Offener Brief in einer kritischen Debatte

Lieber Erdal,

mein gestriger Blog-Beitrag „Eine kritische Debatte?“ muss Dich so sehr gestört haben, dass Du Dich noch spät in der Nacht genötigt sahst, darauf per Mail zu reagieren. Leider wendest Du Dich mit Deiner Mail nicht an mich, sondern an meine Kollegen. Dabei hätten wir die Irrtümer, wegen denen Du Dich offenbar so entrüstest, im direkten Kontakt viel schneller ausräumen können.

Ich schreibe Dir jetzt öffentlich, weil ich davon überzeugt bin, dass Form und Inhalt der geforderten „kritischen Debatte“ eine Natur angenommen haben, die uns dazu zwingt, jede Disputation öffentlich zu führen. Gerade auch deshalb, damit Fehlentwicklungen vom betroffenen breiten Publikum uneingeschränkt wahrgenommen und gewürdigt werden können.

Lass uns bitte zunächst Deine Bemerkungen zu meiner Person aus der Welt schaffen, damit der Blick in der Sache etwas klarer wird.

Du betonst in Deinen einleitenden Worten, dass Du mich nicht kennst und auch nicht kennen möchtest. Das ist bedauerlich. Dabei sind wir uns im letzten Jahr beim Iftarempfang des Bundesverbandes doch begegnet. Ich habe Dich begrüßt, wir haben uns kurz unterhalten. Das Gedächtnis kann einem kurz vor Mitternacht solche Streiche spielen. Es sei Dir nachgesehen.

Du betonst, dass Du auf die in meinem Text aufgeworfenen Fragen nicht reagieren willst. Das sei Zeitverschwendung. Ich sei ein noch junger und unerfahrener Freund, der seine Erfahrungen noch machen werde.

Welche Unerfahrenheit Du meinst, erschließt sich mir aus Deiner Mail nicht. Aber gewiss machen wir beide jeden Tag immer wieder neue Erfahrungen, die uns weiter reifen lassen.

Für den „jungen Freund“ will ich mich ausdrücklich bedanken. Ich fühle mich gerade jetzt, wo mein 43. Geburtstag naht, aufrichtig geschmeichelt. Ich bin 1973 in Lübeck an der Ostsee geboren worden. Wenn ich mich nicht irre, bist Du 1974 in Grünstadt in der Pfalz auf die Welt gekommen.

Als der ältere von uns beiden, bin ich es, der in unserer Konversation das „Du“ anbieten darf, was ich ja in meiner obigen Anrede bereits konkludent getan habe. Damit will ich einerseits die doch sehr förmliche Anrede „Herr Junior-Professor“ vermeiden und andererseits durch diese Geste der freundschaftlichen Annäherung meine Wertschätzung zum Ausdruck bringen. Denn diese Wertschätzung gebührt Dir, da Du entgegen Deiner Ankündigung, auf meinen Text nicht inhaltlich reagieren zu wollen, in Deiner Mail dies doch tust.

Um das Maß dieser – Deinen Worten nach – „Zeitverschwendung“ zu reduzieren, erlaube ich mir, auf die Irrtümer einzugehen, die Dir auch hierbei wieder inhaltlich unterlaufen.

Du schreibst, ich hätte das MFD und Euch als Teil einer internationalen Verschwörung dargestellt. Und ich hätte Dich und Herrn Khorchide dazu aufgerufen, öffentlich zu bekunden, der Koran sei Allahs Wort.

Nun, weder stimmt das eine, noch das andere. Auch unter Berücksichtigung der Annahme, dass sich exegetische Arbeit an Texten in Form und Methode bei Islamwissenschaftlern und Juristen unterscheiden mögen, kann ich nicht nachvollziehen, an welcher Stelle meiner doch sehr umfangreichen Ausführungen Du zu diesen Schlussfolgerungen gelangt bist.

Ich habe die auf taz.de veröffentlichte Funktion des MFD-Sprechers innerhalb der EFD zum Anlass genommen, die Verbindung der EFD zur FDD und das Umfeld der Förderer der FDD offenzulegen. Ich konstruiere dabei keine Verschwörungstheorie, sondern präsentiere Fakten, die im Übrigen öffentlich mit wenigen Klicks im Internet nachvollzogen werden können.

