„Der Panzer verdeckt die Wunde“ – Teil 2

„Ein Deutscher (Muslim), ist ein Mensch, der keine Lüge aussprechen kann, ohne sie selbst zu glauben.“

Lässt man den Blick schweifen und betrachtet die muslimische Community außerhalb der Verbände, kann man die innerverbandlichen Zustände geradezu als harmonisch und die dortigen diskursiven Verhältnisse als moderat bezeichnen. Denn die Konfliktlinien in der „muslimischen Szene“ außerhalb der Verbände und der Umgang der nichtmuslimischen Öffentlichkeit mit dem Thema Islam sind von derart schriller Rhetorik geprägt, dass man sich fast schon fragen muss, ob die dort vorgetragenen gedanklichen Luxationen noch die Grenzen der Rationalität und der guten Sitten einhalten.

Dabei haben die diskursiven Entgleisungen durch fortwährende Steigerung in den letzten Jahren einen erschreckenden Grad erreicht. Als Gesamtgesellschaft ist uns das Gespür für Tabus im Umgang mit religiösen Minderheiten – vielleicht auch nur mit den Muslimen – abhandengekommen. Selbst bei einem Akif Pirinçci, der sich unter anhaltendem öffentlichem Applaus in Rumpelstilzchenmanier an einem Wörterbuch der antimuslimischen Vulgarität abarbeitet, wird die Tabuzone erst erreicht, wenn der Begriff KZ fällt. Das scheint die gedankliche Grenze zu sein, die noch hält. Diesseits davon gilt jede noch so grobe Unflätigkeit, jede noch so unerträgliche Stigmatisierung von Muslimen als legitimer kritischer Beitrag in der Islamdebatte. Dieser Eskalation der Sprache muss die Eskalation der antimuslimischen Tat folgen. Dennoch wird diese Entwicklung mit fataler Naivität, die mitunter schon einem bedingten Vorsatz nahekommt, ignoriert. Die Konsequenz sind wachsende Zahlen bei Moscheeübergriffen und Anschlägen gegen Flüchtlingsunterkünfte. Führt man sich die entsprechenden Ereignisse der frühen 90er Jahre vor Augen, muss man konsterniert feststellen: Die Politik und die Medien haben nichts, aber auch rein gar nichts dazu gelernt.

Beispielhaft für diese Verrohung im Denken und Reden ist die Entwicklungslinie, die sich etwa in den letzten 5 Jahren nachzeichnen lässt. Die Türken sind zu Muslimen geworden. Ihre durch Inzucht bedingte genetische Minderintelligenz und die damit von ihnen ausgehende Bedrohung für die Volksgesundheit und die wirtschaftliche Produktivität haben sich gewandelt zur muslimischen Gefahr für unsere Gesellschafts- und Werteordnung bedingt durch den primitiven Glauben an eine psychopathische Führerfigur und ein Glaubenssystem, das quasi zwangsläufig zur krankhaften Delinquenz aller seiner Anhänger führen muss. Muslime sind keine selbstbestimmten Individuen, sondern religiöse Automaten, die empfindungslos und zur Reflexion unfähig nur die Dogmen ihres Wahnglaubens exekutieren.

Diese Vorstellung wird befördert durch den Eifer zahlloser Islamexperten und Islamkritiker. Muslimische Kronzeugen der Anklage und damit fähig, ohne einen Aufschrei der Entrüstung angesichts derartiger rassistischer Unerträglichkeiten, das Narrativ vom ewig bedrohlichen Muslim zu perpetuieren.

Dieses „Abdel Sarrazin“-Prinzip führt zu einer generellen Pathologisierung und Kriminalisierung von Muslimen im gesellschaftlichen Diskurs. Gerade organisierte und praktizierende Muslime sind von dieser Stigmatisierung betroffen und werden damit gleichzeitig als islamkontaminierte, vertrauensunwürdige Akteure aus der gesellschaftlichen Verhandlung über das Schicksal des Islam in Deutschland gedrängt.

Beliebtestes Mittel ist die stets einseitig betriebene pars-pro-toto-Logik, mit der ein gesellschaftlich unauffälliger Muslim stets nur die Ausnahme und der bedrohliche, kriminelle Muslim stets das Resultat der konsequenten Anwendung seiner Religion ist und damit exemplarisch für die potentielle Entwicklung aller Muslime steht.

