Das Karussell der Kulturvereine

Am 18.10.2020 veröffentlich die der IGMG zurechenbare „Islamiq“-Onlineredaktion einen Gastbeitrag des Dr. Ahmet Inam mit dem Titel „Das Projekt „deutscher Islam“.

Im Kurzportrait des Gastautors heißt es: „Ahmet Inam (Dr. phil.), 1976 geb. in Herne, hat an der Ruhr-Universität Bochum Islamwissenschaften/Orientalistik und Religionswissenschaften studiert. Nach seinem Masterstudium in Islamwissenschaften promovierte er 2015 an der Frankfurter Goethe-Universität am „Institut für Studien der Kultur und Religion des Islam“ mit dem Titel „Die theologischen, juristischen und sozialen Dimensionen der Sünde im Koran“. Seit 2017 leitet er bei der DITIB-ZSU die Abteilung „Übersetzung, Lektorat und Edition“.“

Bereits zuvor habe ich mich auf diesem Blog mit den ganz besonderen Ansichten des Dr. Inam befasst. Weniger aufgrund ihrer gedanklichen Substanz als vielmehr wegen der interessanten Einblicke, welche diese Texte in die Gedankenwelt jener Figuren ermöglichen, die mit ihren seltenen öffentlichen Ausbrüchen aus der Front des kollektiven Schweigens der muslimischen Verbände uns eine Ahnung darüber verschaffen, was die dortigen Motive und Grundsätze im Kern ausmacht.

Diese spärlichen Offenlegungen des gedanklichen Selbst der muslimischen Verbände ist wichtig, um die Grundlagen ihres Handelns oder Nicht-Handelns zu verstehen und einschätzen zu können, ob und wie eine gemeinsame Zukunft des öffentlichen muslimischen Engagements in Deutschland möglich sein kann.

Inam stellt eingangs die Frage, ob es eine deutsch-islamische Kultur geben kann? Seine Antwort lautet: Ja, jedoch könne das nur ohne staatliche Einflussnahme über Projekte geschehen. „Frei von säkularen oder staatlichen Fremdbestimmungen und in geduldiger, mühseliger und frommer Entfaltung“ werde sich „in der Zukunft aus der Eigendynamik des Islam und der deutschen und nichtdeutschen Muslime eine deutsch-islamische Kultur entwickeln“.

Bevor die DITIB-Karriere Inams Schaden nimmt muss hier klargestellt werden: Inam positioniert sich hier nicht gegen den Einfluss der türkischen Regierungspolitik und des staatlichen Religionspräsidiums der Türkei auf das Leben und Glauben der Muslime in Deutschland. Er plädiert nicht gegen den Einfluss staatlicher Predigerbeamten – oder im Ditib-Diyanet-Jargon „Religionsbeauftragten“ – in deutschen Moscheevereinen. Wenn Inam sich kritisch zu „staatlicher Einflussnahme“ oder „staatlicher Förderung“ äußert, ist immer nur die Projektförderung durch deutsche Behörden gemeint.

Die große Projekt-Verschwörung

Und das Wort „Projekt“ will er – dem Tenor seines Textes nach zu urteilen – so verstanden wissen, wie er in der Türkei verstanden und im Kampf mit dem politischen Gegner genutzt wird. Ein Projekt ist dort immer das feindselige Vorhaben einer ausländischen Macht zum Schaden der Türkei. Diese Einschätzung ändert sich selbst dann nicht, wenn es sich bei den handelnden Personen nicht um Ausländer handelt. Solche inländischen Kollaborateure sind dann „proje adamlari“ – „Projekt-Figuren“ und damit fremdgesteuerte Verräter am eigenen Volk.

Es ist vor diesem Hintergrund gleich auf verschiedenen Ebenen vielsagend, dass Inam mit scharfem Blick ein solches „Projekt“ – oder sogar ein „Projekt im Projekt“ und damit gleich eine doppelte und raffiniert verschachtelte Schweinerei – in der vielfältigen Projektlandschaft in Deutschland entlarvt hat und an den Islamiq-Pranger stellt.

