Deutsche Relevanz Konferenz – und was den deutschen Islam ausmacht

Die Diskussionen um einen in Deutschland beheimateten Islam werden in den nächsten Monaten einen neuen Aufwind erfahren. Die Deutsche Islam Konferenz wird nicht mehr ein Tisch sein, an dem sich der Staat mit den Vertretern einer fremden Religion trifft.

Es deutet sich vielmehr an, dass es einen neuen Impuls geben wird, ausgehend von deutschen Muslimen, die ganz selbstverständlich und im konkretesten Sinne des Wortes selbstbewusst die Frage nach Gleichberechtigung und Teilhabe stellen – und auch die Frage danach, welche Rolle ihre Religion im Zusammenhang mit diesen Forderungen spielt. 

Der Journalist und Mitbegründer der Alhambra Gesellschaft e.V., Eren Güvercin, hat in den letzten Tagen bereits einige Facetten der anstehenden Fragen beleuchtet. Im Zentrum seiner Ausführungen steht das Selbstverständnis als deutscher Muslim und die Irritationen, die eine solche Selbstverortung bei allen Beteiligten der öffentlichen Debatte über den Islam in Deutschland verursacht.

Den Irritationen muss man nachspüren. Denn es gehört zu den Merkwürdigkeiten der deutsch-muslimischen Landschaft, dass gerade jene, die besonders große Repräsentativität für sich in Anspruch nehmen, oftmals auch die gleichen sind, die sich nicht mit eigenen offiziellen Stellungnahmen an der Debatte beteiligen – oder diese gar inhaltlich gestalten. Vielmehr herrscht lautes Schweigen. 

Wenn man nur an Schweinshaxen denkt

Einige Altfunktionäre reagieren affektiv und kommentieren die Diskussionen um einen „deutschen Islam“ höchstens auf Twitter oder Facebook. Sie offenbaren damit erste Einsichten in die Gedankenwelt des institutionellen Islam in Deutschland. IGMG Funktionäre konnten spontan mit dem Begriff „deutscher Islam“ nur aus muslimischer Sicht Verbotenes assoziieren. Von staatlich bestellten Schweinshaxen und Bier war die Rede. 

Man darf angesichts dieser Reflexe durchaus verwundert sein, warum die gleichen Vertreter buchstäblich noch bis gestern gerichtlich darum gestritten haben, als deutsche Religionsgemeinschaft akzeptiert zu werden. Was, wenn nicht einen deutschen Islam, wollten sie denn mit einem solchen Status vorleben? Der Antwort auf diese Frage, versuchen wir im weiteren Verlauf dieses Textes näher zu kommen.

Es gibt in der Masse der Online-Publikationen versteckte Andeutungen, was in den muslimischen Verbänden zu dem Thema Deutsche Islamkonferenz und über die Begrifflichkeit des „deutschen Islam“ wohl gedacht wird. Die formale Mittelbarkeit dieser Positionierung beschreibt bereits einen wichtigen Teil des Problems: fehlende Transparenz. 

Die deutsche Öffentlichkeit erlebt die muslimischen Verbände nicht als Handelnde, nicht als Redende, nicht als Gestaltende. Zu den wichtigsten Vorgängen der letzten Monate, von denen die muslimischen Verbände und deren Image in der Öffentlichkeit betroffen sind, schweigen die Verbände. 

Das Spiel für ein fremdes Publikum

Wenn sie reden, tun sie das in türkischer Sprache. Wenn sie handeln und öffentlich sprechen, merkt man ihnen an, dass sie dies für ein Publikum in der Türkei tun. Sie möchten zunächst in der Türkei gehört und richtig verstanden werden. Es wird jene Form der Kommunikation gewählt, die auf einen konkreten, eng begrenzten Empfängerkreis zielt. Nur diesen will man mit seiner konkreten Botschaft erreichen – die deutsche Öffentlichkeit gehört nicht dazu. Ihr gegenüber ist die Strategie des Wegduckens und des Aussitzens das Mittel der Wahl. Der Schaden, der dadurch entsteht, gilt als unbeachtlich.

Zwei Beispiele zu dieser abstrakten Beschreibung: Wochenlang war der Rücktritt des Bundesjugendverbandsvorstandes der DITIB ein öffentliches Thema. Gehört oder gelesen hat man dazu von Seiten des Verbandes nichts. Jedenfalls nichts, was in Erinnerung geblieben wäre. 

Nun nimmt seit 16 Monaten des Schweigens der Bundesjugendverband wieder seine Onlineaktivitäten auf. Nach eigener Beschreibung ist das „der größte muslimische Jugendverband Deutschlands“. Er hat auf Twitter ganze 192 Follower und sein erster Tweet nach 16 Monaten Funkstille spricht Türkisch. Der deutschen Öffentlichkeit hat man also weiterhin nichts zu sagen. 