Mit dieser Selbstvergewisserung durch anekdotische Evidenz wird jedes Fehlverhalten eines Muslim auf die gesamte muslimische Glaubensgemeinschaft projiziert. Aktuell erleben wir das in der Flüchtlingsdebatte, in welcher auch in den Flüchtlingen, die vor dem Terror des „Antiislamischen Staates“ fliehen, potentielle terroristische Gefährder erkannt werden – weil sie ja auch Muslime sind. In dieser Logik muss jeder Muslim über kurz oder lang aufgrund seiner Religion und auch nur in dieser monokausalen Zwangsläufigkeit zu einer Gefahr für unsere Gesellschaft werden. Dabei ist schon erstaunlich, wie hartnäckig eine tatsächliche Evidenz ausgeblendet wird. Nämlich die Tatsache, dass in einer bald 60jährigen Migrationsgeschichte weitestgehend ohne irgendwelche religiösen Spannungen das Phänomen des religiös verbrämten ideologischen Extremismus noch eine sehr junge Erscheinung etwa der letzten 15 Jahre ist.

Niemand stellt die Frage, was denn die Entwicklungen der letzten 15 Jahre besonders kennzeichnet und welche Erklärungsmuster möglicherweise schlüssiger wären.

Wie wirkmächtig der bequemere Verweis auf die Religion ist, zeigt sich auch in der jüngsten Forderung des Zentralrates der Juden, die Aufnahme von muslimischen Flüchtlingen zu begrenzen. Auch dort wird das negative Phänomen des Antisemitismus ahistorisch als muslimischer Makel markiert, ohne zu erkennen, dass genau diese kollektive Stigmatisierung nicht nur den tatsächlichen Verhältnissen in unserer Gesellschaft zuwider läuft, sondern gerade auch eine Form der kollektiven Negativmarkierung darstellt, den der Antisemitismus selbst ja pflegt.

Wenn diese Unschärfe mittlerweile auch dem Zentralrat der Juden passiert, muss das ein noch lauteres Warnzeichen für uns alle sein, dass wir im Begriff sind, die wichtigsten gesellschaftlichen Sensoren für Ausgrenzung und Diskriminierung zu verlieren.

Denn natürlich ist der Antisemitismus ein Problem, das uns alle betrifft. Und natürlich gibt es auch unter Muslimen Antisemiten. Diese Beispiele aber zu einer kollektiven Eigenschaft und gar zu einem religiös bedingten Makel der muslimischen Religionsgemeinschaften zu erklären, verkennt die gesellschaftlichen Bemühungen der muslimischen Verantwortlichen sowie ihre religiösen Grundlagen und sekundiert dem Zerrbild des unaufrichtigen, hinterhältigen Muslim, der nur auf die Gelegenheit wartet, der Gesellschaft zu schaden.

Damit wird einmal mehr die Religion zum Grundproblem erklärt und die gesellschaftlich relevante Selbstorganisation der Muslime disqualifiziert. So wird Platz geschaffen für die Tafelrunde der muslimischen Reformritter in strahlender Rüstung.

 

„Fortschritt ist ambivalent. Er entwickelt zugleich das Potential der Freiheit und die Wirklichkeit der Unterdrückung.“

Und an dieser Tafel nehmen sie alle Platz. Die liberalen Humanisten, die humanistischen Liberalen, die Präventionsexperten, die Islamkritiker, die Hochschullehrer mit chronischer akademischer Unterforderung und ganz viel Zeit für Nebentätigkeiten aller Art, die selbsternannten Islamreformer und solche, die das noch werden wollen und Politiker, die zur Wahrung unserer Gesellschaftsordnung gern ein Zwei-Klassen-Grundgesetz einführen wollen und das auch noch als freiheitlichen Kurswechsel tarnen.

Es kann einem bald schwindelig werden vor so vielen Reformansätzen und besorgten Interventionen. Die akademische Szene ist dabei geprägt von einem mannigfaltigen tonalen Spektrum: hier der Anhänger einer muslimischen Kleinstsekte, der das Unwissen seines Dienstherren offenkundig zu einer Verbeamtung genutzt hat und nun statt nach den Grundsätzen der muslimischen Religionsgemeinschaften zu lehren, seinen Beamtenstatus dazu ausnutzt, entsprechend der Wagenburgmentalität seiner religiösen Gruppierung gegen alle anderen Muslime zu wettern. Dort der Hochschullehrer, dem sein Bauchgefühl als Fundstelle ausreicht, wenn er im Vorbeigehen der Hälfte der Muslime attestiert, sie hätten ein Problem mit der Demokratie. Dann wieder Hochschullehrer, die das System unseres Religionsverfassungsrechts bis heute nicht verinnerlicht haben und gegen Religionsgemeinschaften opponieren, deren Glaubensgrundsätze sie in ihrer Lehre eigentlich zu achten haben und die mit dieser auch öffentlich artikulierten Haltung die Grenzen unseres Grundgesetzes verlassen, also jenes Fundament, zu dessen Wahrung sie sich verpflichtet haben.