Lange tappt man im Dunkeln, was und wen er mit „Projekt“ eigentlich meint. Erst gegen Ende seines Textes kann er sich dazu durchringen, den Leibhaftigen beim Namen zu nennen. Es geht ihm um das „Forschungsprojekt „Deutscher Islam als Alternative zum Islamismus? Antworten auf islamistische Bedrohungen in muslimischen Verbänden, Gemeinden und Lebenswelten“ der islamisch-theologischen Fakultät in Berlin in Zusammenarbeit mit der BMBF (Bundesministerium für Bildung und Forschung)“. (Die sprachlichen und grammatikalischen Fehler des promovierten Autors sind solche des Originaltextes und bleiben im Rahmen der Zitate unverändert. Auch der Projektträger wird von Inam falsch wiedergegeben).

Der Unmut Inams über dieses Projekt dürfte auch der Tatsache geschuldet sein, dass mit der Alhambra Gesellschaft ein „Miniverein“ – so Inams Andeutung – als Kooperationspartner der universitären Forschung mit an Bord ist. Der Autor dieses Blogs ist Gründungs- und Beiratsmitglied eben jener Alhambra Gesellschaft und hat in den Jahren 2013 bis 2018 in verschiedenen Funktionen unter dem Dach des Ditib-Verbandes gearbeitet.

Dieses Spannungsverhältnis zwischen den muslimischen Verbänden und der Alhambra Gesellschaft ist ein Thema für sich und soll gerne in weiteren Texten näher beleuchtet werden. Hier geht es allerdings um die Botschaften, die Inam mit seinem Text wissentlich oder unterbewusst sendet.

Auffällig aber nicht grundlos ist die Tatsache, dass in Inams Text häufiger von Kultur als von Religion die Rede ist. Im Zentrum seiner Kritik steht und der Fokus seiner Zukunftsbetrachtung liegt auf einer deutsch-islamischen Kultur. In diesem Sinne Inam: „So wie sich eine arabische, türkische oder persisch islamische Kultur historisch entwickelt hat, so wird es auch eine deutsch-islamische Kultur geben. Jedoch braucht es Zeit, damit sich eine gewisse Reife bildet und man von einer Kultur sprechen kann. Eilfertige Aktionen oder konzeptionell erarbeitete Projekte sind dessen größte Hindernisse. Das Projekt „deutscher Islam“ ist ein solches Projekt.“

Die Konzentration auf Kultur ist nicht überraschend. Bei den muslimischen Verbänden handelt es sich eben nicht um Religionsgemeinschaften, sondern um Kulturvereine. Sie sind getragen von dem Selbstverständnis einer nationalen Minderheit, nicht von einer Ethnien und Herkunftsländer überragenden religiösen Gemeinschaft. Bei den „großen“ Verbänden DITIB, IGMG und der ATIB als größte Moscheegemeinschaft unter dem Dach des ZMD, handelt es sich um Vereine, die vordringlich von der Frage geleitet sind, wie eine türkische Identität in Europa aufrechterhalten und tradiert werden kann. Die Religionsvermittlung erfolgt hauptsächlich in türkischer Sprache, angeleitet von in der Türkei ausgebildeten Religionsbeauftragten. Die in dieser Systematik angelegte Botschaft ist deutlich: Wer seine Religion behalten, pflegen und an die nächste Generation weitergeben will, muss die türkische Sprache beherrschen.

Kulturverein statt Religionsgemeinschaft

Religion dient diesen Verbänden als Mittel zum Zweck der Kulturpflege. Im Rahmen des eigenen gedanklichen Koordinatensystems ist dies auch folgerichtig. In den letzten Jahren hat der türkische Nationalismus der Idee eines politischen Islam zumindest in der Türkei den Rang abgelaufen. Wesensmerkmal des türkischen Nationalismus war und ist in seiner nahezu gesamten Entwicklungsgeschichte die sogenannte „Türkisch-Islamische-Synthese“. Diese maßgeblich von den türkischen rechtsextremen politischen Kräften geprägte Ideologie vermengt die türkische Sprache und Kultur mit dem Islam zu einem nationalistischen und muslimisch-identitären Amalgam, in welchem nur ein Türke ein ordentlicher Muslim sein kann und nur ein Muslim als vertrauenswürdiger Türke gilt.

In einer solchen Gedankenwelt ist jeder Nichtmuslim oder nicht streng praktizierender Muslim kein vollständiger Türke und stets dem Verdacht ausgesetzt, anfällig für antitürkische „Projekte“ fremder Mächte zu sein. Umgekehrt kann jemand, der Muslim ist, nur unter eingeschränkten Bedingungen als vertrauenswürdig empfunden werden, wenn ihm das Qualitätssiegel des Türken fehlt.