Für Kenner des gewählten Sprachcodes ist der Tweet dennoch vielsagend. Er ist unterzeichnet mit „DITIB Merkez Genclik Komisyonu“ – also „DITIB Zentrale Jugendkommission“. Den gleichen türkischen Untertitel hat nun auch die Facebook-Seite des Bundesjugendverbandes. Auf Deutsch ist man Bundesjugendverband. Auf Türkisch wird diese vereinsrechtliche Selbständigkeit jedenfalls sprachlich wieder einkassiert, damit alle jugendlichen Mitglieder unmissverständlich begreifen, wem sie angehören – nämlich nur einer abhängigen Kommission der „Merkez“, also der „Zentrale“. 

Gleichgültigkeit gegenüber der deutschen Öffentlichkeit

Eine solche zweigleisige Kommunikation nach außen weckt kein Vertrauen. Aber man hat nicht den Eindruck, dass das bei den Verantwortlichen eine Rolle spielt. Das Gegenteil scheint der Fall zu sein. Seit mehreren Monaten hört und sieht man vom eigentlichen Vorstandsvorsitzenden des Bundesverbandes, Nevzat Asikoglu, nichts mehr – obwohl er erst im Dezember 2017 durch die Mitgliederversammlung des Bundesverbandes im Amt bestätigt wurde. 

Er war noch bei einem Iftarempfang im vergangenen Fastenmonat öffentlich sichtbar. Es erscheinen hin und wieder Grußbotschaften in seinem Namen auf der Webseite des Bundesverbandes. Aber verfolgt man die Facebook-Beiträge führender Funktionäre, gewinnt man den Eindruck, dass der stellvertretende Vorstandsvorsitzende, der Diyanet-Beamte Ahmet Dilek, gegenwärtig faktisch die Geschäfte führt.  

Aus welchen Gründen das der Fall ist – vielleicht gibt es ja nachvollziehbare -, erfährt die Öffentlichkeit nicht. Die Vertretungslösung zeigt erneut, wie wenig der Bundesverband auf die öffentliche Meinung in Deutschland gibt: Nach Presseberichten wurde Ahmet Dilek im Dezember 2017 in den Vorstand gewählt, obwohl er zu diesem Zeitpunkt Religionsattaché am Generalkonsulat in Köln gewesen sein soll. Jenem Generalkonsulat, das als einer der agilsten Akteure im Zusammenhang mit den Spionagevorwürfen auffiel. 

Bemerkenswert ist auch ein aktuelles Posting eines Vorstandsmitglieds des DITIB Bundesverbandes. Es zeigt eben jenen Ahmet Dilek bei einer öffentlichen Essensausgabe anlässlich des Opferfestes zusammen mit Kazim Türkmen – dem neuen türkischen Botschaftsrat für Religionsangelegenheiten in Deutschland. Türkmen war vor vier Jahren, damals noch als Kölner Religionsattaché – also Amtsvorgänger Ahmet Dileks -, Vorstandsmitglied im DITIB Bundesverband. 

Es bleibt abzuwarten, ob die DITIB trotz der anhaltenden Diskussionen ihrer Tradition folgend auch in diesem Fall die Berufung eines neuen Botschaftsrates zum Anlass nehmen wird, eine Mitgliederversammlung einzuberufen und den Botschaftsrat auch zum DITIB-Vorsitzenden zu wählen – obwohl der aktuelle Vorstand noch kein Jahr im Amt ist. 

Kein Interesse an Deutschland

Diese Beispiele zeigen, dass das Handeln der Verbände nicht an den Diskussionen in Deutschland orientiert ist. Die Diskussionen im Hier und Jetzt sind allenfalls Störfaktoren, welche die eigene Arbeit nach innen, in den Verband hinein, nur am Rande tangieren. Wirklich wichtig sind sie nicht. 

Die Signale aus Bayern, den Modellversuch „Islamischer Unterricht“ nicht weiter auszubauen, die Entwicklungen in Nordrhein-Westfalen zum Beiratsmodell des Islamischen Religionsunterrichts, die Fristsetzung in Hessen, mit deren Ablauf der dortige Islamische Religionsunterricht im kommenden Jahr nicht mehr mit DITIB als Träger fortgesetzt werden wird, die verheerenden Ergänzungsgutachten in Rheinland-Pfalz, die krachende Niederlage vor dem OVG Münster. All das sind keine Themen, zu denen sich die Verbände deutlich hörbar und inhaltlich überzeugend öffentlich positionieren. Nach dem Urteil des OVG Münster hieß es noch, man warte die Urteilsbegründung ab, um sie inhaltlich zu bewerten. Die Urteilsbegründung ist seit mehr als sechs Monaten öffentlich zugänglich. Von den Verbänden hat man allerdings nichts mehr vernommen.

