Zur Abwechslung mal ein für hiesige Verhältnisse kurzer Blogbeitrag – denn manchmal gibt es Themen, zu denen jedes Wort eigentlich zu viel Aufmerksamkeit ist, über die man dann aber doch das eine oder andere Wort verlieren muss, nur um wieder festzustellen, dass sich mehr Fragen stellen, als man Antworten geben kann.
Die SZ führt aktuell ein Interview mit Zana Ramadani, die ihr neues Buch promotet. Ramadani war früher Femen-Aktivistin. Jetzt schreibt sie ein „islamkritisches“ Buch.
Im Interview klingt an, dass Ramadani eine problematische Beziehung zu ihrer Mutter hatte. Das ist traurig. Das haben sicher auch viele andere Menschen. Die schreiben nur keine Bücher, in denen sie eine ganze Religion und alle ihre Angehörigen dafür zur Rechenschaft ziehen.
Das Interview trägt in der SZ online die Überschrift „Muslimische Mütter erziehen ihre Söhne zu Versagern“.
Damit meint Ramadani, die Religion sei die Ursache dafür, dass Mütter ihre Söhne verhätscheln, ihnen jeden Wunsch erfüllen, ihnen jede Verfehlung durchgehen lassen und sie somit zu unselbständigen, beziehungsgestörten Egomanen aufwachsen lassen, die später an den Anforderungen einer differenzierten Gesellschaft scheitern. Das ist ganz gewiss ein Problem. Es fragt sich nur, ob das ein „muslimisches Problem“ ist?
Passiert das Gleiche der sächsischen Mutter mit ihrem Rico nicht auch? Oder der Mutter aus Berlin mit ihrem Ronny? Oder der Mutter aus der Elbchaussee mit ihrem Maximilian? Oder der amerikanischen Mutter mit ihrem Donald?
Manch einem gelingt es später, seine asozialen Charakterzüge mit der Mitgift eines bürgerlichen Elternhauses oder einer üppigen Erbschaft als „Exzentrik“ zu tarnen. Zu welchem Monster er herangewachsen ist, bekommen wir nur dann mit, wenn seine Scheidung interessant genug für die Boulevardpresse ist oder man gefolterte Frauen in seinem Keller findet. Das alles hat dann aber nichts mit Religion zu tun.
Ramadani meint: „Keine andere Religion bringt so viele Mörder hervor, wie der Islam.“ Die Quelle für diese Empirie ist wahrscheinlich identisch mit denen vieler „islamkritischer“ Thesen: Bauchgefühl, empfindliche Nackenhaare oder einfach nur abgeguckt von den erfolgreichen Vertretern dieser Zunft.
Dabei darf der Vorwurf gestörter Sexualität und einer „Geschlechterapartheid“ im Zusammenhang mit dem Kopftuch natürlich nicht fehlen. So beginnen „Islamkritiker“-Karrieren in Deutschland.
Dabei darf man sich sicher sein, dass kein Journalist danach fragt, ob denn auch wieder der Islam daran schuld ist, dass zum Beispiel Femen sich zum barbusigen „Sextremismus“ bekennt, weil die politischen Botschaften angezogener Frauen „niemanden interessieren“ oder wie es auf der Wikipedia-Seite der Gruppe auch heißt, warum dies für Frauen „der einzige Weg [ist], um gehört zu werden.“?
Zweifellos wird die Karriere Ramadanis als neuer Stern am Himmel der „Islamkritik“ sehr erfolgreich sein, denn sie performt die bekannten talking points der Szene in auflagenförderlicher, gelassener Schnodderigkeit. Viel mehr als das Fallenlassen von Signalbegriffen ist dafür mittlerweile auch kaum nötig: Muslim Versager Islam Gewalt. Diese Trigger reichen zum Ausweis des Expertentums – und zum Kaufanreiz allemal.
Das alles erinnert an die Böhmermannschen Produktionsmethoden deutscher Popmusik, übertragen auf die Frage, ob wir es noch mit einer „Islamkritik-Industrie“ oder schon mit einer „Industrie-Islamkritik“ zu tun haben?
Aber legen wir kurz die „islamkritische“ Methode der anekdotischen Evidenz auf diesen jüngsten Fall an:
Persönliche Traumata der Familienbiographie werden pars pro toto als Gruppeneigenschaften verallgemeinert. Das ist das Prinzip: „Was ich erlebt habe, müssen alle erlebt haben.“ oder „Meine leidvollen Erfahrungen dienen dem höheren Zweck der Erlösung aller anderen aus dem gleichen Leid.“
Die zahlreichen Gegenbeispiele – hier die vielen muslimischen Mütter, die unter widrigsten gesellschaftlichen Umständen eben nicht in einer „Opferrolle“ verharrten, sondern ihre Söhne zu gesellschaftlichen Leistungsträgern erzogen haben – werden schlicht ignoriert. Das ist das Prinzip: „Erfolgsgeschichten sind nichterwähnenswerte Ausnahmen. Die öffentlich zu perpetuierende Regel ist das Scheitern des Muslim.“
Im Namen der Freiheit wird die Beschränkung individueller und kollektiver Freiheit mit den Mitteln des staatlichen Zwanges zu Lasten einer religiösen Minderheit propagiert. Das ist das Prinzip: „Gleichberechtigung ist nur falsche Toleranz.“ oder „Gleiche Rechte für alle Bürger ist ein Irrtum unserer Geschichte: Wir müssen zurück zu Sondergesetzen für Andersgläubige.“
Solche Positionen werden in unserer Gesellschaft mittlerweile als Merkmal kritischer Reflexion und fortschrittlicher Analyse verstanden – und nicht als Zeichen des Scheiterns an den elementarsten Grundprinzipien einer freiheitlich-demokratischen Rechtsordnung. Das wirklich besorgniserregende Versagen vor den Anforderungen des Pluralismus wird nicht mehr als solches erkannt. Im Gegenteil dient dieses (un)demokratische Versagen eher der Auflage.
Andersgläubigkeit ist nicht mehr Ausdruck von Vielfalt, sondern wird durch die Willkür der Mehrheit als Abweichung von der gesellschaftlichen Norm definiert und dient damit zur Abwertung des Anderen und zur Aufwertung des eigenen gesellschaftlichen Status.
Das stellt uns vor die Frage, wie wir überhaupt eine erfolgreiche Bildungs- und Gesellschaftspolitik gestalten wollen, wenn wir problematische Entwicklungen – die es ja zweifellos auch gibt – nicht mehr als hausgemachtes gesamtgesellschaftliches Problem, sondern als exklusiven qualitativen Mangel einer Glaubensgemeinschaft betrachten?
Letztlich bleibt das provokative Fazit in Gestalt einer Frage:
Wäre es unter diesen Umständen legitim, die folgende These aufzustellen: „Versager erziehen ihre Söhne und Töchter zu Islamkritikern!“?
Und bekommt man dafür ein Interview in der SZ?