Es verwundert deshalb nicht, dass Inam in seinem Text seine eigene Fraktion als „konservative Muslime“ betitelt und alle anderen, vermeintlich vom deutschen Staat protegierte Muslime, mit den Attributen säkular, laizistisch und liberal versieht. In Inams Gedankenwelt ist damit die Selbstbezeichnung „Muslim“ niemals allein das Ergebnis einer individuellen Auseinandersetzung mit dem eigenen Gewissen, sondern muss objektive Merkmale aufweisen, die sich in der Identifikation mit nationalen türkischen Elementen äußert, um als authentisch akzeptiert zu werden.

Der Verfasser dieses Blogs hat selbst mehrere Jahre lang versucht, gegen diese Entwicklung innerhalb der Verbände anzuschreiben. Auf diesem Blog finden sich viele Texte, die den Verbänden die Eigenschaft als Religionsgemeinschaft zuschreiben und ihre Bedeutung für die muslimische Basis betonen. Es gehört aber auch zu einer selbstkritischen Auseinandersetzung, festzustellen, dass man die Eigenschaft „Religionsgemeinschaft“ nicht herbei schreiben und auch nicht herbei beten kann. Zu dem, was in diesen Texten als Wunsch, als Zukunftsperspektive, vielleicht sogar als erste Fragmente der Entstehung beschrieben worden sind, haben sich die Verbände leider nicht entwickelt. Sie haben einen anderen Weg eingeschlagen.

Wer diese Analyse gleichwohl anzweifeln will, möge sich mit einfachen Fragen eine eigene Meinung bilden: Käme es zu einer politischen Debatte in Deutschland, in welcher deutsche und türkische Politiker gegensätzliche Positionen einnähmen. Und würde es hierüber einen Konflikt geben, wie sich die muslimischen Verbände in Deutschland zu verhalten hätten. Welche Eigenständigkeit käme den muslimischen Verbänden in ihrem wirken zu? Könnte z.B. ein türkischer Generalkonsul oder Botschafter oder Religionsattaché in einer Unterredung mit den Vorständen der muslimischen Verbände mit Aussicht auf Erfolg zum Ausdruck bringen, welches Verhalten er sich von den Verbänden wünscht? Könnten die muslimischen Verbände in einem solchen hypothetischen Konflikt z.B. frei darüber entscheiden, welche Gäste sie zu ihren Iftar-Empfängen einladen und welche sie wieder ausladen? Kann man Herr über die eigene Religionsgemeinschaft sein, wenn man schon nicht Herr über den eigenen Iftartisch sein darf?

Keine Eigenständigkeit, keine religiöse Autorität

Auch den umgekehrten Test sollte man gedanklich nachvollziehen: Käme heute einer der muslimischen Verbände auf die Idee, eigenständig darüber zu entscheiden, ein Detail des religiösen Ritus anders zu praktizieren, als es in den jeweiligen Herkunftsländern der Fall ist, mit welchem Erfolg könnte sich ein solcher Verband an der eigenen Basis durchsetzen? Könnte z.B. ein Verband plötzlich erklären, nur noch die Pflichtgebete in der Moschee zu absolvieren? Oder da Datum des Fastenbeginns unabhängig vom Herkunftsland bestimmen?

Es muss aber auf Dachverbandsebene mehr als nur eine politische Repräsentationsleistung erbracht werden, damit sich ein Dachverband auf die Eigenschaft als Religionsgemeinschaft berufen kann. Welche religiöse Autorität haben aber die muslimischen Verbände auf die eigene Basis? Würde diese Basis im Zweifel nicht am eigenen Dachverband vorbei sich aus anderen Quellen darüber versichern, was sie als fromme Muslime zu tun oder zu lassen haben?

Wenn also Inam despektierlich von Minivereinen spricht und sich ihre gesellschaftliche Relevanz nicht anders erklären kann, als dass es sich nur um eine künstliche, von staatlicher deutscher Seite manipulativ konstruierte Bedeutung handle, so offenbart dies in seiner schmerzlichen Gänze, wie wenig Inam von den gesellschaftlichen Dynamiken in einer Demokratie versteht.

