer Kollision von Rechtsgütern von Verfassungsrang ist es die Aufgabe des Staates zur Wahrung seiner Grundrechtsordnung und Konfliktlösung in einer pluralistischen Gesellschaft für einen solchen Ausgleich zu sorgen, bei dem sich die kollidierenden Rechtsgüter in gegenseitiger Berücksichtigung möglichst optimal entfalten können.

Die Zulässigkeit religiöser Erscheinungsmerkmale im gesamten Verwaltungsdienst könnte als Ausdruck des Grundsatzes von „Neutralität durch Diversität“ dem Prinzip des „in dubio pro libertate“ am ehesten gerecht werden, wohingegen die möglichst maximale Vereinheitlichung des äußeren Erscheinungsbildes von Richter:innen und Staatsanwält:innen dem Grundsatz der „Neutralität durch Uniformität“ folgend der Stärkung des Vertrauens in die Unparteilichkeit der staatlichen Judikative dient. Damit wären beide Verfassungsgüter in ihrem Geltungsanspruch angemessen berücksichtigt und ihre jeweilige Kernfunktion erfüllt.

Was in einer pluralistischen Gesellschaft ganz wichtig ist: Kein bürgerliches Freiheitsrecht stellt ein Supergrundrecht dar, hinter dem alle anderen Verfassungsgüter zurückzutreten haben. Im Einzelfall ist natürlich die Betroffenheit bestimmter Personengruppen ein belastendes persönliches Schicksal.

Eine pluralistische Gesellschaft lebt von Kompromissen

Frauen mit einem muslimischen Kopftuch und allen anderen Personen mit religiösen Erscheinungsmerkmalen, auf welche sie nicht verzichten können oder wollen, würde gleichwohl der Weg in den öffentlichen Dienst zur beruflichen Selbstverwirklichung freistehen. Selbst im Rahmen der Judikative wäre eine Tätigkeit als Schöff:in möglich, mit der eine größtmögliche Annäherung an die Funktion von Berufsrichter:innen zu erreichen wäre. Lediglich die Tätigkeit als Berufsrichter:innen oder Staatsanwält:innen bliebe diesem Personenkreis verschlossen. Das wäre der Preis dafür, das Vertrauen aller Bürger in die Unparteilichkeit der sie anklagenden oder über sie urteilenden Staatsvertreter zu stärken. Von solchen Kompromissen lebt eine vielfältige Gesellschaft.

Entscheidend ist aber auch, dass solche gesetzlichen Regulierungsinstrumente nicht dazu genutzt werden, einem bestehenden Unwerturteil oder bestehenden Vorbehalten gegen bestimmte Personengruppen in unserer Bevölkerung unter dem Vorwand der staatlichen Neutralität soziale Geltung und rechtliche Wirkung zu verschaffen. Das würde einen Vertrauensschaden im Hinblick auf die Funktionsfähigkeit unserer Demokratie verursachen, dem das Prinzip staatlicher Neutralität ja gerade entgegenwirken will. Hierüber zu wachen und diese Gefahr kritisch zu begleiten, ist der politische Auftrag aller demokratischen Parteien, jeder staatlichen Gewalt und aller Bürger unseres Landes.