Aus dieser akademischen Sphäre wird die populäre Forderung einer Reformation des Islam aufgegriffen und in schwammige Thesen gegossen, die immerhin bislang noch an kein Moscheetor genagelt worden sind. Eben dieser Reformeifer verkennt vollständig, dass die Reformation – zugespitzt formuliert – die Abkehr von Schrifttreue und die Hinwendung zu einer individuell-personalisierten Auslegung von religiösen Texten bedeutet hat – also genau jene Praxis etablierte, derer sich auch die Ideologen eines islamistischen Extremismus bedienen, um willkürlich entscheiden zu können, wer sich noch innerhalb der gültigen Lehre bewegt. Wenn man so will, wird in diesem Beispiel deutlich, dass sich die Extreme methodisch durchaus berühren.

Auf einem solchen Acker der Absurdität gedeihen noch viel ausgefallenere Blüten der Verirrung, ohne dass deren Missgestalt im öffentlichen Diskurs noch großartig auffallen würde:

Den muslimischen Religionsgemeinschaften und damit der Selbstorganisation einer praktizierenden muslimischen Basis wird der gesellschaftliche Vertretungsanspruch abgesprochen. Gleichzeitig wird Einzelpersonen oder von politischen Hebammen ans Tageslicht beförderten Zusammenkünften selbst dann noch eine gesellschaftliche Relevanz angedichtet, wenn sich sogar Nichtmuslime zu den Vertretern einer schweigenden Mehrheit der Muslime deklarieren.

Es sind bezeichnenderweise dann auch solche Figuren der muslimischen Szene, die sich als besonders liberal apostrophieren aber nichts anderes fordern, als eine staatliche Aufsicht oder gar eine staatliche Reglementierung muslimischer Religionsgemeinschaften. Nur durch eine solche verfassungswidrige Flurbereinigung der muslimischen Organisationslandschaft versprechen sich die medial protegierten Einzelpersonen mit dem Anspruch auf Diskurshoheit eine Teilhabe an den gemeinsamen Angelegenheiten des Staates und der muslimischen Religionsgemeinschaften. Anders formuliert, wünschen sie sich den glatten Verfassungsbruch zur Einhegung der etablierten muslimischen Religionsgemeinschaften. Und solche Positionen gehen heutzutage als „liberal“ durch.

Was nicht weiter verwundert, wenn selbst auf politischer Ebene eine verfassungsrechtliche Konfusion zum Paradigmenwechsel einer Partei erklärt wird, die für sich einst den Anspruch formulierte, eine Bürgerrechtspartei zu sein. Diese Bürgerrechte sollen aber bitteschön nicht für muslimische Religionsgemeinschaften gelten.

Es ist ganz offenkundig und wiederholt gutachterlich bestätigt, dass die vier großen muslimischen Religionsgemeinschaften sämtliche Kriterien erfüllen, die unser Verfassungsrecht an den Status einer Religionsgemeinschaft anlegt. Dies zu ignorieren und so zu tun, als ob die jeweiligen besonderen Prägungen der Religionsgemeinschaften diesem Status im Wege stünden, ist entweder Ausdruck einer unglaublich frappierenden Unkenntnis – die kann man im Gespräch beheben. Oder aber sie ist Ausdruck einer ganz bewussten Bereitschaft, den Muslimen in letzter Konsequenz Grundrechte abzusprechen – dann hätten wir Bundespolitiker, deren Verfassungstreue ganz deutlich in Zweifel steht. Auch nur die entfernteste Möglichkeit einer solchen Konstellation muss uns als Warnung dienen, welche extremen Gefilde die Islamdebatte in unserer Gesellschaft erreicht hat.