Hier zeigt sich das Grundproblem. Man will überall mitreden und das gewichtigste Wort haben, wenn es um den Islam in Deutschland geht. Aber zu den wichtigsten Entwicklungen hat man keine öffentliche Meinung. Oder sie wird – wie oben bereits dargelegt – für ein besonderes Publikum verschlüsselt. Gleichwohl sind auch diesen Statements wichtige Erkenntnisse abzugewinnen. 

Zwei vielsagende Stellungnahmen

Zu den oben zitierten Beiträgen haben zwei Personen Stellung genommen – ohne den Autor Eren Güvercin direkt anzusprechen oder auch nur namentlich zu erwähnen. Auch hier wird eher die indirekte Debatte über Bande bevorzugt. 

In dem Onlinemedium „islamiq“ – eine dem IGMG Spektrum zuzuordnende Webseite – äußert sich Dr. Ahmet Inam zu der Deutschen Islam Konferenz und dem Begriff des „deutschen Muslim“. Er ist Leiter der Abteilung für „Übersetzung, Lektorat und Edition“ der DITIB-ZSU, einer Organisation im DITIB Verbandssystem. In einem verkrampften Beitrag wirft er der Deutschen Islam Konferenz vor, ein islamisches „Konzil“ nach Vorbild der Konstantinischen Neuordnung der christlichen Glaubenslehre abhalten zu wollen. 

Er vermutet eine staatliche Einflussnahme auf Inhalte der islamischen Lehre und stört sich fast noch mehr daran, dass irgendwelche Einzelpersonen zu der Konferenz eingeladen werden und nicht nur die Verbände. Deren Repräsentativität unterstreicht er nochmals mit der Aufschlüsselung, wer alles an den gemeindlichen Gottesdiensten teilnimmt und religiöse Dienstleistungen der Moscheegemeinden nutzt. Auch er stimmt in die Assoziationen seiner IGMG-Kollegen ein und befürchtet, unter einem „deutschen Islam“ würden wohl den Muslimen verbotene Dinge schmackhaft gemacht und grundsätzliche Gebots- und Verbotsregeln des Islam verändert werden. 

Woher diese Assoziationen kommen, aus welchem objektiven Sachverhalt ein solches Ansinnen abgeleitet wird, ist auch den Ausführungen Inams nicht zu entnehmen. Um dem Begriff des „deutschen Islam“ jede Legitimation abzusprechen, versteigt er sich vielmehr in die Aussage, es habe nie einen türkischen oder arabischen oder persischen Islam gegeben. Es handele sich nur um verschiedene Kulturen. Für Inam sind Religion und Kultur demnach völlig voneinander isolierte Sphären und die unterschiedlichen Lebensweisen muslimisch geprägter Gesellschaften nur Ausdruck abweichender Kulturen. 

Wenn aber Kultur nach Inams Vorstellung nie Religion zu verändern vermag, woher kommt dann seine Sorge, dass ausgerechnet ein „deutscher Islam“ kulturelle Gepflogenheiten legitimieren könnte, die der islamischen Glaubenslehre widersprechen? Und warum glaubt er, dass Muslime einer solchen Veränderung folgen würden? Oder wie erklärt er sich die unterschiedlichen Islamverständnisse zum Beispiel der indonesischen Muslime, die sogar je nach regionaler Prägung eine abweichende  Orthopraxie aufweisen?

Die Zumutung des Deutschen

Mit einer weiteren Wortmeldung auf Facebook positionierte sich Elif Zehra Kandemir, Editorin der IGMG Publikation „Perspektif“. Bei der „Perspektif“ handelt es sich um eine Zeitschrift, die in türkischer Sprache erscheint und in diesem Sinne meldet sich auch Kandemir über Facebook auf Türkisch zu Wort und kommentiert die Debattenbeiträge zum „deutschen Islam“. Schnell wird deutlich, wie dieser verstanden wird. 

Begriffe wie „deutscher Islam“ oder auch „deutscher Muslim“ seien keine Begriffe, die aus einer inneren Notwendigkeit, einer inneren Dynamik der muslimischen Glaubensgemeinschaft heraus entstanden seien. Es handele sich vielmehr um Erwartungen der Mehrheitsgesellschaft. Die Begriffszusammensetzung „deutscher Muslim“ wende deshalb sein Gesicht nicht der muslimischen Gemeinschaft zu, sondern der Mehrheitsgesellschaft. 