Für ihn gibt es keine eigene Verantwortung oder Wirksamkeit der muslimischen Akteure. Vielleicht hat er das eine oder andere hypothetisch beschriebene Beispiel in seiner realen Ausprägung erlebt und vielleicht weiß er, wie wenig eigene Handlungsmacht sein eigener Verband hat, so dass er von sich auf andere schlussfolgert. Und wenn schon ein solcher „großer“ Verband nicht anders kann, als dem zu folgen, was ihm aufgetragen wird und sich selbst nicht als gestaltender, wirkungsvoller, autonomer Akteur erlebt, dann kann er sich wohl auch nicht vorstellen, wie intensiv man mit sehr bescheidenen Mitteln in die hiesigen gesellschaftlichen Debatten hineinwirken kann.

In einem solchen Szenario ist es für die Inams in den Verbänden gänzlich unvorstellbar, dass wenige Personen aus eigener Tasche einen Verein gründen, mit regelmäßigen inhaltlichen Impulsen, mit Texten, Podcasts und Online-Formaten eine gesellschaftliche Debatte mitgestalten oder sie sogar ganz wesentlich beeinflussen können.

Völlig unverständlich bleibt es für die Inams dieser Verbände auch, dass der deutsche Staat seine verfassungsmäßigen Prinzipien im Rahmen einer Subsidiarität fördert, in welcher zivile Akteure dabei unterstützt werden, eben jene Ziele zu erreichen bzw. zu festigen, die einen Sozialstaat, eine Demokratie, einen Rechtsstaat eben ausmachen. Der Staat ist nicht aus sich selbst heraus existent. Er ist das, was seine Zivilgesellschaft aus ihm macht. Wenn also Minivereine und ihre Anliegen staatlich gefördert werden, den „großen“ muslimischen Verbänden aber diese Förderung versagt oder wieder entzogen wird, sollten die Inams in den muslimischen Verbänden keine Verschwörung vermuten oder den Verdacht hegen, der Staat „konstruiere“ sich seine ihm gefälligen Muslime. Es sagt nur etwas darüber aus, mit welchen Vorstellungen für unser Zusammenleben sich die jeweiligen Akteure in die Öffentlichkeit begeben.

Größe bedeutet nicht Relevanz

Was gab es zu gesellschaftlichen Frage eigentlich von den „großen“ muslimischen Verbänden in den vergangenen Jahren zu hören? Die öffentlich vernehmbaren Stimmen beschränken sich auf die Anprangerung des antimuslimischen Rassismus. Kann das das einzige Thema von muslimischen Verbänden sein? Welche konstruktive, innovative oder auch nur ansatzweise von gesamtgesellschaftlicher Relevanz getragene Positionierung gab es zu irgendeinem Thema? Welche Veranstaltungen, welche Positionspapiere, welche Kernthesen gab es denn, die wir verpasst haben?

Inam beklagt sich darüber, dass seiner Meinung nach unwichtige Minivereine in der Öffentlichkeit hörbar und sichtbar werden, sich an inhaltlicher Arbeit beteiligen dürfen, aber die muslimischen Verbände würden „in eine bedeutungslose Ecke gedrängt“. Ihm scheint entgangen zu sein, dass nicht die Minivereine die Verbände in diese Ecke gedrängt haben. Es waren die muslimischen Verbände selbst, die sich in dieser Ecke bequem eingerichtet haben und jeder Verantwortung für diese Gesellschaft aus dem Weg gehen.

Wer hindert die muslimischen Verbände daran, sich zu wichtigen Themen in unserer Gesellschaft zu äußern? Begriffe mit zu definieren? Inam jammert, Begriffe wie „politischer Islam“ oder „‚Islamismus“ seien zu schwammig und noch längst nicht allgemeingültig definiert. Worauf warten die Verbände denn? Worauf wartet Inam in seiner Funktion als „Leiter der Abteilung Übersetzung, Lektorat und Edition“? Wer hat die Verbände in den letzten zwanzig Jahren daran gehindert, sich auf diesem Feld konstruktiv und mit intellektueller Substanz zu beteiligen?

Wenn es vier oder fünf Personen gelingt, in ihrer Freizeit mehr gedanklichen Inhalt zum Leben der Muslime in Deutschland zu produzieren und dem öffentlichen Diskurs auszusetzen als alle Verbände zusammen, dann sagt das nichts über raffinierte Verschwörungen aus, sondern sehr viel darüber, womit das bezahlte Personal der Verbände seine Arbeitszeit verbringt.