Ja, muslimische Religionsgemeinschaften mögen in ihren Gemeindediensten nicht Deutsch sprechen – das will das Grundgesetz ihnen auch gar nicht vorschreiben. Ja, muslimische Religionsgemeinschaften mögen in ihren Glaubensinhalten nicht in vollständiger Kongruenz mit dem Grundgesetz stehen – das verlangt unsere Verfassung auch gar nicht. Ja, muslimische Religionsgemeinschaften mögen sogar ausländische, auch behördliche Strukturen als religiöse Autoritäten betrachten – aber die Freiheit, genau das und so organisiert sein zu dürfen räumt ihnen unser Grundgesetz ausdrücklich ein. Nichts von alledem ist unserem Grundgesetz nach prohibitiv, weil sich keine Religionsgemeinschaft die Neutralitätspflichten auferlegen muss, denen sich der Staat unseres Grundgesetzes selbst unterwirft. Genau das ist der Schutzbereich unseres Grundgesetzes, der den Religionsgemeinschaften in Fragen ihrer Selbstorganisation und inhaltlichen Glaubensausrichtung eben diese Freiheit ganz explizit gewährt.

Muslimen das Grundgesetzt als unverrückbaren Ordnungsrahmen vorzuhalten und ihnen den Schutz eben dieser Verfassung abzusprechen, wenn sie diesen Rahmen ausfüllen, zeugt von einer mutwilligen, politisch-selektiven und letztlich verfassungswidrigen Geisteshaltung. Und die politische Bigotterie wird dann überdeutlich, wenn gerade solche Organisationen als Positivbeispiele den muslimischen Religionsgemeinschaften vorgehalten werden, die in ihrer strukturellen Ausrichtung und tatsächlichen Praxis weit weniger bekenntnisgeprägt sind, sondern weitaus stärker als politische Interessenvertretungen agieren, als es eine muslimische Religionsgemeinschaft aufgrund ihrer Gemeindebasis auch nur in Betracht ziehen könnte. Offenbar hängt es einzig von einer unterstellten oder tatsächlichen politischen Ausrichtung ab, ob die Kriterien einer Religionsgemeinschaft als erfüllt angesehen werden. Das würde dann aber nichts anderes bedeuten, als dass wir in Richtung einer politischen Auslese von Religionsgemeinschaften driften. Dann wird es bald der Staat sein, der willkürlich und nur nach politischer Opportunität fernab des Rechtsweges bestimmt, wer Religionsgemeinschaft ist. Eine solche verfassungswidrige Forderung als Grüne Position präsentiert zu bekommen – wer hätte das für möglich gehalten.

 

„Die rastlose Selbstzerstörung der Aufklärung zwingt das Denken dazu, sich auch die letzte Arglosigkeit gegenüber den Gewohnheiten und Richtungen des Zeitgeistes zu verbieten.“

 Eine Theologie, die sich ohne begriffliche und inhaltliche Klärung teilweise der vermeintlichen Reform des Islam verschrieben hat. Eine Öffentlichkeit, die ohne Kenntnis von der Gemeindewirklichkeit und in Verkennung der tatsächlichen Strukturen der muslimischen Religionsgemeinschaften eifrig die Selbstorganisation der Muslime disqualifiziert. Eine Politik, die unsere Verfassung als Referenzrahmen und Lackmustest der Gesellschaftstauglichkeit deklariert und im gleichen Atemzug das Grundgesetz für muslimische Religionsgemeinschaften abschaffen will. Und teilweise eine muslimische Vertretung, die sich diskurskompatibel dazu verschrieben hat, die Integration des Islam in das deutsche Staatswesen zu betreiben – als ob das ein spirituelles Ziel des Islam sein könnte – und auch den antimuslimischsten politischen Positionen irgendwie noch was abgewinnen kann.

Wie kann man in solch einem gesellschaftlichen Umfeld eigentlich noch muslimische Religionsgemeinschaft sein?

Es zeichnen sich immer deutlicher zwei Richtungen ab. Ein Status der unter gesellschaftlichem und politischem Druck die Aufgabe der eigenen religiösen Identität und Glaubwürdigkeit bedeutet, kann keine Entwicklungsperspektive sein. Das staatliche Vorhaben, den Islam in der akademischen Landschaft und den islamischen Religionsunterricht in den öffentlichen Schulen zu etabliere, hat den muslimischen Religionsgemeinschaften bereits ein hohes Maß an Zugeständnissen und Unschärfen in der tatsächlichen Ausübung der Rolle als Religionsgemeinschaft im verfassungsrechtlichen Sinn abgefordert. Sie zeigen sich geduldig bei der Hinnahme teilweise deutlich verfassungswidriger Modellprojekte zum islamischen Religionsunterricht und begnügen sich mit wackeligen Beiratsmodellen im Bereich der universitären Lehre.