Nach Kandemir wäre es falsch zu glauben, dass ganze Bevölkerungsgruppen sich als „deutsche Muslime“ definieren wollen und dabei an einer Hürde hängenblieben. Deshalb sei die Diskussion um „deutsche Muslime“ keine, die von der Basis gestützt werde, sondern von oben. Ihrem Verständnis nach handelt es sich um eine Diskussion, die mangelnde Akzeptanz gegenüber „türkischen Muslimen“ mit einer neuen begrifflichen Verbindung des „Deutschen“ mit dem „Muslimischen“ zu überwinden suche und deshalb nicht ernst zu nehmen sei. 

Dabei will sie dem Individuum natürlich freistellen, als was es sich selbst verortet. Das Problem für sie besteht darin, dass es sich um eine politische Identitätsverordnung von oben herab handele, die sie in der Tagesordnung der Deutschen Islam Konferenz erkennen will. 

Die Fixierung auf Eindeutigkeit

Man muss Kandemir zugutehalten, dass sie anders als ihre Verbandskollegen oder Inam jedenfalls mit dem Begriff „deutsch“ nicht reflexartig Eigenschaften oder Sachverhalte assoziiert, die Muslimen verboten sind. Aber auch sie lässt erkennen, dass sie eine hybride, eine gleichzeitige Selbstanschauung als „deutsch“ und „türkisch“ nicht für möglich hält. 

Es sind für sie, wie auch für Inam, alternative Identitäten, die in einem Konkurrenzverhältnis zueinander stehen. Sie leben in einer Welt, in der es überhaupt keine „deutschen Muslime“ gibt. Deshalb erscheint ihnen diese Begrifflichkeit als politisches Konstrukt, als eine widernatürliche Chimäre. 

Beide offenbaren dabei zwei Details: Die Vorstellung, dass es Menschen ausschließlich deutscher Herkunft gibt, die sich zum Islam bekennen, ist ihnen fremd. Das ist zumindest erstaunlich für Verbände, die sich rühmen, international aktiv zu sein. Bei aller „überkultureller“ Glaubensanschauung scheint sich immer noch die Auffassung zu halten, dass es Muslime gibt, die nicht die „richtige“ kulturelle oder nationale Herkunft aufweisen, um als Muslime auf Augenhöhe wahrgenommen zu werden.  

Darüber hinaus können beide sich nichtmal ansatzweise vorstellen, dass es türkeistämmige Menschen gibt, die sich – zumindest auch – als deutsche Muslime fühlen und ihre religiöse Identität als etwas Produktives, als etwas Fruchtbares für die deutsche Gesellschaft aktivieren wollen, in der sie sich (auch, vielleicht auch vornehmlich) zu Hause fühlen und die sie (auch, vielleicht sogar vornehmlich) als prägend für ihre Selbstanschauung wahrnehmen. 

Ein Deutschland abgewandtes Gesicht

Man muss Kandemir beim Wort nehmen, um sie, Inam und die Denkweise in den Verbänden zu verstehen. Es handelt sich um Institutionen und Funktionäre, die im Umkehrschluss zu Kandemirs Worten ihr Gesicht nicht in Richtung der Mehrheitsgesellschaft wenden. Für sie ist der Islam die Gewähr für den Erhalt einer Tradition, einer Kultur, einer Praxis, die sie ausschließlich als „Türkisch“ erleben.

Sie sind und bleiben der deutschen Gesellschaft fremd. Und diese Fremdheit möchten sie auch ausdrücklich bewahren. Dass jemand sein Gesicht der deutschen Gesellschaft zuwendet, ist für sie nur ein Zeichen der Anbiederung, der Gefallsucht oder der Selbstverleugnung. Oder Ausdruck der Anfälligkeit gegenüber obrigkeitlicher Indoktrination. Der authentische Muslim wendet sein Gesicht in diesem Verständnis deshalb stets seiner „eigenen“ Gemeinschaft zu und nicht der deutschen Mehrheitsgesellschaft.

Sie kennen das Gefühl nicht, in Deutschland eine Heimat gefunden zu haben, ohne die türkische Heimat aufzugeben oder zu verleugnen. Diese Mehrdeutigkeit ist ihnen suspekt, ja gar nicht vorstellbar. Jede Selbstanschauung als „deutsch“ ist für sie ein Zeichen des Defizits, des schrittweisen Verlustes der türkischen Identität. Beides zu erhalten, in beiden Gesellschaften heimatliche Verbundenheit zu spüren und zu leben, ist nicht Teil ihres Erfahrungshorizontes. Deshalb treibt sie auch niemals der Gedanke um, wie man als Muslim zum Wohle der deutschen Gesellschaft agieren kann.