Wenn Inam so viel Verachtung für die Alhambra Gesellschaft hegt, möge er zur Kenntnis nehmen, dass allein ihre vollständig selbstgetragenen und nicht staatlich geförderten „Freitagsworte“ es in weniger als drei Jahren geschafft haben, Gegenstand der ersten mündlichen Abiturprüfung im Fach Islamischer Religionsunterricht in NRW zu werden. Der Grund hierfür liegt nicht in besonderen Beziehungen oder irgendwelchen heimlichen Ränkespielen. Sondern ist allein der Tatsache geschuldet, dass diese Texte etwas dazu zu sagen haben, wie wir gemeinsam in dieser Gesellschaft leben wollen. Wer hat die Verbände daran gehindert, sich mit ihren Freitagspredigten, ihren „Akademien“ und „Schulreferaten“ in ähnlich wirksamer Weise zu engagieren?

Inam hat ganz wesentliche Wirkmechanismen unserer Gesellschaft und der Demokratie an sich nicht verstanden. Er echauffiert sich darüber, dass Minivereine wie die Alhambra Gesellschaft sich eine gesellschaftliche Rolle anmaßen würden, die ihnen nicht zukäme. Wörtlich Inam: „Auch wenn „nur“ 20 Prozent der Muslime in Deutschland in einer der großen Religionsgemeinschaften Mitglied sein sollten, so wurden die Gemeinschaften und Dachverbände dennoch durch diese Mitglieder dazu bestimmt, in ihrem Namen zu sprechen. Wann wurden die Einzelpersonen oder die Minivereine dazu erkoren? Wer hat sie gewählt? Woher nehmen diese sich das Recht, im Namen der „schweigenden Mehrheit“ sprechen zu dürfen? Vom nichtmuslimischen und säkularen Staat und den Medien! Und diese schreiben von vornherein vor, wie aufgeklärt, modern oder zeitgemäß der „deutsche Islam“ sein soll.“

In diesem Zitat entkleidet sich die Gesinnung Inams in ihrer ganzen Tragik. Muslimische Akteure oder Vereine wie die Alhambra Gesellschaft nehmen sich nicht das Recht, im Namen einer Mehrheit zu sprechen. Sie nehmen sich nur das Recht, in eigenem Namen zu sprechen. So funktioniert eine Demokratie. In ihr dürfen nicht nur „die Großen“ reden. In einer Demokratie bestimmt kein Oberhaupt, wessen Stimme gehört wird und wessen Meinung zu verstummen hat.

Man kann – wie z.B. in meinem Fall – jemanden vor die Tür setzen, weil man seine Meinung nicht erträgt. Man kann aber nicht darüber entscheiden, dass diese Meinung nicht mehr geäußert werden darf. Es sind auch nicht der böse nichtmuslimische Staat und seine Medien, die solchen Stimmen und Meinungen Bedeutung verleihen. Eine Meinung, so klein der Kreis jener sein mag, die sie äußert, hat sich im gesellschaftlichen Diskurs zu bewähren und wird hörbarer, je relevanter sie für unser Zusammenleben ist.

Wer hat sie gewählt?

Inam fragt, „Wer hat sie gewählt?“. Niemand – außer den eigenen Mitgliedern. Deshalb vertreten sie nur sich selbst und erheben nicht den Anspruch, eine muslimische Gemeinschaft zu vertreten oder Religionsgemeinschaft zu sein. Hat aber Inam diese Frage jemals seinem eigenen Vorstand gestellt? Wer hat den DITIB-Bundesvorstand gewählt? Seine Mitglieder etwa? Bestimmt die Satzung des DITIB Bundesverbandes nicht, dass jede Moscheegemeinde Mitglied des Bundesverbandes ist? Wie groß ist die Zahl der Delegierten in der Mitgliederversammlung des DITIB Bundesverbandes eigentlich? Entspricht sie der Zahl der Mitgliedsgemeinden? Wenn diese Moscheegemeinden von ihren Landesverbänden vertreten werden, welches Gewicht hat dann die Stimme eines Landesdelegierten? Hat z.B. der Delegierte des Landesverbandes Hamburg mit seinen wenigen Gemeinden die gleiche Stimme wie der Delegierte aus NRW mit hunderten Gemeinden? Wenn jedes Mitglied des Bundesverbandes eine Stimme in der Mitgliederversammlung hat, mit welcher Stimmenmehrheit werden dann die Vorstandsmitglieder gewählt? Oder hat etwa ein auf Lebenszeit zum Delegierten der Mitgliederversammlung ernannter Diyanet-Vertreter als Einzelperson die gleiche Stimme wie ein Landesdelegierter, der seine zweihundert Gemeinden vertritt? Mit welchem Recht leitet ein Bundesvorsitzender eigentlich die Geschicke seines „großen Verbandes“?

