Monthly archives of “Juni 2016

Terrorzellen – in den Köpfen

Nach dem jüngsten Terroranschlag in der Türkei wiederholen sich öffentliche Rituale, die als irritierend über abstoßend bis hin zu degoutant eingeordnet werden können. So fragmentarisch diese Eindrücke aus der öffentlichen Berichterstattung, aus sozialen Medien und persönlichen Gesprächen sind, so schlaglichtartig soll dieser Text sie beleuchten. Er ist zugespitzt, vielleicht provokativ.

Betroffenheit wird wieder mit der Änderung von Profil- oder Hintergrundbildern zum Ausdruck gebracht. Die Ikonisierung von Anteilnahme, Trauer, Bestürzung usw. mag die Überwindung von Sprachlosigkeit und die Übersetzung dieser Gefühle in eine weltweit verständliche Formen- und Bildersprache bedeuten. Sie verengt jedoch auch den Fokus auf die Details. Und sie ritualisiert die Reaktion auf Terroranschläge derart, dass Sprache über und differenzierte Auseinandersetzung mit den Ereignissen zu plakativer Folklore zu verkümmern droht.

Der Zorn der Schwachen

„Hass gleicht einer Krankheit, dem Miserere, wo man vorne herausgibt, was eigentlich hinten wegsollte.“ – Johann Wolfgang von Goethe

Die Ereignisse nach der Bundestagsresolution vom 02.06.2016 machen auf vielfältiger Ebene und im Zusammenhang mit den unterschiedlichsten Akteuren deutlich, welche dramatische Erosion unsere gesellschaftlichen Umgangsformen erfahren haben. Der Begriff Erosion ist, angesichts der rasanten Verrohung des Diskurses und seiner Protagonisten, wohl zu euphemistisch. Es ist vielmehr ein Steinschlag ordinärer, hämischer Verachtung, der sich überall Bahn bricht. Mal knapp verhüllt im scheinbar souveränen Gewand der Ironie, dann wieder als unverhohlene Pöbelei, die jede Behauptung kritischer Sachlichkeit als trügerische Tarnung entlarvt.

Ohrenbetäubende Sprachlosigkeit

Die aktuellen Entwicklungen machen deutlich, welches besorgniserregende Niveau gesellschaftliche und politische Diskurse in unserem Land erreicht haben. Bei allen Beteiligten herrscht eine Atmosphäre der maximalen Entrüstung und Skandalisierung. Jede Entscheidung, jede Stellungnahme oder jede Handlung des als „politischer Gegner“ markierten Gegenübers wird als Abgrund an Schlechtigkeit, als Ausbund von Niedertracht und Manifestation verdorbener Charakterlosigkeit qualifiziert.

Gerade in den deutsch-türkischen Beziehungen und hierbei insbesondere nach der Bundestagsresolution vom 02.06.2016 scheinen sich alle Akteure wechselseitig die schlechtesten Eigenschaften und die verwerflichsten Motive zuzuschreiben.

Jede Seite reklamiert für sich die Position der absoluten Tugend und der edelsten Beweggründe, so dass dem „Gegner“ natürlich nur noch die Rolle des ebenso vollkommenen Bösen zukommen kann.

Das deutsch-türkische Verhältnis gleicht einem Scherbenhaufen. Ohne Rücksicht auf Nuancen oder Empathie für die Wahrnehmung und das Empfinden des anderen wird hemmungslos noch der kleinste Rest dessen zerschlagen, was man gemeinhin als interkulturelle Verständigung oder gedeihliches Miteinander zu beschreiben pflegt.

Die Beteiligten erinnern dabei an die Parteien eines Rosenkrieges, die auch die letzte Rücksicht auf die frühere Beziehung verloren haben und hasserfüllt nur noch die maximale Schädigung und Verletzung des ehemaligen Partners beabsichtigen. Der Endkampf um den bisherigen gemeinsamen Hausstand führt in eine blinde Zerstörungswut, mit der man jedes noch so wertvolle Gut zu zerstören gewillt ist, um es ja nicht dem anderen überlassen zu müssen.

Wahn ohne Sinn

Oder: Ist die Kurdische Gemeinde in Deutschland verfassungskonform?

Die Diffamierungen und Hetzkampagnen gegen islamische Religionsgemeinschaften – insbesondere gegen die DITIB – hören nicht auf. Dieser Hetzkampagne hat sich nun auch die Kurdische Gemeinde in Deutschland angeschlossen, mit der Begründung, die muslimischen Religionsgemeinschaften seien heteronom und würden die Bedrohung von Abgeordneten nicht verurteilen.

Die Kurdische Gemeinde in Deutschland nimmt leider keinen direkten Einfluss auf radikale kurdische Gruppierungen in Deutschland. Wiederholt sind Moscheegemeinden der von der Kurdischen Gemeinde diffamierten Religionsgemeinschaften auch von kurdischen extremistischen Gruppierungen angegriffen worden, teilweise unter Verwendung von Sprengstoffen und Brandsätzen. Zu keinem dieser Vorfälle hat sich die Kurdische Gemeinde öffentlich geäußert, geschweige denn dass sie diese Straftaten verurteilt oder sich auch nur davon distanziert hätte. Wen die Kurdische Gemeinde ideologisch und finanziell fördert oder von wem sie gefördert wird, ist unbekannt.

Offenkundig ist aber, dass die Kurdische Gemeinde in Deutschland entweder die Berichterstattung, die sie kommentieren will, nicht verfolgt oder dass sie bewusst falsche Tatsachen unterstellt. Denn bereits am 07.06. und am 08.06. hat sich die DITIB über unterschiedliche Kanäle an der öffentlichen Debatte beteiligt und unmissverständlich geäußert.

Schämt euch!

Drei Dinge gilt es, entschieden festzuhalten.

Erstens: Nach der Armenier-Resolution am 02.06.2016 ist die darauffolgende Kritik an dem Beschluss des Bundestages und insbesondere an dem Stimmverhalten der türkischstämmigen Abgeordneten in ihrer Vehemenz, in Inhalt und Ton mehr als überzogen. Was in sozialen Medien und in der türkischsprachigen Presse teilweise zu lesen ist, überschreitet die Grenze zu strafrechtlich relevantem Verhalten und ist nicht akzeptabel. Beschimpfung und Bedrohung von Parlamentariern sind nicht hinnehmbar, sondern entschieden zu verurteilen. Punkt. Kein Wenn, kein Aber, kein Jedoch. Einfach Punkt.

Die Grenzen der Toleranz gegenüber kritischen Reaktionen hören nicht erst dort auf, wo die Strafbarkeit des Handelns beginnt. Sie sind bereits deutlich vorher, gerade im Bereich der nichtstrafbaren Äußerungen zu ziehen. Denn auch legale aber unangemessene Tiraden vergiften das gesellschaftliche Klima und verrohen die Atmosphäre, in der wir Meinungsverschiedenheiten und auch gesellschaftliche Konflikte austragen müssen.