Am kommenden Wochenende wird die CSU-Führung auf einer Vorstandsklausur über die Beschlussvorlage mit dem Titel „Klarer Kurs bei der Zuwanderung – Humanität, Ordnung, Begrenzung“ beraten. Die Diskussion um dieses Papier und die aktuellen Äußerungen führender CSU-Politiker legen offen, von welcher Verunsicherung die gesellschaftlichen und politischen Debatten gegenwärtig geprägt sind.
Deutschland bleibt Deutschland
Wie Sebastian Fischer in seinem sehr lesenswerten Beitrag auf SPON darlegt, sind dieses Papier und seine tragenden Motive von Widersprüchen und Tautologien bestimmt. Eine der Kernaussagen der Beschlussvorlage lautet „Wir sind dagegen, dass sich unser weltoffenes Land durch Zuwanderung oder Flüchtlingsströme verändert.“ Fischer legt den wichtigen Unterschied dar, der in dem CSU-Satz „Deutschland muss Deutschland bleiben“ im Vergleich zu Merkels Aussage „Deutschland wird Deutschland bleiben“ zum Ausdruck kommt.
CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer spricht von einem „unverrückbaren Anspruch, dass Deutschland Deutschland bleiben muss.“. Veränderung ist für ihn nur dann positiv konnotiert, wenn sie als aktiver, selbst gesteuerter Prozess der Weiterentwicklung vollzogen wird und nicht als dynamisches gesellschaftliches Phänomen wirkt.
Die Angst vor Veränderung ist der Treibstoff einer CSU-Politik, die durch klare Ansagen deutlich machen will, wer Herr im deutschen Haus ist. Zuwanderer haben sich „nach uns zu richten!“.
Was macht „uns“ aus?
Was dieses „uns“ ausmacht, wird nicht positiv, sondern – wie üblich im öffentlichen Diskurs der letzten Jahre – negativ, durch ausgrenzende Markierungen definiert:
Zum Beispiel in Gestalt des Burkaverbots, das eigentlich nichts anderes ist als eine Ersatzdebatte um die Sichtbarkeit muslimischen Lebens im öffentlichen Raum. Dass sich diese Debatte ausgerechnet eines Symbols bedient, das unter in Deutschland beheimateten Muslimen praktisch überhaupt nicht vorkommt, demonstriert nur die paradoxe Natur der „islamkritischen Debatte“, die wir angesichts solcher verqueren Ansätze immer deutlicher als muslimisches Missverständnis bezeichnen müssen.
Oder mittels der Formulierung „wirklich Deutscher“, in welchem – unausgesprochen – das Bild des „Pass-Deutschen“ mitschwingt, dem Illoyalität unterstellt wird. So heißt es auch in dem CSU-Papier, dass man nicht „Diener zweier Herren sein“ kann, worin eine Vorstellung über den „Staatsbürger“ zum Ausdruck kommt, welche die Bedeutung des Begriffs „Staatsdiener“ – nämlich als Dienstleistender für die Gemeinschaft der Staatsbürger – auf den Kopf stellt.
Unter dem Titel „Gleichberechtigung“ warnt die CSU vor einer „Aushöhlung dieses Rechts durch Zuwanderer“, um im gleichen Atemzug für ein Verbot des Kopftuches im öffentlichen Dienst zu plädieren – ohne Irritation darüber, dass sie mit dieser Forderung eben jenes Recht aushöhlt, welches das Bundesverfassungsgericht erst letztes Jahr im Fall des Kopftuchs von Lehrerinnen an öffentlichen Schulen konkretisiert hat.
Bürger und Staat
In dieser Rhetorik überrascht dann auch die Formulierung nicht, welche die Integration als „Bringschuld“ der Zuwanderer beschreibt. Ein sprachliches Bild, das die Rollenverteilung von Gläubigern und Schuldnern in der gesellschaftlichen Konstellation klar definiert und stillschweigend davon ausgeht, es handele sich um ein einseitiges Schuldverhältnis und nicht etwa um eine synallagmatische Beziehung, in welcher der Gläubiger vielleicht auch mal in Annahmeverzug gerät.