Und glaubt eigentlich ein Inam, dass die Mitglieder, die sein Verband vertritt, es befürworten, dass er so geringschätzig über Kulturmuslime und liberale Muslime spricht? Seit wann hat ein muslimischer Verband das Recht, über die Frömmigkeit seiner Mitglieder oder Gemeindebesucher zu urteilen?

Wenn universitäre Forschung sich Kooperationspartner aussucht, spielen inhaltliche Impulse, und das Interesse am gemeinsamen Forschungsgegenstand eine zentrale Rolle. Weil Inam sich in seinem Text so schwer damit tut, diese einfachen Grundlagen zu verstehen, soll nochmal hervorgehoben werden, weshalb zum Beispiel nicht er als Kooperationspartner Berücksichtigung gefunden hat.

Denn er hat bereits Schwierigkeiten damit, den von ihm selbst zitierten Titel des Forschungsprojekts zu verstehen. Er ist so überzeugt von seiner Grundannahme, hier ein „Projekt im Projekt“, eine antimuslimische Verschwörung des deutschen Staates entdeckt zu haben, dass ihm das einfachste Verständnis für die deutsche Sprache und Zeichensetzung abhanden kommt.

Wie heißt das Projekt nochmal? Der Titel – so, wie ihn Inam zitiert – lautet: „Deutscher Islam als Alternative zum Islamismus? Antworten auf islamistische Bedrohungen in muslimischen Verbänden, Gemeinden und Lebenswelten“

Inam weiß schon jetzt mehr als die Träger des Forschungsprojekts selbst. Er kennt schon die Ergebnisse, obwohl noch nicht einmal feststeht, welches Forschungspersonal für das Projekt eingestellt wird. Inam: „Wenn nun im Titel von einem „deutschen Islam“ die Rede ist, der weder gesellschaftlich noch inhaltlich existiert, dann haben die Ergebnisse dazu zuführen, dass aus diesem Projekt ein solcher Islam hervorkommt. Und wenn der Gegenpart des erwünschten Ziels, nämlich „Islamismus“, ebenfalls im Titel genannt wird, der sogar bei den „Verbänden“ und „Gemeinden“ zu finden sei, weiß man von vornherein, in welchem Rahmen sich dieses staatlich geförderte Projekt bewegen wird. Die große Mehrheit der Muslime, die ihre Religion nicht nationalistisch etikettieren möchten und auch nichts mit „Islamismus“ zu tun haben, sind als Alternative von vornherein ausgeschlossen.“

Wie ein promovierter Akademiker aus dem oben zitierten Titel diesen Inhalt des Projekts herauslesen kann, bleibt das Geheimnis der deutschen Hochschulbildung.

Was dem sezierenden Blick Inams entgeht: Der Titel stellt eine Frage. Die Antwort darauf ist noch unbekannt. Nach dieser Antwort will das Projekt forschen. Alles was vor dem Fragezeichen steht, ist keine Aussage, keine These. Es ist eine Fragestellung. Kann es die im Titel aufgeworfene Alternative geben? Ist sie überhaupt eine Alternative?

Das Forschungsvorhaben will ermitteln und sichtbar machen, welche Antworten u.a. in den Verbänden und Gemeinden auf die Herausforderung des Islamismus entwickelt worden sind und entwickelt werden. Weshalb ist das für Inam ein Problem?