Die deutsche Verfassungsordnung räumt den Religionsgemeinschaften weitreichende Statusrechte ein, weil sie davon ausgeht, dass Glaubensgemeinschaften Werte und Tugenden hervorbringen, die für den Erhalt des Gemeinwesens und der Gesellschaft unerlässlich sind und die der Staat nicht aus sich selbst heraus hervorbringen kann. 

Die Verbände streben aber nicht zu diesem Zweck Statusrechte an. Sie kalkulieren sie als Ansprüche, die es zu erringen gilt und die ihnen Vorteile gegenüber dem Staat sichern. Die durch die Statusrechte vermittelte Selbstwahrnehmung, Verantwortungsträger für das Gelingen dieser Gesellschaft zu sein, dieser Gesellschaft und allen Menschen darin zu dienen, ihr Wohl zu steigern, ohne nach dem Bekenntnis zu fragen, diese Vorstellung ist nicht ihr Antrieb. Jedenfalls ist eine solche Motivation in den Jahrzehnten ihrer Existenz nie explizit geäußert worden.

Aus diesen Gründen können Kandemir, Inam und mit ihnen die Verbände nicht verstehen, was mit „deutscher Islam“ gemeint ist und warum sich Menschen als „deutsche Muslime“ wahrnehmen. 

Was einen deutschen Islam ausmacht

Deutsche Muslime sind Menschen, für die Deutschland Heimat (geworden) ist, die dieser Gesellschaft zugewandt sind, sich um sie sorgen und sich für sie mit ihrer Religion und aus religiösem Antrieb einsetzen. Deutsche Muslime möchten Menschen sein, die dieser Gesellschaft nützlich sind und die das Wohl dieser Gesellschaft in allen Belangen ihres Alltagslebens zu mehren bestrebt sind – damit es allen Menschen in Deutschland besser geht, gleich ob oder welchen Glauben sie haben. 

Ein deutscher Islam ist also einer, der sich um die Menschen in Deutschland kümmert, der ihnen zugewandt ist. 

Den Verbänden ist es in all den Jahren nicht gelungen, zu veranschaulichen, dass sie für diese Ziele stehen. Der Grund dafür ist sehr einfach zu erklären: sie und ihr Islamverständnis stehen nicht für diese Ziele. Sie wenden sich ausschließlich einer „muslimischen Gemeinschaft“ zu, die sie als abgeschlossen, als in nationalen und kulturellen Grenzen erstarrt wahrnehmen. 

Sie suchen nach Möglichkeiten, in diesen fest umrissenen, undurchlässigen Grenzen die Kontrolle zu bewahren. Sie wollen nicht Religionsgemeinschaften sein, sondern „Merkez“, Zentralen der Kontrolle und der Alleinentscheidungbefugnis für ihre in sich geschlossene Welt. 

Dabei bekommen sie nicht mehr mit, dass sich zahlreiche, insbesondere junge Muslime, von diesem Verständnis des Islam abgestoßen fühlen. Junge Muslime erhalten keine Antworten auf die Fragen, die sie als Teil der deutschen Gesellschaft haben. Sie erhalten keine „Rechtleitung“ – wie es der Koran formuliert -, um in dieser deutschen Gesellschaft ein produktives und Sinn stiftendes Leben als Muslime zu führen.

Was sie von den Verbänden erhalten – und das verwechselt zum Beispiel Inam in seinem Text mit repräsentativer Relevanz – sind allein Moscheegebäude für ihren Gemeindegottesdienst und eine praktische Infrastruktur bei der Erfüllung religiöser Pflichten, wie der Pilgerfahrt oder der Bestattung nach muslimischen Riten.  

Gäbe es alternative Anbieter für diese praktischen Notwendigkeiten, die Verbandsfunktionäre  könnten gar nicht so schnell gucken, wie ihre Moscheegemeinden sich von den Dachverbänden lösen würden. 

Die Verbände sollten sich deshalb nicht so viele Sorgen darüber machen, ob sie demnächst bei der Deutschen Islam Konferenz neben irgendwelchen Selbstdarstellern oder „islamkritischen“ Exzentrikern sitzen werden. Deren Narrative sind altbekannt und zügig demontiert. 

Worauf sie sich gewissenhaft vorbereiten sollten, sind die oben aufgeworfenen Fragen nach ihrer inhaltlichen Diskursrelevanz für ein muslimisches Leben in Deutschland. Denn da fehlt ihnen bislang jede Erfahrung.