Und auch hier, im CSU-Papier, taucht wieder ein Verfassungsverständnis auf, nach welchem sich der Bürger „an unser Grundgesetz“ halten muss. Dieses Phänomen der Bedeutungsumkehr mit Blick auf das Grundgesetz, wurde auf diesem Blog bereits näher thematisiert. Das Grundgesetz ist keine unmittelbare Handlungsanweisung an den Bürger. Es beschreibt keine Werteordnung, die dem Bürger ein konkretes Verhalten oder Bekenntnis abverlangt. Vielmehr bindet diese objektive Werteordnung unmittelbar alle Staatsgewalt zum Schutz des Bürgers vor dem Staat.
Wie wichtig diese Unterscheidung ist, wie streitbar wir diese Bedeutung unseres Grundgesetzes immer wieder beharrlich in Erinnerung rufen müssen, wird auch in den Forderungen deutlich, welche die CSU – teilweise offen gegen geltende verfassungsgerichtliche Rechtsprechung – artikuliert.
Angst vor Veränderung
Gleichzeitig wird in diesen Formulierungen deutlich, welche Verunsicherung offenkundig entstanden ist, nur weil 5 % der deutschen Bevölkerung (nämlich die Muslime) die gleichen Bürgerrechte einfordern, die für 95 % der Bevölkerung eine Selbstverständlichkeit sind. Die CSU nennt diese Verunsicherung „die Angst vieler Bürger vor gesellschaftlichen Veränderungen“.
Es wirkt bizarr, dass gesellschaftliche Veränderung ausschließlich als etwas Bedrohliches, Verängstigendes wahrgenommen wird. Und nicht als permanenter, gesellschaftlicher Normalzustand.
Natürlich ist Deutschland nicht mehr das Deutschland der 1950er Jahre. Trotzdem bleibt Deutschland Deutschland. Das gleiche Deutschland, aber gottlob nicht dasselbe Deutschland. Im Umgang mit Zuwanderung und muslimischer Präsenz in Deutschland muss die Frage doch lauten: Wie können neue Bürger und bereits in der zweiten und dritten Generationen hier lebende muslimische Bürger dazu beitragen – gerade mit den (auch religiösen) Unterschieden, die sie ausmachen – Deutschland so zu verändern, dass es ein besseres Deutschland wird?
Denn welchen Wert kann ein pluralistisches Gesellschaftsverständnis überhaupt haben – und eben ein solches liegt dem Grundgesetz ja zu Grunde – wenn diese Vielfalt und die von ihr ausgehenden transformierenden Kräfte als Bedrohung und nicht als Stärkung unseres Landes begriffen werden?
Veränderung und „Union“
Es gerät zu schnell in Vergessenheit, dass gerade die Unionsparteien mit ihrer Geschichte für dieses Verständnis der Stärke durch Vielfalt und für die Hoffnung durch ein Miteinander unterschiedlicher Perspektiven stehen. Gerade das „U“ der CDU/CSU steht doch im historischen Verständnis für eine Union protestantischer und katholischer Bürger, die sich mit ihren unterschiedlichen religiösen Identitäten gemeinsam zum Wohle ihres Landes parteipolitisch einsetzen. Dieses Verständnis von Unionspolitik war die Folge von Veränderungen – nämlich von als notwendig begriffenen Veränderungen aus den Lehren der Weimarer Republik.
Und auch der nun durch die CSU artikulierte leidenschaftliche Rekurs auf unser Grundgesetz – trotz aller angesprochenen inhaltlichen Widersprüche – ist Ausdruck einer Veränderung und ein Beweis für die Zuversicht, mit der wir Veränderungen angehen müssen, statt ihnen mit Angst zu begegnen:
Am 8. Mai 1949 verabschiedete der Parlamentarische Rat unser Grundgesetz. Mit 53 zu 12 Stimmen. 6 der 8 CSU-Abgeordneten stimmten dabei gegen das Grundgesetz.
Bis zum 21. Mai 1949 stimmten die Bundesländer dem Grundgesetz zu. Allein der Bayerische Landtag stimmte mehrheitlich gegen das Grundgesetz. Es gilt heute nur, weil gemäß Artikel 144 Abs. 1 des Grundgesetzes zwei Drittel der Bundesländer es ratifiziert haben.
Nur Mut, Veränderung ist gut.
Anmerkung: Die Überschrift ist eine Abwandlung von „Angst essen Seele auf“ – der Titel eines Melodrams von Rainer Werner Fassbinder. Der Arbeitstitel des Films lautete: „Alle Türken heißen Ali“.