Gibt es seiner Ansicht nach keine solche Bedrohung? Oder gibt es in den Verbänden und Gemeinden keine Antworten darauf? Und was ist daran verwerflich, etwaige Antworten sichtbar und damit einem breiteren Publikum zugänglich zu machen? Wo ist das Problem, wenn nach Inams Ansicht doch gerade die Verbände wirksame Streiter gegen die Radikalisierung sind?
Wenn Inam von der Alternative der großen Mehrheit der Muslime spricht, will er damit einzelne Akteure oder die Alhambra Gesellschaft aus diesem Kreis der Muslime ausschließen? Um welche Alternative geht es ihm überhaupt?

Und wie glaubwürdig sind Personen – wie er – für eine Zusammenarbeit, wenn sie davon sprechen, dass die große Mehrheit der Muslime „ihre Religion nicht nationalistisch etikettieren möchten“? Hat Inam sich überhaupt mal in der Zentralmoschee seines Arbeitgebers umgeschaut? Wird dort nicht vor türkischem Halbmond und Stern gebetet? Ziert dort nicht eine riesige stilisierte Mondsichel nebst Stern die gläserne Kuppel der Moschee? Wer eine solche religiöse Kultur pflegt, meint unter „Kulturmuslimen“ ja vielleicht etwas ganz anderes? Vielleicht haben wir Inam nur falsch verstanden?

Wer sich letztlich über die Sisi-Anekdote Inams gegen Ende des Textes wundert, sei hier der Hintergrund erläutert. Für Inam – und damit ist er nicht allein in den Verbänden, sondern vielmehr typisch für die dortige Selbstwahrnehmung – sind Muslime in Deutschland frei von jeglicher Selbstverantwortung. Sie sind ohnmächtig und ohne jede eigene Wirksamkeit vollständig den Kräften der internationalen Politik ausgeliefert. Ihrer Wahrnehmung nach tragen sie keinerlei Verantwortung für ihr gesellschaftliches Ansehen. Sie sind in fatalistischer Weise dem jeweiligen Zustand der deutsch-türkischen Beziehungen ausgeliefert. Gibt es Streit zwischen Deutschland und der Türkei, sind die hiesigen Muslime die Leidtragenden. Nur wegen dieser außenpolitischen Konstellationen macht man den Verbänden das Leben schwer.

Pferderennen auf dem Karussell

Sobald sich die politische Interessenlage Deutschlands ändert und die Verhältnisse sich wieder entspannen, werden auch die Verbände wieder an Achtung gewinnen und wieder in die Gespräche und Förderungen staatlicher Stellen eingebunden werden. Ihr Schicksal in Deutschland ist alternativlos dem Schicksal der zwischenstaatlichen Beziehungen ausgeliefert. Bis sich dieses Schicksal bessert, gilt es, sich wegzugucken und stillzuhalten.

Gefangen in diesem Fatalismus dominiert eine Selbstwahrnehmung der Verbände ohne eigene gesellschaftliche Wirksamkeit. Was sie tun oder sagen, hat in ihrer Vorstellung keine Wirkung oder Bedeutung.

Damit bestätigt Inam im Grunde das Bild von den Verbänden. Er bestätigt die Wahrnehmung, bei den Verbänden handele es sich nicht um eigenständige, selbstbestimmte Institutionen in und für Deutschland, sondern nur um Filialen ihrer ausländischen politischen Führer. Wie kann man dann in den Verbänden aber noch behaupten, man sei Religionsgemeinschaft mit Vertretungsanspruch für eine muslimische Basis? Abwarten können die Gemeinden auch alleine. Dafür brauchen sie das Personal in den Bundesverbänden nicht zu bezahlen.

Letztlich kann sich auch Inam nicht entscheiden, ob das von ihm enttarnte antimuslimische Verschwörungsprojekt jetzt zum Scheitern verurteilt ist oder doch auf jahrzehntelange Förderung hoffen darf.
Damit kommt wohl auch zum Ausdruck, dass für Inam unklar ist, ob und wann die große Politik ihre Vorzeichen wieder ändert und die Verbände ohne eigenes Zutun – und damit letztlich wieder ohne tatsächlichen Grund? – doch wieder mit Respekt und Wertschätzung behandelt werden.
Solange drehen sich die Verbände im Karussell ihrer vermeintlichen Größe und jagen unverändert erfolglos einer gesellschaftlichen Relevanz hinterher. Irgendwie will es mit Abwarten und Schauen, was „die da oben für uns entscheiden“, nicht gelingen, auf diesem Karussell die vorderen Pferde einzuholen. Egal, wie klein die sind.