Ebenso habe ich weder Dich, noch Herrn Khrochide zu irgendwelchen öffentlichen Äußerungen aufgerufen. Erinnern wir uns gemeinsam an die Passage, in der Eure Namen fallen (Zitat): „Interessant wäre es zu erfahren, ob die Herren Khorchide und Toprakyaran, beides muslimische Hochschullehrer, die sich dazu verpflichtet haben, in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der islamischen Religionsgemeinschaften zu lehren und beide gleichzeitig Mitglieder des MFD, diese Position ihres MFD-Sprechers teilen? Ein guter Muslim, als einer, der keiner mehr ist? Das wäre in der Tat eine spannende Diskussion und ein „brennendes Problem“.“ (Zitat Ende)

Dass Du die von mir aufgeworfene Frage – keine Aufforderung – mindestens genauso interessant findest wie ich, machst Du ja mit den weiteren Ausführungen in Deiner Mail deutlich.

Du schreibst, dass Du Dich den missverständlichen Worten des MFD-Sprechers Mansour zum Koran nicht anschließt. Du betonst, dass Du seine Kritik an der DITIB und den anderen islamischen Religionsgemeinschaften zu einseitig findest.

Und dann fügst Du ein „Aber“ ein. Hätte er seine Äußerungen im Namen des MFD getätigt, schreibst Du, hätten Du und Herr Khorchide ihm natürlich widersprechen müssen. Aber er habe lediglich seine persönliche Meinung veröffentlicht. An diese Privatmeinung seien weder Du, noch Herr Khorchide gebunden.

Lieber Erdal, auch in aller aufrichtigen freundschaftlichen Rücksicht kann ich einer solchen Relativierung keinen Anspruch auf Ernsthaftigkeit und auch keine Glaubwürdigkeit beimessen. Erinnere Dich bitte daran, dass Herr Mansour nicht als Privatperson ein Essay auf taz.de veröffentlicht. Er wird nicht als Privatperson, sondern als Programmdirektor der EFD und als Sprecher des MFD vorgestellt. Er spricht am Ende seines Essays, quasi den vorangehenden Text im Namen des MFD unterschreibend, ausdrücklich von „Wir“ und meint damit das MFD.

Lies bitte den letzten Absatz seines Textes nochmals genau durch (Zitat): „Wir kritischen Muslime sind viele. Mehr als Ihr denkt. Im April 2015 habe ich in Berlin das „Muslimische Forum Deutschland“ mitgegründet. Wir streiten für einen humanistischen Islam, für eine Debatte innerhalb der muslimischen Community. Wir sind JournalistInnen, IslamwissenschaftlerInnen, wir sind SoziologInnen, PsychologInnen, Studierende. Und wir alle sind Teil dieser Gesellschaft. Traut euch, uns zuzuhören, mit uns zu diskutieren!“ (Zitat Ende).

Lieber Erdal, falls es Dir nicht aufgefallen sein sollte: mit „Wir sind IslamwissenschaftlerInnen“ meint er gerade auch Dich! Du kannst mich nicht davon überzeugen, das sei eine Privatmeinung, an die Du nicht gebunden wärest.

Vor diesem Hintergrund musst Du tatsächlich abwägen, ob Du in Kenntnis der Tätigkeit Deines MFD-Sprechers für die EFD und angesichts der daran deutlich werdenden Implikationen, die von mir aufgeworfenen Fragen für irrelevant hältst. Du musst für Dich klären, ob es nicht merkwürdig ist, dass Du Deinem MFD-Sprecher inhaltlich eigentlich widersprechen möchtest, dies aber unter Verweis auf eine vermeintliche Privatmeinung letztlich nicht für erforderlich hälst.

Sein Essay ist als Aufforderung des MFD formuliert. „Traut euch, uns zuzuhören, mit uns zu diskutieren!“, schreibt er im Namen des MFD. Das habe ich getan und werde es auch weiterhin tun.

Nun liegt es an Dir und an Herrn Khorchide zu entscheiden, ob Ihr Euch zu den kritischen Verbindungen des MFD-Sprechers und den inhaltlichen MFD-Positionen, die in dem taz.de-Essay formuliert werden, öffentlich äußern wollt. Ich glaube – und das ist als aufrichtiger freundschaftlicher Rat vom Älteren zum Jüngeren gemeint –, dass Ihr das unbedingt tun solltet. Ich bin davon überzeugt, dass Ihr das zumindest Euren Studentinnen und Studenten schuldig seid. Traut euch!

Herzliche Grüße und Selam

Dein Murat