Das „islamische Projekt“ wird staatlicherseits aktiv betrieben. Die muslimischen Religionsgemeinschaften werden nicht in der verfassungsrechtlich gebotenen Form und Intensität eingebunden – unter Verweis auf die vermeintlich noch offene Statusfrage. Wäre diese Frage tatsächlich offen, dürfte es keine aktiven Schritte in den gemeinsamen verfassungsrechtlichen Aufgaben, also an Universität und Schule, geben. Gibt es diese Schritte, muss die verfassungsrechtliche Rolle und Verantwortung der muslimischen Religionsgemeinschaften Beachtung finden und eingehalten werden. Die Kooperationsbereitschaft der muslimischen Religionsgemeinschaften wird ihre Grenzen haben, sollte diese verfassungswidrig höchst fragwürdige Gradwanderung anhalten. Diese Grenzen werden umso schneller erreicht, je unverbindlicher sich die Zusammenarbeit mit den muslimischen Religionsgemeinschaften entwickelt. Bislang fehlt es – mit wenigen positiven Ausnahmen – an einer deutlichen Haltung der stattlichen Verantwortlichen in den Bundesländern und an einer ernsthaften Bereitschaft, die muslimischen Religionsgemeinschaften nicht nur als solche zu betrachten, sondern auch dieser Rolle angemessene Wege der Zusammenarbeit auszubauen.

Eine Haltung, welche die verfassungsrechtlichen Vorgaben strapaziert und auch von außen als eine widerwillig praktizierte Zusammenarbeit wahrgenommen wird, führt letztlich auch dazu, dass sich Staatsbeamte in einer religionspolitischen Weise exponieren, die im Verhältnis zu etablierten nichtmuslimischen Religionsgemeinschaften undenkbar wäre. Eine solche Opposition zu den Religionsgemeinschaften würde als das betrachtet werden, was es ist – die Verletzung der Pflicht zur religionspolitischen Mäßigung und der Pflicht zur Achtung der verfassungsrechtlichen Fundamente. Im muslimischen Bereich indes führt dies bislang nicht zu einer entsprechenden Intervention der Dienstvorgesetzten.

Dieses falsche Signal der verfassungs- und beamtenrechtlichen Narrenfreiheit verlässt dann die Sphäre der persönlichen Grenzüberschreitung, wo diese Haltung in verfassungswidriger Positionierung der Politik selbst Unterstützung erfährt. Auf Dauer kann ein solches Verhältnis nicht belastbar funktionieren. Es wird sich in einer solchen Entwicklung für die muslimischen Religionsgemeinschaften die Frage aufdrängen, ob denn die Rolle einer Religionsgemeinschaft im Sinne des Grundgesetzes ein Status ist, der auch um den Preis des Glaubwürdigkeitsverlustes angestrebt werden muss. Wenn diese Frage verneint wird, bleibt dem Staat kein gesellschaftlich relevanter Partner mit dem er die verfassungsrechtlich gemeinsamen Angelegenheiten umsetzen kann. Wählt er dann den Weg, Partner zu kreieren oder auszuwählen, die populär aber nicht gesellschaftlich relevant sind, wird „islamische Theologie“ oder „islamischer Religionsunterricht“ ein verfassungswidriges Produkt sein, das in den muslimischen Religionsgemeinschaften dann auch öffentlich entschiedene Gegner finden wird.

Eine zweite Entwicklungslinie kann die angemessene und belastbare Ausgestaltung der begonnenen Kooperationsstrukturen sein. Von staatlicher Seite setzt das ein höheres Maß an kooperativer Aufrichtigkeit voraus, als sie bislang wahrzunehmen ist. Die muslimischen Religionsgemeinschaften müssen wiederum in ihrer tatsächlichen Arbeit und in der Gestaltung ihrer Binnenstrukturen beweisen, dass sie nicht nur den Status als Religionsgemeinschaft reklamieren, sondern diese Rolle auch mit verbindlichen Inhalten und Organisationsformen ausfüllen können. Dazu wird ein Grad der innermuslimischen Zusammenarbeit und eine Vernetzung zu nichtverbandlichen Muslimen erforderlich sein, die in den jetzigen verbandsübergreifenden Repräsentationsformen nicht zu bewerkstelligen ist.

Das heißt, dass die vielbeschworene Einheit der Muslime dann auch mit Substanz gelebt werden muss. Das wird nur möglich sein, wenn man sich über die gegenwärtigen Fehlentwicklungen kritisch auseinandersetzen kann, wenn Kompetenzen und Expertisen zum Wohle aller Muslime gebündelt werden und wenn man bereit ist, Ansprüche auf Vertretungslegitimation neu zu denken. Über diesen Fragen liegt momentan noch der im Eingangstitel zitierte Panzer. Es wird Zeit, ihn zu lüften.