Der Focus-Liebesbrief

Sehr verehrte, liebe Frau Hinz,

ich habe Ihre offene Fanpost vom 12.05.2016 erhalten und danke Ihnen für die freundlichen Worte.

Sie sind ja nicht Irgendwer, sondern die Leiterin des Ressorts Politik der Focus Online Redaktion. Ich bin beeindruckt, dass Sie bei all dem politischen Weltgeschehen ausgerechnet mir einen ganzen Kommentar widmen. Womit habe ich diese Aufmerksamkeit und über 3.000 Zeichen bloß verdient?

Ach ja, ich war für Sie nervtötender als Alice Schwarzer.

Wenn Sie nur wüssten, welches Kompliment Sie mir da machen. Ich bin gemeinhin dafür bekannt, ein gewisses Gefallen daran zu finden, in einer Debatte meine Mitdisputanten zu nerven. Dabei hat Frau Schwarzer die Macho-Messlatte gleich von Anfang an so hoch gehängt, dass ich ganz entspannt aufrecht darunter entlang spazieren konnte, ohne auch nur ansatzweise in die Nähe der von Ihnen so bewunderten „Schnoddrigkeit“ zu kommen. Und Sie haben gesehen, welche Körperfülle ich habe.

In der Aufmerksamkeit, die Sie mir widmen, erkenne ich – angesichts der Zeit und der Mühe, die Sie investiert haben – einen Funken Zuneigung. Deshalb will ich diese gern mit der Mühe einer Antwort öffentlich erwidern:

Mein Eingangsstatement fanden Sie leider gar nicht lustig. Und erst recht nicht bedeutsam. Interessant ist, dass Sie sich an die Worte gar nicht erinnern. Vielleicht liegt darin ja der Grund unserer Missverständnisse? Dem anderen immer vorzuwerfen, nicht zuzuhören, aber selbst sich nicht „auf den Inhalt zu konzentrieren“?

Ich sage ja gar nicht, dass Sie etwas gegen Muslime haben. Für Sie ist Alice Schwarzer charmant-schnoddrig. Mich finden Sie hingegen nervig, ätzend, belehrend, unwitzig, rachsüchtig. Obwohl ich nur das Verhalten der Frau Schwarzer gespiegelt habe. So unterschiedlich sind halt die Wahrnehmungen.

Bei mir hören Sie nur Belehrung und Zerreden. Bei Frau Schwarzer hören Sie „Kritikpunkte“. Mein Verein sei der „verlängerte Arm Erdogans“ und er stehe für „Scharia-Islam in Deutschland“. Und die Belege für diese schnoddrig hingerotzten „Kritikpunkte“? Ihr Bauchgefühl? Ihre Nackenhaare? Und was genau sollen diese Zuschreibungen eigentlich genau bedeuten? Bei Frau Schwarzer bin ich mir ziemlich sicher, dass sie seit 2004 nicht mehr in einer unserer Gemeinden war. Wie sieht es bei Ihnen aus, Frau Hinz? Gehören Sie auch zu den 84 % Islamexperten, die gar keine persönlichen Kontakte zu Muslimen haben und nie eine einheimische Moschee von innen gesehen haben?

Eine Sorge kann ich Ihnen nehmen. Große Mühe musste ich mir nicht geben, um „eloquent und kultiviert zu wirken“. Eine interessante Formulierung, die Sie da verwenden. Kann für Sie ein Muslim nicht eloquent und kultiviert „sein“, sondern nur so „wirken“ – und das auch nur unter großer Anstrengung? Woran haben Sie denn meinen Mangel an Eloquenz und Kultiviertheit erkannt? Nur so als Tipp fürs nächste Mal, damit ich weiß, wo ich mir mehr Mühe geben muss, um so zu „wirken“.

Schauen Sie, Frau Hinz. Ich weiß, dass Sie diese Einleitung für überheblich halten. Ich glaube aber, dass es viel überheblicher ist, zu glauben, man wisse über den anderen alles. Und noch überheblicher ist es, in dieser vermeintlichen Gewissheit derart verfangen zu sein, dass man in den Worten des anderen nur noch Ausweichen, Verstellung und Unwahrheit vermutet. Die Aufforderung, einmal genauer hinzuschauen, ist alles andere als überheblich. Es ist der Versuch, auf Details und oft genug auch auf Grundsätzliches hinzuweisen, in denen sich die öffentliche Meinung über den Islam und die Muslime schlichtweg irrt.

Und diese Aufforderung ist wichtiger denn je. Denn – und das ist Ihnen aufgrund meines ätzenden Anblicks offenbar entgangen – wir haben ein viel größeres gesellschaftliches Problem, als meine vermeintliche Unfähigkeit, zuzuhören. Als die Moderatorin Frau Schwarzer bat, mich doch wenigstens einen Satz ausreden zu lassen, war ihre Antwort darauf exemplarisch für den Zustand unseres gesellschaftlichen Umgangs miteinander: „Jemand wie ich, warum soll ich ihn ausreden lassen?“

Schauen Sie, Frau Hinz, warum soll man den Muslim ausreden lassen? Wir wissen doch schon alles über ihn, ohne ihn gesprochen zu haben. Wir wissen doch, wie es bei ihm in der Moschee aussieht, ohne je dort gewesen zu sein. Haben uns doch die Islamexperten alles seit 15 Jahren ausführlich erklärt. Da können doch nur noch Lügengeschichten kommen, wenn ein Muslim oder gar ein „Islam-Funktionär“ ausreden will.

Schauen Sie Frau Hinz, Sie sind Jahrgang 1987. Die Muslime Ihres Jahrgangs sind nun die Hälfte ihres Lebens seit ihrem 14. Lebensjahr mit dieser „Islam-Debatte“ aufgewachsen. Sie hören, sehen und lesen jeden Tag wie schlecht, unkultiviert, rückständig, defizitär und gefährlich sie sind. Sie mussten sich anhören, dass sie aufgrund ihres Bekenntnisses geringere kognitive Fähigkeiten haben, dass sie dümmer sind, als nichtmuslimische Jugendliche. Dass sie fremdgesteuert, kontrolliert, unselbständig, nur der verlängerte Arm anderer Staaten sind. Dass sie viehische Triebe, keinen eigenen Willen, keine Selbstkontrolle haben. Dass alles, woran sie glauben und woraus sie Trost, Hoffnung und Geborgenheit schöpfen, nur das Produkt krimineller, pathologisch gestörter Buchfälscher ist. Dass sie nichts beitragen zu dieser Gesellschaft, dass sie höchstens zu Gemüsehändlern und Taxifahrern taugen.

Und das alles unter dem begeisterten Applaus einer – auch medialen – Öffentlichkeit, die immer noch darauf besteht, auch die nächste diskursive Widerwertigkeit müsse doch endlich einmal „als Kritikpunkt“ ausgesprochen werden dürfen.

All diesen jungen Muslimen Ihres Alters habe ich für einen kurzen Moment eine Stimme gegeben, die sagt: „Schauen Sie! Schauen Sie bitte einmal genauer hin, wie wir wirklich leben.“

Schade, dass Sie das nur nervig finden.

Beste Grüße

Ihr „Islam-Funktionär“